Dr. René Paasch: Durchblick im Fußball

Fußballer/innen sind ständig vor Entscheidungen gestellt, die in einer kurzen Zeitspanne getroffen werden müssen und durchaus spielentscheidende Konsequenzen haben können. Das Verständnis der Abläufe von Entscheidungshandlungen im Fußball ist daher sehr wichtig. Ich nehme diesen Ball auf und erkläre anhand von Forschungsergebnissen, wie sich das synthetische und analytische Blickverhalten im Fußball verbessern lässt.

Zum Thema: Das Blickverhalten im Fußball verbessern!

Ergebnisse zum Entscheidungshandeln im Fußball bestehen gegenwärtig in der Analyse visueller Suchstrategien bei der Entscheidungsfindung. Als zentrale Punkte der visuellen Suchstrategie und der selektiven Aufmerksamkeit werden Blick- bzw. Augenbewegungen angesehen, die es dem Fußballer bzw. der Fußballerin ermöglichen, bedeutende Aspekte des visuellen Feldes in den Sichtbereich zu bringen. Aus diesen Untersuchungen sollen Hinweise für sportspielspezifisches Wahrnehmungstraining gewonnen werden (vgl. Williams, Grant, 1999).

Die Blickrichtung wird unterteilt in synthetisch und analytisch. Das „synthetische” Blickverhalten zeichnet sich dadurch aus, dass mit wenigen Fixationen relevante Bereiche des visuellen Feldes fixiert werden, von denen aus viele Informationen erfasst werden können (vgl. Abemethy, 1991). Hierbei werden auch periphere Informationen in die visuelle Informationsaufnahme eingebaut. Das „analytische” Blickverhalten zerlegt dagegen das visuelle Feld in Bereiche, die durch Fixationen erfasst werden. Studien haben gezeigt, das leistungsorientierte Spielerinnen bzw. Spieler, die auch in der Zeit und Richtigkeit der Entscheidung besser waren, ein „synthetisches” Blickverhalten einsetzen. Sie sollen auf Grund ihrer Erfahrungen in der Lage sein, die Informationen des visuellen Feldes zu lokalisieren und somit das weite Sehen besser nutzen. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass ein „analytisches” Blickverhalten mit vielen Blicksprüngen nicht ökonomisch sein kann.

Leistungskicker entscheiden sich schneller und qualitativ besser

Helsen/Pauwels (1993) untersuchten die visuellen Suchstrategien von 15 Experten und 15 Novizen beim Entscheidungshandeln im Fußball. Den Versuchspersonen wurden 30 offensive Spielszenen (z.B. 4:4, 5:5) und Standardsituationen auf einer 10m x 4m großen Leinwand dargestellt. In diesen Szenen spielten sich die Spieler zunächst den Ball zu, bis in die Richtung der Versuchsperson gespielt wurde. Dann wurde über den Film ein Signal gegeben, das die Versuchsperson aufforderte, ihre Entscheidung möglichst schnell durch Spielen eines Balles mitzuteilen. Als Entscheidungsalternativen stand das Dribbeln, der Torschuss oder das Zuspiel zum Mitspieler zur Verfügung. Neben der gewählten Entscheidungsalternative wurde die Zeit bis zur Auslösung der Bewegung, der Zeitpunkt der Ballberührung und die Zeit bis der Ball die Leinwand erreicht erhoben. Des Weiteren wurden die Blickbewegungen der Versuchspersonen mit einem Eye-Movement-Recorder erfasst. Die inhaltliche Auswertung ergab, dass die Leistungskicker sich schneller und qualitativ besser entschieden.

In einer weiteren Studie von Williams et al. (1999) wurde eine komplexere Spielsituationen (11:11) ausgewählt, die den Versuchspersonen auf einer 3m x 3m großen und 5m entfernten Leinwand vorgestellt wurden. Somit konnte das  gesamte Blickfeld der Versuchspersonen mit der Videoprojektion ausgefüllt werden. Die 26 Spielszenen wurden direkt aus professionellen und semi-professionellen Spielen aufgenommen. Die Kameraposition zur Aufnahme der Spielszenen war 15m hinter und 5m über dem Tor aufgebaut. Die Spielszenen dauerten mindestens 10 Sekunden. Der Spieler, dessen Pass von den Versuchspersonen im Experiment antizipiert werden sollte, wurde zur Verdeutlichung während der Videodarstellung eingerahmt. Die Versuchspersonen bekamen den Hinweis, bei Ballbesitz des eingerahmten Spielers so schnell wie möglich zu entscheiden, wo sie den Ball hinpassen würden. Es wurden hierzu zehn durchnummerierte Referenzfelder auf das Spielfeld eingezeichnet, so dass die Versuchspersonen die antizipierte Passrichtung nummeriert angeben konnten. Neben der Zeit und der Qualität der Entscheidung wurden die Blickbewegungsdaten erhoben. Die Auswertung der Antizipationsleistungen ergab, dass die Leistungskicker nachweislich schneller antizipierten, allerdings keine Unterschiede hinsichtlich der Richtigkeit der Antizipation gefunden werden konnte.

