Unsere Leistungsgesellschaft entwickelt sich unaufhaltsam und kaum steuerbar. Dass so eine unsichere Lebenssituation auch etwas mit den Menschen macht, ist deutlichst zu erkennen. Der Fußball hingegen bildet eine Art Parallelwelt, in der wir all diese Entwicklungen nachverfolgen können. Wo alles schneller gehen muss, nimmt natürlich auch die Geduld ab. Und der Fußball bedient sich derer. Bei sportlichem Misserfolg oder sogar als erfolgreicher Trainer – die Gefahr einer Kündigung war nie so präsent. “Holen wir halt einen neuen Trainer.” Oder um es mit den Worten von Robin Dutt zu sagen: „Du brauchst keinen Trainer mehr. Die Fußballbranche versteht nicht, was Trainer bedeutet.“ Oder Dieter Heckings angefasstes Resumée: „Was mit Trainern passiert, ist respektlos“. Und denken wir nicht zuletzt an die beeindruckenden Auftritte von Bayern-Trainer Niko Kovac. Wäre es da nicht an der Zeit, das komplexe menschliche Sein allumfassend zu betrachten und die Illusion der Schnelllebigkeit zu entschleunigen? In diesem Zusammenhang drängt sich die Moral und Ethik förmlich auf. Aus diesem Grund möchte ich mich in diesem Beitrag näher damit beschäftigen.
Zum Thema: Moral und Ethik im Fussball
Ethik und Moral. Beide Begriffe werden oft synonym verwendet. Dennoch definiert Moral und Ethik jeder anders, eine einheitlich festgelegte Norm gibt es hierzu nicht. Danach fasst Moral die Wertevorstellungen einer Gesellschaft oder eines Vereins zusammen und leitet daraus eine Art Verhaltenskodex für das Handeln ab. Moralische Grundsätze sollen das Verhalten in einer sozialen Gruppe regulieren und werden von ihr auch als bindend angesehen. Die Ethik wiederum steht über der Moral. Sie ist nicht an gesellschaftliche oder vereinspolitische gute Sitten gebunden, sondern gilt immer. Wer ethisch handelt, handelt nach Werten, die unabhängig sind von fremder Bestimmung. Es sind eher Normen der eigenen Lebensführung, die sich aus der Verantwortung gegenüber den Mitmenschen ableiten. Einfach zusammengefasst: „Wenn es Unrecht ist, tue es nicht, wenn es die Unwahrheit ist, sage es nicht.“
Es könnte alles so leicht sein, ist es aber nicht. Schon gar nicht im Leistungssport. Im Leistungssport Fussball lässt sich verstärkt ein Moralkodex entdecken, der eine einzige Regel enthält: „Verboten ist, was der Masse nicht gefällt.“ Es ist zwar meine tiefste Überzeugung, dass sich moralisches Handeln nachhaltig auszahlen muss. Gleichzeitig beobachte ich mit kritischen Augen wie es jeden Tag immer weniger eine Rolle spielt.
Beispiel Nachwuchsfußball
Wie im Nachwuchsfussball! Zehntausende Kinder in den Vereinen wollen Profi-Fußballer werden. Jeden Samstag im Stadion vor 40.000 Fans Fußball spielen. Damit sich dieser Wunsch erfüllt, werden schon achtjährige Jungs von Vereinen oder Spielerberatern gesichtet und verpflichtet. Und spätestens mit zwölf Jahren haben sie einen Vertrag in der Tasche, der haltlos ist und erst mit 18 Jahren in Kraft treten kann. Das traurige daran ist, dass die Eltern dabei mitspielen. Ist dieses Verhalten nicht moralisch bedenklich? Ist der Profit wichtiger als die Kindesentwicklung oder ist dies die notwendige Selektion?
Fünf Mal die Woche Training nach der Schule, zusätzlich Krafttraining und am Wochenende Spiele in näherer und entfernter Umgebung. Ostern, Feiertage oder auch Geburtstage spielen weniger eine Rolle, immer steht Fußball an erster Stelle. Freizeit? Fehlanzeige! Doch trotz aller Anstrengungen schaffen es nur 3% in den Profisport.
Weiteres dazu finden Sie:
Trainer als Opfer
Gehen wir einen Schritt weiter und richten den Blick auf die Fußball-Bundesliga. In der Hinrunde der Saison 2018/19 sah vieles danach aus, dass nur eine handvoll Trainerentlassungen stattfinden werden. Im Laufe der Rückrunde hat sich diese Vermutung relativiert. Es wurden zahlreiche Trainer entlassen oder mussten am Saisonende gehen. Wäre es da nicht an der Zeit, dem häufig vorherrschendem Glaube, dass einzig und allein die Trainer an Miseren Schuld sind, zu hinterfragen? Hinterfragen müssten sich alle, ganz besonders die Funktionäre. Trainer, die vor einigen Monaten die beste Wahl waren und nach kurzer Zeit wieder entlassen werden, sind Leitragende der Vereinsführung und der Scouting-Abteilung. Ob diese Einschätzung einen Weckruf im Fußballgeschäft bewirken kann, weiß ich nicht, doch wünschenswert wäre es. Denn statistische Auswertungen zeigen deutlich, dass der kurzfristige Trainerwechsel ohnehin keinen Effekt hat.
