Kathrin Seufert: Ohne Zuschauer in den Wettkampfmodus?

Geisterspiele in der Bundesliga, Champions League und Europa League. Der Fußball leidet unter den gesundheitspolitischen Kriseninterventionen, die helfen sollen, die Verbreitung des neuartigen Coronavirus weitestgehend zu begrenzen. Aber was bedeutet die Maßnahme, in Stadien vorerst auf Zuschauer zu verzichten, für die Spieler? Rein sportlich betrachtet: Besteht die Gefahr, dass die Kicker nicht an ihre Leistungsgrenze kommen?

Zum Thema: Ohne den zwölften Mann – Tipps für Fußballer und Trainer vor Geisterspielen 

Eine Aussage von Ex-Fußballprofi und DAZN-Experte Ralph Gunesch trifft sicherlich einen wichtigen Punkt. Der frühere Profi von Borussia Dortmund und dem FC St.Pauli spricht davon, dass Spiele ohne Zuschauer schnell den Anschein eines Testspiels oder eines Vorbereitungsspieles im Trainingslager bekommen könnten, weil diese Spiele vor nur wenigen oder auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Für Gunesch sei es fraglich, ob für die Akteure auf dem Platz eine Pflichtspiel-Atmosphäre aufkomme. Nicht, dass die Vorbereitungsspiele nicht auch einen Wettkampf darstellen, aber so ein rheinisches oder das Ruhrpott-Derby haben da für die Spieler oftmals einen anderen Widerhall.

Zu beschreiben, wie sich ein Spieler in einem Spiel ohne Fans fühlt, ist sicherlich ultra individuell und  lässt sich vorab auch nicht einschätzen. Was klar sein dürfte, ist, dass eine Veränderung auffallen wird. Die gewohnten Rahmenbedingungen mit grölenden Fans schon bei der Platzbegehung sind verändert. Jetzt kommt es natürlich darauf an, diese für sich anzunehmen. Es ist eine Veränderung, die nicht beeinflussbar ist, also muss das „Beste draus gemacht werden“. Also ist das Ergebnis durchaus gestaltbar, wenn eine entsprechende Vorbereitung erfolgt.

Das klingt nun so einfach, ist es wahrscheinlich aber eher nicht…

Markus Gisdol, der Trainer des 1.FC Köln, hat spontan eine passende Maßnahme angeordnet. Statt auf dem Trainingsgelände des Vereins hat er das Abschlusstraining ins Rheinenergie Stadion verlegt und dort vor eben diesen leeren Rängen trainieren lassen. Das ist insofern interessant, als dass die Spieler erfahren können, was für Auswirkungen sie ganz individuell zu spüren bekommen, wenn es in einer großen Arena still um sie herum ist. 

Ein Beispiel für veränderte Rahmenbedingungen sind die Zurufe und die Kommunikation auf dem Spielfeld. Bleiben wir beim Beispiel des FC´s. Bei Heimspielen finden 50.000 Menschen Platz im Stadion. Die Kommunikation zwischen Trainer und Mannschaft und auch innerhalb der Mannschaft ist unter der Lautstärke der anwesenden Fans stark eingeschränkt. Anweisungen vom Trainer sind meist nur im „Stille Post“ System möglich. Das ändert sich nun. Direkte Absprachen mit Mitspielern und Zurufe des Trainers werden unmittelbar möglich, was aber natürlich nicht nur für die Mitspieler gilt. Doch auch der Gegner kann mithören. Die Geister die gerufen wurden, können also sogar antworten…. Zumal ein besonderer Aspekt hier mit hinein spielt: Seinen Trainer die volle Spielzeit mit Anweisungen hören zu können, lenkt die Aufmerksamkeit eines Spielers unter Umständen in eine falsche Richtung.

