Zweifache U23-Weltmeisterin und vierfache Junioren-Europameisterin im Cross Country. Sina Frei hat in ihrer noch jungen Karriere bereits viel gewonnen. Dass sie das Zeug hat, auch auf dem Elite-Level gross rauszukommen, steht ausser Frage. Auf dem Weg dahin lässt sich Sina Frei von Cristina Baldasarre von Die Sportpsychologen (Link) begleiten. Hier berichten beide von ihrer Zusammenarbeit, die leider auch im Mountainbike-Bereich noch nicht an der Tagesordnung ist.
Zum Thema: Mountainbike-U23-Weltmeisterin Sina Frei über die Sportpsychologie
Die Mountainbikerin Sina Frei ist erfolgreich unterwegs. Gleich zweimal, 2017 und 2019, holte sie sich den Titel als U23 Weltmeisterin. Vorher gewann sie bereits zahlreiche andere Titel, so wurde sie zum Beispiel im Cross Country 2016-2019 viermal in Folge Junioren-Europameisterin. Seit der vergangenen Saison starte Sina Frei auch bei einzelnen Eliterennen, um in der höchsten Kategorie erste Erfahrungen zu sammeln und so sinnvollerweise den Übergang zu erleichtern. Die sehr begabte und erfolgreiche Athletin weiss um ihre Talente, erkennt gleichzeitig auch die grösseren mentalen Herausforderungen, die sich ihr stellen. Die Zusammenarbeit mit mir suchte sie, um besonders drei mentale Aspekte immer wieder zu diskutieren. Schön finde ich dabei ihre Erkenntnis, dass die Sportpsychologie sinnvollerweise prophylaktisch zur Unterstützung und Leistungserhaltung hinzugezogen wird und nicht erst, wenn eine Krise in vollem Gang ist. So erstreckt sich unsere Arbeit entlang ihrem saisonalen Trainingsplan. Und der Aspekt der Begleitung über die Karriere hinweg, rückt hier somit in den Fokus. Ich würde mir noch mehr solcher Athleten wünschen, die auf eine ganzheitliche Leistungsentwicklung bedacht sind, und den mentalen Aspekt als Selbstverständlichkeit ansehen. Sina Frei ist ein schönes Beispiel dafür, wie im Nachwuchsleistungssport der Grundstein für mentale Stärke gelegt werden kann.
Schwerpunktmässig drehen sich viele Gespräche um die folgenden Themen:
- Umgang mit dem Erwartungsdruck, wenn man so erfolgreich ist – da braucht es eine stetige Auseinandersetzung mir inneren und äusseren Ansprüchen.
- Die Vorbereitung und Begleitung von Kategorienwechsel. Nach Wylleman & Rosier stellen diese stets kritische Momente dar, die besondere mentale Aufmerksamkeit erfordern.
- Der erfolgreiche Umgang mit dem Druck und Medienrummel beim Start an heimischen Weltcup-Rennen wie z.B. in der Lenzerheide.
Lesen Sie selber ihr persönliches Protokoll zu mentaler Stärke:
“Ich wusste, ich will das unbedingt”
Es war ein sehr strenges Rennen 2019 am World Cup in Les Gets FR. Der Trail bot kaum Möglichkeiten, sich ein wenig zu erholen. Man musste ständig hoch konzentriert fahren und die volle Leistung bringen. Ich lag an fünfter Stelle und stellte fest, dass ich im Aufstieg immer etwas hinter die Französin Pauline Ferrand-Prévot zurückfiel. Doch in der Abfahrt konnte ich den Abstand stets wieder verkleinern. Ich setzte mir zum Ziel, Pauline zu überholen. Klar war, dass ich im Schlussspurt keine Chance hätte, weil sie im Sprint stärker ist. Also musste es in der letzten Runde passieren. Der Trail wurde nochmals eng, und ich war wirklich erschöpft. Meine Beine brannten. Aber im Kopf wusste ich: Ich will das unbedingt. Da habe ich noch mal all meine Kräfte zusammengenommen. Es hat sich gelohnt: Ich schaffte tatsächlich den vierten Platz, landete gleich hinter den drei absoluten Topfavoritinnen. Das war für mich ein grosser Erfolg.
