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Christian Reinhardt: Versagen unter Druck


Im sportlichen Wettkampf zählt oft nichts mehr als das Ergebnis. Begeisternde Vorrundensiege, eine makellose Vorkampf-Bilanz oder temporäre Siegesserien sind sportartenübergreifend Makulatur, wenn in den entscheidenden Situationen versagt wird. Viele Sportler haben damit Probleme, große Probleme. Christian Reinhardt von die-sportpsychologen.de unternimmt einen Ausflug in eine Randregion der Sportwelt, um an Hand der weltweit boomenden Kampfsportart Mixed Martial Arts (Gemischte Kampfkünste) dieses Phänomen zu erklären.

Für die-sportpsychologen.de berichtet Christian Reinhardt:

Druck verändert die psychischen Leistungsvoraussetzungen 

Das Mixed Martial Arts Großereignis im Juni, die Ultimate Fighting Championship 174 im kanadischen Vancouver, stand im Zeichen der psychischen Beanspruchung der Athleten. Andrei Arlovski gab zu, dass bei seinem ersten UFC Auftritt seit 2008 seine Arme und Beine auf dem Weg zum Oktagon und auch während der ersten Runde heftig gezittert haben. Sein Gegner Brendan Schaub schien nicht weniger nervös. Das Publikum quittierte den entsprechend gehemmten Kampf mit Buh-Rufen.

Schlimmer erging es Tyron Woodley, der in seinem Kampf gegen Rory Macdonald wie paralysiert wirkte. Wie zur Bestätigung wurde der einstige Ausnahme-Ringer dann sogar von seinem Gegner zu Boden ‚gerungen‘. UFC Präsident Dana White urteilte, dass Woodley in diesem wichtigen Kampf unter Druck versagt und vielleicht nicht das Zeug für die UFC habe.

“HE GOT BEAT MENTALLY. HE GOT BEAT PHYSICALLY. TYRON’S GOT A WAYS TO GO. HE SEEMS LIKE HE CHOKES IN THE BIG FIGHTS.”

DANA WHITE, UFC PRÄSIDENT

Tatsächlich zeigt sich ein Muster, wenn man Woodleys Karriere (15 Siege, 3 Niederlagen) genauer betrachtet. Seine einzigen Niederlagen erlitt er jeweils in entscheidenden Kämpfen und auf ähnliche Art und Weise: Er verlor den Strikeforce-Titelkampf gegen Nate Marquardt, nachdem er trotz eines guten Starts immer passiver wurde. In der UFC unterlag er bei einem richtungsweisenden Kampf Jake Shields, wobei er teilweise „fast apathisch wirkte“ (Lawson, 2014). Der zurückliegende Kampf gegen Rory MacDonald sollte Woodley nach eigener Aussage in die Position des Titelanwärters bringen. Der Ausgang ist bekannt.

Was ist nun mit Tyron Woodley passiert? Das Versagen unter Druck (engl. Choking under pressure; Baumeister & Showers, 1986) ist keine seltene Erscheinung und bedeutet, dass ein Athlet seine Leistung plötzlich nicht mehr abrufen kann, da sich unter wahrgenommenem Druck die psychischen Leistungsvoraussetzungen ändern, beispielsweise das Angstniveau steigt. Insbesondere die subjektiv empfundene Wichtigkeit des Wettbewerbs spielt dabei eine Rolle. Grundsätzlich gibt es zwei Erklärungsmodelle für dieses Phänomen:

Das erste Modell geht von einem Anstieg der Selbstaufmerksamkeit aus. Der empfundene Druck führt zu einer gesteigerten Angst zu Versagen, was wiederum eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit zur Folge hat. Dies bewirkt, dass automatisierte Bewegungen nicht mehr reibungslos ausgeführt werden, sondern die Kämpfer plötzlich bewusst darauf achten, wie ihre Bewegung (eigentlich) ablaufen sollen. Dies kann zu einer „Paralyse durch Analyse“ (Beilock, 2011) führen.

Das zweite Modell basiert auf der Ablenkung der Kämpfer aufgrund des empfundenen Drucks. Die Aufmerksamkeit wird dabei auf irrelevante Hinweisreize und auf leistungsabträgliche Gedanken, wie beispielsweise die Angst zu versagen, Gedanken an zurückliegende Misserfolge in vergleichbaren Situationen, Selbstzweifel oder aber auch vorzeitige Sieggedanken und Gedanken an den nachfolgenden Wettkampf gelenkt. Diese Ablenkung führt dazu, dass ein Sportler sich nicht mehr optimal auf die Bewegung konzentrieren kann. Die Auswirkungen sind in einer Sportart, die extreme koordinative und konzentrative Anforderungen mit sich bringt, wie die MMA, entsprechend gravierend.

Was kann man gegen das Versagen unter Druck tun?

Grundsätzlich ist es für den betroffenen Sportler wichtig zu wissen, dass die auslösenden Gedanken beeinflusst und die Stressreaktion damit abgemildert oder ganz vermieden werden kann. Abhängig davon, welches der beiden Erklärungsmodelle überwiegt, gibt es unterschiedliche Methoden, diesem Erleben zu begegnen.

Ist der Leistungsabfall auf eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit zurückzuführen und die normalerweise automatisierten Bewegung funktionieren plötzlich nicht mehr, weil sich der Athlet zu bewusst auf ihre Ausführung konzentriert, liegt der Schlüssel in der (Wieder-) Erlangung der kognitiven Kontrolle. Hier ist zum einen das Training von Drucksituationen* wichtig, beispielsweise durch die Simulation von kritischen Situationen, die Verknüpfung mit Konsequenzen, das Einbinden von stressauslösenden Reizen etc. Zum anderen sollten die Kämpfer lernen, eine Kurzentspannung, eine Atementspannung oder eine Entspannungsroutine in den Rundenpausen anwenden zu können (sehr gut bei Halbschwergewichtschampion Jon Jones zu beobachten). Diese Kurzentspannungen sollten dann auch in Drucksituationen im Training oder bspw. als Zuschauer (möglichst nah am Ring) geübt werden. Darüber hinaus sind positiveund handlungsrelevante Selbstinstruktionen hilfreich. Durch diese Maßnahmen bauen wir uns auf und es bleibt kein Raum mehr für leistungsabträgliche Gedanken. Die Situation bleibt somit in der Kontrolle des Athleten.
Wenn Sie mit dem Auto Hindernisse umfahren müssen schauen Sie im Optimalfall dahin, wo Sie hinfahren wollen und nicht auf das Hindernis. Ähnlich ist es im Ring. Die Aufmerksamkeit sollte auf das gerichtet werden, was mir hilft die Aufgabe zu bewältigen und nicht das (mentale) Hindernis.

Für den Fall, dass die Aufmerksamkeitsablenkung hauptsächlich für den Leistungsabfall verantwortlich ist,  kommt der Anwendung von Routinen eine Schlüsselrolle zu. Sie vermitteln dem Kämpfer ein Gefühl von Sicherheit und führen dazu, dass derDruck weniger stark empfunden wird und die Aufmerksamkeit (routinemäßig) auf die aufgabenrelevanten Reize gelenkt wird. Diese Routinen können sowohl vor dem Kampf als auch in den Pausen durchgeführt werden und sollten unbedingt mit den Trainern bzw. dem Team erarbeitet werden, das tatsächlich am beziehungsweise im Ring sein wird. 

Gleichzeitig ist es sinnvoll, sich mit den ablenkenden Gedanken und reizen zu befassen. Welche Gedanken haben mich abgelenkt? Gab es vielleicht auch Gedanken, die mir geholfen haben? So lässt sich letztlich das Zulassen von vornehmlich hilfreichen und handlungsleitende Gedanken trainieren. Der Athlet muss sich bewusst sein, dass er die Möglichkeiten hat, die Situation zu kontrollieren und erfolgreich zu meistern.

