Mentale Fähigkeiten gehören mittlerweile aus meiner Sicht zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren im Fußball. Die sportpsychologische Forschung dazu ist noch vergleichsweise jung. Auf der Suche nach geeigneten Trainingsmitteln, bin ich auf den NeuroTracker gestoßen. Prof. Jocelyn Faubert und Lee Sidebottom von der Université de Montréal geben dazu einen wissenschaftlichen und praktischen Überblick, der unsere Dienstleistung noch greifbarer machen könnte.
Zum Thema: Neuronale Konditionierung im Fußball
Fußballer müssen eine große Mengen an Informationen unter hohen psychischen und physischen Druck verarbeiten können. Studien deuten darauf hin, dass kognitive Fähigkeiten ein ausschlaggebendes Merkmal für sportliche Spitzenleistung sind (Williams, Davids, Williams, 1999). Dies gilt besonders für Mannschaftssportarten. Hier treffen ein regelmäßiger Informationszufluss und bewegende Elemente (z. B. Spieler und Ball) auf Handlungsvorhersagen und Entscheidungen. Eine interessante Studie dazu von Vestberg und Team (2012) zufolge unterscheiden sich Leistungskicker deutlich in ihren Wahrnehmungsfähigkeiten und kognitiven Fähigkeiten von Amateurspielern. Zum Beispiel verwenden sie überdurchschnittliche visuelle Übersichtsstrategien, wenn sie die Aktionen eines Gegners auf der Grundlage deren Körpersprache vorhersagen (Williams, 2000). Trotz allem ist die Wissenschaft zur Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit durch kognitive Trainingsmethoden noch unzureichend erforscht. (Zentgraf, Heppe, Fleddermann, 2017). Ein Blick in den aktuellen Forschungsstand ist daher von Nöten.
Der NeuroTracker
Die NeuroTracker-Methode entstand aus jahrelanger neurowissenschaftlicher Forschung. Für seine Entwicklung gab es zwei Hauptziele. Das erste bestand darin, eine Möglichkeit zu finden, die geistigen Anforderungen von “aktiven Szenen” zu simulieren (komplexe Bilder, schnell bewegende und visuelle Stimulationen). Das zweite bestand darin, nur die grundlegenden Eigenschaften dynamischer Szenen zu isolieren. Das ist unerlässlich, um die Leistung zu messen und die kognitive Belastung präzise ändern zu können.
Um diese beiden Ziele zu erreichen, werden die folgenden Merkmale in einer einzigen Aufgabe zusammengefasst:
- Verfolgung mehrerer Objekte,
- realistische Aktivierung visueller Funktionen,
- weites Gesichtsfeld,
- Geschwindigkeitsschwellen
Die Anwendung
Die Kombination der vier Merkmale ergibt eine mögliche Anwendungsbox für das Training übergeordneter kognitiver Fähigkeiten mittels einer neutralen und abstrakten Aufgabe. Gleichzeitig soll die Konzentration und die Entscheidungsfindung trainiert werden. Eine NeuroTracker-Sitzung dauert etwa sechs Minuten. Dafür setzt man eine 3D-Brille auf und führt eine Serie von 20 Mini-Tests durch. Bei jedem Test wird die Konzentration auf rote Kugeln gerichtet, die sich unter anderen Kugeln bewegen. Dann identifiziert man die eingangs roten Kugeln per Mausklick oder durch die Eingabe von Zahlen über eine Tastatur. Wenn alle Kugeln korrekt zugeordnet sind, hat der nächste Test ein erhöhtes Bewegungstempo. Wenn ein Fehler gemacht wurde, wird das Programm langsamer. Diese Geschwindigkeiten werden während der gesamten Sitzung angepasst, um sich der individuellen “Geschwindigkeitsschwelle” eines jeden Benutzers anzunähern.
Hier ein praktisches Einführungsvideo:
Dazu empfehle ich noch einen Text aus dem Magazin WIRED
Obwohl die Aufgabe des NeuroTrackers einfach aussieht, beansprucht sie ein breites Spektrum kognitiver Fähigkeiten und verschiedener Formen der Aufmerksamkeit auf hohem Niveau. Diese Methode nutzen Profi-Teamsportler aus der amerikanischen NFL, NHL sowie der englische Fußballverein Manchester United seit 2009.
Forschungsergebnisse aus Spitzenteams
Es wurde festgestellt, dass erste Ergebnisse des NeuroTrackers mit der Leistung von NBA-Spielern in Zusammenhang stehen und die Spielstatistik auf dem Platz im Laufe einer Saison vorhersagen (Mangine, Hoffman, Wells, Gonzalez, Rogowski, Townsend, Fragala, 2014). Andere Studien zeigen, dass erste Ergebnisse auch Leistungskicker von Amateuren und Nicht-Sportlern unterscheiden (Faubert, 2013; Faubert, Sidebottom, 2012). Eine Reihe von NeuroTracker-Studien mit Sportlern und anderen Probanden zeigen, dass Personen, die mit dem NeuroTracker trainieren, ihre individuelle Geschwindigkeitsschwellen um 50% oder mehr steigern konnten (Faubert, Sidebottom, 2012).
