Ende Mai fand in Bern die 48. asp-Tagung, die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie in Deutschland, statt. Das reichbefrachtete Tagungsprogramm beinhaltete neben dem traditionellen Wissenschaftsteil eine breite Palette an Praxisworkshops. Als Programm-Verantwortlicher fiel mir vor allem etwas auf: die Workshops zogen ein sehr junges, der angewandten Sportpsychologie zugewandtes Publikum an! Wie schaffen diese Kolleginnen und Kollegen heute den Einstieg in eine beratende Tätigkeit? Welche Einstiegshilfen werden ihnen dabei angeboten? Von einem Beispiel aus eigener Praxis handelt dieser Beitrag.
Zum Thema: Sind die Zeiten des Kaltstarts vorbei?
In diesem Frühjahr erhielt ich Besuch einer Studentin aus Bern. Die Sportwissenschaftlerin Nicole Jänsch befragte mich im Rahmen ihrer qualitativen Studie zu meiner Karriereentwicklung als Sportpsychologe. Ich beschrieb u.a. meinen Einstieg in die angewandte Tätigkeit. Ich erinnerte mich noch gut an das erste Treffen mit „meinem“ ersten Athleten. Ich: völlig auf mich allein gestellt. Mein Gegenüber: ein Zehnkämpfer, Sportstudent an der ETH Zürich, der bei mir noch die Veranstaltung „Einführung in wissenschaftliches Arbeiten“ besuchen musste. Das war 1990 und ich erlebte einen veritablen Kaltstart. Nichts und niemand hatte mich auf diese Situation vorbereitet.
Seit damals hat sich die Situation der angewandten Sportpsychologie in der Schweiz markant entwickelt und verändert. 2009 beschrieb Seiler den weitgehenden Konsens in der Auffassung, „dass ein Markt besteht für gut ausgebildete und kompetente Sportpsychologen.“ Von einem positiven und starken Wachstum der angewandten Sportpsychologie im internationalen Kontext berichteten damals auch Wylleman et. al. (2009). In ihrem Bericht hoben sie den ausgeprägten Mangel an Wissen hinsichtlich der Karriereentwicklung von angewandt tätigen Sportpsychologen heraus. Insbesonere fehle es an spezifischen Erkenntnissen zum Einstieg in eine solche Berufskarriere. Die Einschätzung eines auch weiterhin „attraktiven Berufsfeldes“ teilen die Berner Kollegen um Studienleiter Marc Blaser (2016), monieren aber in ihrer Beurteilung, dass nur wenige den Grossteil ihrer Arbeitszeit in sportpsychologische Tätigkeit investieren. Entsprechend niedrig beziffert die Studie das daraus erwirtschaftete Einkommen. Jänsch (2017) zielt in ihrer Studie darauf ab, die kritischen Punkte in einer sportpsychologischen Karriereentwicklung näher zu beleuchten. Erklärtes Ziel ihrer Arbeit ist, AbsolventInnen, die gerne im Feld der angewandten Sportpsychologie Fuss fassen möchten, den Einstieg zu erleichtern. Eine möglichst effiziente Planung ihrer Karrieren soll dazu helfen.
Ein gezieltes Mentoring fehlt auch heute
Was mir persönlich damals wie heute fehlt: eine begleitete Einführung, ein eigentliches Mentoring in der ersten Phase des Einstiegs in die angewandte Arbeit junger Berufskollegen. Zu ihren Erfahrungen und Erkenntnissen im Rahmen eines begleitenden Coachings berichten in zwei Insiderberichten die Psychologiestudentin Luisa Koller und die Athletin Florence von Ziegler.
http://die-sportpsychologen.ch/2017/07/06/luisa-koller-wie-komme-ich-auf-die-richtigen-fragen/
Das Angebot startete Ende März und beinhaltete 10 Sitzungen sowie Trainings- und Wettkampfbegleitungen. Die inhaltlichen Schwerpunkte im Überblick:
- Anforderungsprofil und Voraussetzungen an den Sportpsychologen
- Erstkontakt und Erstgespräch
- Auftragsklärung
- Arbeitskonzeption
- Zielstellung und Zielvereinbarung
- Eingrenzung der Themen und erste Beratungsschritte
- Einbezug des Umfelds, geeignete Arbeitsmittel u.a.m.