Fazit

Ein Leistungsabfall unter Druck kann – in unterschiedlich starker Ausprägung –  jedem Sportler wiederfahren. In einigen Sportarten, insbesondere in den gemischten Kampfkünsten, ist dies eine bekannte Erscheinung. Entscheidend ist, sich darauf vorzubereiten um die Wahrscheinlichkeit eines Auftretens zu verringern und sich vor allem während des Kampfes wieder fangen zu können. Ein gutes Beispiel dafür ist Woodleys Gegner, Rory Macdonald. Dieser wurde nach eigenen Angaben bei seiner ersten Niederlage (gegen Carlos Condit bei UFC 115) während des Kampfes durch das Publikum so abgelenkt, dass er nicht mehr aufmerksam genug war und kurz vor dem Ende den Kampf noch verlor. Nachdem er intensiv an diesem Problem arbeitete, berichtete er nach dem Kampf gegen Woodley, dass er so fokussiert war, dass er das Publikum kaum wahrnahm (siehe Video).

Dana White liegt also richtig, wenn er sagt, dass Tyron Woodley unter Druck versagt hat. Er liegt allerdings falsch, wenn er daraus ableitet, dass ein Sportler deshalb nicht das Zeug zum Spitzenathleten hat.

*Das Training von Drucksituationen im Kampfsport ist aus sportpsychologischer Perspektive eine so wichtige und komplexe Komponente der Trainingsarbeit, das diese hier zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher beschrieben wird.

Literaturverzeichnis

Baumeister, R. &. (1986). A review of paradoxical performance effects: choking under pressure in sports and mental tests. Journal of Social Psychology, S. 361-383.

Beilock, S. (2011). Choke: What the Secrets of the Brain Reveal About Getting It Right When You Have To. New York: Free Press.Absatz

Lawson, N. (16. 06 2014). Bleacherreport. Von http://bleacherreport.com/articles/2098539-dana-white-tyron-woodley-seems-like-he-chokes-in-big-fights abgerufen

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Philippe Müller: Roy Keanes Skepsis

Die englische Boulevardzeitung «Mirror» stellte pünktlich zur WM-Auftaktniederlage des englischen Teams einen Bericht über Äußerungen der Manchester United-Legende Roy Keane online. Darin kritisiert er den englischen Nationaltrainer Roy Hodgson für seine Zusammenarbeit mit dem Sportpsychologen Steve Peters.

Zum Thema: Ist die Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen sinnlos?

Roy Keane gewann mit Manchester United sieben englische Meisterschaften und ist seit 2013 Teamchef der irischen Fussballnationalmannschaft. Von mangelnder Fussballkenntnis also kann nicht die Rede sein. Keane äußerte sich kritisch gegenüber der Zusammenarbeit der englischen Nationalmannschaft und dem Sportpsychologen Steve Peters. Dieser wurde engagiert, um den Engländern mit ihrem «Elfmetertrauma» zu helfen.

Keane ist der Auffassung, der «Manager» müsse der Sportpsychologe sein. Roy Hodgson verfüge über genügend Erfahrung. Der Sportpsychologe sei die falsche Person um im Falle eines Elfmeterschiessens zu helfen.

Doch ist Roy Keanes Kritik berechtigt? Seine Kritik beinhaltet einige interessante Gesichtspunkte. Er hat recht, dass im Falle eines Elfmeterschießens die Spieler sich nicht vom Trainer abwenden und den Sportpsychologen aufsuchen würden. Auf dem Platz ist Roy Hodgson die Bezugsperson. Mit seiner Nominierung der Schützen setzt er klare Zeichen. Er spricht ihnen sein Vertrauen aus und kann dem Spieler letzte positive Bekräftigungen auf den Weg zum Punkt mitgeben.

Es lässt Keane jedoch entgegnen, dass seine Sichtweite sehr eingeschränkt ist. Er geht davon aus, dass der Sportpsychologe im Ernstfall interveniert, dass heißt um als Feuerwehrmann den akuten Brand zu löschen. Doch das Ziel müsste sein, dass Feuer gar nicht erst entstehen zu lassen beziehungsweise den Spielern das Wissen zu vermitteln, wie sie damit umzugehen haben. Die richtige Vorbereitung auf eine solche Situation ist demnach wichtig. Die Arbeit des Sportpsychologen beginnt also im Training, wo der Umgang mit der Elfmetersituation erlernt und geübt wird. Und nicht erst auf dem Platz, wenn die Situation eintrifft.

Die Antworten auf die Frage wie man sich auf ein Elfmeterschießen vorbereiten kann, finden sich in Mild Gatzmagas Leitartikell: Die Angst beim Elfmeterschießen besiegen lernen.

 

Mirror: World Cup 2014: Roy Keane blasts Roy Hodgson for using sports psychologist on England team

 

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Prof. Dr. Oliver Stoll: Dem Schmerz davonlaufen

Seit 1959 trifft sich ein erlesener Kreis von Ausdauersportlern im schweizerischen Biel zum traditionellen 100km-Rennen. Am Freitag, den 13. Juni, gehörte auch Prof. Dr. Oliver Stoll zu diesem Starterfeld, welches um 22 Uhr Ortszeit einen Wettkampf der besonderen Art aufnahm. Exklusiv für die-sportpsychologen.de berichtet er von dieser Lebenserfahrung, mit der er sich einen lange gehegten Traum verwirklichte. 

Zum Thema: Sportpsychologisches Handwerk im 13,5-Stunden Dauertest

Die 100km von Biel sind also auch für mich „Geschichte“. Mein Plan ging voll und ganz auf. Insgesamt bin ich 13 Stunden und 34 Minuten gelaufen, um diese Distanz zurück zu legen, abgeschlossen mit einem sehr emotionalen und atemberaubenden Finish. Dies ist für mich umso schöner, da ich nahezu – speziell diesen Lauf – 30 Jahre lang vor mir her geschoben habe. Im Jahr 1984 hatte ich das erste Mal davon gehört und habe dann gleich das Buch von Werner Sonntag „Irgendwann musst Du mal nach Biel“ gelesen. Von diesem Zeitpunkt an stand für mich fest, dass ich dort einmal hin muss.

Wie schon im zurückliegenden Blog-Beitrag (100 km Laufen ist (r)eine „Kopfsache“) angedeutet: Für die 100km kann man nur sehr eingeschränkt trainieren. Am ehesten kann man noch im psychologischen Bereich – spezifisch – trainieren. Wie sah nun mein sportpsychologisches Training aus? Die 100 km sind zunächst einmal nur eine Zahl. Aber diese Zahl darf man am Start nicht vor Augen haben – das ist viel zu abstrakt. Erste einmal bis Kirchberg. Das ist überschaubare 57 Kilometer mit der Möglichkeit zu duschen und eine Massage zu bekommen. Bevor es los geht, ist es wichtig, die Stellen abzukleben oder mit Vaseline einzucremen, die sich leicht wund reiben können. Diese sehr einfache und kleine Handlung hilft, einiges an Schmerzerfahrungen, die schon früh auftreten können, vorzubeugen. Dann habe ich mich also auch schon im Vorfeld sehr intensiv mit der Strecke beschäftigt und mir – sehr perfektionistisch – ein „Drehbuch“ gebastelt. Ich kannte die Strecke, also die Orte, die durchlaufen würden, die Anstiege, die Wald-, Feld-, und Trailpassagen, bevor ich diese gesehen hatte. Dieses Wissen half mir, meine Aufmerksamkeitsregulation zu optimieren. Gerade zu Beginn der Strecke heißt es „hellwach“ zu sein, und möglichst viel von der positiven Ausgangsstimmung mit in die Nacht hinein zu nehmen. In anderen Passagen war es wichtig, in sich hinein zu hören, um möglichst viele Informationen über seinen physischen Zustand zu erfahren. Zwischen Kilometer 60 und 70 wird ein anspruchsvolleres Trailstück absolviert, bei der die Aufmerksamkeit ganz auf die Wegbeschaffenheit gerichtet sein muss. Man darf dort nicht „wegdämmern“, so wie es einem Läufer vor mir passiert ist, der dann stürzte und sich einige Blessuren zuzog.

