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„Nur die ersten Kilometer läuft der Körper“

Michele Ufer ist erfolgreicher Ultramarathonläufer, Sportpsychologe und Managementberater. Und vor allem Grenzgänger. Den 42-Jährigen Doktoranden der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg reizen die Extreme. Hierzu forscht er und sucht aktuell für seine Dissertation interessierte Ausdauersportler, die ein echtes Abenteuer erleben wollen. Und mit Abenteuern kennt er sich aus.

Für die-sportpsychologen.de berichtet:

Michele Ufer

Michele Ufer ist erfolgreicher Ultramarathonläufer, Sportpsychologe & Managementberater. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im psychologisch fundierten Knowhow-Transfer aus dem Extrem- und Spitzensport in die Wirtschaft und umgekehrt. Mehr Infos: michele-ufer.de

 

Michele Ufer, du sagst, dass Laufwettbewerbe über die Marathonstrecke hinaus vor allem im Kopf gelaufen werden. Was ist damit gemeint?

Der Kopf ist ja nicht nur für Läufer, sondern in jeder Sportart entscheidend. Denn in unserem „Gehirnmuskel“ laufen wie bei einer Schaltzentrale alle Drähte zusammen. Hier werden letztlich unsere Wahrnehmungen, sämtliche Bewegungen, unsere Emotionen und Gedanken gesteuert. Und es gibt starke Hinweise aus der Sportmedizin, dass das Gehirn bei Ausdauerleistungen der leistungslimitierende Faktor ist und nicht, wie meist angenommen, die Muskeln beziehungsweise metabolische Prozesse. Auch Ultraläufer bestätigen immer wieder, dass man die ersten Kilometer mit dem Körper läuft und danach alles Kopfsache sei.

Sportpsychologisch arbeitest du intensiv mit dem Konstrukt „mentale Stärke“. Dazu hast du eigene, sehr spezielle Erfahrungen gesammelt…

Ja, durchaus. Mein allererstes Rennen überhaupt war 2011 das Atacama Crossing in Chile. Ein 250 Kilometer-Lauf durch die trockenste Wüste der Welt und in Höhen von bis zu 3500 Metern. Bis dahin hatte ich noch nicht einmal einen Stadtlauf absolviert. Dazu inspiriert hat mich die Arbeit mit meinen Kunden, die selbst für mich in mitunter überraschend kurzer Zeit erstaunliche positive Veränderungen/Verbesserungen erzielt hatten. Da dachte ich mir, „Wenn das bei denen so gut funktioniert, wieso nicht auch bei mir selbst“ und bin letztlich zu einer Art extremen Selbsttest aufgebrochen. Mir blieben nur drei Monate zur sportlichen und organisatorischen Vorbereitung, was natürlich vergleichsweise wenig ist. Aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis kamen überwiegend skeptische Blicke. Selbst meine Frau, die mich wirklich super unterstützt hat, fand das ganze schon ein wenig verrückt.

Dennoch verblüffte das Ergebnis die gesamte Fachwelt.

Ich holte den siebenten Platz und war damit schneller als viele erfahrene Profi-Läufer. Für mich war das Ergebnis auch in gewisser Weise überraschend, aber letztlich konnte ich es klar herleiten. Die sportpsychologischen Methoden haben gefruchtet.

Immer wieder wurde ich gefragt, wie ich mich denn nun genau vorbereitet habe. Neben vier wohldosierten Laufeinheiten pro Woche nach dem Prinzip „Train smart, not hard“, habe ich im Vorfeld des Rennens intensiv an meinen Zielen gearbeitet, habe mir meine Zielerreichung so konkret und intensiv wie möglich vorgestellt (Ergebnisziele). Vor allem auch die Art und Weise, wie ich sie erreichen will (Prozessziele). Da entstanden intensive und lebendige innere Bilder. Gefühle sind hochgekommen. Ich habe mir sozusagen im Kopf eine wunderbare Erinnerung an die Zukunft gebaut, an die ich immer wieder gedacht habe, mit all den Gefühlen, die dabei auch entstehen. So etwas kann ungemein motivieren, wird aber, so meine Erfahrung, überraschend oft vernachlässigt. Hirnforscher wissen längst, dass da neue Nervenverbindungen entstehen, die das gewünschte Ergebnis wahrscheinlicher werden lassen.

Aus diesen Zielen habe ich konkrete Fähigkeiten und Stärken abgeleitet, die ich benötigen werde. Dann habe ich mich an vergangene Situationen erinnert, in denen ich erfolgreich war  und diese Stärken bereits gezeigt hatte, im Sport oder anderen Lebensbereichen. So gewinne ich einen Zugang zu positiven, leistungsfördernden Gefühlen und zu unbewusstem Handlungswissen darüber, wie ich in der Vergangenheit etwas geschafft habe. Und da man sich manche Dinge auch gezielt ein- oder ausreden kann, habe ich das Ganze mit Strategien zur Umwandlung negativer in positive Gedanken beziehungsweise Selbstgespräche garniert.

Zusammenfassend habe ich mir ein Set von Gefühlen, inneren Bildern, Selbstgesprächen und inneren Monologen erarbeitet, die hilfreich für meine Zielerreichung sind. Diese Sets habe ich mental und körperlich so verankert, dass heißt mit Auslösern versehen, dass sie entweder gleich unbewusst oder bewusst und wie auf Knopfdruck in bestimmten Situationen aktiviert werden, um ihre positive Wirkung zu entfalten. Solche Auslöser können Bilder, Symbole, Erinnerungen an Musik, kleine Bewegungen, Wörter aber auch Reize wie der Startschuss, das Schnüren der Schuhe, das Aufsetzen des Fußes oder was auch immer sein.

