Norbert Lewinski: Sportpsychologie für Diskuswurf und Kugelstoß

Wurfdisziplinen wie Diskuswurf und Kugelstoß stellen Athletinnen und Athleten vor besondere Herausforderungen, bei denen nicht nur körperliche, sondern auch mentale Faktoren eine zentrale Rolle spielen. Die Beherrschung der komplexen Technik und die kontinuierliche Leistungsverbesserung erfordern ein hohes Maß an Konzentration, Visualisierungsfähigkeit und psychischer Stabilität. In diesem Artikel widmen wir uns den mentalen Aspekten, die für die effektive Technikschulung in diesen Disziplinen entscheidend sind.

Zum Thema: Mentale Aspekte der Technikschulung in den Wurfdisziplinen

Eine der größten mentalen Herausforderungen beim Diskuswurf und Kugelstoß ist die Konzentration auf die komplexe Abfolge von Bewegungen. Der Wurf oder Stoß ist eine hochdynamische Aktion, die nur wenige Sekunden dauert, aber zahlreiche technische Details umfasst. Die Athletin oder der Athlet muss während der Ausführung des Bewegungsablaufs präsent sein, ohne sich von äußeren Faktoren wie dem Publikum oder innerem Leistungsdruck ablenken zu lassen.

Aus meiner Erfahrung als Sportpsychologe beginnt das mentale Training mit Athletinnen und Athleten genau hier – bei der Schulung der Konzentration. Ich leite sie an, wie sie ihre Aufmerksamkeit bewusst steuern können, um den Fokus konsequent auf den Bewegungsablauf zu richten. Ein erster Schritt besteht oft darin, sich der eigenen Ablenkungen bewusst zu werden: Welche Gedanken treten auf, wenn der Druck steigt? Wie beeinflussen diese die Bewegungsausführung? Durch gezielte Reflexion und Gespräche helfen wir den Sportlerinnen und Sportlern, individuelle Strategien zu entwickeln, um solche Störfaktoren auszublenden. Mentale Trainingsmethoden wie Atemübungen oder die sogenannte Fokussierungsroutinen können helfen, die Konzentrationsfähigkeit zu stärken. Diese Methoden integriere ich in die Trainingspläne, um sicherzustellen, dass sie zu einem natürlichen Bestandteil der Vorbereitung werden. Eine klare innere Vorstellung dessen, was im jeweiligen Moment zu tun ist, reduziert das Risiko von technischen Fehlern erheblich. Athletinnen und Athleten lernen, eine “mentale Checkliste” zu erstellen, die sie Schritt für Schritt durch die Bewegung führt – von der Startposition bis zum Abschluss.

Visualisierung: Der perfekte Wurf vor Augen 

Visualisierung ist ein zentrales Instrument im mentalen Training der Wurfdisziplinen. Hierbei stellt sich der Athlet den perfekten Bewegungsablauf in Gedanken vor – von der Ausgangsposition über den Rotations- oder Schwungprozess bis hin zum Abwurf oder Stoß. Studien zeigen, dass die Vorstellung von Bewegungen ähnliche neuronale Prozesse aktiviert wie die tatsächliche Bewegung.

Diese Technik ist meine persönliche Lieblingsaufgabe im mentalen Training, da sie sowohl von den Athletinnen und Athleten als auch von mir als Sportpsychologe ein hohes Maß an Präzision und psychodynamischem Kontakt erfordert. Die erste Arbeit beginnt stets mit der Schaffung einer inneren Raumvorstellung, die den Prozess der Mentalisierung überhaupt erst möglich macht. Athletinnen und Athleten müssen lernen, eine stabile innere Plattform zu entwickeln, auf der sie ihre Bewegungsbilder projizieren können. Nach diesem Schritt geht es an die sogenannte “Fummelarbeit” mit der Technik des “Chunking”. Dabei wird der Bewegungsablauf in kleine, isolierte Elemente zerlegt, die einzeln analysiert und mental durchgearbeitet werden. Anschließend erfolgt das Zusammensetzen dieser Elemente innerhalb der neu geschaffenen mentalen Plattform, wodurch eine ganzheitliche Vorstellung der Bewegung entsteht.

Athletinnen und Athleten, die mit mir an dieser Technik arbeiten, sind in diesem Bereich besonders gut ausgestattet. Durch die Kombination aus detaillierter Visualisierung und intensiver Reflexion entwickeln sie nicht nur ein schärferes Verständnis ihrer Technik, sondern können auch im Wettkampf deutlich souveräner agieren.

Emotionsregulation: Drucksituationen meistern

Gerade in Wettkampfsituationen steigt der mentale Druck enorm. Negative Gedanken oder Ängste können die Technik und Leistung erheblich beeinträchtigen. Hier kommt die Emotionsregulation ins Spiel: Techniken wie die kognitive Umstrukturierung, bei der belastende Gedanken in positive oder neutrale Aussagen umgewandelt werden, können helfen, Selbstzweifel zu minimieren.