Mit Lieblingsmusik aus der Nacht

Man kann sich aber auch nicht 13 Stunden lang voll konzentrieren. Aus diesem Grund ist es auch wichtig, Teilstücke zu finden, auf denen man einfach mal die Gedanken schweifen lassen kann, oder eben auch Musik hört, die subjektiv positive Emotionen induzieren kann. Dies habe ich z.B. zwischen KM 48 und 56 getan und konnte dann, während ich meiner Lieblingsmusik lauschte, beobachten, wie die Nacht dem Tag weicht.

Die „Krise“ kommt und sie kam auch. Kilometerpunkt 70 und mein Körper fühlte sich wie ein einziger Krampf an. Dies konnte ich mit vorher einstudierten „Selbstgesprächen“ zumindest etwas kontrollieren. Dennoch waren die Schmerzempfindungen sehr intensiv, so dass ich kaum wusste, wie ich damit umgehen sollte. Hier haben kurze Gehpausen Abhilfe geschaffen sowie etwas ausgedehntere Aufenthalte an den Verpflegungsständen. Ab Kilometer 76 – und dies überraschte  mich selbst – waren die Schmerzen dann fast nahezu verschwunden. Es fühlte sich an, als wären mir Flügel gewachsen – Euphorie pur. Ab KM 92 verschwand dann langsam wirklich die Kraft. Das Laufen gleicht dann eher einem „Dahinschleppen“. Von außen betrachtet könnte man meinen, dass der Läufer dann leidet – dem ist jedoch nicht so, denn das Wissen und die Überzeugung, dass man garantiert das Ziel erreichen wird, überdeckt alles, was vorher möglicherweise an Zweifel oder Unsicherheit vorhanden war. Der Rest – also der letzte Kilometer – ist ein reiner Genuss. Hier saugt man den Applaus und die näher kommenden Lautsprechergeräusche des Zielbereichs einfach nur auf und genießt. Der Zieleinlauf ist dann phänomenal – genial. Für viele Läufer, wie auch für mich, ist dieser Lauf ein Lebenstraum. Was diesen Lauf ausmacht, sind die vielen sehr intensiven Emotionen, die man unterwegs erlebt und man genießt auch die stille Kameradschaft mit den anderen Läuferinnen und Läufern, die dann – so wie auch ich – im Ziel wissen, dass man etwas ganz besonderes geleistet hat.

 

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Elvina Abdullaeva: Vom Kind zum Tennisprofi

Tennis ist eine hoch attraktive Sportart, mit einer sehr verlockenden Perspektive für eine spätere Profikarriere. Nicht selten tun entsprechend motivierte Eltern alles, um eine Leistungssportlaufbahn im Tenniszirkus anzubahnen – es werden Trainer bezahlt, fleißig nationale und internationale Nachwuchsturniere besucht und in Einzelfällen die talentierten Kinder in Tennisakademien geschickt. Nicht weniger Mädchen und Jungen steigen aber wegen des zu großen Trainingspensums oder den haushohen Erwartungen frühzeitig aus. 

Zum Thema: Wie soll ein optimaler Einstieg in die Sportkarriere aussehen?

Es gibt verschiedene Meinungen, wie man aus einem Kind einen Profitennisspieler macht. Wichtig ist es, die Besonderheiten dieser Sportart zu berücksichtigen. Denn grundsätzlich unterliegen die geforderten Bewegungen einer hohen Komplexität. Demgegenüber hat die Technik wohl den größten Einfluss auf die Leistung – so gehört Tennis zu den Sportarten mit späterer sportartspezifischer Spezialisierung (vgl. McCraw, 2002). Bemerkenswert: Viele Top-Tennisspieler- und spielerinnen, wie beispielsweise Roger Federer oder Justine Henin, hatten im Alter zwischen zwölf bis vierzehn Jahren noch kein hoch intensives professionelles Training (vgl. Unierzyski, 2005).

Es ist zweckdienlich, in den ersten Jahren des Tennistrainings des Kindes in den Aufbau einer breit angelegten Basis zu investieren. Denn eine zu frühe Spezialisierung führt zu negativen Konsequenzen und behindert so die Sportkarriere eines Kindes (vgl. Baker, 2003). Einerseits blockiert die Konzentration auf nur eine bestimmte sportartspezifische Technik die Erwerbung von komplexen Bewegungsfertigkeiten. Dies verursacht zudem nicht selten häufig wiederkehrende Verletzungen in der Zukunft.

Aber auch auf psychologische Ebene ist ein früher sportspezifischer Einstieg ungünstig und vermindert in einer langfristigen Perspektive bei den Kindern die Freude am Sport, was bekanntlich einer der wesentlichen Faktoren für das Sporttreiben ist. Daher ist es für die Trainer wichtig, diese Erkenntnisse in ihrer Arbeit zu berücksichtigen und durch ein langfristiges Konzept der Entwicklung eines Tennisspielers an die eifrigen Eltern zu vermitteln. Was bedeutet das genau?

Vielseitigkeit und Spaß

Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren sollen vielseitige sportliche Erfahrungen sammeln. Für junge Tennisspieler wäre empfehlenswert andere Ballsportarten auszuüben, z. B. Fußball, Handball, Floorball – aber auch Schwimmen oder Eislaufen. Durch so eine breite Sportaktivität werden bei den Kindern nicht nur tennisspezifische, sondern vielseitige motorische und koordinative Fertigkeiten, taktische, technische sowie allgemeine konditionelle Fähigkeiten entwickelt, die auch wiederum vor chronischen Tennisverletzungen künftig (z. B. Tennisarm) schützen.

Die ITF (International Tennis Federation) gibt dafür ihre eigenen Empfehlungen. So sollten beispielsweise die ganzwöchigen sportlichen Aktivitäten im Verhältnis 50% Tennis und 50% zu Gunsten anderer Sportarten aufgeteilt werden. Dabei sollten die Kinder im Alter zwischen sechs und acht Jahren nicht mehr als drei bis vier Trainingsstunden mit jeweils 45 Minuten Länge absolvieren. Im Alter zwischen neun bis elf Jahren bleibt die Trainingsanzahl gleich, aber die Intensität kann bis zu einer Stunde pro Training steigen. Damit der Übergang zur nächsten Karriereentwicklungsphase effizient verläuft, wird in diesem Alter empfohlen, 70% des Sportausübens mit Tennis und 30% mit anderen Aktivitäten auszufüllen.

Was den psychologischen Aspekt betrifft, soll der Sport in diesem Alter spielerisch gesehen werden, keinen Zwang in sich tragen und den Kindern Spaß machen. Wichtig ist hier der Prozess und nicht das Ergebnis (vgl. Stoll et. al. 2010). Das Spielniveau und die Qualität der Trainingsgruppe beziehungsweise der Gegner soll an das Spielvermögen des Kindes angepasst werden, so dass es eigene Stärken kennenlernt und mit erfolgszuversichtlichen Einstellungen zu den Sportstunden kommt.

Die Trainer und Eltern sollen natürlich auch solche Themen, wie genügende Erholung, gesunde Ernährung und Akzeptanz der weiteren Freizeitaktivitäten bei ihren Schützlingen und Kindern nicht vergessen. Mit Rücksicht auf alle diese Faktoren lässt sich eine sichere Basis für die spätere tennisspezifische Spezialisierung bilden und die optimale Karriereentwicklung ermöglichen.