Durch den Einsatz von Entspannungs- und Aktivwach-Hypnose konnte ich mein Mentaltraining deutlich intensivieren. Bestimmte Dinge – wie gewünschte Denk, Fühl-, Verhaltensweisen – gehen dann fast wie von allein und spielend leicht in „Fleisch und Blut“ über. Das Unterbewusstsein, der innere Autopilot wird auf Zielerreichung programmiert, unbewusste Blockaden können identifiziert und aufgelöst beziehungsweise in Motivation umgewandelt werden. Außerdem habe ich hin und wieder kleine, feine Gedankenspiele eingesetzt, um vermeintlich automatisch ablaufende Prozesse, wie zum Beispiel das Schmerzempfinden, die Bewegungskoordination, den Stoffwechsel, die Regeneration et cetera positiv zu beeinflussen.

All das funktioniert ausgesprochen gut und ist auch wissenschaftlich dokumentiert. Hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Wenn man weiß, wie man das anstellt.

Wie ging es nach diesem ersten Rennerlebnis weiter?

Ich bekam kurz darauf eine Einladung zum Mount Everest. Dort absolvierte ich dann meinen ersten offiziellen Marathon. Ebenfalls war das Ergebnis, auch wenn dies für mich nie eine besondere Rolle spielte, sehr ordentlich: Ich wurde bester Deutscher und habe den wirklich tollen Lauf seither bereits dreimal absolviert. 2012 und 2013 haben wir sogar einen Dokumentarfilm über dieses Event produziert. Das Drehen vor Ort war schon sehr  anstrengend, weil ich in bis zu 5400 Metern Höhe mit mehreren Kameras bewaffnet, immer wieder hin und her gelaufen bin, stoppen, zurück und wieder vorlaufen musste, um während des Marathons auch andere Läufer einzufangen. Aber die Mühe hat sich gelohnt. Wir haben bereits einen Filmpreis erhalten, sind zu diversen Filmfestivals eingeladen und ich nutze den Film auch im Rahmen von Vorträgen. Das hilft natürlich sehr, das Thema Sportpsychologie einem größeren Publikum näher zu bringen.

All diese Erlebnisse mündeten letztlich im Gerüst meiner Doktorarbeit, in der ich mich mit Selbstführung und Flow-Erlebnissen unter extremen Bedingungen beschäftige. Denn aus meiner Sicht fehlt es gerade im Trail- und Ultramarathonbereich noch an wissenschaftlich fundiertem Material. Viele Athleten beschäftigen sich zwar mit Begrifflichkeiten wie mentaler Stärke oder mentalem Training, allerdings reicht das Wissen oft nicht wirklich tief. Hier will ich ansetzen und meine ganz persönlichen Erfahrung einbringen.

Aktuell suchst du für deine Forschung abenteuerlustige Läufer. Was können diese erwarten?

Ich führe bei mehrtägigen Etappenläufen in Nepal, Namibia, Schweden und Peru Untersuchungen durch. Dafür suche ich international Probanden, die gesponsert an den Läufen teilnehmen. Interessenten können sich gern über meine Homepage michele-ufer.de informieren und bewerben. Noch sind Restplätze frei, auch wenn sich das Angebot in der Läuferszene international herumspricht: eine australische Forscherin nimmt mit gleich einer ganzen Ultralaufgruppe am Projekt teil und plant sogar einen Film zu dem Projekt zu drehen.

Die Teilnehmer wirken an einer Studie mit, anhand der ich untersuchen will, wie individuelle Motivationsstrukturen, allgemeine Fitness, der Erfahrungshintergrund, psychologische Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale das Auftreten von Flow-Erleben (Runner’s High), die Leistung und Zufriedenheit unter extremen Bedingungen beeinflussen.

Die Erkenntnisse lassen sich also für wettkampf- und gesundheitsorientierte Sportler, aber auch in ganz andere Lebensbereiche zur Verbesserung der Selbstführung und Motivation nutzen. Denn was hier funktioniert, sollte auch unter weniger extremen Bedingungen hilfreich sein. Ein weiteres Ziel ist es, ein wissenschaftlich fundiertes Mental-Profil erfolgreicher Extrem- und Ultra-Ausdauersportler zu entwickeln. Dies eröffnet den Athleten in einem zunehmend populären Bereich des Ausdauersports systematische Vergleichsmöglichkeiten. Das hilft dabei, passgenaue psychologische Trainingsmaßnahmen abzuleiten und die Wirksamkeit der Interventionen formativ wie summativ zu überprüfen.

Das Forschungsdesign folgt dabei einem innovativen, ganzheitlichen Ansatz, denn erstmals werden mehrere Einflussparameter in ihrer Vernetzung berücksichtigt und relevante Daten nicht nur vor und nach einem Rennen, sondern auch live während der Wettkämpfe erhoben.

Ich freue mich auf viele Interessenten, die an der Studie mitwirken wollen oder generell Lust auf Abenteuerläufe haben und zu mir Kontakt aufnehmen.

 

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Philippe Müller: Den Sommer sinnvoll nutzen

Periodisierte Trainingsprogramme gehören im Sport zum Alltag. Auch im Skisport wird strukturiert trainiert. Im Sommer bereiten sich die Wintersportler/innen auf die kommende Saison vor. Die Basis in Kraft und Ausdauer wird gelegt. Es bietet sich an, in dieser Trainingsphase auch in das psychologische Training zu investieren.

