Der Unfalltod der beiden Basejumper Uli Emanuele und Alexander Polli schockt die Extremsportszene. Mitte August sind die beiden Stars, die weltweit für ihre waghalsigen Sprünge in einem so genanten Wingsuit bekannt waren, in zwei unabhängig voneinander geschehenen Unfällen tödlich verunglückt. Trotz dieser tragischen Ereignisse wird das vor Augen geführte Gefahrenpotenzial nicht an Reiz verlieren.
Zum Thema: Wieso sind Risikosportarten für manche so attraktiv?
Es gibt diejenigen Sportarten, bei denen das Risiko besteht, sich bei ihrer Ausübung zu verletzen. Mannschaftssportarten wie Fußball, Handball oder Rugby, bei denen ein direkter Kontakt zum Gegner besteht, sind dafür klassische Beispiele. Es gibt aber auch diejenigen Sportarten, bei denen der besondere Reiz darin liegt, dass gerade jederzeit etwas passieren könnte, wenn der Athlet die Aufgabe nicht korrekt meistert, wie zum Beispiel Klettern, Rennsport, Skifahren oder Gleitschirmfliegen. Dazu zählt auch das Basejumping. Natürlich versuchen die Aktiven in diesen Sportarten durch das Tragen von geeigneten Schutzausrüstungen das Risiko einer Verletzung zu vermeiden, doch die Gefahr schwingt immer mit.
Ein Ansatz zur Erklärung, wieso sich Personen freiwillig solchen Gefahren aussetzen, ist das Phänomen Sensation Seeking. Sensation Seeking wird als das Bedürfnis nach unterschiedlichen, neuartigen und Komplexen Sinneseindrücken definiert. Zum Erleben dieser Sinneseindrücke werden auch körperliche und soziale Risiken in Kauf genommen. Es handelt sich um ein zeitlich-stabiles Persönlichkeitsmerkmal, das seinen Ursprung in der Biologie des jeweiligen Menschen hat. Personen mit diesem Merkmal haben auf Nervenebene ein geringes Erregungsniveau. Sie versuchen, dies zu erhöhen, indem sie sich reizvollen Situationen aussetzen, um damit einen Wohlfühleffekt hervorzurufen. Bei hoher Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals Sensation Seeking setzt sich dieses häufig gegen die Vernunft durch – das Verhalten wird maßgeblich durch die Suche nach entsprechend reizvollen Situationen gesteuert.
Was für den Einzelnen als reizvoll gesehen wird, ist dabei ganz unterschiedlich. Eine Gruppe von Personen sorgt in ihrem Leben zum Beispiel durch Verreisen (experience seeking) für Abwechslung, für andere wiederum stellen soziale Situationen wie etwa exzessive Partybesuche einen Reiz dar (disinhibition seeking) und weitere Personen üben körperlich riskante Aktivitäten aus (thrill and adventure seeking). Eine weitere Komponente ist die Anfälligkeit für Langeweile. Routinehandlungen während der Arbeit oder in sozialen Situationen sind Menschen mit dieser Persönlichkeitseigenschaft ein Graus.
Rationale Erfahrung vs. Risikobedürfnis
Inwiefern Sie, Familienmitglieder oder Freunde von dem Phänomen “betroffen” sind, lässt sich über die Sensation Seeking Skala (SSS-IV; Zuckermann, 1971) bestimmen. Gern können Sie dazu zu mir Kontakt aufnehmen. Hinweis: Grundlegend lässt sich urteilen, dass das Phänomen in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet ist und sich nicht singulär zum Beispiel an Altersgruppen festmachen lässt. Das Phänomen findet sich auch in ganz unterschiedlichen Sportarten wieder, wie der Beitrag von Prof. Dr. Oliver Stoll zeigt:
Bei gefährlichem Sensation Seeking Verhalten im Privatleben, wie zum Beispiel als chronischer Raser auf der Autobahn, kann eine Verhaltenstherapie helfen, die der Person beibringt, den Impuls nach dem Kick zu unterdrücken. Im Leistungssport wird es wiederum etwas schwieriger, denn das Risikoverhalten ist häufig systemimmanent. Wer sich also nicht entsprechend verhält, wird auf Dauer keinen Erfolg haben. Deswegen ist eine entsprechende Verhaltenstherapie in solchen Fällen eher etwas für die Zeit nach der sportlichen Karriere.
Literatur:
Roth, M. & Hammelstein, P. (2003). Sensation Seeking – Konzeption, Diagnostik und Anwendung. Göttingen: Hogrefe-Verlag.
Zuckerman, M. (1971). Dimensions of Sensation Seeking. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 36, 45-52.
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