Quellen:

Baker, J. (2003). Early specialization in youth sport: A requirement for adult expertise? High Ability Studies, 14, 85-94
McCraw, P. (2002). Player development philosophy. ITF Coaching and Sport Science Review, 28, 12-13.
Stoll, O., Pfeffer, I. & Alfermann, D. (2010). Lehrbuch Sportpsychologie. Bern: Hans Huber Verlag.
Unierzyski, P. (2005). Periodisation for under-14s. ITF Coaching and Sport Science Review, 36, 4-6.

Internet:

Afework H. Developing top junior tennis players. http://en.coaching.itftennis.com/media/108061/108061.pdf

 

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Prof. Dr. Oliver Stoll: 100 km Laufen ist (r)eine „Kopfsache“

Am späten Abend des 13. Juni 2014 trifft sich die Ultra-Szene im schweizerischen Biel zum 100 Kilometer-Lauf. Dieses Rennen gilt als „Mekka“ der Ultralangstreckenläufer. Im Jahr 1959 wurde es erstmals durchgeführt und gehört somit zu den ältesten Ultramarathonläufen der Neuzeit in Europa. Prof. Dr. Oliver Stoll von Die-Sportpsychologen.de macht die „Nacht der Nächte“ zu seinem Wettkampf-Highlight des Jahres. Hier berichtet er von den wichtigen Aspekten, die zur Vorbereitung einer solchen Beanspruchung nötig sind.

Zum Thema: Wie sich Sportler auf eine Höchstbelastung mental vorbereiten können

Der Streckenrekord in Biel liegt bei 6 Stunden, 37 Minuten und 59 Sekunden, aufgestellt vom Schweizer Peter Camenzind im Jahr 1996. Birgit Lennartz, im Jahr 1997, war für die Frauen ziemlich genau eine Stunde langsamer als Camenzind. Für einen Nichtläufer ist dies sicher kaum vorstellbar. Da wäre zum einen die Distanz von 100 Kilometern, für die ein durchschnittlicher Hobbyradfahrer, so er diese Distanz überhaupt zurücklegt, zwischen viereinhalb und fünf Stunden braucht. Camenzind brauchte im Laufschritt dafür nur 90 Minuten länger. Zum anderen haben wir da den Lauf durch die Nacht, denn Start ist immer Freitags um 22 Uhr – egal welche Witterung, egal welche Streckenbeschaffenheit. Nicht umsonst nennt Werner Sonntag, einer der bundesdeutschen „Ultra-Lauf-Pioniere“ die Zielerreichung der 100 Kilometer von Biel „Den Mount-Everest des kleinen Mannes“.

Schon ein Marathonlauf über etwas mehr als 42 Kilometer nötigt den meisten Menschen einiges an Respekt ab. 100 Kilometer sind da schon etwas ganz Besonderes. Und man staunt, dass sich dieser Herausforderung wieder einmal gut 2000 Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt stellen werden. Nicht alle werden das Ziel erreichen, aber diejenigen, die sich später als „Finisher“ bezeichnen dürfen, haben ein sehr umfangreiches und gut durchstrukturiertes Trainingsprogramm absolviert. Natürlich vornehmlich im Bereich der Ausdauerlauffähigkeit. Nicht selten haben die Aspiranten vor diesem Rennen nicht weniger als 1750 Kilometer in diesem Jahr in ihren Trainingstagebüchern stehen, sondern eben auch im „mentalen Bereich“. Man hört dies immer wieder, vor allen Dingen von den „alten Hasen“ im Feld. Die 100 Kilometer sind eigentlich und vor allen Dingen eine „Kopfsache“.

Ultralangstreckenläufer, vor allen Dingen diejenigen, die dies nicht semiprofesionell oder professionell betreiben, können gar nicht mehr trainieren, als ein normaler Marathonläufer. Der Unterschied besteht sehr oft lediglich in der Tatsache, dass man eben, ein bis zwei mal vorher, anstatt einen 35km-Trainingslauf eben einen 55km-Lauf durchzieht. Der Rest ist oftmals ein reiner Marathontrainingsplan.

Mit dem eigenen Drehbuch zum Ziel

Aus diesem Grund ist die mentale Vorbereitung auf solch ein Ereignis besonders wichtig. Im Wesentlichen bereitet man sich mental auf dieses Ergebnis in drei Bereichen vor. Zum einen benötigt man einen sehr detailliert ausgearbeiteten Rennplan. 100 Kilometer laufen bedeutet, sich von nichts überraschen zu lassen. Nichts ist frustrierender und schmerzhafter als zum Beispiel wunde Stellen an den dafür klassischen Körperpartien und dies schon ab Kilometer 30. Der berühmte „Wolf“ an den Schenkelinnenseiten, der aufgeriebenen Brustwarzen, vor allen Dingen dann, wenn es nass ist. Die falsche Ernährung unmittelbar vor und während des Rennens, die einen jeden schon früh an seine physischen Grenzen bringen kann. Eine gute Vorbereitung – also auch ein individuelles „Drehbuch für dieses Rennen“ ist das A und O für jedermann. Im Drehbuch sollten wichtige Teilziele der Strecke stehen sowie konkrete Selbstinstruktionen für zu erwartende Situationen. In diesem Zusammenhang kommt es insbesondere darauf an, wohin ich wann, meine Aufmerksamkeit lenke (internal oder external, eng oder weit). Während des Rennens wird es ab einem bestimmten Punkt beginnen, „weh zu tun“. Mal kommt dies früher, mal später. Dieses Gefühl muss man kennen, wenn man, vor allen Dingen kognitive Strategien entwickeln möchte, wie man damit umgeht. Es reicht also nicht aus, sich lediglich in Gedanken die richtigen Selbstgespräche auszudenken, die man für diesen Fall benötigt, sondern man muss dies auch schon mal vorher in Ansätzen ausprobiert haben – aus diesem Grund mindestens zweimal die erwähnte „Marathon-Überdistanz“ im Vorfeld absolvieren.

Die Strecke teilen

Besonders wichtig ist die richtige Grundeinstellung vor dieser Herausforderung. Angst wäre hier der falsche Ratgeber. Respekt ist durchaus angemessen. Man sollte sich diese Strecke nicht als „Ganzes“ vorstellen, sondern eben die Gesamtstrecke in mehrere, kleine, übersichtliche Teildisziplinen aufteilen. Man kann sich dann im Rennen von Teilziel zu Teilziel „durchschlagen“. Das ist viel einfacher, als ständig dieses „Damokles-Schwert“ 100 Kilometer vor seinem inneren Auge zu haben.

Auf soziale Unterstützung bauen

Unterschätzen Sie außerdem nicht die Macht 1.) der positiven Emotionen im Vorfeld und 2.) der sozialen Unterstützung vor und während des Laufes. Schneiden Sie sich ein motivierendes Video zusammen, unterlegt mit einer inspirierenden Musik und vielen, schönen Bilder, die Sie mit diesem Lauf verbinden. Arbeiten Sie in ihrer Vorstellung mit einem positiven Ausgang des Rennens. Stellen Sie sich ihren Zieleinlauf vor und genießen Sie die Gefühle, die sie damit verbinden werden. Tauschen Sie sich ruhig mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin aus. Am besten ist immer, Sie haben jemanden vor Ort, von dem Sie wissen, dass er dort ist und sie unterstützen wird.

Es wird also spannend werden, in der kommenden Freitagnacht. Nicht nur für den späteren Sieger oder die Siegerin, sondern für die vielen hundert ambitionierten Hobbyathleten, die sich oftmals nicht weniger als ein Jahr auf dieses Ereignis vorbereitet haben. Auch ich werde um 22 Uhr an der Startlinie im „europäischen Ultra-Lauf-Mekka“ stehen. Schauen wir also, ob mein „Mental-Trainingsprogramm“ aufgehen wird. Ich werde an dieser Stelle berichten.