Zum Thema: Der Einsatz des mentalen Trainings

Eine präzise Bewegungsvorstellung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen im Leistungssport. Diese kann durch mentales Training, oft auch als Visualisierungstraining bezeichnet, gefördert werden. Dabei durchläuft der Athlet gedanklich eine Abfolge von Bewegungsmustern, ohne die Bewegung praktisch auszuführen. Die Qualität der Visualisierung kann an unterschiedlichen Kriterien überprüft werden. Ein solches Maß ist die ‘Lebendigkeit’ der Vorstellung. Die Bewegung sollte nicht lediglich als Film ablaufen, sondern am ganzen Leibe gespürt werden: den Druck in den Knien und Oberschenkeln, wenn die Kurve gefahren wird, das Geräusch, wenn die Kante des Skis im Schnee zu greifen beginnt.

Die Vorstellungsfertigkeit muss, wie jede Technik, erlernt und trainiert werden. Deshalb bietet es sich an, im Sommer die Grundlagen zu schaffen. Die Bewegungsabläufe werden zu diesem Zweck genau analysiert. Anschließend wird für die Bewegung ein detaillierter Ablaufplan erstellt, welcher schlußendlich mental geübt wird. Es empfiehlt sich, die Analyse und Ausarbeitung in Zusammenarbeit mit dem Trainer und Sportpsychologen durchzuführen, um die Qualität zu steigern und sich keine falschen Bewegungsabläufe anzueignen.

Das mentale Training kann zu unterschiedlichen Zielstellungen eingesetzt werden. Es dient nicht aussließlich zur Wettkampfvorbereitung, sprich dem Visualisieren einer bestimmten Rennstrecke. Es kann auch, wie oben beschrieben, zur Optimierung von Bewegungsmustern eingesetzt werden.

Da viele Wintersportarten vom Wetter (Schnee oder Eis) abhängig sind, kann das Visualisierungstraining zudem als Alternative zum Schneetraining betrieben werden. Vor allem bei Bewegungen, die eine hohe Belastung für den Körper darstellen, ist der Einsatz des mentalen Trainings zur Belastungsreduktion und somit zur Verletzungsprophylaxe, sinnvoll.

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Philippe Müller: Die Trainerpersönlichkeit

Das Anforderungsprofil und die Tätigkeiten eines/r Trainers/in haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Leistung des/r Sportlers/in ist jedoch noch immer der Mittelpunkt der Arbeit geblieben. Zu einem erfolgreichen Team gehören aber beide Seiten. Der/die Tainer/in sollte nicht nur ihre/n Athleten/in, sondern auch sich selber gut kennen.

Zum Thema: Wie gut sollte sich ein Trainer selber kennen?

Die Anforderungen an einen modernen Trainer sind vielseitig. Die Trainingsplanung und -durchführung sind schon lange nicht mehr die einzigen Bestandteile seiner Tätigkeit. Die Koordinationsaufgaben mit Schule und Eltern nehmen zu. Die Zeit, als die Eltern ihre Schützlinge lediglich im Training absetzten, ist vorbei. Die Zahl der „problematischen“ Eltern nimmt zu. Sie meinen alles besser zu wissen und machen die Zusammenarbeit zwischen Trainer/in und Athlet/in nicht einfacher – und natürlich auch zwischen Trainer/in und Eltern. Der Druck auf die Ausbilder und Sportler steigt. Doch wie geht der Trainer damit um? In der Ausbildung haben Taktik und Technik Priorität. Hilfe und Lösungen für solche und ähnliche Probleme werden selten angeboten. Was gehört zu den Aufgaben eines/r Trainers/in? Ist diese/r für alles zuständig? Viele Trainer/innen haben auf diese Fragen keine Antwort. Ihren Nachwuchs kennen sie in- und auswendig. Wie sieht es aber mit dem Selbstbild aus? Zu selten setzten sie sich mit sich selber und der eigenen Persönlichkeit auseinander. Einige mögen hier entgegnen, dass es schließlich um die Sportler und nicht um die Trainer geht. Aber ist dies nicht die falsche Antwort?! Wie will sich ein/e Trainer/in mit den Athleten/innen auseinandersetzen, wenn er/sie nicht einmal sich selber kennt? Die Trainerpersönlichkeit hat auch immer einen Einfluss auf die Qualität der Arbeit mit den Sportler/innen. Ich stelle somit die Frage in den Raum: Müssten nicht mehr Ressourcen in die Persönlichkeitsentwicklung der Trainer/innen gesteckt werden, damit sie mit den Anforderungen besser zurecht kommen?

Meiner Meinung nach sollte jede/r Trainer/in sich folgende Fragen stellen:

– Wer bin ich und wer will ich sein (Trainer/innen sind große Vorbilder für den Nachwuchs)?

– Was gehört zu meinen Aufgaben?

– Was habe ich für Ressourcen (Stärken) um meine Arbeit zu meistern?

– Wo sind meine Schwächen und was bereitet mir Mühe?

– Wo kann ich mir die nötige Unterstützung holen?

Zu den oben aufgeführten Fragen der Persönlichkeitsentwicklung der Trainer/innen kann die Sportpsychologie Hilfestellung leisten. Das sportpsychologische Setting ermöglicht es, sich neben leistungsthematischen Aspekten auch dem Trainer/in und seiner/ihrer Persönlichkeit zu widmen. In der Zusammenarbeit mit dem Trainer würde ich ihn im ersten Schritt bei der Beantwortung der Fragen unterstützen und in einem zweiten Schritt bei der Umsetzung in dessen Tätigkeit behilflich sein. Bei der konkreten Realisierung kommen unter anderem im Training diverse Methoden zum Tragen.

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Elvina Abdullaeva: Die Vorbereitung auf ein Finale

Der WM-Pokal ist für das deutsche Team und die Argentinier um Lionel Messi zum Greifen nah. Für die meisten Beteiligten ist dies das Spiel ihres Lebens. Aber wie sollten sie sich aus sportpsychologischer Perspektive darauf vorbereiten? Bedürfen außergewöhnliche Ereignisse besondere Maßnahmen oder zählt auch ein WM-Finale für einen Profifußballer zum Daily Business?

