Die deutsche Floorball-Nationalmannschaft hat bei der WM in Schweden ein episches Spiel abgeliefert: Im Viertelfinale gegen den Gastgeber, der gleichzeitig Rekordweltmeister ist, stand es bis in die Schlussminuten 2:2-Unentschieden. Schweden wackelte, alle Fans trauten ihren Augen kaum, die deutsche Mannschaft stand knapp vor der größten Sensation in der Geschichte der Sportart. Das Viertelfinale, welches am Ende knapp verloren wurde, kostete dem Team dann aber auf mentaler Ebene das angepeilte Turnierziel. Ein Insiderbericht von mir als Sportpsychologe der deutschen Floorball-Nationalmannschaft.
Zum Thema: Ego-Depletion im Mannschaftssport
Die Floorball WM ist nun vorbei und die deutsche Mannschaft beendet dieses Turnier auf Platz acht. Das eigentliche Ziel war Platz fünf und damit verbunden die Qualifikation zu den World Games im kommenden Jahr. War dieses Ziel realistisch? Ja, davon waren alle Experten überzeugt, mit denen ich im Vorfeld gesprochen habe. Dass dies schwer werden wird, war klar, aber eben machbar. Auch wenn der Spielplan gegen uns sprach.
Denn die WM startete für Deutschland mit einem freien Tag. Ein wichtiger Regenerationstag nach den ersten Belastungen blieb der Mannschaft damit verwehrt. Los ging es gegen die Schweiz und unser Team verlor unglücklich – schlussendlich deutlich, aber auch nicht unerwartet. Dann wurde Norwegen klar mit 8:3 geschlagen und gegen Tschechien – wie erwartet – 0:8 verloren. Im Achtelfinale traf Deutschland auf Polen. In diesem Spiel zeigte die Mannschaft erneut ihre Klasse: Spiel vier in vier Tagen und ein klarer Sieg mit 10:2.
Ein episches Spiel gegen Schweden
Was dann folgte, kann man mit Fug und Recht ein episches Spiel nennen (siehe hierzu meinen Blogbeitrag „An Tagen wie diesen“). Die Partie gegen den amtierenden Weltmeister wurde mit 2:5 äußerst knapp und erst gegen Ende des Spiels verloren. In diesem Spiel bot das deutsche Team eine nie dagewesene Willens- und damit auch spielerische Leistung. Das war nun das fünfte Spiel in fünf Tagen und für einen kurzen Moment, an Tag fünf plus eins, hatte das Team die Möglichkeit „durchzuatmen“.
Ein freier Tag stand an. Und Family & Friends durften besucht werden. Eine „Mini-Auszeit“ für alle und dann kam die eigentlich wichtige Phase im Kampf um Platz fünf. Es wartete das sogenannte Halbfinale im Wettbewerb der vier Viertelfinalverlierer. Gegen die Slowakei musste also gewonnen werden, um in das Platzierungsspiel um Rang fünf und damit die World Games einzuziehen. Die Slowaken wurden im Vorbereitungsturnier in Polen geschlagen. Uns war bewusst, dass dieses Spiel natürlich schwer würde, aber eben auch DAS Schlüsselspiel ist, um Platz fünf erreichen zu können. Die Einstellung stimmte, der Optimismus war da – alle wollten, alle gaben erneut „Ihr Bestes“, aber das Spiel ging mit 1:4 verloren.
Volitional am Ende
Am Tag darauf ging es dann „nur“ noch um die „goldene Ananas“ – also um Platz sieben oder acht – und auch das ging verloren. Nicht weil die Spieler nicht wollten – nein, sie waren „volitional“ am Ende. Nicht körperlich oder, um es mit eher öffentlichkeitwirksamen Begriffen zu umschreiben: Dieser Leistungseinbruch war eher „mental“ als „körperlich“. In der Sportpsychologie nutzen wir für dieses Phänomen auch den Begriff „Ego-Depletion“ oder auch „Ich-Erschöpfung“.
Damit gemeint ist eine volitionale (willentliche) Erschöpfung, die das Phänomen beschreibt, dass bei aufeinanderfolgenden Aufgaben, die alle eine willentliche Anstrengung (Ich-Kontrolle bzw. Selbstkontrolle) erfordern, die Leistung in den darauf folgenden Aufgaben verringert ist. Die zentrale Annahme des Ich-Erschöpfungs-Modells besagt, dass alle willentlichen Anstrengungen (z. B. Ausdauer bei schwierigen Aufgaben) auf eine allgemeine innere Ressource (Volition, Wille) zugreifen, deren Kapazität begrenzt ist und daher durch Gebrauch kurzfristig erschöpft sein kann. Im Sport existieren hierzu einige spannende Experimente, die zeigen, dass Ego-Depletion mit höherer Wettkampfangst sowie schlechteren Entscheidungen im Spiel zusammenhängen (Furley et. al, 2013; Englert, 2017).
Schlüssel liegt in der Belastungssteuerung auf mentaler Ebene
Kann man diese Ressourcen optimieren? Ja, mit einer guten psycho-sozialen Vorbereitung, ähnlich dem körperlichen Training. Im Wesentlichen geht es auch hier um Belastungssteuerung auf einer mentalen Ebene.
Kann man Ego-Depletion kurzfristig eindämmen (wie in unserem Fall bei der Floorball-WM)? Nein, ein einziger Tag Erholung ist dafür zu kurz. Man müsste eigentlich das gesamte System aus der „Bubble“ herausnehmen und vor allen Dingen bewährte und bekannte Verfahren der Stressbewältigung umsetzen, d.h. auch gedanklich „kognitiv komplett aussteigen“. Hierzu gehören klassische Entspannungsverfahren, Achtsamkeitsübungen, ggf. Meditation, aber auch Tätigkeiten, die nichts mit dem zuvor erlebten und erschöpfenden Handeln zu tun haben. Dafür sind 24 Stunden zu kurz.
Referenzen
https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/ich-erschoepfung
Philip Furley, Alex Bertrams, Chris Englert, Ana Delphia, Ego depletion, attentional control, and decision making in sport, Psychology of Sport and Exercise,Volume 14, Issue 6, 2013, Pages 900-904, https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2013.08.006.
Chris Englert, Ego depletion in sports: highlighting the importance of self-control strength for high-level sport performance, Current Opinion in Psychology, Volume 16, 2017, Pages 1-5, ISSN 2352-250X, https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2017.02.028.
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