- Standortbestimmung nach 3 Monate, Zwischenfazit und nächste Schritte
Am 3. Juli erfolgte eine Standortbestimmung, da mit diesem Tag auch das Praktikum von Luisa endete. Zu diesem Zweck habe ich Luisa und Florence je um eine Stellungnahme gebeten, die im ausdrücklichen Einverständnis mit ihnen als Insiderberichte publiziert werden.
Fazit: Aufwand, der sich für alle Beteiligten lohnt…
Mentor, Praktikantin und Sportlerin haben im Rahmen dieses Betreuungssettings grossen Aufwand betrieben: 10 Beratungstermine mit Vor- und Nachberatungsarbeiten, Trainings-und Wettkampfbesuche sowie die inhaltiche Vertiefung in die Beratungsthemen führen zu einer insgesamt hohen Arbeitsbelastung. Ein Praktikum in angewandter Sportpsychologie bietet hierfür den passenden Rahmen. Angesichts des erzielten Nutzens und der Erkenntnisgewinne darf aber von sehr gut investierter Zeit gesprochen werden!
Luisa betont in ihrem Insiderbericht eine abwechslungsreiche und fordernde Tätigkeit, geprägt von Einsichten und Inspiration. Florence scheint Gefallen an den vielfältigen Möglichkeiten der Selbstbeeinflussung gefunden zu haben. Sie setzt die erworbenen Tools und entwickelten Massnahmen eigenmotiviert und konsequent in Training und Wettkampf ein. Die Blockade ist kein Thema mehr, stattdessen stabilisiert sie ihre Wettkampfleistung zunehmen auf hohem Niveau und feiert schöne sportliche Erfolge. Die Aufgabe des Mentorings, die Unterstützung junger Berufskolleginnen und –kollegen, erlebe ich als eine bereichernde und dankbare Aufgabe! Sie bietet Gelegenheit zur Reflexion der eigenen Praxistätigkeit und öffnet den Horizont für neue, inspirierende Ideen!
…und ein Modell für die Zukunft?
Soll der Praxiseinstieg junger Psychologinnen und Psychologen in Zukunft erleichtert und unterstützt werden, lassen sich mindestens vier Aspekte in die Diskussion einbringen:
- Die jüngst erhobenen Daten zur Berufsfeldanalyse (Blaser et al. 2016) und zur Karrierentwicklung (Jänsch 2017) müssen auch im Hinblick auf notwendige Anpassungen hinsichtlich der Ausbildungsstrukturen und -inhalte der postgradualen Ausbildung (CAS Sportpsychologie) in der Schweiz analysiert werden.
- Die Schaffung zusätzlicher Praktikumsangebote an Ausbildungsinstitutionen (BASPO, Universitäten, etc.) ist zu prüfen.
- Die SASP als Berufsverband ist aufgerufen, vermehrt Informationen zur Karriereentwicklung ihrer Neu-Mitglieder zur Verfügung zu stellen. Spezifische Angebote zu Themen des Berufseinstiegs könnten hierfür besonders hilfreich sein.
- Neben Intervisions- und Supervisionsangeboten könnte auch ein Mentoring-Angebot den Praxiseinstieg erleichtern und gleichzeitig auch als effektive Massnahme zur Qualitätssicherung beitragen.
Literatur
Blaser, M., Stocker, E., Jänsch, N. & Seiler, R. (2016). Qualität im Berufsfeld Sportpsychologie in der Schweiz. Ergebnisse einer Online-Umfrage (Unveröffentlicht). In B. Strauss et al. (Eds.), Spitzensport und Sportpsychologie: Der Weg zu Olympia. 48. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp) vom 05.-07.05.2016 in Münster.
Jänsch, N., Seiler, R. & Hirschi, A. (2017). Karriereentwicklung von Schweizer SportpsychologInnen. In A. Conzelmann et. al. (Eds). Gelingende Entwicklung im Lebenslauf. 49. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp) vom 25.-27.05.2017 in Bern.
Seiler, R. (2009). Angewandte Sportpsychologie in der Schweiz: Ausbildungskonzeption und Berufsfeldperspektiven. Zeitschrift für Sportpsychologie, 16, 29-34.
http://econtent.hogrefe.com/doi/abs/10.1026/1612-5010.16.1.29
Wylleman, P., Harwood, C.G., Elbe, A.-M., Reints, A. & Caluwé, D. de (2009). A perspective on education and professional development in applied sport psychology, Psychology of Sport and Exercise 10 (2009) 435–446.
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