Zum Thema: Wie bereiten sich Profis auf die wichtigsten Spiele des Lebens vor?

Mehr Bedeutung kann ein Fußballspiel nicht haben. Für alle Akteure ist es ein Traum, Weltmeister zu werden – niemand will diese vielleicht einmalige Chance verspielen. Genau deswegen kommen den Einzelnen auch Gedanken aus der Schublade „Was wäre wenn“ in den Sinn. Und dann ist da noch die Angst vor dem Versagen, welche die Sportler vom aufgabenrelevanten Fokus ablenkt und eine schlechte Leistung verursachen kann. Der Kopf muss aber wiederum cool bleiben, so dass am Sonntag im Maracana-Stadion tatsächlich die optimale Leistung abgeliefert werden kann. Viele Profis wissen das und präparieren sich für solch hoch außergewöhnlichen Karriere-Momente, indem sie jede andere Partie ähnlich akribisch vorbereiten.

Zauberwort Routinen

Routinen sind im Sport eine individuell erarbeitende festgelegte Abfolge von bestimmten Handlungen, die der Sportler immer gleich vor dem Wettkampf und in der Vorbereitung darauf ausführt. Das Ziel eines jeden Spielers – egal, ob es sich um ein Testspiel in der Vorbereitungsphase oder ein Finale der Weltmeisterschaft handelt – lautet: Behalte die Konzentration auf  deine eigene Aufgaben und tue alles, um diese vollumfänglich zu erfüllen. Letztendlich zählt nur das.

Die Routinenerarbeitung ist ein individueller Prozess, der die Bedürfnisse des Sportlers berücksichtigt. Hierbei geht es darum, was dem Sportler in der Wettkampfvorbereitung gut tut und was nicht. Durch eigene Erfahrungen und dem Austausch mit dem Trainer oder einem Sportpsychologen legt der Sportler fest, welche Aktivitäten ihn am besten in einen optimalen Zustand bringen. Wie es in mehreren Studien über Routinen bewiesen wurde, sollen diese Aktivitäten sowohl aus den körperlichen (z.B. bestimmte Erwärmung) und auch kognitiven Elementen (z.B. Selbstgespräche) bestehen, so dass Routinen einen besseren Leistungseffekt erzielen können (Highlen & Bennett, 1983; Cohn et al., 1990).

Das Beispiel Akinfeev

Genau so eine Vorbereitungsroutine hat der Torwart Igor Akinfeev, die Nummer 1 der bereits in der WM-Vorrunde ausgeschiedenen russischen Nationalmannschaft und der CSKA Moskau einmal beschrieben. Seine Vorbereitung beginnt an dem Tag des Spiels ungefähr drei Stunden vorher und betrifft sowohl physische als auch psychische Aspekte. „Ich setze mich in den Bus und stelle mich auf das Spiel ein. Ich stelle mir einige Spielmomente vor und gehe bestimmte Situationen im Kopf durch.“ Der Torhüter macht regelmäßig vor dem Start ein Visualisierungstraining, welches mehrere positive Effekte für die Leistung nach sich zieht. So steigt die Selbstwirksamkeitserwartung des Menschen und der Sportler kommt deutlich zuversichtlicher in den Wettkampf und kann wiederum eine gute Performance zeigen. Ein anderer Effekt ist die Vorbereitung auf mögliche Spielsituationen. Der Spieler geht bestimmte Situationen innerlich durch und hat so für diese Momente bereits einen Handlungsplan im Kopf. Wenn so eine Aktion später im Spiel auftaucht, weiß er, wie er auf sie reagieren soll.

Der zweite Teil der Vorbereitungsroutine von Akinfeev ist seine individuelle Erwärmung, die für seine optimale Physis sorgt. Wie der Spieler betont, macht diese aber auch einen wesentlichen Bestandteil des psychischen Wohlbefindens aus: „Eine gute Erwärmung trägt viel zu meiner positiven Einstellung bei. Wenn ich drei, vier gute Balle während der Erwärmung pariert habe, bekomme ich ein Zuversichtsgefühl, welches ich auf das ganze Spiel übertrage.“

Dieser Routine folgt Igor Akinfeev immer, unabhängig von der Wichtigkeit des Spiels. Sei es ein Match für seinen Verein oder sollte er das Tor der Nationalmannschaft verteidigen. Als Profisportler mit großer Erfahrung weiß er ganz gut, dass selbst wenn es das wichtigste Spiel seiner Karriere ist, er trotzdem nur seine Aufgabe erfüllen muss. Deshalb bereitet er sich immer gleich vor.

Literatur:

1. Cohn, P.J., Rotella, R.J., Lloyd, J.W. (1990). Effects of a cognitive-behavioral intervention on the preshot routine and performance in golf. The Sport Psychologist, 4,33-47

2. Highlen, P.S., Bennett, B. B. (1983). Elite divers and wrestlers: A comparison between open and closed-skill athletes. Journal of Sport Psychology, 4, 390-409

3. Тунис М. (2010). Психология вратаря. Москва: Человек

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Sebastian Reinold: 11 Tipps für den Fall der Fälle

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft steht am Sonntag, den 13. Juli, im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Nicht erst seit dem historischen 7:1-Erfolg im Halbfinale gegen Brasilien schlagen die Fanherzen höher. Je näher der Anpfiff rückt, desto stärker werden bei nicht wenigen die Erwartungen an einen Sieg der deutschen Mannschaft bis ins Unermessliche steigen. Bei einer Niederlage, die trotz der guten Turnierleistung des Teams von Jogi Löw im Finale gegen Argentinien möglich bleibt, können Emotionen dann aber schnell in große Trauer oder ungewollte Frustrationen umschlagen. Augenzwinkernd soll Ihnen vor dem Besuch der Public Viewing-Location ihrer Wahl geholfen werden.