In einer breit angelegten Studie von Faubert (2013) absolvierten 102 Leistungssportler aus Spitzenteams der NHL, EPL und European Rugby, 173 Amateure (NCAA) und 33 Universitätsstudenten (keine Sportler) 15 NeuroTracker-Sitzungen über mehrere Wochen. Obwohl die Leistungssportler mit höheren NeuroTracker-Ergebnissen begannen, lernten sie auch viel schneller als Amateursportler, die wiederum schneller lernten als die Universitätsstudenten. Die Daten zeigen, dass professionelle Sportler Executivfunktionen haben, die sich den Anforderungen des NeuroTrackers mit höherer Geschwindigkeit anpassen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass das NeuroTracker-Training die Frequenzen der Gehirnwellen in vielen Regionen des Gehirns positiv erhöhte. Diese anhaltenden Effekte stehen mit verbesserter Wachsamkeit und geistiger Konzentration sowie einer erhöhten Neuroplastizität (Parsons, Magill, Boucher, Zhang, Zogbo, Bérubé, Faubert, 2016).
Studie im Fußball
Fußballspieler auf College-Niveau wurden in 30 NeuroTracker-Sitzungen über fünf Wochen trainiert (Romeas, Guldner, Faubert, 2016) Die Leistung bei der Entscheidungsfindung jedes Spielers beim Passen wurde von den Trainern mittels Videoanalyse in einer Reihe von Wettkampfspielen analysiert. Eine aktive Gruppe (NeuroTracker-Training), eine Placebo-Gruppe (3D-Wiedergabe von Fußballvideos) und eine passive Kontrollgruppe (kein Training) wurden in die Studie einbezogen. Den Trainern war unbekannt, welche Fußballspieler in welche Gruppe zugeordnet wurden. Die Spieler führten auch subjektive Selbsteinschätzungen zu ihren Fähigkeiten bei der Entscheidungsfindung beim Passen durch.
Nach dem Training zeigten die Kontrollgruppen fast keine Veränderungen auf dem Feld. Im Gegensatz dazu hat die Experimentalgruppe, die mit dem NeuroTracker trainierte, eine Verbesserung ihrer Entscheidungsgenauigkeit beim Passen um 15%. Diese basierte auf durchschnittlich 15 Pässen, die jeder Spieler sowohl vor als auch nach den Bewertungen vollzog. Typischerweise stellte das eine Veränderung von 8 von 15 richtigen Passentscheidungen auf 10,8 von 15 dar. Diese Veränderung könnte auch als signifikante Verringerung von Entscheidungsfehlern oder suboptimalen Entscheidungen beim Passen interpretiert werden. Interessanterweise stimmen die Selbsteinschätzungen der Spieler mit den objektiven Trainerbewertungen weitgehend überein. Diese Studie hat erstmals gezeigt, dass perzeptuell-kognitives Training auf messbare Leistungssteigerungen auf dem Sportplatz übertragen werden kann. Allerdings ist weitere Forschung dafür notwendig.
Fazit
Der NeuroTracker kann Spitzensportler unterstützen, ihr Gehirn bezüglich der Neuroplastizität zu trainieren. Im Profi-Fussball, wo ein Vorsprung von 2% oder 3% heute eine Entscheidung herbeiführen kann, ist das ein außergewöhnliches Ergebnis. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Validierung zeigen die o.g. Studien, dass Fußballtrainern, die die geistigen Fähigkeiten ihrer Spieler verbessern wollen, diesbezüglich nur wenige Trainingsmittel zur Verfügung stehen. Um diesen Leistungsbereich im Fußball etablieren zu können, sind neurowissenschaftliche Trainingsmethoden notwendig sowie die entsprechende Transferleistung in den Fußball. Meine Kollegen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. René Paasch) bieten unsere Expertise an, so dass Vereine diesen neuen Trainingsbereich für sich nutzbar machen können.
Literatur
Faubert, J. (2013). Professional athletes have extraordinary skills for rapidly learning complex and neutral dynamic visual scenes. Scientific reports, 3, 1154.
Faubert, J., & Sidebottom, L. (2012). Perceptual-cognitive training of athletes. Journal of Clinical Sport Psychology, 6(1), 85-102.
Legault, I., & Faubert, J. (2012). Perceptual-cognitive training improves biological motion perception: evidence for transferability of training in healthy aging. Neuroreport, 23(8), 469-473.
Parsons, B., Magill, T., Boucher, A., Zhang, M., Zogbo, K., Bérubé, S., … & Faubert, J. (2016). Enhancing cognitive function using perceptual-cognitive training. Clinical EEG and neuroscience, 47(1), 37-47.
Romeas, T., Guldner, A., & Faubert, J. (2016). 3D-Multiple Object Tracking training task improves passing decision-making accuracy in soccer players. Psychology of Sport and Exercise, 22, 1-9.
Vestberg, T., Gustafson, R., Maurex, L., Ingvar, M., & Petrovic, P. (2012). Executive functions predict the success of top-soccer players. PloS one, 7(4), e34731.
Williams, M.A., Davids, K., & Williams, J. (Eds.). (1999). Visual perception and action in sport. London: Routledge.
Williams, A. M. (2000). Perceptual skill in soccer: Implications for talent identification and development. Journal of sports sciences, 18(9), 737-750.
Zentgraf, K., Heppe, H., Fleddermann, M. T. (2017). Training in interactive sports – A systematic review of practice and transfer effects of perceptual–cognitive training. German Journal of Exercise and Sport Research, Sportwissenschaft. ISSN 2509-3142.
Views: 1322