Kurz vor Saisonende kann kein Trainer/in seine Spieler/innen mehr besser machen, er kann sie nur noch besser einstellen und Kräfte wecken, die noch nie da waren oder in der Winterpause in Vergessenheit gerieten. Jetzt aber gilt es, es geht um Bestehen. Ich nehme diesen Ball auf und zeige anhand von etablierten Methoden und Krisenintervention, wie Amateure und Profimannschaften mit dem Abstiegskampf umgehen können.
Zum Thema: Was tun im Abstiegskampf?
Sportpsychologie ist bei Erfolg genauso wichtig wie beim Abstiegskampf! Selbst wenn man erfolgreich ist, gibt es immer wieder Handlungsoptionen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit. Der Arbeitsaufwand ist deshalb auch dann im gleichen Maße gegeben. Ich begreife die Sportpsychologie als einen wichtigen Baustein im Sport. Er ist gleichzusetzen mit Bereichen wie Physiotherapie, Athletik-Training, Ernährungsberatung oder der Analyse- und Scoutingpraxis. Trotz allem, kann kein Spieler bzw. Spielerin die Angst in diesen besonderen Drucksituationen ganz ausklammern. Der Abstiegskampf ist eine bedrohliche Situation, da geht es um die wirtschaftliche Existenz des Vereins und die Zukunft der Spieler bzw. Spielerinnen. Die Fähigkeit ist, mit dieser Angst richtig umzugehen. Die Angst darf auf dem Platz dabei sein, doch sie darf nicht die Aufmerksamkeit der Spieler bzw. Spielerinnen binden. Aus der Zeit als Dieter Hecking mit Alemannia Aachen im Europapokal spielte, ist ein Zitat aus der Kabine für sich sprechend.
„Macht endlich Fehler, aber traut euch was. Ich bin euch nicht böse, wenn wir Fehler machen, aber ich will, dass wir mutig spielen.“ Dieter Hecking
Manchmal muss ein Trainer einfach etwas anders machen, um gewisse Muster zu durchbrechen. Um das Gefühl zu geben, es passiert etwas. Man braucht in schwierigen Situationen eine zielführende Führungsstruktur. Es muss geklärt sein, wer Verantwortung übernimmt. Ein wichtiger Faktor sind dabei die Führungsspieler bzw. Führungsspielerinnen. Näheres zum Thema Führungsspieler/innen:
Umgang mit Stress
Ein weiterer Faktor ist der Umgang mit dem Stress und was der Trainer bzw. die Trainerin zur Bewältigung im Abstiegskampf dazu beitragen kann. Als Trainer bzw. Trainerin ist es dabei besonders wichtig zu erkennen, welche Stressoren bei den Spielern bzw. Spielerinnen wirken. Die wichtigsten Hilfsmittel dabei sind die positive Bekräftigung, Hilfestellung, Vereinfachung und eine stressfreie und klare Kommunikation (Baumann, 2015; Boisen, 1975) sowie naive Bewältigungsstrategien, die den Stress mindern können (Alfermann & Stoll, 2007). Trotz allem ist es ganz besonders wichtig als Trainer und Mannschaft, den Abstiegskampf als Chance und nicht als Krise zu sehen und so zu behandeln.
Näheres zum Thema:
Umgang mit der Krise
Alltagssprachlich ist mit dem Wort „Krise“ eine gefährliche Entwicklung bzw. eine Entscheidungs- oder Ausnahmesituation gemeint, im sportlichen, gesellschaftlichen oder individuellen Kontext (Schnell & Wetzel 1999). Der chinesische Begriff für Krise setzt sich aus zwei Schriftzeichen zusammen, wobei eins dem Doppelzeichen für „Gefahr“ und das andere dem Doppelzeichen für „Chance“ entstammt. In vielen Kulturen wurde demnach auf die in der Krise potentiell vorhandenen „Veränderungsenergien“ hingewiesen. Insofern kann der Begriff Krise auch positiv besetzt sein, als „eine Herausforderung, deren erfolgreiche Bewältigung mit einem gestärkten Selbstbewusstsein verbunden ist“ (Burgess & Baldwin 1981). Prinzipiell sind an eine Krisenintervention folgende Anforderungen zu stellen (modifiziert auf die Sportpsychologie in Bezug auf den Abstiegskampf nach Berger & Riecher-Rössler, 2004):
- Schneller Beginn (Hier und Jetzt – jeder Moment zählt!)
