Dr. René Paasch: Das Erlernen von vorhersehbaren Elfmetern (Gedankenschnelligkeit im Fußball, Teil 2)

Im Fussball spielt die Antizipation eine wichtige Rolle. Beispielsweise ist die Zeit für einen Torwart, um einen Elfmeter zu halten, so  gering, dass er die Richtung des Balls schon im Ballkontakt vorhersehen muss. Deshalb hat sich die Forschung in den Sportspielen differenziert mit den entsprechenden Hinweisreizen von Torwarten beschäftigt. (vgl. Loffing,  Cañal-Bruland & Hagemann, 2014). In diesem Blogbeitrag möchte ich diesem Thema näher auf den Grund gehen und Ihnen Hinweise für eine verbesserte Antizipationsfähigkeit von Torhütern geben. 

Mehr zur Person: https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Zum Thema: Das Erlernen von antizipatorischen Fähigkeiten von Torhütern 

Wechseln wir aber zu Beginn erst einmal die Seiten – oder korrekter: Die Positionen. Denn um Ihnen das Thema Antizipation gut greifbar zu machen, möchte ich Ihnen einen perfekten Konter zeigen. Die Torhüter spielen zwar nur eine untergeordnete Rolle. Das Beispiel zeigt aber die umfangreichen kognitiven Leistungsfaktoren Antizipation, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Spielintelligenz, Kreativität sowie Gedächtnisprozesse, die für die erfolgreiche Lösung taktischer Situationen im Fußball verantwortlich sind (siehe Abb.1 ). Hierzu ein praktisches von der Fussball-Weltmeisterschaft 2018, Achtelfinale, Belgien vs. Japan  (siehe hier http://www.nov-muc.de/NOV_belgien_japan_3zu2_fifatv.mp4 oder in der Einbettung). Schauen Sie sich dieses Video mehrmals an und versuchen Sie, die Spielsituation nach den zentralen Leistungsfaktoren im Fussball zu beschreiben. Erst danach lesen sie bitte meine Anregungen dazu: 

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Quelle: YouTube
Abb. 1: Die zentralen kognitiven Leistungsfaktoren, die allen Handlungen im Fußball  zugrunde liegen (Memmert, 2013). 

Nach einem abgewehrten Eckball nehmen Courtios und De Bruyne die freien Räume wahr, erahnen somit eine Chance zum Gegenangriff. De Bruyne sprintet mit dem Ball los. Im Rahmen seines breiten Suchfensters passt er spielintelligent im richtigen Moment zum Außenbahnspieler Meunier. Dieser Pass ist vom Tempo und der Genauigkeit so genau, dass ihn Meunier direkt wieder ins Zentrum spielen kann. Dabei hat Meunier in seinem gedankenschnellen Arbeitsspeicher (Präfrontaler Cortex) abgelegt, dass im Strafraum zwei Mitspieler mitgelaufen sind. Lukaku lässt ihn einfallsreich durch, damit ihn Chadli unbedrängt im Strafraum ins Tor schieben kann. Diese Spielsituation der einzelnen psychologischen Prozesse folgt dabei einem zeitlichen Ablauf, wobei im realen Kontext nicht notwendigerweise alle Phasen bewusst durchlaufen werden müssen.

Das Torhüterverhalten beim Elfmeterschießen verbessern

Im deutschsprachigen Raum gibt es mittlerweile interessante Studien zum Thema Antiziaption im Sportspiel Fussball (Höner, 2005). Dabei ist auffällig, dass die meisten Forscher die Sicht des Torhüters wählten. Schultz, Daniel & Höner (2018) fanden heraus, dass die antizipationsrelevanten Regionen beim Schützen der Kopf, der Oberkörper, der Hüftbereich, das Standbein sowie das Schussbein sind. Schulz  (2014) hingegen stellte fest, dass erfahrene Torhüter vermehrt auf das Standbein des Spielers schauen, um ihre Vorhersage zu optimieren. Welche Anweisungen sind nun die vielversprechendsten, um das Erlernen von vorhersehbaren Fähigkeiten von Torhütern zu verbessern. Hier einige Anregungen für Sie: 

