Fußball-Nationalspieler Antonio Rüdiger ist mehrmals Opfer rassistischer Beleidigungen geworden. Im Umfeld des Confed Cups spricht er sehr offen darüber. Rüdiger: „Der Schiri sollte den Stadionsprecher darauf ansprechen, dass das passiert. Dann ist eine Verwarnung angemessen. Und wenn es danach immer noch nicht eingehalten wird, finde ich es gut, wenn ein Spiel abgebrochen wird“. Dass wäre das eine – aber wie können Spieler lernen, mit Schmähungen, Beleidigungen bis hin zu Hass umzugehen?
Zum Thema: Wie gehe ich mit rassistischen Beleidigungen um?
Spieler können Sie sich gegen Diffamierungen schützen. Ein Schlüssel ist die Art und Weise, wie Sportler Informationen wahrnehmen, interpretieren und bewerten. Dies beeinflusst ihre Gefühle und ihr Handeln. Kognitive Prozesse umfassen Erinnerung, Lernen, Planen, Organisieren, Imagination, Hypothesen, Antizipationen und Grundhaltungen. Sie können bewusst oder unbewusst ablaufen. Wie sie verlaufen, ist von der persönlichen Konstitution und den Erfahrungen geprägt. Viele Sportler lernen fälschlicherweise schon sehr früh, negative Filter, zum Beispiel bei Konflikten oder schlechten Spielen, anzuwenden und dabei das Positive auszublenden. Ein großer Teil dieser gefilterten Wahrnehmungen vollzieht sich auf einer unbewussten Ebene in Form automatischer Gedanken. Sie können zu kognitiven Verzerrungen oder dysfunktionalen Überzeugungen führen. Hier setzt die kognitive Umstrukturierung ein. Sie zielt darauf ab, belastende Denkmuster aufzudecken und umzustrukturieren. Nur wenn sich der einzelne Sportler über seine Gedankenmuster und deren Auswirkungen bewusst ist, kann er gezielt entgegensteuern.
Das Selbstkonzept und die persönliche Welt des Sportlers werden als bedeutender Einflussfaktor auf sein Verstehen, Verhalten und seine Gefühlswelt verstanden. Die kognitive Umstrukturierung konzentriert sich dabei auf gegenwärtige Probleme und bietet problembezogene Lösungsansätze, wie beispielsweise die Rational-Emotive Therapie von Ellis. Im Mittelpunkt seines Ansatzes stehen Bewertungen und Bewertungsmuster, insbesondere die irrationalen Bewertungsmuster. Auf Ellis (1993) geht das ABC-Modell zurück:
A (Activating event/experiences) – auslösendes Ereignis, das ein äußeres Ereignis sein kann, wie die rassistischen Beleidigungen gegenüber Antonio Rüdiger
B (Beliefs) – Bewertung in Form eines irrationalen Denkmusters, „Meine Hautfarbe führt zu dauerhaften Beleidigungen in den Stadien.“
C (Consequences) – Konsequenz in Form negativer Gefühle, wie Trauer, Niedergeschlagenheit, Wut und schlechte Leistungen.
Die Bedeutung der Bewertung
Anschließend nutzen Sie die Erweiterung des ABC-Schemas, indem Sie die Bewertung als Zwischenschritt nutzen. Würde ein auslösendes Ereignis gleich zu Gefühlen und Verhalten führen, wären Einflussnahmen kaum möglich, da es sich um eine reflexartige Abfolge handeln würde. Der Einschub der Bewertung, die erst der Auslöser für die Emotionen und das Handeln ist, ermöglicht eine Einflussnahme auf die Bewertung. Sie kann aktiv verändert werden und so eine kognitive Umstrukturierung herbeiführen. Das ABC-Modell verläuft nicht nur linear, sondern in einer selbstverstärkenden Schleife. Angewandte Filter in der Bewertungsphase werden in folgenden ähnlichen Situationen wieder oder gar in verschärfter Form verwendet. Deshalb hat Ellis seinem Modell die Interventionspunkte D (Dispute) und E (Effect) hinzugefügt.
- D steht für das Hinterfragen der Bewertung und E für das Erleben neuer positiver Erfahrungen. Wenn sich der Sportler einer ungünstigen Bewertung (B) bewusst wird, kann er sie hinterfragen (D) und neue Erfahrungen (E) machen.
Als konkrete Methode wird der Sokratische Dialog genutzt. In einer offenen Gesprächsführung werden die Annahmen des Sportlers auf ihre Logik und ihren Realitätsbezug hinterfragt – mit dem Ziel, einen Perspektivwechsel und die Selbsterkenntnis des Sportlers zu fördern.
Fazit
Im Fußball gibt es die grundlegende Überzeugung, dass für Diskriminierung, Hass und Beleidigungen kein Platz ist. Die internationalen und nationalen Verbände kommunizieren dies gern kampagnenartig oder auch in konkreten Maßnahmen. Auf Ebene der Individuen, also der Spieler, Trainer und Funktionäre im Verein, muss anders agiert werden. Hier können nicht zuletzt Sportpsychologen helfen, denen Methoden wie unter anderem die Rational-Emotive Therapie nach Ellis vertraut sind, um speziell und zielgerichtet auf den Einzelfall zu reagieren. Wichtig ist, dass das Bewusstsein im Fußball wächst, dass auch diese ganz kleinen Schrauben gibt, an denen gedreht werden kann. Relevant sind solche Methoden ja nicht nur im Fall von rassistischen Beleidigungen, wie sie Antonio Rüdiger erlebt hat. Denken wir nur an seinen Nationalmannschaftskollegen Timo Werner von RB Leipzig, der nach seiner Schwalbe gegen Schalke 04 im vergangenen Jahr selbst im Trikot mit den vier Sternen kürzlich ausgepfiffen wurde.
Literatur
Achilles. /Pilz, G.A.: Zum Umgang mit rechten Tendenzen im Fußball-Fan-Umfeld von Hannover 96. Ergebnisse der Interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Bekämpfung rechter Umtriebe im Fußballbereich. In: Dembrowski, G./ Scheidle, J. (Hrsg.): Tatort Stadion . Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball. Köln 2002; 195-211
Ellis, A. (1993): Grundlagen der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie. Pfeiffer, München 1993.
Lamprecht, M., Stamm, H. (2002): Sport zwischen Kultur, Kult und Kommerz. Zürich, 2002
Räthzel, N. ( 2000) : Theorien über Rassismus. Hamburg – Berlin.
Özaydin, C. & Aumeier, H. (2008). Rechtsextremismus und Ausgrenzungserfahrungen aus der Sicht des Vereins Türkiyemspor Berlin e. V. In M. Glaser & G. Elverich (Hrsg.), Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Fußball. Erfahrungen und Perspektiven der Prävention (S. 110-123). Leipzig: Omniphon GmbH Leipzig.
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