Philippe Müller hat die sportpsychologischen Grundlagen für die einzelnen Disziplinen der Sportart Orientierungslauf zusammengefasst. Hieraus wird deutlich, welche Bedeutung die optimale mentale Leistung auf das sportliche Gesamtergebnis, die Qualität der Vorbereitung und die Wettkampfnachbereitung haben kann.
Sprint
Die Sprintrennen dauern normalerweise zwischen zwölf und 15 Minuten. Sie sind gekennzeichnet durch die hohe Laufgeschwindigkeit. Dies führt mit sich, dass die Rennen in gut belaufbaren Geländen, vorzugsweise in Städten oder Parks, ausgetragen werden. Die Austragung des Sprintrennens in urbaner Umgebung bedeutet zudem, dass mehr Zuschauer anwesend sind.
Wettkampfstrategie
Da man bei jedem Blick auf die Karte Geschwindigkeit und somit Zeit einbüsst, ist das Kartenlesen auf ein Minimum zu beschränken. Deshalb ist es ratsam, in der Wettkampfstrategie zu definieren, wie viele Routen man ausarbeiten will. Die Spannbreite erstreckt sich dabei von der Wahl der ersten wahrgenommenen Route bis zum Ausfindigmachen mehrerer Alternativen. Zu beachten gilt, dass der Mehraufwand beim Kartenlesen durch die schnellere Strecke zumindest kompensiert, besser noch Zeit herausgeholt werden kann.
Routenwahl (Entscheidungsfindung)
Die Kartenschreiber versuchen oft, die Posten so zu legen, dass auf den ersten Blick möglichst mehrere Routen zur Auswahl stehen. Welcher Weg der Schnellste ist, zeigt sich meist erst nach dem Rennen in der Auswertung. Da sich die Wege zeitlich nicht viel nehmen, ist eine schnelle Entscheidungsfindung notwendig, denn Zeit kann nicht nur beim Laufen, sondern auch bei unnötig langem Kartenlesen verloren werden. Um die Entscheidungsfindung effizient zu halten, ist es hilfreich, sich im Vorfeld mit der Umgebung auseinanderzusetzen. Dabei können charakteristische Merkmale des Terrains identifiziert werden, welche während des Rennens helfen, die relevanten Zeichen auf der Karte schneller zu erkennen.
Selbstregulationsmechanismen
Zuschauer haben eine anspornende und motivierende Wirkung auf die Sportlerinnen und Sportler. Die hohe Anzahl der Beobachter bei den Sprintrennen, welche bei Rennen im Wald nicht zugange sind, können einem somit regelrecht beflügeln. Es gilt trotzdem, sich davon nicht ablenken zu lassen, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Routen sauber zu planen, sowie die Kräfte optimal einzusetzen.
Bei den längeren Distanzen mag es verziehen werden, wenn man erst nach den ersten Posten richtig im Wettkampf ankommt. Im Sprint ist es von grosser Wichtigkeit, von Anfang an bei der Sache zu sein. Denn es gilt: Achtung, fertig, los!
Mitteldistanz
Bei der Ausarbeitung der Strecken für die Mitteldistanz wird darauf geachtet, dass die Siegerzeit zwischen 30 und 35 Minuten erzielt wird. Somit dauert die Mitteldistanz etwa doppelt so lange wie der Sprint. Die physische und psychische Ausdauer gewinnt daher zunehmend an Bedeutung. Zudem wird ein Augenmerk auf die orientierungsfeintechnischen Komponenten gesetzt. Die Karten sind dadurch sehr genau und detailreich. Es ist eine präzise Planung – gepaart mit einer hohen Geschwindigkeit – gefragt.
Wettkampfstrategie
Vor den Wettkämpfen dürfen die Athletinnen und Athleten das Gebiet rund um die Austragungsorte nicht betreten. Dennoch gibt es viele Möglichkeiten, an Informationen heranzukommen. Zu einer seriösen Vorbereitung zählt deshalb auch das Studium alter Karten. Mit den gewonnenen Informationen können mögliche Szenarien erarbeitet werden. Beispielsweise, wie das Gelände in etwa und eine dazu passende Wettkampfstrategie aussehen könnte. Obwohl eine hohe Laufgeschwindigkeit erzielt werden sollte, darf das Planen und Orientieren nicht vernachlässigt werden. Das Laufkonzept muss deshalb genügend Raum für die Planung beinhalten und auch die Zeitpunkte für diese festhalten. So sollte bereits vor dem Erreichen des nächsten Postens, die Route für den darauffolgenden Kontrollpunkt geplant sein, damit die Richtung beim Weglaufen vom Checkpunkt stimmt.
