Siro Stump: Der bislang schwerste Kampf eines Schweizer Judotalents

Für die-sportpsychologen.ch berichtet:

Siro Stump

Der 16-jährige Lehrling Siro Stump gehört zum U18 Judo Nationalkader der Schweiz. Judo ist sein ganzes Leben. Zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder trainiert er im Judo Club Uster 20 Stunden pro Woche. Seit 2014 reihte Siro Stump vielerlei Erfolge aneinander (siehe unten) und formulierte auf seiner Homepage grosse Ziele für seine Zukunft: Vom Schweizermeister über Podestplätze an Europacups bis hin zur Teilnahme an den Olympischen Spielen. Eine Verletzung hat im Oktober 2015 seine Pläne vorerst durchkreuzt und ihn zu einer ungewollten Pause gezwungen.



Erfolge 2014: 2. Rang U18 SM; 3. Rang U21 SM; 1. Rang Int. La Fontaine; 1. Rang Int. Kaizen

Erfolge 2015: 2. Rang Int. Eindhoven; 7. Rang European Cup Follonica

Mehr Infos: http://www.sirostump.ch/

Siro Stump, wie passierte die Verletzung?

Ich bin ein sehr ambitionierter Athlet und gehe bei jedem Kampf voll rein, egal ob es ein Training oder ein Ernstkampf ist. Vor drei Monaten verletzte ich mich im Trainingslager in Japan. Es splitterte ein Knochenstück am Ellenbogen ab. Dies passierte Ende Saison, direkt vor den Schweizermeisterschaften, die somit leider ohne mich statt fanden. Das war schon bitter, denn ich wollte mindestens meinen letztjährigen Rang verteidigen.

Was hast du seither alles für deine Rehabilitation unternommen?

Nun, ich war bei zwei Sportärzten und im MRI um das Ausmass des Schadens zu erfassen. Es ist zwar nur ein Knochensplitter weg, aber wie so oft dauern die kleinen Verletzungen auch sehr lange. Ich musste den Arm zwei Wochen ruhig stellen und das was für mich sehr schwierig auszuhalten. Es machte sich Unsicherheit in mir breit, da das meine erste Verletzung mit einer längeren Pause ist. Auch merkte ich, wie schnell die Muskeln im Arm schwanden. Von Beginn an habe ich darum viel in die Physiotherapie investiert, was tolle Resultate ergab.

Was hast du gegen deine Unsicherheit unternommen?

Zuerst machte sich ein Gefühl der Angst in mir breit, dass ich mich bei der Wiederaufnahme des Trainings sofort wieder verletzen würde. Oder dass ich nicht mehr an meine früheren Leistungen anknüpfen würde. Oder dass mein Arm den erneuten hohen Belastungen nicht mehr standhalten würde. Darum habe ich Unterstützung bei der Sportpsychologin Cristina Baldasarre (zum Profil) gesucht, die ich schon vorher von unserer gemeinsamen Arbeit kannte. Sie erklärte mir, wie man während einer Verletzung mental Arbeiten kann, um wieder an Sicherheit zu gewinnen und vor allem das Bewegungsgefühl wieder zu finden und zu festigen. Das wichtigste Element dabei war für mich das Visualisieren meiner Bewegungsabläufe, dass heisst sich die unterschiedlichen Abläufe der Würfe im Kopf vorzustellen. Seither bereite ich mich auch mental auf den Wiedereinstieg vor.

Wie setzt du diese mentalen Techniken konkret ein?

Hauptsächlich visualisiere ich die verschiedenen Standardtechniken, die ich im Judo am häufigsten werfe. Cristina Baldasarre (zum Profil) brachte mir diese Vorgehensweise bei, die sich Bewegungsvorstellungstraining oder mental gestütztes Techniktraining nennt und mit sogenannten Knotenpunkten arbeitet: Ich musste zuerst die Bewegung einige Male langsam Vorzeigen, quasi als Trockenübung. Dabei musste ich ihr den Ablauf sehr detailliert erklären, Hauptaugenmerk lag auf der genauen zeitlichen Abfolge der Teilbewegungen. Aber auch darauf, den Rhythmus präzise aufzunehmen und die Intensität der realen Bewegung in das Visualisieren einfliessen zu lassen. Danach führte ich sie im richtigen Tempo durch und dann musste ich genau dieses Bewegungsgefühl mit geschlossenen Augen vor meinem inneren Auge wiederholen. Zu Anfang war das für mich alles sehr ungewohnt, mich so auf die Details zu konzentrieren. Aber auch, weil ich ja sonst immer einen Kampfpartner habe.

Glücklicherweise hatte ich den Dreh schnell raus. Seither visualisiere ich diejenigen Würfe, die für mich die wichtigsten darstellen. Ich mache das meistens zu Hause mehrmals täglich, mit kurzen Pausen dazwischen.

Was bringt dir das Visualisieren?

Ich merke einfach, dass es mir gut tut und ich im Technikbereich nicht so fest einroste. So ist es ein ideales Training für die Phase der Verletzung. Das Gefühl für die Bewegung wird durch die geistige Auseinandersetzung mit der dieser viel klarer, ich lerne die Bewegung präziser kennen und das gefällt mir sehr. Es gibt mir wieder viel mehr Sicherheit und Zuversicht für den Wiedereinstieg, der hoffentlich Ende Februar sein wird. Ergänzend dazu habe ich eine weitere Technik von Cristina Baldasarre erlernt. Ich schaue mir meine letzten erfolgreichen Kämpfe auf Video an und so erinnere ich mich an das Gewinnergefühl und sehe die tollen Würfe immer und immer wieder und lerne durch das reine Zuschauen. So steigt mein Selbstvertrauen täglich an und bis ich wieder voll trainieren kann, bin ich dann auch mental wieder ganz fit. Die anfängliche Angst verschwindet so jeden Tag mehr und mehr.

Tipp: Tim Hartmann, Chefexperte J+S Judo hat zusammen mit dem Schweizerischen Judoverband die Plattform www.SJV4U.ch für seine Mitglieder aufgebaut (https://sjv.ch/Dokumente/DOJO/DE/2014-4-DOJO). Dort finden sich rund 350 Videosequenzen sowie Bewegungssequenzen, die das Techniktraining visuell unterstützen. Solche Tools eignen sich wunderbar als Unterstützung für das Visualisieren.

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de