  • Ein flexibles, zufälliges und mit wenig Anregungen behaftetes Training kann von Vorteil sein (Memmert , 2009). Schaffen Sie daher Spielräume für Individualitäten und eigenständiges agieren und vergrößern Sie somit das Suchfenster der Torhüter.   
  • Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass eine sportartspezifische Antizipationsfähigkeit entwickelt werden kann, ohne dass eine direkte Verbindung zwischen Wahrnehmung und Motorik, im Sinne einer “sportartspezifischen Bewegungstechnik”, erforderlich ist (Williams, Ward, Smeeton & Allen, 2004). Dies ermöglicht ein Wahrnehmungstraining für verletzte und interessierte Keeper, die gern eigenständiges Training zu Hause durchführen möchten. 
  • Hagemann und Memmert (2006) zeigten darüber hinaus, dass  verbale Anweisungen und geeignete Aufgaben im Badminton innerhalb eines „echten“,  feldbasierten Trainingsprogramms die Antizipationsleistung ebenso verbesserten wie ein videobasiertes Laborprogramm. Dies wiederum wäre aus meiner Sicht ein interessanter Ansatz für das Torwarttraining im Fussball. 
  • Im Fussball kommen typische Trainings- und Wettkampfabläufe immer wieder vor, wie bspw. Flanken abfangen, Hechten, Aufschaufeln, Block stellen, Freistöße und Ecken. Diese Torwarttechniken können Sie durch mentales Training und den Einsatz von VR-Brillen verbessern. 

Hier finden Sie Anregungen dazu: 

Die oben genannten Stichpunkte und Blogbeiträge können verwendet werden, um Trainingsprogramme zu entwerfen, die zur Verbesserung der Antizipationsfähigkeiten von Torhütern führen. 

Fazit

Verschiedene Untersuchungen haben bestätigt, dass erfahrene Torhüter frühere und präzisere Vorhersagen durch die vorangegangene Bewegungsrichtung der Schützen beim Elfmeter treffen können. Nutzen Sie daher die oben genannten Anregungen zur Schulung von Antizipation. Sie dienen als geeignete Trainingsmöglichkeiten und werden in der Regel über Simulationen oder auf dem Trainingsplatz unterrichtet. 

Sie wollen Dr. René Paasch und viele andere Gesichter von Die Sportpsychologen persönlich kennenlernen? Dann kommen Sie Ende September nach Leipzig:

Mehr zum Thema:

Literatur 

Hagemann, N. & Memmert, D. (2006). Coaching anticipatory skill in badminton: Laboratory- versus field-based perceptual training? Journal of Human Movements Studies, 50, 381-398. 

Höner, O. (2005): Entscheidungshandeln im Sportspiel Fußball: eine Analyse im Lichte der  Rubikontheorie. Hofmann: Schorndorf. 

Loffing, F., Cañal-Bruland, R. & Hagemann, N. (2014): Antizipationstraining im Sport. In  K. Zentgraf & J. Munzert (Hrsg.). Kognitives Training im Sport (S. 137-161). Göttingen: Hogrefe Verlag. 

Memmert, D. (2013): Leistungsfaktoren im Sportspiel. In A. Güllich & M. Krüger (Hrsg.),  Sport – Das Lehrbuch für das Sportstudium (S. 561-562). Berlin: Springer Verlag. 

Memmert, D. (2009): Pay attention! A review of attentional expertise in sport. International Review of Sport & Exercise Psychology, 2, 119-138. 

Schultz, F. (2014): Antizipation von Fußballtorhütern – Untersuchung zur Konzeption  einer kognitiven Leistungsdiagnostik im Kontext der sportwissenschaftlichen Talentforschung. Hamburg: Dr. Kovac. 

Schultz, F., Daniel, J. & Höner, O. (2018): Antizipation von Fußballtorhütern. Konzeption  und Evaluation einer kognitiven Leistungsdiagnostik. Leistungssport, 48, 50-55. 

Williams, A. M., Ward, P., Smeeton, N. J. & Allen, D. (2004): Developing anticipation skills  in tennis using on-court instruction: Perception versus perception and action. Journal of Applied Sport Psychology, 16, 350-360. 

Florian Schult (2013): Antizipation von Fußballtorhütern. Untersuchung zur Konzeption einer kognitiven Leistungsdiagnostik im Kontext der sportwissenschaftlichen Talentforschung: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/48021/pdf/Dissertation_Florian_Schultz_finale_Version_09.07.13.pdf?sequence=1

Views: 2205

Prof. Dr. René Paasch
Prof. Dr. René Paaschhttp://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Sportarten: Fußball, Segeln, Schwimmen, Handball, Volleyball, Hockey, Eishockey, Tennis

Gelsenkirchen, Deutschland

+49 (0)177 465 84 19

E-Mail-Anfrage an r.paasch@die-sportpsychologen.de