- Zeitliche Begrenzung (Abstiegskampf oder saisonale Planung)
- Sicherheit für das Team und Umfeld gewährleisten (Schutz vor der Öffentlichkeit)
- Rasche physische, kognitive und emotionale Entlastung anstreben (Unterstützung Sportpsychologe bzw. Sportpsychologin)
- Sicheren Raum anbieten für den Ausdruck von Gefühlen (individuell/kollektiv)
- Aktive und (Methoden-) flexible Trainerhaltung (Aktives Zuhören bis Handeln)
- Transparentes, nachvollziehbares und eindeutiges Trainervorgehen mit klarer Kommunikation (Zweifache Verwendung des Wertequadrates: für ein Individuum und für ein System – Schulz von Thun)
- Beratungsfokus auf aktuelle Situation und/oder Auslöser (Unterstützung Sportpsychologe/in und Funktionsteam)
- Reaktivierung und Einbezug von Ressourcen (Kräfte bündeln und sich gegenseitig motivieren)
- Planung und Vereinbarung einer zukunftsträchtigen „Nachsorge“ (Umgang mit dem Abstiegskampf? Krisenmanagement fest etablieren und den Blick nach vorne richten)
Ein Kraftakt
Eine Krisenintervention im Abstiegskampf fokussiert somit den Trainer bzw. Trainerin und das Funktionsteam auf den akuten emotionalen und kognitiven Zustand des Sportlers bzw. der Sportlerin sowie die vorhandenen Ressourcen. Sie ist mit einem spezifischen, auf die unmittelbare Stabilisierung der Mannschaft ausgerichteten Vorgehen versehen. Die Mannschaft soll emotional entlastet und dessen Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit wiederhergestellt werden. Nach dem transaktionalem Modell von Lazarus (1966) erfordert dies von „Jedem“ letztendlich eine Neubewertung des Abstiegskampfes, bspw. „ist eine große Chance für uns; ist eine Herausforderung; …“, und/ oder eine optimistischere Einschätzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Bewältigung, bspw. „wir stehen das durch; wir sind nicht alleine“.
Dabei ist zu betonen, dass eine aktive Haltung des Trainers und Funktionsteams nicht mit einem Aufzwingen von Interventionen gleichzusetzen ist. Des Weiteren erfordert jede Krisenintervention vom Trainer bzw. Trainerin und Funktionsteam ein hohes Maß an „emotionale Gelassenheit und Stärke“, da er/sie unmittelbar mit starken Gefühlen und zum Teil mit schlechten Berichten des Teams und Medien konfrontiert wird, ohne dass er als Reaktion darauf die notwendige Distanz unter- noch überschreiten darf. Genauso wichtig ist es, die Krisen-bezogenen Kognitionen des Sportlers bzw. Sportlerin zu erfassen. Nach dem Grundsatz der Rational Emotiven Therapie nach Ellis (1977), werden emotionale und Verhaltens-Konsequenzen (C) eines Individuums nach dem „ABC-Modell“, nicht direkt durch auslösende äußere oder innere Ereignisse (A), sondern durch die Art der Bewertung (B) dieser Ereignisse hervorgebracht. Die Analyse der Gedanken und Bewertungen Ihrer Spieler und Spielerinnen gibt einerseits einen Hinweis auf innere Auslöser, darüber hinaus kommen dysfunktionale Gedanken und Bewertungen eine krisenaufrechterhaltende Bedeutung zu („Wir schaffen das nie; ich hab das in meiner Karriere noch nicht geschafft“; …). Es sollte daher primär entlastend und stützend interveniert werden. In diesem Fall sollten Sie sich mit einem Sportpsychologen/in kurzschließen, der diesen Prozess begleitet. Weitere interessante Artikel zum Thema Krise und Fokus auf das wesentliche finden Sie hier:
Fazit
Das Ziel des Krisenmanagements im Abstiegskampf ist es, auf diese möglichst gut vorbereitet zu sein, um sie zu managen. Ein wichtiger Bestandteil ist es deshalb, eine Strategie zu entwickeln, die auf Veränderungen flexibel reagieren kann. Um diese Strategie zu entwickeln, ist es notwendig, eine Bestandsaufnahme der gesamten Mannschaft zu machen, Gedankenkontrolle und Ressourcen durchzuführen und diese stetig zu dokumentieren. Krisenmanagement ist keine einmalige Angelegenheit, sondern ein Prozess, der beständig weiterentwickelt wird und sich verändernden Formen anpasst. Somit beginnt Krisenmanagement auch nicht erst, wenn der Abstiegskampf eingetreten ist. Denken Sie immer daran: „Selbst wenn man am Ende absteigen sollte, ist es kein Ende, sondern, wenn man den Abstiegskampf klug genutzt hat, vielleicht ein Anfang.”
Literatur
- Alfermann, D., & Stoll, O. (2007). Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen (2. Aufl). Sportwissenschaft studieren: Vol. 4. Aachen: Meyer & Meyer.
- Baumann, S. (2015). Psychologie im Sport: Psychische Belastungen meistern, mental trainieren, Konzentration und Motivation (6. Aufl). Aachen: Meyer & Meyer.
- Boisen, M. (1975). Angst im Sport: Der Einfluss von Angst auf das Bewegungsverhalten. Schriftenreihe des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Hamburg: Vol. 8. Giessen etc.: Achenbach.
- Burgess A.W., Baldwin, B.A. (1981): Crisis intervention theory and practice. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall
- Ellis, A. 1962 dt. (1977): Reason and emotion in psychotherapie. New York: Lyle Stuart
- Lazarus, R. S. (1966): Psychological stress and the coping process.New York: McGraw-Hill.
- Schnell, M. & Wetzel, H. (1999): Krisenintervention und –therapie. In: Asanger R & Wenninger G (Hrsg.) Handwörterbuch Psychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union, 371-376
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