Routenwahl (Entscheidungsfindung)
Da die Karten detailreich sind, ist eine saubere Planung notwendig. Dazu zählen nebst den Informationen auf den Karten auch die Hinweise des Postenbeschriebs. Während beim Sprint jede Sekunde beim Planen zählt, sollte bei der Mitteldistanz etwas mehr Zeit investiert werden. Mit dem Ausarbeiten von mindestens zwei Routen kann ein Übersehen relevanter Informationen umgangen werden. Die Wahrscheinlichkeit, die schnellste Route zu finden, wird dadurch erhöht. Ausserdem sind die Übergänge zwischen den Planungsphasen und deren Bestimmung wichtig. Diese beinhalten zum Beispiel, dass eine Route bis zum Bereich um den Kontrollpunkt geplant wird und anschliessend kurz davor nochmals eine Feinplanung stattfindet. Somit kann auf geraden Strecken das Tempo forciert werden, ohne den nächsten Kontrollpunkt zu verpassen.
Selbstregulationsmechanismen
Das Startintervall bei Mitteldistanzrennen beträgt normalerweise zwei Minuten. Dies hat zur Folge, dass es bei schwierigem Gelände zu Gruppenbildung kommen kann. Das mentale Verarbeiten des Eingeholtwerdens benötigt viel Energie. Zum einen müssen die negativen Emotionen, meist Ärger, unter Kontrolle gebracht werden. Zum anderen kreisen viele Fragen durch den Kopf: Wo habe ich so viel Zeit verloren? Warum wurde ich eingeholt? Soll ich jetzt der Person nachlaufen, oder selber weiterplanen? Das Ziel in solchen Situationen ist, die Gedanken zu sammeln und den Fokus wieder auf das eigene OL-Konzept zu lenken.
Langdistanz
Die Langdistanzrennen dauern normalerweise zwischen 70 und 80 Minuten bei den Frauen und 90 bis 100 Minuten bei den Männern. Die konditionelle Komponente verlagert sich somit zunehmend in den aeroben Bereich. Eine gute Ausdauer ist deshalb nicht nur in den Beinen, sondern auch im Kopf gefragt.
Wettkampfstrategie
Damit auch zum Schluss noch genügend Energie zur Verfügung steht, müssen die verfügbaren Kräfte sinnvoll geplant und eingesetzt werden. Auch mit den mentalen Ressourcen muss sparsam umgegangen werden. Die Wettkampfstrategie sollte deshalb definieren, ob man zum Beispiel schnell oder eher konservativ starten will. Desweiteren kann definiert werden, welche geländespezifischen Strukturen man bevorzugen oder vermeiden möchte.
Routenwahl (Entscheidungsfindung)
Mit einer sauberen Routenplanung kann einiges herausgeholt werden. Dabei müssen nicht immer die direktesten Routen auch die schnellsten sein. Manchmal lohnt es sich, die zusätzlichen Meter in Kauf zu nehmen, wenn dadurch Zeit und Kraft eingespart werden können. Dafür werden die in der Wettkampfstrategie definierten geländespezifischen Strukturen in die Routenplanung einbezogen.
Auf längeren Abschnitten ist die Versuchung gross, zu oft einen Blick in die Karte zu werfen. Dies kostet einerseits unnötig Zeit und anderseits auch unnötigen mentalen Kraftaufwand. Bei der Routenwahl ist es deshalb auch wichtig, den nächsten Punkt fürs Kartenlesen zu definieren. Dieser Punkt ist meistens kurz vor einem Übergang von einer groben zu einer feinen Planungsphase. Eine Route zum nächsten Posten wird deshalb in mehrere Teilstrecken aufgeteilt. Dies hat ebenfalls den Vorteil, dass auch unmittelbare umgebungsspezifische Informationen in die weitere Routenwahl einbezogen werden können.
Selbstregulationsmechanismen
Da die Distanzen zwischen den Posten grösser sind, gibt es oftmals längere Abschnitte, bei denen man einer Leitlinie, z.B. einem Weg folgt. Diese sind technisch wenig anspruchsvoll und bieten deshalb viel Raum zum Denken. Gerade wenn die Kraftreserven schwinden oder vermeintliche Fehler begangen wurden, kommen häufig negative Gedanken auf. Auch das Gefühl, dass jemand im Nacken sitzt und man jeden Moment eingeholt werden könnte, kann aufkommen. In solchen Situationen gilt es möglichst rasch die Oberhand über die Gedanken zurückzugewinnen und eine Negativspirale zu verhindern. Dabei helfen positive Selbstgespräche oder auch die Aufmerksamkeitslenkung zurück zur Karte.
Kontakt zu Philippe Müller:
Ich würde mich freuen, wenn meine Kollegen (Übersicht aller Profilinhaber) und ich (zum Profil von Philippe Müller) eure Fragen zur sportpsychologischen Betreuung im Orientierungslauf beantworten kann:
https://www.die-sportpsychologen.de/philippe-mueller/
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