Tipps für das Elfmeterschießen

Nach wie vielen Schützen kann ein Elfmeterschießen im Fußball zum frühesten Zeitpunkt enden? Diese Frage hat Potential für jedes sportlich angehauchte Kneipenquiz. Die Antwort lautet sechs. Natürlich. So erlebt, im ersten Elfmeterschießen der Fußball-Europameisterschaft 2024 zwischen Portugal und Slowenien. Drei slowenische Fehlschüsse und drei Treffer der Portugiesen reichten aus, um die Entscheidung nach dem Ende der Verlängerung herbeizuführen. Was machten die Slowenen falsch oder der portugiesische Torwart Diogo Costa richtig? Oder besser gefragt: Welche Tipps habt ihr für Schützen und für Keeper in einem Elfmeterschießen? Welche Tricks und Kniffe lassen sich anwenden, auch außerhalb von EM-Ko-Spielen?

Zum Thema: Tipps für Schützen und Torhüter vor einem Elfmeterschießen

Sebastian Ayernschmalz
Sebastian Ayernschmalz, Die Sportpsychologen

Sebastian Ayernschmalz (zur Profilseite)

Beide Torhüter hatten im Spiel ihre Unüberwindbarkeit unter Beweis gestellt. Ob Sakas alleine auf das Tor zulief oder CR7 mit seinem Fehlschuss entmystifiziert wurde, beide Torhüter glänzten. Dabei war für mich die Reaktion von Cristiano Ronaldo herausragend. Kurzzeitig in Tränen aufgelöst, stand er als erster Schütze bereit. Wenn man den Zahlen glauben kann (60% der Mannschaften, die zuerst schießen, gewinnen – siehe Link des DFB), war er der wichtigste Schütze. Eventuell war sich Ronaldo dessen auch bewusst und wusste, dass er als Teamkapitän hier mit gutem Beispiel vorangehen musste. Eine solche Situation kann man nur mit enormem Selbstbewusstsein meistern. 

Im Nachhinein drei Elfmeter in Folge zu halten, muss der Höhepunkt der Karriere sein. Ein Moment, in dem der Stempel “Elfmeterkiller” verewigt wird. Wenn man bedenkt, dass normalerweise 75% der Elfmeter verwandelt werden, kann man als Torhüter in dieser Situation nur gewinnen. Jeder gehaltene Schuss ist ein Erfolg für den Torhüter. Die entsprechende Gelassenheit und der Gedanke “ich kann nur gewinnen” scheinen dabei wichtige Erfolgsfaktoren zu sein. 

Für mich war es auch spannend, die Vorbereitung der Torhüter zu beobachten. Während auf slowenischer Seite der Schiedsrichter mehrmals eingreifen musste, um die Torhüter auf der Linie zu halten, war dies bei Diogo Costa nicht notwendig. Er wirkte fokussiert, lebendig im Moment und schien die Umstände mit vielen Zuschauern, dem möglichen Einzug ins Viertelfinale und starken Konkurrenten auszublenden. Seine Paraden wirkten, als wüsste er genau, wohin der Ball fliegen würde. 

Fokussierung auf den Moment, Vertrauen in die eigenen Stärken und das Bewusstsein, dass man als Torhüter nur gewinnen kann, können dabei helfen, diese besondere Situation zu meistern. Der Doktorarbeit von Dr. Georg Froese folgend, die der DFB als Basis der Daten genannt hat, können hektische Bewegungen der Arme ebenso einen Einfluss auf die Treffsicherheit haben. Dabei gilt aber auch zu berücksichtigen, wie individuell Törhüter:Innen sein können und wie sie doch ihre körperliche und innere Balance finden können.

Arthur Wachter, Die Sportpsychologen

Arthur Wachter (zur Profilseite)

Tipps für Schützen:

1. Fokus und Routine

   – Entwickelt eine feste Routine vor dem Schuss. Dies hilft, den Fokus zu behalten.

   – Konzentriert euch auf den Prozess (wie das Anlaufen und den Kontakt mit dem Ball) und nicht auf das Ergebnis (Tor oder Fehlschuss).

2. Visualisierung

   – Stellt euch den erfolgreichen Schuss vor. Visualisiert, wie der Ball ins Netz geht, um positive Gedanken zu fördern.

3. Selbstvertrauen

   – Glaubt an eigene Fähigkeiten. Selbstzweifel können die Leistung negativ beeinflussen.

   – Erinnert euch an erfolgreiche Schüsse in der Vergangenheit.

Tipps für Torhüter:

1. Studium der Schützen

   – Analysiert mögliche Schützen vor dem Spiel. Beschäftigt euch mit dem Schussverhalten der möglichen Schützen. Manche Spieler haben bevorzugte Ecken oder Schusstechniken.

2. Psychotricks

   – Versucht, den Schützen durch kleine Bewegungen oder Blickkontakt zu verunsichern.

   – Zeigt Vertrauen und Präsenz im Tor. Eine selbstbewusste Körpersprache kann den Schützen zusätzlich unter Druck setzen.

3. Geduld

   –  So lange wie möglich warten, bevor man sich für eine Ecke entscheidet. Einige Schützen schauen bis zuletzt, wohin der Torwart sich bewegt.