Zum Thema: Wie vermeide ich als Fan einen Systemabsturz beim Gruppengucken?

Eines vornweg: Sie, als Fan, haben gegenüber dem Team unermessliche Vorteile. Zum einen müssen Sie am Sonntagabend keine wirkliche Leistung erbringen. Und zum anderen können Sie mit der Verarbeitung auf eine Niederlage schon vor dem Spiel beginnen1.

Um damit keine Zeit zu verlieren, fangen wir an dieser Stelle an. Beginnen Sie mit Ihren Vorbereitungen auf das Finale weiträumig vor Spielbeginn. Denn ganz ohne Aufwand geht für Sie als Fan ein WM-Finale dann eben doch nicht. Zumindest nicht, wenn Sie nicht Gefahr laufen wollen, die Anzahl ihre Freunde durch unpassendes Verhalten signifikant zu verringern. Der Masterplan, also meine Hauptstrategie für ihren un- und ausfallfreien Fußballabend, besteht nun darin, dass Sie sich in eine eigene Stimmungslage bringen, die weitgehend unabhängig vom Ereignis ist. Wie machen Sie das? Einfach der Reihe nach:

1. Schrauben Sie die Bedeutung des Ereignisses herunter. Seien Sie sich klar, dass es sich nur um Sport handelt, der sie nicht direkt betrifft. Klassiker: „Davon geht die Welt nicht unter.“

2. Machen Sie sich in diesem Zusammenhang bewusst, dass es für Sie keine eigenen persönlichen Konsequenzen gibt. Außer, sie haben im Siegeseifer längst mehrere Monatslöhne auf Jogi und Co gesetzt…

3. Verringern Sie im Vorfeld die Erwartungen an das Spielergebnis. Ein spannendes Spiel gesehen zu haben, bei dem die Mannschaft alles gegeben hat, kann durchaus schon als Erwartung reichen. Im Falle einer Niederlage würden Sie dann nicht enttäuscht, im Falle eines Sieges aber würde die Freude dann umso mehr überwiegen.

5. Erinnern Sie sich daran, dass die deutsche Mannschaft Ihnen bereits tolle Momente bescherte (u.a. Halbfinale gegen Brasilien), kurz vor dem Ausscheiden stand (Achtelfinale gegen Algerien) und Sie in den vergangenen Wochen durchweg gut unterhielt (ohne WM würden Sie jetzt womöglich aus der Verzweiflung heraus irgendwelche Vorbereitungsspiele aus Tiroler Trainingslagern anschauen).

Käme es tatsächlich, wie es nach Messis Matchplan kommen müsste, befänden wir uns in Level 2. (Schalten Sie an dieser Stelle bitte im Gefühl des sicheren Sieges nicht ab, denn Sie könnten für den Zeitraum nach 22.45 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit wesentliche Informationen verpassen.) Also, verliert Deutschland das Finale tatsächlich und bei Ihnen überwiegen die negativen Gefühle, beherzigen Sie doch bitte folgendes:

6. Befassen Sie sich nicht weiter mit dem Spiel. Ablenkung durch andere Dinge kann hier helfen. Vielleicht fahren Sie ja noch in den Urlaub?

7. Lassen sie sich von anderen emotional unterstützen. Denn Unterstützung durch andere kann Wunder wirken. Grundsätzlich trauert der Fan am besten in der Gruppe. Ein Sprichwort besagt nicht zu Unrecht, dass geteiltes Leid halbes Leid sei. Und Fanmeilen und –feste potenzieren den Sinngehalt der – zugegeben – abgedroschenen Phrase.

8. Wichtig, egal wie schlimm es kommt (siehe Halbfinale gegen Brasilien aus Gastgeber-Sicht): Halten Sie Abstand zu randalierenden Fans, damit Ihre eigene Stimmungslage nicht in eine aggressive Richtung kippt2.

9. Beim Konsum von Alkohol sollten Sie beachten, dass die eignen Emotionen sich nicht mehr so leicht kontrollieren lassen (vielleicht erinnern Sie sich, was fatal wäre, dann auch nicht mehr an alle hier gegebenen Tipps). Für diejenigen unter Ihnen, die von sich wissen, dass sie zu Aggressionen unter Alkoholeinfluss neigen, empfiehlt sich eine Beendigung des Alkoholkonsums, sobald die Niederlage absehbar ist.

10. Oft liegt der Ausgang der Spiels an der Leistung des Schiedsrichters oder einzelner Spieler. Vermeiden Sie es, eine Einzelperson zum Sündenbock zu ernennen (siehe Brasiliens Fred im Halbfinale) und alles Unheil dieser Welt mit ihm zu verbinden. Der von Ihnen auserwählte Spieler ist selbst mit der Verarbeitung seiner Niederlage beschäftigt und Bedarf deshalb der Unterstützung seiner Fans (siehe immer noch Fred).

11. Wenn alles nichts mehr hilft, dann hilft nur noch Humor. Googeln Sie doch vor dem Finale zur Sicherheit noch ein paar Holland-Witze.

Darüber hinaus wünsche ich Ihnen einen schönen Fußballabend.

Literatur:

[1] Filipp, S. (1995). Kritische Lebensereignisse (3. Aufl.). Weinheim: Psychologische Verlags Union.

[2] Scheve, C. (2009). Emotionen und soziale Strukturen. Frankfurt: Campus-Verlag.