Mehr dazu finden Sie hier: https://www.die-sportpsychologen.de/2018/10/26/dr-rene-paasch-trainerentlassungen-im-fussball/
Werteverlust von Charakteren
Der Verein, die Werte von Trainern und Mannschaftskollegen, das Verhalten des Teammanagers und deren ganzes Zusammenspiel überträgt sich früher oder später auf den Charakter des Einzelnen. Und nicht immer zum Positiven. Frühzeitige Entlassungen, Unehrlichkeiten, Mannschaftskollegen spielen sich in den Vordergrund oder ignorieren den Mitspieler auf dem Platz. Oft zählen allein der Erfolg und der Marktwert, egal mit welchen Mitteln. Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Fussball ist meine große Leidenschaft, doch Zusehends verliert sich dieser in Unwahrheiten und fehlender Menschlichkeit. Ich bin davon überzeugt: Je stärker sich ein Mensch mit dem Fussball identifiziert und vorhandene Strukturen und Verhaltensweisen akzeptiert, desto schneller passt er sich den Gepflogenheiten des Leistungsfußball an. Um von Managern, Trainern und Mitspielern aufgestellt, respektiert und gemocht zu werden, überschreiten so manche mit der Zeit Grenzen, die für sie früher unpassierbar gewesen wären. Wie sagt der Volksmund: Geld verdirbt den Charakter. Das Fussballgeschäft kann das genauso – mitsamt der Vereinskultur.
Zuerst verändern sich oft nur die Gedanken, dann die Verhaltensweisen: Keine Planungssicherheit und kurzfristige Verträge, frühzeitige Entlassung trotz Erfolg, inoffizielle Treffen und Vertragsgespräche. Danach verrücken sich die Grenzen: Was die anderen Vereine okay finden, kann so schlecht nicht sein. Und je mehr mitmachen, desto mehr verschiebt sich die Verantwortung vom Einzelnen auf das Ganze. Am Ende gibt es nicht einmal mehr Ausreden, denn es zählt nur noch der Erfolg und Profit. Solchen Denk- und Verhaltensmustern dann wieder zu entkommen, das kostet Kraft, Entbehrungen und nicht selten sogar prägende Enttäuschungen, am Ende die Karriere. Dazu ein passendes Dilemma aus der Wirtschaft.
Moral Hazard Dilemma im Fussball?
Der Begriff „Moral Hazard Dilemma“ kommt aus dem Versicherungswesen und beschreibt ein moralisches Problem, welches im Sport immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wer davon befreit wird, die Folgen seines eigenen Handelns zu tragen und diese auf ein Kollektiv abwälzen kann (Trainer oder Verein), neigt eher zu unmoralischem Verhalten: Manager agieren risikoreicher, weil sie noch eine längere Vertragslaufzeit besitzen, Spieler im Abstiegskampf strengen sich weniger an, weil sie bereits einen neuen Verein haben, Trainer lassen Spieler aus persönlichen Gründen nicht spielen oder mit der Absicht, dass diese an Attraktivität für andere Vereine verlieren. Wer so handelt, sitzt bereits in einer moralischen Zwickmühle. Im Grunde wissen wir längst, dass das Verhalten nicht korrekt ist. Statt in die Lösung fließt unsere Energie aber in Ausreden und in ziemlich fadenscheinige Begründungen. Doch es gibt eine langfristige Lösung! Menschlichkeit im Fussball, der Nährboden für Wachstum und Verbundenheit:
Fazit
Ethik und Moral im Sport ist keine fremdbestimmte Du-sollst-Ethik. Sie ist in unserer Zeit nichts, was bloß von außen als Anforderung an uns herangetragen wird. Sie ist vielmehr das Fundament für Wachstum und bietet Orientierung im Fussball, die wir im Denken und Urteilen nutzen. Antoine de Saint-Exuperys hat dazu eine sehr treffende Aussage getroffen: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit zu erleichtern, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem endlosen weitem Meer.“
Auf dem Fussball übertragen: Schaffen Sie eine einzigartige Vereinskultur der Menschlichkeit und Individualisierung, gehen Sie gemeinsam ungewöhnliche Wege und schaffen Sie eine positive Fehlerkultur. Nur so können Menschen und echte Teams ihr vollständiges Potential entfalten.
Literatur
Hastedt, H.(1998): Der Wert des Einzelnen. Eine Verteidigung des Individualismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp
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