Der zwölfte Mann

Es fehlt also der berühmte „Zwölfte Mann“. Der Effekt dieses Faktors für die Spieler ist natürlich nicht nachweisbar. Eine Auswirkung kann der Support der Fans sicherlich darstellen. Denn immer wieder hören wir nach Spielen Aussagen wie diese: „Durch die Anfeuerung der Fans habe ich den Sprint noch mal angesetzt und mich überwunden, obwohl ich eigentlich völlig Ko war“. Dass heißt aus sportpsychologischer Sicht, dass motivational ein extrinsischer Faktor wegfällt. Bei dem einen ist dieser Faktor größer, bei dem anderen geringer. Aber der Wegfall sollte kompensiert werden. Hier ist es sinnvoll, eine intrinsische Motivation mit dem Spieler oder der Mannschaft zu erarbeiten, welches die Motivation hochhält und trotz fehlender Fans die Spannung für den Wettkampf und den Willen herauskitzelt. Neben der Motivation ist der „Zwölfte Mann“ ebenso Träger von Emotionen. Und Emotionen sind vielleicht ein noch viel entscheidende Faktor für die Leistung. Die Fans haben mit Emotionen Einfluss auf die Spieler, indem ihre Euphorie auf das Spielfeld und die Akteure darauf überschwappt. 

Eine weitere Möglichkeit ist es, die Rahmenbedingungen auszublenden. Ob vor 10.100 oder 60.000 Zuschauern, es bleibt das Spiel elf gegen elf, 90 Minuten, ein Ball und der Wille, diesen Ball öfter als der Gegner hinter die Torlinie zu bringen. Daran ändert sich auch dank oder wegen Corona nichts. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, kann helfen, diese Veränderung als nicht wichtig zu betrachten. 

Kathrin Seufert

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Kraft der Vorstellung

Ein Tipp an dieser Stelle: Sich die Umgebung so vorzustellen, wie sie einen in die optimale Wettkampfstimmung bringt und das zu visualisieren, kann eine einfache aber effektive Hilfestellung sein. Hierbei kann der Einsatz von kurzen Filmen im Kopf, emotionalen Bildern oder das Abspielen bestimmter Fanlieder unterstützend wirken. 

Und vielleicht hilft dem ein oder anderen die Ruhe um sich herum auch, um sich maximal auf seine Leistung zu fokussieren. Die Rufe der Fans, die Pfiffe, die Anfeuerung, all das sind ja auch mögliche Störfaktoren in der Aufmerksamkeit eines Spielers, die sich negativ auf die Leistung auswirken können, wenn Teile dieser Aufmerksamkeit Richtung Tribüne wandern, statt auf dem Rasen zu bleiben. 

Entscheidend ist der Umgang

Jetzt fragt man sich natürlich auch, ist es ein Vorteil für die angeschlagenen Teams, die sich aktuell im Tabellenkeller herumtreiben, wie unter anderem der SV Werder Bremen? Ohne Zuschauerdruck zu agieren oder ist es gerade für sie sogar ein Nachteil, da Ihnen die verbale Unterstützung fehlt. Am Ende wird es der Umgang jedes Einzelnen mit der ungewohnten Situation und dann die Übertragung der einzelnen Reaktion auf die Mannschaft sein, die zeigt, wer sich auf die Umstände einstellen kann und die Spiele gewinnen wird. 

Die Aufgabe für alle Beteiligten wird sein, eigene Ressourcen zu stärken, statt sich über andere Umstände zu ärgern, den Fokus bei sich zu behalten und nach den eigenen Bedürfnissen zu schauen, um diese bestmöglich zu bedienen. Das führt dann final auf Grund des Aktivierungsniveaus, welches in einem mittleren Bereich angesiedelt sein sollte, zur bestmöglichen Leistung. Ärger und Stress lassen dieses Niveau ansteigen und mindern daher auch die Leistungsfähigkeit. Und warum nicht mit etwas Humor und Lockerheit an das „Problem“ gehen und im Abschlusstraining sich Torjubel überlegen, die auch ohne tobende Meute im Hintergrund Spaß macht.

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