Dr. René Paasch: Unter Stress Leistung bringen

Drei Spieltage vor Ende der Bundesliga-Saison haben fast alle Teams Stress. Leipzig, Dortmund und Hoffenheim streiten sich um zwei freie direkte Champions League-Startplätze. Zwischen Berlin und Frankfurt träumen sie von der Europa League. Und der ganze Rest kämpft gegen den Abstieg. Auch in anderen Ligen – bis hinunter in die Niederungen des Fußballs – kennen Mannschaften die besonderen kritischen Situationen am Saisonende. Hier geht es um Existenzen, da um Träume oder Alpträume. In dem nun folgenden Beitrag möchte ich Ihnen bewährte Methoden anbieten, die Ihren Spielern bzw. Spielerinnen im Umgang mit Stress behilflich sein können.

Zum Thema: Was kann der Trainer bzw. die Trainerin zur Bewältigung von Stress beitragen?

In der Theorie sind verschiedenste Definitionen von Stress zu finden. Sie werden mit Begriffen wie Beklemmung, Erregung, Überforderung und Kontrollverlust beschrieben (Baumann, 2015). Seit den 80er Jahren definieren Lazarus und Launier (1981) den Stressbegriff als Transaktion zwischen Umwelt und Person. Dabei stellt die subjektive Bewertung durch das Individuum den entscheidenden Faktor dar. Psychologischer Stress beruht demnach auf der Einschätzung eines betroffenen Individuums, ob der jeweilige „Spieler- bzw. Spielerin-Umwelt-Beziehung“ als herausfordernd, bedrohend oder schädigend einzustufen sind. Die kognitive Bewertung wird in zwei Fassetten unterteilt: Erstens die primäre Einschätzung (Was steht auf dem Spiel). Sie bedient sich überwiegend der Informationen aus der Umwelt (individuelle Forderungen). Und zweitens die sekundäre Ressourcenwahrnehmung, bei der die Strategien der Bewältigung überprüft werden. Sie stützt sich auf die Merkmale eines Spielers bzw. Spielerin (Selbstwirksamkeit). Schließlich erfolgt eine Neubewertung (primär & sekundär). Aus der Einschätzung ergeben sich dann verschiedene Bewältigungsstrategien, die auch als Coping bezeichnet werden. Die kognitive Bewertung wird somit zum zentralen Faktor von Stress.

Im Allgemeinen wird eine grobe Unterscheidung zwischen problemorientierten und emotionsorientierten Funktionen des Copings vorgenommen (Schwarzer, 1993). Bei problemorientiertem Coping zielt das Verhalten auf die Lösung des Problems, bei emotionsorientiertem Coping zielt das Verhalten auf die Linderung der Symptome. Von dieser Idee inspiriert, folgten nun systematische Studien (Stoll, 1995; Ziemainz, 1997). In den genannten Studien konnten leistungsförderliche und –mindernde Copingstrategien aufgedeckt werden. Als Trainer bzw. Trainerin ist es dabei wichtig zu erkennen, aus welchem Grund ein Spieler bzw. Spielerin Stress hat. Die wichtigsten Hilfsmittel sind die positive Bekräftigung, Hilfestellung, Vereinfachung und eine stressfreie und klare Kommunikation (Bandura, 2006; Baumann, 2015; Boisen, 1975) sowie naive Bewältigungsstrategien, die  den Stress mindern können (Alfermann & Stoll, 2007).