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Ruud Vreuls: Die unsichtbare Mauer

Während dieser Fußball-Weltmeisterschaft gab es neben einigen sportlichen Überraschungen auch auf technischer Ebene dein paar Neuheiten zu bestaunen. Das Freistoß-Spray ist, genauso wie die lang diskutierte Torlinientechnik, zu dieser WM eingeführt worden. Manche Fußballverbände, wie der DFB und der KNVB aus den Niederlanden, untersuchen nun, ob dieses Spray auch in ihren Ligen einsetzbar ist. Denn technisch hat sich das „Vanishing Spray“ bewährt, allerdings meutern nun einzelne Fußballer gegen den „Rasierschaum“.

Zum Thema: Blockade durch das Freistoß-Spray

In einem Interview mit einer niederländischen Zeitung beschwerte sich Wesley Sneijder unlängst über das Freistoß-Spray. Zusammen mit Arjen Robben ist der Mittelfeldspieler in seinem Team für die Freistöße zuständig, konnte inklusive des Halbfinales aber kein Tor durch einen Freistoß erzielen. Als Begründung hierfür führte Sneijder an, dass er das Spray auf dem Boden als Behinderung empfinde. Weiterhin störe ihn das Spray und er nehme dieses als eine Mauer wahr, über welche er drüber schießen müsse. Obwohl er sich gut zuspreche, seine Gedanken ordne und sich sage, dass es sich nur um ein Spray handelt, habe er große Schwierigkeiten mit dieser neuen Art der Freistoßpunktmarkierung.

An den spielfreien Tagen haben die Teams, abgesehen von ihrem Pflichttrainingsprogramm, genügend Zeit übrig. Manche Spieler bleiben darum noch länger auf dem Trainingsplatz, um untereinander kleine Wettkämpfe zu machen. So gab es schon mehrere Videos im Internet zu sehen, in denen sich zeigte, dass verschiedene niederländische Spieler einen Freistoß Wettkampf ausgefochten haben. Einer nach dem anderen schoss einen erfolgreichen Freistoß. Dieses Video zeigt uns, dass genau wie beim Elfmeterschießenjeder Profifußballer technisch in der Lage ist, einen Freistoß erfolgreich ins Tor zu schießen.

Die Standardsituation verändert sich

Durch die Einführung des Freistoß-Sprays gibt es jetzt allerdings eine veränderte Standardsituation. Da Spieler Freistöße, egal ob während des Trainings oder des Spiels, bisher immer ohne Spray geschossen haben, haben sie sich auch einen bestimmten Ablauf angewöhnt. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Anlauf von Cristiano Ronaldo. Das genaue Zählen der Schritte und seine weit auseinander stehenden Beine sind sein typischer Ablauf. Diesen bestimmten Ablauf muss der Spieler jetzt, also mit dem Freistoß-Spray, für sich neu formulieren und einüben. Der typische Ablauf wird in der Sportpsychologie als ein mentales Drehbuch beschrieben. Unter anderem das Zählen der Schritte, aber auch mit sich selber zu reden, sind spezifische Merkmale der Art und Weise, wie man sich ein mentales Drehbuch aneignen kann. Dieses Drehbuch muss jetzt erweitert werden, da das neue Spray das bisherige Drehbuch bzw. den bisherigen Ablauf beeinflusst. Der wichtigste Anhaltspunkt ist noch immer, dass der Spieler sich auf den Ball fokussieren muss.

Ein Spieler, der große Schwierigkeiten mit dem Spray hat, sollte probieren, dem Spray so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zukommen zu lassen. Denn sobald der Spieler seine Konzentration auf das Spray lenkt, dass in diesem Fall für ihn neu und ungewohnt ist, besteht die Gefahr, dass in dem Spiel negative Gedanken entstehen. Das Spray als eine Mauer oder es als eine Behinderung zu sehen, sind mögliche negative und störende Gedanken, wie bereits von Sneijder beschrieben. Um diese zu vermeiden, ist es wichtig, dass der Spieler in seinem mentalen Drehbuch einen extra Knotenpunkt aufnimmt. So kann der Spieler für sich visualisieren, wo genau er den Ball treffen möchte, um sich dann, bevor er schießt, nur auf diese Stelle zu konzentrieren. Es empfiehlt sich aus sportpsychologischer Perspektive, dies während des Trainings, zu einer bestimmten Zeit und in Ruhe, immer wieder zu üben. Somit würde der Spieler bereits im Training mit dem Spray konfrontiert und er könnte sein Drehbuch üben. Nach erfolgreichem Training ist der Spieler in der Lage, diese visualisierte Mauer zu durchbrechen und trotz Freistoß-Sprays bei Freistößen erfolgreich zu sein.

 

Literaturverzeichnis:

Alfermann, D., & Stoll, O. (2010). Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Meyer & Meyer Verlag.

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Katharina Petereit: Das Team nach Neymar

Neymars WM ist beendet, aber das Turnier geht weiter. In den vergangenen Tagen beherrschte zwar noch die Verletzung des Stars der Selecao die Sportseiten und jegliche WM-News – brasilianische Fernsehsender unterbrachen in der Samstagnacht sogar ihr Programm, um live aus dem Krankenhaus zu berichten. Doch im WM-Halbfinale am Dienstag gegen Deutschland läuft Brasilien ohne den Hoffnungsträger des gesamten Landes auf. Was kommt nun auf das Team zu und liegt im Fehlen des Überspielers sogar eine Chance?

Zum Thema: Wie wirkt sich Neymars Verlust auf das brasilianische Team aus?