Profis schauen anders

Die Autoren konnten noch mehr nachweisen: So antizipierten die Leistungskicker gegenüber den Amateurkickern die Passrichtung bereits vor der Ballberührung durch den Passgeber, während die Amateurkicker erst nach der Ballberührung den weiteren Passweg voraus ahnten. Die Auswertung der Blickregistrierung ergab, dass die Amateure häufiger auf den Ball und den Passgeber schauten. Zudem lässt sich eine visuelle Suchstrategie der Leistungskicker daran erkennen, dass sie nicht nur mehr Orte fixierten, sondern auch eine höhere Suchrate mit mehreren Fixationen von kürzerer Dauer aufwiesen.

Das Hintergrundwissen zu den Entscheidungshandlungen eines Spielers bzw. Spielerin kann einen großen Einfluss auf die anstehenden Trainings- und Wettkampfmaßnahmen zur Behebung solcher Fehler besitzen. Insofern habe ich versucht, für die Praxis anwendbare Ableitungen zu treffen:

Praktische Empfehlung 

  • Hierzu könnten ganzheitliche spielorientierte Trainingsformen Anwendung finden, in denen der Spieler bzw. Spielerin in komplexen Spielformen (bspw. im Ballbesitz auf verschiedene Überzahl-Verhältnisse reagieren, und sich dabei mit Blick ins andere Feld zu orientieren, um einen hereinstartenden verteidigenden Spieler frühzeitig zu erkennen) eingebettete Entscheidungshandlungen zu bewältigen hat. Der Spieler bzw. Spielerin wird dadurch immer wieder mit dem Umschalten zwischen den kognitiven Orientierungen konfrontiert und kann dabei lernen, starre Verhaltensweisen zu lösen um somit die Handlungssteuerung zu optimieren.

 

  • Eine weitere Trainingsempfehlung in der das theoretische Wissen zum Einsatz kommen kann, ist z.B. Anlaufen des Stürmers zum Tor. In den 1:1-Situationen zwischen Angreifer und Torwart kommt es immer wieder dazu, dass der Torwart durch sein Verhalten den Angreifer verunsichert. Diese Verunsicherung ist von außen häufig über eine Verlangsamung des Dribblings beobachtbar. Nicht selten ist es dann der Fall, dass der Angreifer den Zeitpunkt zur Handlungsausführung verpasst und der Torwart dadurch rechtzeitig reagieren kann. Zur Vermeidung dieser Situation kann es sinnvoll sein, dass sich der Stürmer bzw. Stürmerin auf die 1:1- Situationen gegen den Torwart durch eine Vorsatzbildung mental Siehe dazu:

Dr. René Paasch: Mentales Training im Jugendfußball

Die Formulierung dieser Vorsätze ist nach den individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Spieler bzw. Spielerinnen auszurichten. So mag der/die Stürmer/Stürmerin den Vorsatz fassen „Wenn mir der Torwart entgegenkommt, täusche ich mit einer Finte nach außen an und gehe innen vorbei” oder ich konzentriere mich auf einen halbhohen präzisen Torschuss.

Fazit

Das Verständnis der Abläufe von Entscheidungshandlungen im Fußball kann zu einer neuen Sichtweise der Bewertung von Spielhandlungen führen. Somit ist es möglich, im Training und Wettkampf Anpassungen und Alternativen zu entwickeln.

 

  

Literatur

Abemethy, B. (1991): Anticipation in sport. A review: Physical Education Review. 10. 5-16

Helsen W., Pauwels J. (1993): A cognitive approach to visual search in sport. In Brogan, D. Visual Search. Vol. II. 379-388. Taylor & Francis. London

Williams, A., Grant, A. (1999): Training perceptual skill in sport. International Journal of Sport Psychology (30) 194-220

Williams A. et al., (1999): Visual Perception and Action in Sport . Spon. London

 

 

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Prof. Dr. René Paasch
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