Der Leistungssport ist ein faszinierendes Terrain, in dem Menschen zu Höchstleistungen auflaufen. Doch hinter den glänzenden Medaillen und Pokalen verbirgt sich eine komplexe Welt voller Emotionen, Herausforderungen und vor allem Erwartungen. Als Bundestrainer der American Football Frauennationalmannschaft und sportpsychologischer Experte habe ich das Privileg, diese Herausforderungen aus beiden Perspektiven zu betrachten. Dabei gleicht das Finden einer Klarheit in der eigenen Rolle einer Reise. Immer verfolgt von der Frage: Ist es nicht von Vorteil, wenn man beides kann? Fachliche Kompetenzen plus das Wissen über die psychologischen Prozesse sind nicht nur einzigartig, sondern ja quasi der heilige Gral! Aber ist das wirklich so?
Zum Thema: Die Rolle des Trainers – Zwischen Erwartungen, Kompetenzen und Grenzen
Die Rolle eines Trainers ist vielschichtig. Von der technischen Ausbildung über die psychologische Unterstützung bis hin zur strategischen Planung – Trainer:innen sind gefordert, mehrere Hüte gleichzeitig zu tragen. In dem Buch Sports coaching concepts: A framework for coaches‘ behaviour von Lyle (2005) über professionelle Trainerkompetenzen ist das Verständnis der verschiedenen Rollen entscheidend für die Entwicklung einer effektiven Trainingsstrategie. Ein Bundestrainer muss also nicht nur technische Aspekte vermitteln, bzw. sich in seinem eigenen Trainerstab auch mehr oder weniger inhaltlich zurechtfinden, sondern auch mentale Stärke fördern und dabei als Vorbild agieren. Das sind gewaltige Themengebiete für so wenig Zeit und alle Aufgaben sind immer mit dem Druck verbunden, dies zu einem sportlichen Erfolg zu führen.
In meinem ersten Jahr als Bundestrainer sah ich mich mit der Herausforderung konfrontiert, die Erwartungen der Spielerinnen, der Assistenztrainer:innen und des Verbands zu balancieren. Ich erlebte in meiner verantwortungsvollen Rolle, wie oftmals zahlreiche Aufgaben ankamen, hängen blieben und am Ende zur Klärung geführt werden mussten. Somit entstand die Wahrnehmung, alle Dinge klären zu müssen, auch jenseits der eigenen Aufgabenbeschreibung und Kompetenzen. Mein Learning: Die Kunst besteht vor allem darin, sich nicht in Themen zu verlieren, die nichts mit der Leistung auf dem Feld zu tun haben.
Die Bedeutung der Rolle eines Sportpsychologen: Der unsichtbare Unterstützer
Die Rolle der sportpsychologischen Betreuung ist für mich ebenso entscheidend wie die der Assiszenztrainer:innen. Mit dem Wissen, dass der Cheftrainer nicht nur das notwendige Wissen mitbringt, sondern dies auch als Teil der Philosophie des Coachings unterstützt und fördert, ist dabei auf der einen Seite sicher ein großer Pluspunkt bei einem offenen Umgang mit jeglichen belastenden Themen. Die sportpsychologischen Experten fungieren oft als der unsichtbare Unterstützer im Hintergrund, der den Athlet:innen hilft, mental stark zu bleiben. Ein für mich zentraler Aspekt der sportpsychologischen Theorie ist das Modell der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (2000), das besagt, dass ein hohes Maß an Autonomie und Unterstützung zu besserem sportlichen Engagement führt. Dabei gilt es, den Menschen in mehr als nur der Rolle der Sportlerin zu akzeptieren und deren Probleme und Nöte auch anzuerkennen. Ich habe mich sehr früh entschieden, hier zwei weitere Menschen mit sportpsychologischen Hintergrund einzubringen. Ausschlaggebend waren hier auch persönliche Erfahrungen, die einen Entscheider in gewisse Zwickmühlen bringen. Auf der einen Seite ist die Erwartung an den Bundestrainer und an meine Coaches, die bestmögliche Mannschaft zusammenzustellen. Dies basierend auf der sportlichen Leistung eines Menschen. Auf der anderen Seite weckt die Rolle eines Sportpsychologen auch die Erwartung, jegliche Art der persönlichen Herausforderungen anzuerkennen und legt nahe, dass diese auch in den Entscheidungsprozess einfließen lassen. Dabei entsteht auch das Kernproblem der Rollendiffusion.
Sieg oder Niederlage was zählt?
Auch wenn man mit der Brille eines psychologischen Hintergrundes Blockaden besser verstehen kann, ändert dies nichts an den klaren Zielen einer Auswahlmanschaft. Als Bundestrainer wird final die Abrechnung anhand der Spielergebnisse und Tabellen gemacht. Der Sportpsychologe verbleibt dabei oft im Hintergrund, Ergebnisse messbar machen ist komplexer, bedarf mehr Theorie und Wissen und am Ende bleibt auch vieles in den Einzelsettings anonym und im Verborgenen. Hier merkte ich, dass dies ein klares Rollenverständnis in der Zusammenarbeit mit den Trainer:innen, Sportpsychologen, Funktionären und Spielerinnen erforderte. Es wurde schnell klar, dass Missverständnisse über die Rollen zu Spannungen führen können. Wem vertraue ich was an und was sind die möglichen Konsequenzen daraus? Kann mir mein(e) Trainer:in helfen oder ist das schon Grund genug, nicht mehr eingeladen zu werden? Das Bewusstsein über diese Zuständigkeiten zu schaffen war eine gewaltige Aufgabe. Dieses entsprechend zu transportieren, klarzustellen und am Ende in der Umsetzung zu begleiten, war das zentrale Learning aus meiner Tätigkeit.
