Wenn der erste Startschuss für den 100m Sprint im Olympiastadion João Havelange ertönt, steigt auch Deutschlands schnellster Mann Julian Reus (Samstag, 13. August, um 14:30 Uhr) in die Spiele ein. Der Spitzensprinter zeigte sich kurz vor Olympia in blendender Form und stellte bei der Generalprobe einen neuen deutschen Rekord auf. In 10,01 Sekunden ließ der 28 Jahre alte Sprinter seine Kontrahenten hinter sich und kommt der Schallmauer 10,0 Sekunden immer näher. Trotz dieses Rekords wird er angesichts der schier übermächtigen Rivalen um Bolt & Co. mit dem Ausgang um das Edelmetall nichts zu tun haben. Dies hinter ihn jedoch nicht daran, auch sportpsychologisch zu arbeiten, um seinem perfekten Rennen immer näher zu kommen, wie er kürzlich im Interview im aktuellen Sportstudio verrät.
Zum Thema: Umgang mit Störungen
Wenn der Sportler eine Handlung, optimal auf seinem höchsten Niveau durchführen soll, dann benötigt dieser 100% seiner Aufmerksamkeit für diese Ausführung. Gedanken an Vergangenes oder Zukünftiges können das Abrufen der „peak performance“ stören. Gedanken an einen möglichen Fehlstart – welcher gleichbedeutend mit der Disqualifikation wäre – oder aber das Wissen, dass viele der künftigen Finalteilnehmer bereits in der Vergangenheit aufgrund von Doping-Vergehen gesperrt waren, sind mögliche Gedankenszenarien. Vielen Sportlern fällt es im Training leichter, sich völlig auf das Handeln zu fokussieren. Wenn es aber drauf ankommt, werden vielen Sportler durch die geänderte Situation (z.B. Erwartungen, Medien, Konsequenzen, Zuschauer) von der Konzentration abgelenkt und beschäftigen sich mit dieser Situation (Mayer/Hermann, 2011). Fachpsychologisch spricht man in diesem Zusammenhang auch von der Lageorientierung (In welcher Situation befinde ich mich?), zu deren Gunsten die Handlungsorientierung (Was ist hier zu tun?) aufgegeben wird (Kuhl, 2001).
„Nicht erniedrigen lassen“ Julian Reus
Kein Platz für Überraschungen
Jedoch in der entscheidenden Phase des Wettkampfes darf die Bewegungsausführung nicht durch störende Gedanken wie beispielsweise negatives Konsequenzdenken beeinflusst werden. Wenn es darauf ankommt, sollte der Kopf die Handlung unterstützen und nicht stören (Eberspächer, 2001). Mittels sportpsychologischen Trainingsverfahren soll der Sportler in die Lage versetzt werden, sich in der jeweiligen Situation entsprechend regulieren zu können. Denn wie Reus selbst berichtet, gibt es Möglichkeiten, sich bereits im Vorfeld auf vermeintlich Überraschendes vorzubereiten. Eine Möglichkeit wäre die Entwicklung eines Aufmerksamkeitsreglations-Drehbuchs (siehe Kollege Dr. Rene Paasch: Taktikanpassungen vorbereiten). In Verbindung mit einer Aktivationsregulation mittels Atemtechnik und einer selbstwertdienlichen Selbstinstruktion (Selbstgespräche siehe Prof. Dr. Stoll: Macht der Selbstgespräche) stehen ihm hilfreiche „tools“ zur Verfügung.
Ein weiterer spannender und für mich persönlich mit entscheidender Punkt ist, dass sich Reus ein realistisches Ziel gesetzt und das Wissen verinnerlicht hat, weshalb er sich überhaupt tagtäglich quält – ganz ungeachtet der Gewissheit, dass die Chance äußerst gering sind. Julian Reus gibt darauf selbst die Antwort (Interview ab 8:56 min). Die Leidenschaft diesem Sport gegenüber und die persönliche Herausforderung wie schnell er laufen kann.
Belohnung abseits der Medaillenform
Lassen wir uns gemeinsam überraschen, ob er die für ihn passende Strategie gefunden hat, um sich nicht von der Rampensau Bolt und dessen „show“ aus dem Konzept bringen zu lassen. Ich jedenfalls wünsch Julian Reus viel Erfolg und würde mich freuen, wenn es ihm gelingt, sein „perfektes Rennen“ in Rio abzuliefern. Denn dies wäre sicherlich seine Belohnung/Auszeichnung, auch wenn diese nicht die Form einer Medaille besitzt.
Literatur:
Eberspächer, H. (2001). Mentales Training. Das Handbuch für Trainer und Sportler.
München: Copress.
Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit. Interaktionen psychischer Systeme.
Göttingen: Hogrefe.
Mayer, J./Hermann, H.D. (2010). Mentales Training. Grundlagen und Anwendung in Sport, Rehabilitation, Arbeit und Wirtschaft. Heidelberg: Springer Verlag.
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[…] die Leistung des Sprinters aus der Karibik. Der Umgang mit Störungen (siehe dazu auch Thorsten Loch: Julian Reus und das perfekte Rennen) oder Dingen abseits der eigentlichen Handlung (Laufen) scheinen ihn nicht in seiner Konzentration […]