Diese Arbeit beginnt oft mit einer detaillierten psychodynamischen Analyse. Es ist entscheidend, die individuellen inneren Konflikte, Erwartungen und potenziellen Blockaden des Athleten zu erkennen. Eine offene und vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Athleten und mir ist dabei der Schlüssel. Diese Beziehung, die auf Respekt und gegenseitigem Vertrauen basiert, schafft eine sichere Basis, auf der der Athlet sein volles Potenzial entfalten kann.

Der nächste Schritt besteht darin, gemeinsam mit dem Athleten Strategien zu entwickeln, die ihm helfen, in kritischen Momenten ruhig und konzentriert zu bleiben. Dabei nutzen wir gezielt Techniken wie Atemkontrolle, progressive Muskelentspannung und individuelle Selbstgespräche. Parallel dazu bauen wir durch die psychologische Beziehung eine stabile Grundlage, die dem Athleten das Gefühl gibt, in schwierigen Situationen nicht allein zu sein. Diese Sicherheit erlaubt es ihm, sich freier zu bewegen und zu handeln. Ein weiterer hilfreicher Ansatz ist die Entwicklung von Wettkampfroutinen. Durch das Einüben einer festen Abfolge vor jedem Wurf oder Stoß – etwa durch bestimmte Bewegungen, Atemtechniken oder Selbstgespräche – wird ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit erzeugt.

Selbstbewusstsein: Die Grundlage für Fortschritte

Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist ein entscheidender Faktor, um technisches Lernen effektiv zu gestalten. Wenn eine Athletin oder ein Athlet an der eigenen Leistung zweifelt, kann dies die Bewegungsqualität beeinträchtigen. Ein starkes Selbstbewusstsein fördert hingegen den Mut, neue technische Elemente auszuprobieren und Fehler als Chance für Wachstum zu sehen. Selbstbewusstsein entsteht jedoch nicht von selbst – es muss gezielt gefördert werden. Ein zentraler Bestandteil dieser Förderung ist die Reflexion vergangener Erfolge und die Wertschätzung kleiner Fortschritte im Trainingsprozess. Sowohl die Sportpsychologen als auch die Trainer können durch gezieltes, positives Feedback den Blick der Athletinnen und Athleten auf ihre Stärken lenken. Dies schafft eine Grundlage für das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Darüber hinaus ist es wichtig, eine Kultur des konstruktiven Umgangs mit Fehlern zu schaffen. Fehler sind ein unvermeidbarer Teil des Lernprozesses und bieten die Möglichkeit, Schwachstellen zu identifizieren und zu verbessern. Athletinnen und Athleten, die Fehler als wertvolle Lernerfahrungen begreifen, entwickeln ein robusteres Selbstbewusstsein und bleiben langfristig motiviert. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Entwicklung realistischer, aber dennoch herausfordernder Ziele. Gemeinsam mit dem Sportpsychologen kann der Athlet Etappenziele definieren, die schrittweise zu größeren Erfolgen führen. Diese Zielsetzung hilft nicht nur, den Fortschritt messbar zu machen, sondern steigert auch die intrinsische Motivation.

Durch diesen ganzheitlichen Ansatz wird das Selbstbewusstsein zu einer stabilen Grundlage, die den Athletinnen und Athleten ermöglicht, mit Freude und Zuversicht an ihrer Technik zu arbeiten und sich kontinuierlich zu verbessern.

Fazit

Das Erlernen neuer Techniken oder die Korrektur bestehender Fehler erfordert Geduld und mentale Anpassungsfähigkeit. Athletinnen und Athleten müssen bereit sein, alte Gewohnheiten aufzugeben und sich auf neue Bewegungsmuster einzulassen. Hierbei hilft ein schrittweises Vorgehen: Der Fokus auf einzelne technische Elemente, die nach und nach zusammengeführt werden, reduziert Überforderung und Frustration.

Mentale Strategien wie Zielvisualisierung oder positive Selbstgespräche unterstützen den Prozess. Sätze wie „Ich kann diese Technik lernen“ oder „Jeder Fortschritt bringt mich näher an mein Ziel“ stärken das Durchhaltevermögen.

In den Wurfdisziplinen Diskuswurf und Kugelstoß spielen mentale Aspekte eine ebenso große Rolle wie physische und technische Faktoren. Konzentration, Visualisierung, Emotionsregulation und Selbstbewusstsein sind Schlüsselkomponenten für die Technikschulung und den Erfolg. Durch gezieltes mentales Training können Athletinnen und Athleten nicht nur ihre Leistung verbessern, sondern auch mehr Freude und Selbstvertrauen im Training und Wettkampf entwickeln. Die Trainer sollten auf diesem Feld sehr eng mit den Sportpsychologen zusammenarbeiten und diesen mentalen Aspekten besondere Aufmerksamkeit schenken, um ihre Schützlinge ganzheitlich zu unterstützen.

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