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Benjamin Göller: Das Karriereende meistern

Eine leistungssportliche Karriere bedarf eines jahrelangen Aufbaus und nimmt geschätzt 10.000 Trainingsstunden in Anspruch. Ein Sportler verbringt fast zehn Jahre damit, für Spitzenleistungen zu trainieren. An der Spitze können die Athleten sich meist nur eine begrenzte Zeitspanne halten. Die Gründe dafür können unterschiedlichster Natur sein. Oft sind es jedoch die hohen Anforderungen an die körperlichen Ressourcen, die eine Leistungssportkarriere in die Knie zwingt (Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010; Hagemann, Tietjens & Strauß, 2007; Ward, Hodges, Williams & Starkes, 2004). Die Vorbereitung auf das Karriereende und der Umgang damit ist eine wichtige und nicht zu unterschätzende Thematik. 

Zum Thema: Was den Karriereübergang erleichtern kann… 

Eine Forschergruppe um Ericsson (1993) befasste sich mit dem Thema der Leistungsentwicklung im Sport und ging davon aus, dass vor allem zielorientierte, langjährige Übungs- und Trainingsprozesse motorische und kognitive Mechanismen fördern und zu Spitzenleistungen führen. Die Forscher belegten ihre Annahme durch Vergleiche verschiedener Personengruppen mit und ohne Spitzenleistungen. Die Untersuchungsgruppe mit hervorgebrachten Spitzenleistungen – darunter waren Musiker, Schachspieler und Sportler – haben mehr und über einen längeren Zeitraum zielorientiert trainiert als solche mit durchschnittlichen Leistungen (Ericsson, Krampe & Tesch- Römer,1993; Ericsson & Hagemann, 2007).

Entscheidet sich ein Sportler für eine Karriere im Hochleistungssport, dann ist der Alltag durchgeplant und neben dem intensiven und umfangreichen Trainings- und Wettkampfkalender bleibt keine Zeit für andere Dinge. Der Sport ist nicht mehr nur die schönste Nebensache der Welt, sondern wird die wichtigste Hauptsache (Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010).

Auf höchstem Niveau über Jahre bestehen zu können, erfordert starkes Durchhaltevermögen und extreme Willens- und Leidensfähigkeit. Trotz jahrelanger Disziplin geht die sportliche Laufbahn nicht spurlos am Körper des Athleten vorbei. Kaum ein Sportler durchläuft seine Karriere im Hochleistungssport ohne Hindernisse wie beispielsweise Verletzungen oder Leistungstiefs. Aus eigener Erfahrung als Sportler und als Sportpsychologe empfehle ich jedem Sportler immer wieder eine „Kosten-Nutzen-Bilanz“ zu ziehen. Im Leben einer Person kommt es immer wieder zu Veränderungen, die einer Anpassung bedürfen (Schlossberg, 1981). Rational und emotional das Geschehen abzuwägen, ist überaus wichtig. Die Folge dessen kann ein Karriereende oder aber die verstärkte Anstrengung zum Weitermachen sein.

Der Entschluss, die Karriere zu beenden

Bedenken wir, wie viel Energie, Zeit und Leidenschaft ein Athlet in seine sportliche Karriere gesteckt hat, dann versteht jeder, dass das Beenden einer Karriere kein einfacher Entschluss ist. Es kann mit der Pensionierung aus dem Berufsleben verglichen werden (Alfermann, 2008). Im Sport wird zwischen dem vorzeitigen, geplanten, oder abrupten Karriereende unterschieden (Alfermann, 2008; Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010).

Entscheidend für das Bewältigen des Karriereendes sind die zur Verfügung stehenden Ressourcen und das Empfinden des Sportlers beim Übergang ins „normale Leben“. Eine rechtzeitige Planung, ein freiwilliger Rücktritt sowie eine gute soziale Unterstützung ermöglichen einen problemlosen und sanften Karriereübergang (Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010). Leider ist diese Situation in den seltensten Fällen Realität. Meist sind es die ungeplanten abrupten Karriereausstiege, Zum Beispiel aufgrund von Verletzungen oder unvorhersehbaren Umständen, mit denen die Sportler zu kämpfen haben (Wippert, 2002; Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010).

Aus entwicklungspsychologischer Perspektive zählt das Karriereende zu einer unabwendbaren und notwendigen Herausforderung, die von dem Sportler gemeistert werden muss (Alfermann, 2008; Stoll, Pfeffer & Alfermann, 2010). Aus eigener Erfahrung empfehle ich, sich gedanklich und emotional mit dem Karriereende zu beschäftigen. Hier hilft es beispielsweise die erlebten Gefühle und Gedanken in einem Tagebuch festzuhalten. Diese Tagebuchaufzeichnungen können dann in Gesprächen mit vertrauten Personen oder einem Sportpsychologen reflektiert und diskutiert werden. Durch das Wahrnehmen und Interpretieren der eigenen Empfindungen können Erlebnisse und Gefühle besser reflektiert und verarbeitet werden (Wippert, 2002).

Fähigkeiten übertragen lernen

Die Vorbereitung auf ein mögliches Karriereende sollte Zielsetzungen außerhalb des Sports beinhalten. Längsschnittstudien berichten, dass während und kurz nach der Karriere der Sport und die sportliche Höchstleistung als primäres Lebensziel gewichtet werden. Eine Umorientierung findet mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Sportkarriere statt. Befragungen ergaben, dass die Sportler nach einem Jahr die beruflichen Kompetenzen und die berufliche Entwicklung als wichtigstes Ziel formulierten (Stephan et al. 2003 a, b).

Eine geeignete Methodik, um einen Athleten auf das Leben nach der Sportkarriere vorzubereiten, ist das Training übertragbarerer Fähigkeiten – „transferable skills“ (Mayocchi & Hanraham, 2000; Murphy, 1995). Zum einen lassen sich die im Sport erworbenen Fähigkeiten wie die individuelle Stressbewältigungs – und Selbstkontrollstrategien oder das Zielsetzungstraining sinnvoll nutzen. Zum anderen lassen sich die Interventionsmethoden ausgezeichnet auf berufliche Qualifikationen nutzbar machen (Alfermann, 2008).

 

Quellen:

Alfermann, D. (2008). Karrierebeendigung im Sport. In J. Beckmann & M. Kellmann (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie, Serie V. Bd. 2: Anwendungen der Sportpsychologie (S. 499-541). Göttingen: Hogrefe.

Ericsson, K. A. & Hagemann, N. (2007). Der „Expert-Performance-Approach“ zur Erklärung von sportlichen Leistungen: Auf der Suche nach deliberate practice zur Steigerung der sportlichen Leistung. In N. Hagemann, M. Tietjens & B. Strauß (Hrsg.), Psychologie der sportlichen Höchstleistung (S. 17- 39). Göttingen: Hogrefe.

Ericsson, K. A., Krampe, R. T. & Tesch-Römer, C. (1993). The role of deliberate practice in the acquisition of expert performance. Psychological Review, 100, 363-406.

Hagemann, N., Tietjens, M. & Strauß, B. (2007). Expertiseforschung im Sport. In N. Hagemann, M. Tietjens & B. Strauß (Hrsg.), Psychologie der sportlichen Höchstleistung (S. 7-16). Göttingen: Hogrefe.

Hardy, C. J. (1994). Nurturing our future through effective mentoring: Developing roots as well as wings. Journal of Applied Sport Psychology, 6, 196-204.