Die Gedanken steuern
Im Spitzensport ist körperliche Fitness natürlich entscheidend. Doch mindestens so wichtig ist, was im Kopf abgeht. Man muss lernen, seine Gedanken richtig zu steuern. Oft kommt es mir so vor, als würden sich in meinem Gehirn ein Engelchen und ein Teufelchen streiten. Das Teufelchen sagt: ‹Deine Beine tun weh. Du bist müde. Du kannst nicht mehr. Die anderen sind schneller und geschickter als du. Du schaffst es sowieso nicht.› Dann muss ich versuchen, mehr auf das Engelchen zu hören. Es sagt: ‹Du bist fit und gut trainiert. In deinen Beinen ist noch Kraft. Gib nicht auf.› Häufig hilft es, auf etwas anderes zu fokussieren. Ich beginne zum Beispiel, die Tritte zu zählen. Das bringt mich wieder in meinen Rhythmus. Oder ich versuche, mir Erfolgsmomente in Erinnerung zu rufen. Zum Beispiel, welches Glücksgefühl es ist, wenn ich jemanden überhole. So gelingt es mir immer wieder, das Teufelchen zu besiegen und wieder in den Flow zu kommen.
Seit zwei Jahren bin ich Profisportlerin. Damit ist für mich ein grosser Traum in Erfüllung gegangen: Ich konnte meine Leidenschaft zum Beruf machen. Jede Woche trainiere ich etwa 20 Stunden – vor allem auf dem Velo, aber auch im Kraftraum. Im Winter bin ich oft in Trainingslagern in wärmeren Regionen. Dieses Jahr verbrachte ich wegen des Corona-Shutdowns mehr Zeit in der Schweiz. Zum Glück war das Wetter super. Ich war oft in der Ferienwohnung meiner Eltern in der Lenzerheide und habe völlig neue Trails entdeckt.
Um meine Denkstrategien zu optimieren, gehe ich regelmässig zu einer Mentaltrainerin. Da lerne ich immer neue Techniken kennen. Sie hat mir etwa einen Punkt am linken Zeigefinger gezeigt, wo ich bei Nervosität draufschlagen kann. Patentrezepte gibt es aber nicht, ich muss selber herausfinden, was funktioniert.
Vor Rennen die Zeit gut einteilen
Wichtig ist für mich, vor dem Rennen die Zeit gut einzuteilen. Etwa vier Stunden vorher esse ich meinen Reisporridge mit Datteln und Bananen. Dann gehe ich die Strecke im Kopf nochmals durch. Ich präge mir Steigungen und Abfahrten ein, Hindernisse sowie enge oder etwas breitere Stellen. Danach dehne ich die Muskeln und höre dazu meist Musik.
Cristina Baldasarre
Sportarten: Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Synchronschwimmen, Tanz, Unihockey, Fussball, Eishockey, Judo, Tennis, Bogenschiessen, Springreiten, Schiedsrichter und Trainer, Sporteltern
Kontakt:
+41 79 434 09 57
c.baldasarre@die-sportpsychologen.ch
Mehr Infos: Zur Profilseite, zum Kompetenzzentrum mind2win.ch
Das entspannt mich. Darauf packe ich langsam mein Rucksäckli mit den nötigen Kleidern und Getränken. Ins Teamzelt gehe ich erst kurz vor dem Start. Denn da ist die Stimmung oft etwas hektisch. Auf dem Wettkampfgelände warten Verwandte, Freunde, Sponsoren und Medienleute – und alle wollen etwas von mir: Hier eine Umarmung, dort ein Foto … Ich versuche, mich abzuschirmen und bei mir zu bleiben. Etwas Anspannung braucht es schon. Doch allzu viel Nervosität ist kontraproduktiv.
Eigentlich habe ich die letzten Wochen ziemlich genossen: Ich hatte mehr Zeit zum Trainieren und weniger Druck. Nun geht es aber bald wieder los. Mein nächstes wichtiges Rennen ist der Weltcup in der Lenzerheide, der wahrscheinlich anfangs September stattfindet. Da will ich mich in den ersten fünf klassieren. Nach der langen Pause wird es schwierig sein, die Gegnerinnen einzuschätzen. Da ist es besonders wichtig, dass ich mich gedanklich gut vorbereite und eine gute Portion Selbstvertrauen tanke.»
Hinweis: Das Protokoll ist im Juni 2020 in Migros-Magazin Impuls (Link) erschienen.
Fotos: privat, Sina Frei
Literatur:
Wylleman, P. & Rosier, N. Holistic perspective on the development of elite athlete,Sport and Exercise Psychology Research,269-288, 2016.
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