Der Umgang mit Stress – Naive Bewältigungsstrategien

Es ist davon auszugehen, dass negativer Stress im Wettkampf zu einer Leistungsminderung führt. Sie blockiert unsere Gedanken (Konzentration, verengte Wahrnehmung). Hier ein praktisches Beispiel „Elfmeter“ aus dem Fußball. Jeder kennt diese Situation: Es sind nur noch wenige Sekunden der Nachspielzeit (Pokal, Punktspiel o.ä.) und wir wissen, dass wir treffen müssen, um zu gewinnen. Foul im Strafraum, Elfmeter! Was passiert in unseren Gedanken? Werde ich den Strafstoß treffen? Ich habe in der letzten Woche nicht getroffen und bin mir heute nicht sicher, ob ich das kann. Was passiert eigentlich, wenn ich den Elfmeter verschieße? Was denken die Zuschauer, Spieler und Trainer von mir? Das innere Gespräch wird immer destruktiver und das ansonsten ausreichend große Tor wird immer kleiner. Der Spieler bzw. die Spielerin stellt die Leistung infrage. Aufgrund des unruhigen Zustandes, kommt es zu einem Verkrampfen der Muskulatur. Die Folge ist, der Elfmeter wird verschossen. Was können Sie tun, um den negativen Stress möglichst wirksam zu bewältigen. Hier können wir uns auf Ergebnisse nur sehr weniger Studien beziehen, die in der angewandten Sportpsychologie durchgeführt wurden. Aus diesem Grund, möchte ich Ihnen die naiven Bewältigungsstrategien Alfermann & Stoll (2007) anbieten. Die im Laufe der Zeit durch verschiedenste Erfahrungen gemacht wurden. Sie lassen sich in personenorientierte (Resillienz, Atementspannung, PMR oder Autogenes Training u.v.m.) und umweltorientierten (Aufsuchen einer beruhigen Atmosphäre unter Zuhilfenahme eines IPods) Bewältigungsstrategien unterteilen. Eine in der Praxis erprobte Überblicksdarstellung der kognitiven, naiven Bewältigungstechniken im Basketball nach Lau, Stoll, Wahnelt (2002) können auf den Fußball –nach individueller Anpassung- übertragen werden. Da dies jetzt zu weit führen würde, möchte ich Ihnen die positiven Selbstinstruktionen und kognitives Training, die sich in der Praxis bewährt haben, anbieten:

Prof. Dr. Oliver Stoll: Gute Selbstgespräche

Dr. René Paasch: Selbstgespräche machen Beine

Training zur Neu- und Umbewertung

Darüber hinaus möchte ich das Training zur Neu- und Umbewertung empfehlen. Das Ziel dieses Trainings liegt darin, durch Lernerfahrungen stressauslösende Situationen bewusst wahrzunehmen und diese angemessen einzusetzen. Sie können wie folgt vorgehen:

  1. Informationsphase (Stress und Ärger bewusst machen) Hilfsmittel: Video, Tagebücher.
  2. Übungsphase (Ärger- und Stressbewältigungsstrategien erlernen): Selbstinstruktionen – siehe o.g. Links und Visualisierungsübungen.
  3. Anwendungsphase (Fertigkeiten im Training trainieren). Mit diesen Phasen können Sie Ihren Ärger- und Stress erkennen, neubewerten und trainieren.

Ein Stressbewältigungstraining ist für alle Fußballer bzw. Fußballerinnen sinnvoll, die oft und schnell Stress erleben. Es kann daher nicht nur für Fußballer/innen sondern auch für Trainer und Eltern nützlich sein. Zusammengefasst bieten die naiven Bewältigungsstrategien einen innovativen Ansatz, um dem negativen Einfluss von Stress sportliche Leistung entgegenzuwirken. Durch den Einsatz gezielter Bewältigungsstrategien können gestresste Fußballer/innen in die Lage versetzt werden, auch in Wettkampfsituationen ihre Aufmerksamkeit auf das relevante Ziel zu richten.

 

Literatur

  1. Alfermann, D., & Stoll, O. (2007). Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen (2. Aufl). Sportwissenschaft studieren: Vol. 4. Aachen: Meyer & Meyer.
  2. Bandura, A. (2006). Psychological modeling: Conflicting theories. New Brunswick, N.J.: Aldine Transaction.
  3. Baumann, S. (2015). Psychologie im Sport: Psychische Belastungen meistern, mental trainieren, Konzentration und Motivation (6. Aufl). Aachen: Meyer & Meyer.
  4. Boisen, M. (1975). Angst im Sport: Der Einfluss von Angst auf das Bewegungsverhalten. Schriftenreihe des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Hamburg: Vol. 8. Giessen etc.: Achenbach.
  5. Lau. A.; Stoll, O.; Wahnelt, S. (2002): Mentales Training im Basketball. Butzbach: Afra
  6. Stoll, O. (1995): Stressbewältigung im Langenstreckenlauf. Bonn. Holos.
  7. Lazarus, R. S. & Launier, R. (1981). Streßbezogene Transaktionen zwischen Person und Umwelt. In J. R. Nitsch (Hrsg.), Streß. Theorien, Untersuchungen, Maßnahmen (S. 213–259). Bern: Huber.
  8. Schwarzer, R. (1993). Streß, Angst und Handlungsregulation (3. erw. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
  9. Ziemanz, H. (1999): Handlungskontrolle und Stressintervention im Triathlon. Aachen: Meyer & Meyer

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Prof. Dr. René Paasch
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