Helsen, W. F., Starkes, J. L. & Hodges, N. J. (1998). Team sports and the theory of deliberate practice. Journal of Sport & Exercise Psychology, 20, 12-34.

Hodges, N. J., Kerr, T., Starkes, J. L., Weir, P. L. & Nananidou, A. (2004). Predicting performance times from deliberate practice hours for triathletes and swimmers: What, when, and where is practice important? Journal of Experimental Psychology: Applied, 10, 219-237.

Mayocchi, L. & Hanrahan, S. J. (2000). Tranferable skills for career change. In D. Lavallee & P. Wylleman (Eds.), Career transitions in sport: International perspectives (pp. 95- 110). Morgantown, WV: Fitness Information Technology

Murphy, S. M. (1995). Transitions in competitive sport: Maximizing individual potential. In S. M. Murphy (Ed.), Sport psychology interventions (pp. 331-346). Champaign, IL: Human Kinetics.

Stoll, O., Pfeffer, I. & Alfermann, D. (2010). Lehrbuch Sportpsychologie. Bern: Hans Huber Verlag.

Ward, P., Hodges, N. J., Williams, A. M. & Starkes, J. L. (2004). Deliberate practice and expert performance. Defining the path to excellence. In A. M. Williams & N. J. Hodges (Eds.), Skill acquisition in sport. Research, theory and practice (pp. 231-258). London: Routledge.

Schlossberg, N. K. (1981). A model for analyzing human adaptation to transition. The Counseling Psychologist, 9(2), 2-18.

Stephan, Y., Bilard, J., Ninot, G. & Delignières, D. (2003a). Repercussions of transitions out of elite sport on subjective well-being: a one-year study. Journal of Applied Sport Psychology, 15, 354-371.

Stephan, Y., Bilard, J., Ninot. G., & Delignières, D. (2003b). Bodily transition out of elite sport: A one-year study of physical self and global self-esteem among transitional athletes. International Journal of Sport and Exercise Psychology, 1, 192-207.

Wippert, P.-M. (2002). Karriereverlust und Krise. Schorndorf: Hofmann.

 

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Prof. Dr. Stoll/Abdullaeva: Reus – Verletzt und vergessen?

„Ein Traum ist von einer zur anderen Sekunde geplatzt“, so kommentierte Fußball-Nationalspieler Marco Reus in der Bild-Zeitung seine Verletzung im Testspiel gegen Armenien, die seine WM-Teilnahme verhindert. Eine Situation, vor der sich alle Top-Athleten fürchten, wenn es um einen lang erwarteten Wettkampf und unter Umständen um eine einmalige Chance im Leben geht. Dabei ist es egal, ob es sich um eine Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft handelt oder aber eine Teilnahme an Olympischen Spielen. Prof. Dr. Oliver Stoll und Elvina Abdullaeva gehen der Frage nach, was, wer und wie in einer solchen Situation helfen kann. 

Zum Thema: Marco Reus – Verletzt und vergessen?  

Wie kann man so einer Situation vorbeugen? Gar nicht – so sagen unisono alle Trainer, mit denen ich zu diesem Thema schon gesprochen habe, erklärt Prof. Dr. Oliver Stoll. Sie könnten ihre Spieler und Spielerinnen ja nicht „in Watte packen“ und auf eine echte Vorbereitung verzichten. Das wäre tatsächlich fatal, denn im Leistungssport ist es nun einmal so, dass es, insbesondere in Sportarten mit möglichen „Gegnerkontakt“ zu solchen Situationen kommen kann. Auch während des Fußball WM-Turniers in Brasilien kann dies noch passieren. Aus diesem Grund gibt es ja einen vergleichsweise großen Kader zu solch einem Turnier. Für den jeweils Betroffenen ist dies sicherlich nur ein schwacher Trost. Insbesondere dann, wenn man sich im Vorfeld nicht auch auf eine solche Möglichkeit mental eingestellt hat.

Eine solche Verletzung ist natürlich ärgerlich. So etwas kann wütend machen und durchaus sogar kurzfristig eine „Trauerphase“ einleiten. Professionelle Athleten kennen diese Situation jedoch eigentlich. Gerade im professionellen Fußball steht eine mögliche Verletzung immer irgendwie im Raum. „Kognitive Umbewertung“ ist der Fachterminus für den Prozess, den die betroffenen Athleten durchlaufen sollten. Die enorm hohe Bedeutsamkeit, die diese Teilnahme im Vorfeld sehr oft hatte sollte zugunsten anderer, dann individueller neuer Ziele relativiert werden, rät Prof. Dr. Oliver Stoll.

Familie, Freunde und Mannschaft sind “Stress-Puffer” 

Darüber hinaus sind soziale Unterstützung aus der Familie, aus dem Freundeskreis und auch aus dem Team heraus sehr gute „Stress-Puffer“ für solche Situationen. Elvina Abdullaeva ergänzt: „Wichtig ist die Präsenz von denjenigen, die immer dabei sind, egal ob es dir gut oder schlecht geht. Diese Leute geben uns unheimlich viel Kraft. Es ist auch sehr wichtig, sich von der Mannschaft und von dem Trainer nicht vergessen zu fühlen. Joachim Löw und seine Spieler haben jetzt zwar ausschließlich die kommende Weltmeisterschaft im Fokus. Doch ein Paar unterstützende SMS und Telefongespräche können Marco Reus Gemüt aufheitern.“

Unvermeidbare Begleitumstände, wie die große gesellschaftliche Bedeutung des Fußball-WM-Turniers verschlimmern die Situation, setzt Elvina Abdullaeva fort: „Gerade jetzt, wo die Spieler und das Event riesige Aufmerksamkeit von den Medien bekommen, wird Marco Reus sehr schnell merken, wie das Interesse an seiner Person augenblicklich sinkt. Hier können Fans einen großen Beitrag leisten. Unterstützende Aktionen, zum Beispiel Plakate, Fotos, Videos oder Facebook-Posts können ihm helfen. Diese Signale bewirken, dass der Spieler sich nicht vergessen fühlt und optimistischer in die Zukunft blicken kann.“ Marco Reuss könne zudem, merkt Prof. Dr. Oliver Stoll an, auch durchaus noch in anderer Art und Weise in die Fußball-WM eingebunden werden, sofern er dies möchte. Sei es als „Experte“ für Medien oder sogar vor Ort in Brasilien als Stütze für das Team, mit dem er ja fast die gesamte Vorbereitung absolviert hat.

Ziele neu ausrichten

Elvina Abdullaeva: „Ein anderer Ansatzpunkt, der ihm hilft sich mit der Situation abzufinden, ist das Umdenken, beispielweise das Problem zu verallgemeinern. So ist Marco Reus bei weitem nicht der einzige Fußballspieler, der sich während der Testspielphase verletzt hat. Genau so bitter erging es unter anderem dem Italiener Riccardo Montolivo. Auch der 29- jährige Mittelfeldspieler verletze sich in einem Testspiel schwer. Jetzt muss die Mannschaft von Cesare Prandelli ohne ihn in Brasilien spielen. Es ist tröstlich zu erkennen, dass Verletzungen zum Fußball dazugehören und dies zu akzeptieren.“

Mit Hans-Dieter Herrmann steht der Fußball Nationalmannschaft ein hervorragender Mannschafts-Sportpsychologe zur Verfügung, der hier ebenfalls unterstützen kann und im Bedarfsfall wird, so Prof. Dr. Oliver Stoll. Eine wichtige Erkenntnis für einen betroffenen Athleten in dieser Situation ist es, dass er (oder sie) ein solches Ereignis eben nicht kontrollieren kann…nicht ändern kann. Eine Problemlösung ist in der Kürze der Zeit eben nicht möglich, ansonsten würde er oder sie alles in seiner oder ihrer Macht mögliche tun, um eine Lösung des Problems herbeizuführen. Was bleibt, ist eben eine neue Bewertung der Situation, eine neue Ausrichtung der individuellen Ziele sowie unter Umständen eine bestmögliche Unterstützung der Mannschaft „aus der Ferne“ oder aber auch „vor Ort“, wenn dies möglich ist.