Das gesamte brasilianische Team war nach der Verletzung in den Schlussminuten des WM-Viertelfinals gegen Kolumbien niedergeschlagen und mit den Gedanken bei Neymar. Jetzt kommt es allerdings darauf an, dass sich alle Beteiligten wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Und das ist das WM-Halbfinale gegen Deutschland. Sie müssen den nicht sportlich bedingten Ausfall eines Einzelnen abhaken, als Mannschaft agieren und sich auf ihre eigenen Fähigkeiten konzentrieren. Es ist wichtig, dass die Spieler versuchen, ihre Emotionen zu kontrollieren und die unveränderbare Situation als Herausforderung und vielleicht sogar als Chance zu sehen.

Grundsätzlich muss im Fall der Brasilianer Abstand zu ihren Gefühlen her. Nicht erst beim Elfmeterschießen im Achtelfinale gegen Chile wurde deutlich, wie stark das Heim-Team der Weltmeisterschaft unter dem eigenen Erwartungsdruck – und dem der 200 Millionen Brasilianer – leidet.

Emotionen kontrollieren und Rollen neu verteilen

Für das Halbfinale fehlen neben Neymar auch Willian und Abwehrchef Thiago Silva. Voraussichtlich kommen Spieler zu ihren ersten WM-Einsätzen, möglicherweise wird sich auch die Taktik der Brasilianer ändern und die Aufgaben innerhalb des Teams werden neu verteilt. Alles Veränderungen, die in kürzester Zeit von statten gehen müssen, da zwischen dem Viertel- und Halbfinale nur drei Tage zur Verfügung stehen. Wenn aber die Umverteilung der Aufgaben im Team gelingt, die Rollen klar definiert werden und die individuellen und kollektiven Fähigkeiten bewusst gemacht werden können, lässt sich diese überaus kritische Situation meistern. Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass sich alle der Situation annehmen, ohne Neymar spielen zu müssen, und sich dieser bewusst durch konkrete Handlungsanweisungen stellen. Denn beeinflussbar und kontrollierbar ist nur ihre Aufgabe, das Spiel gegen Deutschland zu gewinnen.

Am Ende kommen also viele Aufgaben auf die brasilianische Mannschaft zu, die definitiv nicht leicht zu bewältigen sind. Werden aber die richtigen Schlüsse gezogen, erwartet das deutsche Team ein sehr schwerer Gegner, der in allen Belangen viel komplizierter auszurechnen ist als er noch bis vor Neymars Verletzung war.

 

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Prof. Dr. Oliver Stoll: Brasiliens Feuerwehr

Bis zum Viertelfinale gegen Kolumbien wirkten die Brasilianer bei ihrer Heim-WM sichtlich verkrampft. Nach dem erst im Elfmeterschießen gewonnenen Achtelfinale gegen Chile wurde bekannt, dass kurzfristig eine Sportpsychologin für das Team organisiert worden sei. Aufgabenstellung: Die brasilianische Mannschaft solle von dem immensen Druck befreit werden, der die Spieler von Trainer Felipe Scolari lähme. Mit der Brasilianerin Regina Brandao arbeitet der erfolgreiche Trainer schon seit 20 Jahren zusammen, allerdings nicht regelmäßig. Weltstars, wie der im Viertelfinale schwer verletzt ausgeschiedene Neymar, waren nach den ersten Gesprächen voll des Lobes und bekannten, bislang noch nie mit einem Sportpsychologen zu tun gehabt zu haben.

Zum Thema: Der Sportpsychologe als „Feuerwehr“ ist keine funktionierende Funktion

Oftmals werden Sportpsychologen erst dann „engagiert“, wenn eigentlich schon alles zu spät ist. Auch in meiner eigenen sportpsychologischen Praxis werde ich oftmals aus einer solchen Situation heraus angerufen. Es gibt nicht wirklich viele Situationen, in denen Sportpsychologen kurzfristig – also akut – wirklich wirksam werden können. In den allermeisten Fällen ist dies eher zum Scheitern verurteilt.

Sportpsychologisches Training zeichnet sich durch ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen aus. Dabei spielt eine Eingangsdiagnostik eine zentrale Rolle, um ein Problem- und/oder Optimierungsfeld erst einem klar erkennen zu können. Im Anschluss daran wird – mitunter auch gemeinsam mit Trainer – auf alle Fälle aber mit dem Athleten ein sportpsychologisches Trainingsprogramm entwickelt, welches dann umgesetzt wird. Abschließend erfolgt auch immer eine Erfolgskontrolle.

Dabei heißt „Erfolg“ nicht zwingend, dass im Anschluss an das sportpsychologische Training eine Medaille gewonnen oder ein Spiel gewonnen wird. Psychologische Wirksamkeitskriterien sind sehr viel komplexer und basieren oftmals auf lediglich einer positiven Wahrnehmung dieses Trainings aus Sicht des Athleten. Es liegt auf der Hand, dass sich dieser Prozess nicht in zwei bis drei Tagen umsetzen lässt. Auch wenn man eine sportpsychologische Maßnahme lediglich auf einen Coachingprozess reduziert, laufen diese „Feuerwehrmaßnahmen“ zumeist ins Leere, denn es dauert mehrere Tage, bis ein Sportpsychologe die Spieler und Offiziellen einer Mannschaft kennen gelernt, Vertrauen aufgebaut und auch das Umfeld verstanden hat, in dem eine Problemlage entstanden ist. Oftmals ist nicht ein Problem bedeutsam, dass ein einzelner Athlet hat, sondern es ist das direkte soziale Umfeld, das für ein Problem verantwortlich ist und in einem solchen Fall müssen eher systemische Lösungen her. Auch diese Methoden lassen sich nicht in drei bis vier Tagen umsetzen.