Janosch Daul, Die Sportpsychologen
Janosch Daul, Die Sportpsychologen

Janosch Daul (zur Profilseite)

Die Art und Weise, wie Cristiano Ronaldo nach seinem Elfmeterfehlschuss in der Verlängerung, im Elfmeterschießen agierte, hat mich beeindruckt. Mit einem offenbar unerschütterlichen Glauben an sich selbst hat er sich als erster Portugiese den Ball geschnappt und mit seinem Treffer den Grundstein für den Erfolg seines Teams gelegt. In seiner Rolle als Führungsspieler hat er damit wichtige Signale an seine Mitspieler gesetzt: “Er, unser Leader, hat sein Herz in die Hand genommen und geliefert!, Er, unser Leader, hat Mut bewiesen! Er, unser Leader, hat Verantwortung übernommen! Er, unser Leader, hat gezeigt, was es heißt, nach Rückschlägen zurückzukommen!”

Damit war er ein Vorbild für die nachfolgenden Schützen. Begünstigend kam die Tatsache hinzu, dass der Druck auf die portugiesischen Schützen mit jedem slowenischen Fehlschuss geringer wurde, da die unmittelbare Konsequenz eines möglichen Fehlschlusses weniger dramatisch gewesen wäre: Denn auch mit einem eigenen Fehlschuss hätten die Portugiesen noch jede Siegchance gehabt. 

Ganz anders die Situation bei den Slowenen: Nach dem ersten Fehlschuss durch Ilicic MUSSTE jeder nachfolgende Schütze im Prinzip zwingend treffen, um die Slowenen realistisch im Rennen zu halten. Viel mehr Druck geht im Prinzip gar nicht. Als Außenstehender hatte ich zudem den Eindruck, dass die absolute Überzeugung zu treffen, auf Seiten der Slowenen nach Ilicic´ Fehlschluss nicht mehr gegeben war. Den eigenen Leader “scheitern” zu sehen, hilft natürlich auch nicht beim Aufbau der nötigen Kompetenzerwartung vor dem eigenen Schuss. 

Zum Elfmeterschießen lässt sich prinzipiell sagen, dass es im Training bereits geübt werden sollte. Drucksituationen wie diese lassen sich zwar nicht 1:1, aber doch in hohem Maße simulieren. Schützen können sich zudem gezielt durch Mentales Training vorbereiten, indem sie sich vorstellen, wie sie ganz konkret in der Anforderungssituation den Elfmeter verwandeln. Die entsprechenden Vorstellungsbilder sollten also an die vor Ort gegebenen Rahmenbedingungen (Zuschauer, Stadion etc.) angepasst werden. Zudem muss natürlich die so wichtige Fähigkeit trainiert werden, gerade unter Druck so handlungsfokussiert wie möglich denken und handeln zu können und dabei handlungsirrelevante Alternativreize wie z.B. Zuschauer vollständig auszublenden.

Auf Torhüterseite erachte ich es bei aller akribischen Vorbereitung auf die Schützen aber auch für wichtig, im entscheidenden Moment seiner Intuition zu vertrauen. 

Robin Köhler
Robin Köhler, Die Sportpsychologen

Robin Köhler (zur Profilseite)

Wie Janosch bereits sehr treffend formuliert hat, war Ronaldos Umgang mit seinem Fehlschuss sportpsychologisch sehr beeindruckend. Auf einen tränenreichen emotionalen Ausbruch mit solch einer selbstbewussten Art zu reagieren und den ersten Elfmeter für Portugal zu nehmen, zeugt von einem positiven Umgang mit Fehlern und einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein. Sich als Schütze bewusst zu machen, welche Fähigkeiten man hat und wie viele Elfmeter man im Training und anderen spielentscheidenden Situationen bereits erfolgreich verwandelt hat, kann dabei helfen, auch in akuten Drucksituationen voll da zu sein. Direkt vor dem Elfmeter kann zudem ein positiver Self-Talk mit eigens gesetzten Cues oder einem aufmunternden Satz dabei helfen, das eigene Selbstbewusstsein zu fördern.

Im Elfmeterschießen geht es zudem immer um das ganz eigene Duell zwischen Schützen und Torwart. Hier würde ich gerne auch Diogo Costa hervorheben. Er hat nicht nur das Aus der Portugiesen in der Nachspielzeit verhindert, sondern zusätzlich alle auf sein Tor geschossenen Elfmeter gehalten. Zu beobachten war, dass Costa ganz bei sich geblieben ist (während Jan Oblak vor dem ersten Elfmeter versucht hat, Cristiano Ronaldo durch ein sehr nahes Auflaufen bei der Vorbereitung zu verunsichern). Dies vermittelt von einer hohen körperlichen Präsenz und hilft dabei den Eindruck entstehen zu lassen, dass er ganz genau weiß, was passiert und er die Situation unter Kontrolle hat. Er ließ sich nicht von den slowenischen Schützen verunsichern, ganz egal, wie lange sie für ihre Vorbereitung gebraucht haben. Diese Aura des Unüberwindbaren in Kombination des immer größer werdenden Drucks für die Slowenen ließ ihn intuitiv und wahrscheinlich auch mit Hilfe eines ausgiebigen Videostudiums die richtigen Ecken erahnen. Kontrolle sowie eine positiv bestärkende Ausstrahlung können Torhütern somit helfen, bei Elfmetern das direkte Duell gegen die Feldspieler zu gewinnen.

Mehr zum Thema:

Views: 216

Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de