Marco Reuss steht ganz sicher nicht alleine in dieser für ihn persönlich nicht leichten Situation.

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Ina Blazek: Was gute Trainer ausmacht

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Im Leistungssport sind viele Faktoren für den sportlichen Erfolg verantwortlich. Ein wichtiger Baustein ist die Trainer-Athlet-Beziehung, die auch seit vielen Jahren näher beleuchtet wird, um mögliche Erfolgsgaranten ausfindig machen zu können (Corgulu, 2012). Unter anderem beeinflusst das Trainerverhalten maßgeblich die Beziehung von Trainer und Athlet.  

Zum Thema: Welche Eigenschaften sollte ein guter Trainer also mitbringen, um die sportliche Höchstleistung seiner Athleten heraus zu kitzeln?

Die Wissenschaft belegt, dass vor allem soziale Kompetenzen des Trainers zunehmend gefragt sind. Es spielen neben der fachlichen Kompetenz auch das empathische Verständnis und auch die Fähigkeit, die Athleten gleichermaßen zu motivieren und zur Disziplin anzuhalten, eine große Rolle (Richartz, 2000). Vor allem im Kinder- und Jugendsport kommt einem Trainer eine große pädagogische Verantwortung zu. So unterstützt er seine Schützlinge nicht nur bei der Entwicklung sportlicher Leistungsfähigkeit, sondern auch in der Persönlichkeitsbildung.

Demnach sorgt ein guter Trainer dafür, dass Kinder und Jugendliche an ihre Stärken glauben, diese erkennen und darüber lernen, mit Rückschlägen umzugehen. Der Trainer ist am dichtesten am Athleten dran und kann z.B. durch eine realistische Zielsetzung auch die Selbstwahrnehmung der Athleten schärfen. Durch die Schaffung eines positiven Trainingsklimas vermag ein guter Trainer mit verschiedenen Leistungsniveaus und auch Zielstellungen adäquat muzugehen.

Die Trainer-Athlet-Beziehung wird aber ebenso vom Athletenverhalten beeinflusst – beide Seiten bedingen sich gegenseitig, von daher ist es wichtig, immer mit gutem Beispiel voran zu gehen und das eigene Verhalten auch hin und wieder zu hinterfragen.

 

Literatur

 

Corgulu, R. (2012). Transformational leadership and leader inspired extra effort: the mediating role of coach and athlete relationsship in football players. In: Meeusen, R., Duchateau, J., Roelands, B., Klass, M., De Geus, B., Baudry, S. & Tsolakidis, E. (Eds.), 17th annual Congress oft he European College of Sports Science, 4 -7th July ECSS Bruges 2012 – Belgium (P. 115). Bruges: European College of Sports Science.

 

Richartz, A. (2000). Lebenswege von Leistungssportlern: Anforderungen und Bewältigungsprozesse der Adoleszenz; eine qualitative Längsschnittstudie. Aachen: Meyer & Meyer.

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Philippe Müller: Auf dem Weg ins Leistungsloch?

Marcel Schmelzer sieht die Fußball-Weltmeisterschaft nur im Fernsehen. Der 26-jährige Verteidiger von Borussia Dortmund ist sicher der große Härtefall unter den drei aussortierten Spielern, die in den vergangenen beiden Wochen im Trainingslager und am Sonntag im Test gegen Kamerun für das große Ziel Brasilien geschuftet haben und nun enttäuscht worden sind. Jetzt besteht die Gefahr, dass Kevin Volland, Shkodran Mustafi und eben Marcel Schmelzer die Nicht-Berücksichtigung für sich falsch bewerten – und geradewegs in ein Leistungsloch stürzen.

Zum Thema: Wie können die nicht nominierten Spieler mit der Entscheidung richtig umgehen?

Das Regelwerk der FIFA ist eindeutig. Für die Fußballweltmeisterschaften dürfen die 32  Nationalmannschaften jeweils 23 Spieler nominieren. Der endgültige Kader muss bis zum 2. Juni (24 Uhr CET) der FIFA vorliegen.

Der Bundestrainer Joachim Löw stand vor der Aufgabe, aus seinem 30 Mann starken Vorbereitungskader, das WM-Team zu formieren. Die hohe Dichte an guten Spielern steigert die Schwierigkeit einer solchen Selektion, die überdurchschnittlich hohe Anzahl an verletzten und angeschlagenen Spielern potenziert die Knifflichkeit der Auswahl. Getroffen hat es neben den von vielen Experten als Streichkandiaten prognostizierten Jung-Nationalspieler Kevin Volland (TSG Hoffenheim) und Shkodran Mustafi (Sampdoria Genua) auch Marcel Schmelzer aus Dortmund. Ein Erlebnis, welches richtig verarbeitet werden muss, um langfristige negative Auswirkungen zu verhindern.

Die einen Spieler können Rückschläge gut verarbeiten, andere bekunden Mühe. Wie gut schlussendlich ein Spieler damit umgehen kann, hängt von seinen kognitiven Fähigkeiten ab. Dazu zählt auch die Art der Ursachenzuschreibung (Attribution). Diese beinhaltet zwei Dimensionen. Die erste Dimension bildet die Ursachenlokalisation ab. Ereignisse können sowohl der eigenen Person (internal), als auch der Umwelt (external) zugeschrieben werden. Die zweite Dimension bezeichnet die zeitliche Stabilität. Stabile Ereignisse sind überdauernd und lassen sich nur schwer verändern. Variable Ereignisse sind somit von kurzzeitiger Natur und können besser beeinflusst werden. Durch die zwei Dimensionen gibt es nun vier mögliche Attributionsmuster:

internal stabil/varibabel

und

external stabil/variabel.

Im Falle eines Misserfolges sind variable Ursachenzuschreibungen vorteilhafter und erleichtern die Akzeptanz der Entscheidung. Eine mögliche internale und variabele Attribution wäre: „Ich war zum Zeitpunkt der Selektion leicht angeschlagen. Der Bundestrainer braucht unter den harten Bedingungen in Brasilien aber nur topfitte Leute. Ich hätte genauso entschieden!“. Auch eine external und variable Attribution könnte lauten: „Löw kann mich ohnehin nicht leiden. Von der Leistung her, hätte ich dabei sein müssen.“ Oder gemäßigter: “Für das taktische Konzept braucht der Bundestrainer keine Spielertypen wie mich, das war einfach Pech.” Das Gegenteil wäre eine internale und stabile Ursachenzuschreibung, deren Folgewirkungen verheerend sein können. In diesem Falle wird die eigene Fähigkeit und das Talent in Frage gestellt: „Ich bin einfach unfähig. Meine Nationalmannschaftskarriere kann ich abhaken.“

Jeder Mensch attribuiert in bestimmten Situationen auf seine Art und Weise. Es gibt somit auch Sportler die eher unvorteilhafte Schemata präferieren. Es besteht jedoch die Möglichkeit, hilfreiche Attributionsmuster zu erlernen. Sportpsychologische Betreuung kann dazu einen entscheidenden Beitrag leisten, um den Fall in ein Leistungsloch zu verhindern. Zumal die festen Strukturen, in denen die Spieler während der Saisonphase zurückkehren durch die startende Sommerpause der Vereine nur sehr eingeschränkt nutzbar sind. Kevin Volland, Shkodran Mustafi und Marcel Schmelzer müssen mit dem Erlebnis erst einmal allein zurecht kommen.