Rollenklarheit als Schlüssel zur Teamharmonie und inneren Frieden
Die Erfahrungen, die ich als Trainer und aus der sportpsychologischen Perspektive gesammelt habe, führten mich zu der Erkenntnis, dass Rollenklarheit einer der Schlüssel für Teamharmonie und individuelle Leistungssteigerung ist. Ein klar definiertes Rollenverständnis reduziert nicht nur Konflikte, sondern fördert auch das Vertrauen und die Zusammengehörigkeit im Team. In Anlehnung an die soziale Identitätstheorie (Tajfel & Turner, 1986) wird deutlich, dass Athleten durch ein starkes Rollenbewusstsein nicht nur ihre eigene Identität finden, sondern auch die Teamidentität stärken können. Hierbei spielen auch die Assistenztrainer:innnen eine gewichtige Rolle. Sie müssen dabei unterstützen, im direkten Gespräch mit den Spielerinnen diese Klarheit auf allen Seiten zu erzeugen. Mit einem Coaches-Staff von 14 Trainer:innen und einem Spielerinnenpool von mehr als 100 Spielerinnen ist dies auch kein schneller Kulturwandel, sondern bedarf Zeit, zumal in den Auswahlmannschaften eine Fluktuation auf allen Ebenen gegeben ist.
Rollen bringen Ziele mit sich
Ohne Klarheit der eigenen Rolle findet man sich schnell in Tätigkeiten, die gemacht werden müssen, aber die dafür Sorgen, dass man sich mehr und mehr von seiner eigentlichen Tätigkeit distanziert. Plötzlich sortiert man die Teamklamotten, anstatt sich um die Entwicklung der Mannschaft zu kümmern. Je mehr man macht, umso häufiger kommen Fragen auf, für die man keine Zeit oder ausreichende Befähigung hat. Sich selbst diese Fragen beantworten, dies vielleicht auch mit der Organisation abzusprechen, sorgt sehr schnell dazu, dass man die eigenen Aufgaben besser kennt.
Aber nicht nur das, sondern es wird auch viel klarer, an welcher Stelle in meiner Organisation ich welchen Menschen brauche. Selbst wenn man das notwendige Wissen hat, um Fragen zu beantworten oder weiterhelfen zu können, sind es zeitliche Ressourcen, die mich oder uns binden. Das Wissen über die eigene Rolle, die konkrete Aufgabe und die definierten Ziele zeigt Lücken in der Organisation auf und kann helfen, für diese Blackholes Menschen zu finden, die einen unterstützen.
Ein Aufruf zur Reflexion
Die Herausforderungen, die Trainer:innen und Sportpsycholog:innen im Sport begegnen, sind vielfältig. Sie erfordern nicht nur Fachwissen, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Dynamik menschlichen Verhaltens. Rollenklarheit fungiert nicht nur als Instrument zur Konfliktminimierung, sondern als Katalysator für individuelle und kollektive Spitzenleistungen.
Die eigene Rolle sauber zu definieren und sich abzugrenzen, schafft nicht nur Ressourcen, sondern lenkt auch den Fokus auf das Wesentliche. Meine wichtigsten Fragen waren: Was ist eigentlich meine Aufgabe und woran wird mein Erfolg gemessen? Welche Erwartungen bringe ich an meine Rolle mit, und wie klar ist meine eigene Rolle? Welche Rollen begegnen mir im Trainerstab, in der Organisation auf dem Feld? Und was ist deren Aufgabe? In einer Welt, die häufig von Leistung und Erfolg geprägt ist, sollten wir nicht vergessen, dass Klarheit der erste Schritt zu wahrer Teamstärke und persönlichem Wachstum ist.
Fazit
Auch wenn der Sport, und vor allem das Spiel selbst durch Regeln und Rollen klar definiert ist und das Spiel einfach und klar scheint, verschwimmen die Grenzen mit engerer und längerer Zusammenarbeit zunehmend. In der komplexen Welt des Sports ist Rollenklarheit nicht nur eine organisatorische Notwendigkeit – sie ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen und erfolgreichen Sportkultur.
Literatur
Deci, E & Ryan, R., (2000), The „What“ and „Why“ of Goal Pursuit, Human Needs and the Self-Determination of Beahvior, Psychology Inquiry, Vol. 11
Lyle, J. (2005). Sports coaching concepts: A framework for coaches‘ behaviour. Routledge.
https://www.taylorfrancis.com/books/mono/10.4324/9780203994986/sports-coaching-concepts-john-lyle
Tajfel, H. & Turner, J. C. (1986). The social identity theory of intergroup behavior. In S. Worchel & W. G. Austin (Hrsg.), Psychology of intergroup relations (S. 7–24). Chicago: Nelson.
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