Vier Jahre Vorbereitung und dann das: ein einziger Fehler und man fällt vom Turngerät. Dieses Szenario gibt es bei den Olympischen Spielen im Kunstturnen immer wieder zu sehen. Verblüffend sind oft die Reaktionen, die darauf folgen. Während in anderen Sportarten dem Ärger freien Lauf gelassen wird – z.B im Tennis beim Zerschmettern des Schlägers – verziehen die Turnerinnen und Turner meist kaum eine Miene. Welche Bewältigungsstrategien sind in diesem Fall angebracht, um zurück aufs Gerät zu steigen und den Wettkampf zu beenden?
Zum Thema: Wie kann Ärger bewältigt werden?
Welche Strategie der Ärgerbewältigung ist nun besser – die aufbrausende nach aussen oder die stille nach innen gerichtete? Die Form der Ärgerbewältigung, bei der den Emotionen freien Lauf gelassen wird, wird auch als Anger out bezeichnet. Diese Form des Ausdrucks kann kurzfristig helfen, den Ärger zu bewältigen, wird in gewissen Situationen aber auch von den Schiedsrichter sanktioniert und mit einer Strafe belegt. Deshalb ist diese Form in vielen Sportarten eher schädlich als förderlich. Wird der Ärger nicht nach aussen getragen, dann wird auch vom Anger in gesprochen. Obwohl bei dem in-sich-hineinfressen nach aussen nichts sichtbar wird, heisst dies keinesfalls, dass der Ärger erfolgreich bewältigt wurde. Es kann im Innern weiter brodeln. Die Gedanken drehen sich um die ärgerauslösende Situation. Die Folgen sind weitere Fehler.
Weder die eine noch die andere Bewältigungsstrategie ist längerfristig zielführend. Der richtige Umgang mit Ärger – Anger control – ist deshalb erstrebenswert und kann erlernt werden.
Ein Ärgerbewältigungstraining zielt darauf ab, ärgerauslösende Situationen zu identifizieren, die Ärgerreaktionen zu kontrollieren und somit die Stresstoleranz zu erhöhen. Drei grundlegende Phasen werden bei einem Training durchlaufen.
Informationsphase
Im ersten Schritt geht es um die Aufklärung der Mechanismen. Die Informationsphase dient dazu, das Entstehen und Erleben von ärgerauslösenden Situationen bewusst zu machen und Methoden zur Bewältigung zu erklären. Die ärgerlichen Situationen können dabei sehr vielseitig sein. Sei es etwas Offensichtliches, wie zum Beispiel ein Fehler, welcher zu einem Sturz führt. Aber auch subtilere Umstände können, je nach Stresstoleranz der Athletin oder des Athleten, zu Ärger führen. Sei es ein dummer Kommentar des Gegners, das lange Warten, weil sich die Punkterichter nicht einig sind oder eine strittige Entscheidung zur eigenen Ungunst.
Übungsphase
Wurden die stressauslösenden Situationen identifiziert, geht es im zweiten Schritt, der Übungsphase, um das Erlernen alternativer Ärgerbewältigungsstrategien. Ein adäquates Mittel ist dabei, mit Selbstanweisungen zu arbeiten. Dazu können sich ärgerauslösende Situationen vorgestellt oder per Video vorgespielt werden. Anstelle mit aggressiven Handlungen zu reagieren, sollen dabei alternative Selbstinstruktionen erarbeitet und angewandt werden. Eine mögliche Reaktion ist zum Beispiel: „Tief durchatmen, konzentrieren und dann ziehe ich meine Übung perfekt durch!“
Anwendungsphase
Im letzten Schritt, der Anwendungsphase, sollten die neu erlernten Strategien in der Praxis umgesetzt werden. Dabei eigenen sich Vorbereitungswettkämpfe oder auch Trainingssituationen, bei denen die ärgerauslösende Situation hervorgerufen werden kann. Um das gewünschte Verhalten schlussendlich auch im Wettkampf unter Stress zu zeigen, muss die neue Verhaltensweise hartnäckig und über eine längere Zeit trainiert werden. Es gelten dabei die gleichen Prinzipien wie im technischen Training. Denn ein neuer Sprung kann auch nicht an einem Tag gelernt werden.
Nebst den eigenen Strategien zur Ärgerbewältigung kann die Trainerin/der Trainer helfend in solchen Situationen eingreifen. Gerade bei grossen und wichtigen Anlässen, wie den Olympischen Spielen, kochen die Emotionen gerne einmal über. In solchen Fällen ist es umso wichtiger, dass die Trainerin/der Trainer der Athletin/dem Athleten gut zuredet, sie/ihn positiv unterstützt und motivierend auf die nächste Aufgabe vorbereitet.
Views: 464