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Stephan Neigenfink: „Der Traum war aus“

„Das Ticket kam einfach nicht mit der Post“, erinnert sich Stephan Neigenfink. Der Kicker des Fußball-Fünftligisten VfL Halle 96 wollte sich in der vergangenen Sommerpause seinen Traum vom Start einer Profi-Karriere erfüllen. Ein Klub aus Griechenland hatte Interesse angemeldet, das Probetraining verlief top und Verein, Spieler und Berater waren sich einig. Scheinbar. Bis dem ambitionierten Mittelfeldspieler, der schon groß Abschied gefeiert hatte, bewusst wurde, dass kein Brief mit Flugticket mehr kommen würde. Der Deal war geplatzt. Warum, weiß er bis heute nicht. 

 

Sportpsychologen_Elvina09

Für die-sportpsychologen.de berichtet:

 

Elvina Abdullaeva

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Fast jeder Junge hat den Traum, Profifußballer zu werden. Dieser schien sich bei Stephan Neigenfink vom VfL Halle 96 zu bewahrheiten. Der 22-jährige Spieler trainierte dafür jahrelang hart und fleißig und wartete so auf seine Chance, die sich im Sommer 2013 in Form eines konkreten Angebots tatsächlich ergab. Körperlich auf das südeuropäische Klima gut vorbereitet und mit gepackten Koffern musste er erfahren, dass der Transfer in letzter Sekunde nicht zustande kommen sollte. Aus für ihn bis heute nicht bekannten Gründen. „Ich fühlte mich so, als ob ich in ein Loch gefallen wäre“, hat der Spieler zugegeben. „Täglich suchte ich nach Gründen des Scheiterns. Meine kreisenden Gedanken um den geplatzten Transfer ließen mich an meinen eigenen Fähigkeiten zweifeln. Mein jedoch größtes Problem bestand darin, nicht zu wissen, wie es mit mir persönlich und vor allem fußballerisch weiter gehen sollte“.

Enttäuschung, Niedergeschlagenheit und Angst vor dem Ungewissen – so ist die typische aber auch ganz normale Reaktion eines Menschen auf unerwartete negative Lebensereignisse. Im  Sport kann das beispielweise ein großer sportlicher Misserfolg oder eine schwere körperliche Verletzung sein. In diesem Fall braucht der Athlet eine gewisse Zeit, um so einen Vorfall emotional zu verarbeiten und eine Klarheit über die nächsten Schritte im Sport und im Leben allgemein zu finden. Wenn er aber mit seinen Gedanken zu lange in diesem frustrierten und verunsicherten Zustand bleibt, kann sich dies auf seine sportlichen Leistungen negativ auswirken.

So war es auch im Fall von Stephan Neigenfink, der sich nach dem geplatzten Wechsel entschied, wieder bei seinem alten Verein in der fünften Liga zu spielen. Doch in der neuen Saison konnte er sehr lange sein Können auf dem Platz nicht mehr 100-prozentig abrufen. Wegen des plötzlich entstandenen Zweifels an seinen eigenen fußballerischen Fähigkeiten gelang es ihm nicht mehr, so gefährlich wie früher zu agieren. Schlechte Leistungen haben wiederum den Mangel an seinem Selbstbewusstsein nur weiter verstärkt. Das ist ein Teufelskreis, der für das Selbstvertrauen frappierend ist. „Aktionen, die nicht gut waren, haben dazu geführt noch ängstlicher zu spielen, weil ich gedanklich zu oft und viel zu lang an längst vergangenen schlechten Handlungen hängen geblieben bin. Fußball funktioniert nur mit Selbstvertrauen, damals war ich ein Spieler ohne den Glauben an mich selbst. Ich sah keine Lösung“. So kam er zur Idee sich sportpsychologisch beraten zu lassen, um sich aus diesem Loch wieder herauszuholen.

Das Drehbuch – die entscheidende Lösung

Das Anliegen des Spielers war ganz klar: Er wollte sein Selbstvertrauen wieder gewinnen. Das könnte er durch erfolgreiches Spiel wieder aufbauen. Dazu müsste Stephan Neigenfink aber erst aus der Spirale der negativen Gedanken herausfinden. In der Sportpsychologie gibt es mehrere Möglichkeiten, die dem Sportler helfen, mit negativen Gedanken umzugehen. Dabei ist es wichtig, die Umstände zu berücksichtigen. Auf dem Platz müssen Spieler schnell agieren und es bleibt keine Zeit, eigene dysfunktionale Kognitionen zu registrieren und in positive umzuwandeln. Deswegen haben wir uns dafür entschieden, die negativen Gedanken durch zuversichtliche Handlung zu steuern. Dies bezieht sich auf Embodiment (Storch et. al. 2006), eine wissenschaftlich bewiesene These zur Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche. Mit anderen Worten heißt das, dass einige zuversichtliche Körperzustände und Handlungen zu einer besseren Stimmungslage und Steigerung des Selbstbewusstseins führen können. Basierend darauf wurde Stephan gebeten, sich an seine besten Spiele zu erinnern. Durch Erinnerungen an erfolgreiche Spiele, sein Verhalten und seine Körpersprache aus vergangenen Zeiten wurden ganz präzise Handlungsanweisungen seines selbstbewussten Spiels zusammengestellt. Daraufhin erstellte er sich eine Liste mit seinen persönlichen Handlungszielen. Ein Ziel beispielsweise war, torgefährlich Fußball zu spielen. Dies bedeutete für ihn, in einem Spiel so oft wie möglich torgefährlich zu werden. Ihm blieb daraus resultierend nur eine sehr präzise Aufgabe: In jedem Spiel unabhängig von misslungenen Aktionen die Rolle eines selbstbewussten Fußballers zu spielen (sieh. «Reset-Technik», Beckmann et. al. 2011). Dies ist vergleichbar mit der Rolle eines Schauspielers in einem Film. Seine selbst erarbeiteten Anweisungen stellen dabei eine Art von Szenario dar, so wie in einem Drehbuch. Die haben ihm ganz genau erklärt, wie er sich auf dem Platz benehmen sollte und zusätzlich dabei geholfen sich von den schlechten Aktionen nicht ablenken zu lassen.

Und es hat funktioniert. Schon nach ein paar Trainingseinheiten und Testspielen hat Stephan zugegeben, dass er jetzt  auf dem Platz an nichts anderes außer an seine fußballerischen Aufgaben denkt. Eine regelmäßige Ausübung dieser Technik hat ihn dazu gebracht, dass er seine guten Leistungen wieder zeigen konnte. Diese Technik hat Stephan geholfen aus seinem negativen Gedankenkreis auszubrechen und sein Selbstvertrauen wieder zu gewinnen. Auch seine persönlichen Erfolgserlebnisse (Tore), positive Rückmeldung des Trainerstabs und der Mannschaft haben nicht lange auf sich warten lassen.

Der Spieler selbst bewertet diese Zusammenarbeit als sehr wirkungsvoll. Das spiegelt sich in der Nachhaltigkeit sowie in der Stabilität seiner Leistung wieder: „Durch mein eigenes Drehbuch im Zusammenhang mit neu gewonnenen Erfahrungen entstand wieder Selbstvertrauen und der Glaube an mich selbst. Diese Erkenntnisse haben meinen Ehrgeiz größer werden lassen. So komisch es auch klingen mag, nun kann ich härter und fleißiger trainieren, so dass ich diesen Weg definitiv genau so weiter gehen werde.“

 

Literatur

Beckmann J., Elbe A.-M. (2011). Praxis der Sportpsychologie.Mentales Training im Wettkampf- und Leistungssport. Aufl. (2),Balingen: Spitta

Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G. Tschacher, W. (2006). Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche versehen und nutzen. Bern: Huber

 

Foto

Stephan Neigenfink (Quelle: Fupa.net, Thomas Rinke)

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