Nervenstarkes Deutschland

Seit einige wenigen Jahren wird gerade in Deutschland deutlich mehr Wert auf eine sehr frühe sportpsychologische Ausbildung der Athleten Wert gelegt. Hier erlernen 12- bis 14-jährige Athletinnen Grundlagen der Regulierung ihrer Nervosität sowie ihrer Gefühle sowie Trainingsverfahren (hauptsächlich unter Nutzung ihrer „Vorstellungsfähigkeit“), die ihnen helfen, neue Bewegungsmuster zu erlernen oder vorhandene zu stabilisieren. In Deutschland hat man das erkannt. Nicht nur der Deutsche Fußball Bund macht eine sportpsychologische Betreuungs- und Beratungsmöglichkeit zur Förderung von Leistungszentren als Pflichtkriterium zur Auflage. Auch in anderen Sportspitzenverbänden wird mittlerweile auf eine gute und nachhaltige sportpsychologische Ausbildung schon im Nachwuchsbereich Wert gelegt. In der aktuellen Berichterstattung von der Fußball-WM ist dies durchaus abzulesen: Denn international wird Joachim Löws Mannschaft für ihre „Nervenstärke“ gelobt. Daran hat der seit 2004 ständig mit der Nationalmannschaft arbeitende Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann sicher einen Anteil.

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Die-Sportpsychologen.de wird Teil vom 1530blog

Ende Juni startete der Axel-Springer-Verlag mit dem 1530blog ein in dieser Dimension bislang in Deutschland einzigartiges Online Projekt: Auf dieser Seite, einem sogenannten Blog-Aggretagtor, sollen zukünftig Beiträge diverser Fußball-Blogs dargestellt und verbreitet werden. Neben den etablierten Blogs wie spielverlagerung.de, Gegen den Ball, Stehplatzhelden, Sportpassion oder Sportradio 360 erhalten auch Die-Sportpsychologen.de kurz nach Start der Plattform den Gold-Status. Diese Wertung führt dazu, dass zukünftig ausgewählte Inhalte von Die-Sportpsychologen.de einer sehr großen und täglich wachsenden Zielgruppe zugänglich werden.

 

Mathias Liebing, Redaktionsleiter von Die-Sportpsychologen.de: “Wir sind mit dem Ziel gestartet, das Thema Sportpsychologie in den alltäglichen Diskurs zwischen Athleten, Trainern, Funktionären, Fans und der Presse zu bringen. Diese hervorgehobene Darstellung im 1530blog ist also hervorragend. Gerade einmal einen Monat nach dem Start unserer Seite hätte ich mit einem solchen Erfolg noch nicht gerechnet.”

 

 


 

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Ruud Vreuls: Das Kapital auf der Bank

Schon vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft machte Bundestrainer Joachim Löw klar, dass für ihn die Auswechselspieler im Turnier von enormer Bedeutung seien. In den DFB-Pressekonferenzen war sogar die Rede von einer „ersten 14“ anstelle einer „erster Elf“. Während der WM bewahrheitet sich Löws These durchaus: André Schürrle ist aus deutscher Sicht nur ein Beispiel. Verwiesen sei auch auf Viertelfinalteilnehmer wie Belgien oder die Niederlande, die gern und ganz bewusst Impulse von der Bank bringen. 

Zum Thema: Wie sollte der richtige Umgang mit Wechselspielern aussehen?

Eine Fußball-Weltmeisterschaft bietet besondere Rahmenbedingungen. Denn zum einen ist bei allen Teilnehmernationen das öffentliche Interesse extrem hoch, zum anderen starten die Nationalteams auch mit sehr großen Kadern, so dass elf Spielern in der Startformation zwölf Ersatzkräfte gegenüberstehen. Bundestrainer Löws Äußerungen zur Bedeutung der Auswechselspieler müssen also nicht nur in taktischer und physischer Tiefe interpretiert werden, sondern dürfen auch als sportpsychologischer Fingerzeig verstanden werden.

Bekannt wurde auch, dass Löw und sein Funktionsteam inklusive des Sportpsychologen Hans-Dieter Herrmann bereits in der Vorbereitung intensiv daran gearbeitet haben, ein Lagerdenken, z.B. zwischen Spielern verschiedener Clubs, zu verhindern. Stattdessen wurde im Sinne des Gruppenzusammenhalts (Kohäsion) ein gemeinsames Ziel formuliert, welches offenkundig bislang von allen Beteiligten getragen wird – zumindest sind nach außen keinerlei Fehlhandlungen oder negative Signale zu vernehmen, sehen wir von Sami Khediras Äußerungen nach dem USA-Spiel ab, bei welchem er auf der Bank saß.

Nichtsdestoweniger ist für die Teamleistung auch die Konkurrenzsituation unverzichtbar, um die Leistungsbereitschaft des Einzelnen anzutreiben. Die Durchlässigkeit, die Löw allen Spielern des WM-Tross für bestimmte Situationen, in denen spezielle Akteure benötigt werden, versprach, wirkt hier als Verstärker. Zusätzlich wird in der Theorie darauf verwiesen, dass es ratsam sei, den Ergänzungsspielern spezielle Aufgaben zuzuweisen und insgesamt gleich viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Bundestrainer Löw ist diesbezüglich bislang geschickt und bemüht sich merklich, bei jeder passenden Gelegenheit die Bedeutung aller seiner Spieler in Taten oder in Worten zu betonen. Schließlich kann ihre Zeit während der WM noch kommen, sofern es für die Mannschaft weit genug geht.

Literaturverzeichnis:

Alfermann, D., & Stoll, O. (2010). Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Meyer & Meyer Verlag.

Rheinberg, F., & Vollmeyer, R. (2012). Motivation. Verlag W. Kohlhammer.      

 

 

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