Philippe Müller: Richtig Schwimmen lernen im Selbstversuch

“Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr”. Dass dieses Sprichwort nicht zutrifft, ist allgemein bekannt. Auch nach dem Kindes- und Jugendalter können noch neue Sachen gelernt werden. Nicht selten ist dies jedoch mit viel mehr Aufwand verbunden. Ich habe mich ins kalte Wasser geworfen und es ausprobiert.

Zum Thema: Kritischer Blick auf ein Jahr mit einer besonderen sportlichen Herausforderung

Zum Jahresanfang stelle ich mir immer die gleiche Frage: “Was willst du dieses Jahr Neues lernen?” Die Antwort kam dieses Jahr rasant: Schwimmen!

Die Einschätzung meiner Schwimmfähigkeiten zu diesem Zeitpunkt: Gut im Über-Wasser halten, kann im Brustschwimmen längere Distanz zurücklegen, im Freistil (Kraulschwimmen) nach max. 50m platt. Zudem grosse Aversion gegenüber kaltem Wasser.

Der Selbstversuch

Die Ausgangslage war somit nicht nur technisch herausfordernd, sondern auch mental anspruchsvoll. Denn nicht zuletzt ging es meinem Fall auch um die Frage: Wie sieht es mit den mentalen Fähigkeiten eines Sportpsychologen aus?

Gerne nehme ich euch mit auf die sportpsychologische Reise durch nass und kalt.

Motivation und Volition

Die Intentionsbildung war schnell abgeschlossen. Das erste Ziel ebenfalls schnell gesetzt und in die Wege geleitet. Anmeldung zum Schwimmkurs, jeweils eine Stunde am Dienstagabend während zehn Wochen. Nun konnte es losgehen. Das Ziel war, neben dem Schwimmkurs einmal die Woche zusätzlich schwimmen zu gehen. Rückblickend: Kläglich gescheitert! Es hat nicht geklappt. Der Grund war auch schnell eruiert. Die Schwimmtage habe ich nicht fix in die Woche eingeplant. Der Fehler wurde sogleich behoben. Montag und Donnerstag sind die neuen wie festen Schwimmtage. Um flexibel zu bleiben und auf geschäftliche Termine reagieren zu können, sind die Ausweichtage Mittwoch und Samstag. So hat es den gesamten Sommer und auch nach dem Übergang zurück ins Hallenbad funktioniert. Jede Woche setze ich mir kleine Ziele. Mal den Fokus auf die Atmung, mal auf den Armzug oder mal auf die Beine. An Möglichkeiten zur Verbesserung der Technik mangelt es noch lange nicht. Der Treibstofftank für die Motivation ist also weiterhin gut gefüllt.

Was sind meine persönlichen Erkenntnisse?

  • Kurzfristig Ziele setzen hilft enorm, trotzdem braucht es eine längerfristige Vision.
  • Schwimmtraining fix in die Wochenplanung integrieren, aber Alternativen bereithalten.
  • Zwischendurch Technikerklärvideos von Profis anschauen. Auch wenn diese weit über meinen Fähigkeiten sind, weckt es in mir die Neugierde es auszuprobieren.

Emotionen

Zum Glück ist Schwimmen lernen ohne das schmerzliche “hinfallen, aufstehen weitermachen”, dafür mit jeder Menge von “Wasser schlucken, aushusten, weitermachen” verbunden, was zu zahlreichen emotionalen Situationen geführt hat. Nicht selten habe ich mich über mich selbst geärgert, die Übungen und das Wasser verflucht und die Sinnhaftigkeit (kann noch immer nicht ganz nachvollziehen, warum man durchs Wasser soll, wenn am Beckenrand spazieren viel schneller und weniger anstrengend ist) hinterfragt.

Was hat mir in diesen Situationen geholfen? Die negativen Emotionen sind da. Also zulassen und auch gelegentlich herauslassen. Auch Selbstgespräche sind für mich hilfreich, sowie Um- und Neubewertung von Situationen. Oft hatte ich das Gefühl «jetzt läuft’s» und dann wurde ich von einem 20 Jahre älteren Schwimmer mit einer Leichtigkeit überholt, dass ich mich grün und blau geärgert habe und meine Badehosen am liebsten an den Nagel gehängt hätte. Aber das waren bestimmt allesamt Schwimmprofis. Wie das wohl bei denen nach sechs Monaten Schwimmen aussah? Auch kurze Pausen einlegen und tief durchatmen erwies sich als gewinnbringend. Startete ich bereits aufgeregt und mit negativen Gedanken war die Puste in der Hälfte der Bahn bereits aus. Und dann gab es natürlich auch die unzähligen schönen Momente. Das Gefühl, wie man durchs Wasser gleitet, das Geräusch, wenn man das Wasser kraftvoll am Körper vorbeizieht oder man ruhig und zufrieden hin und her schwimmt. Völlig schwerelos.

Was sind meine persönlichen Erkenntnisse?

  • Reset-Knopf ist enorm wichtig. Bei mir hat es in folgender Form geholfen: Kurz fluchen oder mit der Handfläche auf die Wasseroberfläche schlagen, mit geschlossenen Augen 3x tief durchatmen (inkl. Wasser aus Mund und Nase 😊), aufrecht hinstellen und lächeln, an die nächste Übung denken und loslegen.
  • Die eigenen Fortschritte sichtbar machen UND sich darüber freuen!
  • Nach einem schönen Gefühl innehalten, kurz nochmals geniessen und weiter geht’s.
  • Bestimmte Situationen neu bewerten und realistisch einordnen – auch wenn Vergleichen zum Sport dazu gehört, sollte man immer ein Auge auf den Bewertungsmassstab legen. Klar also, dass der Herr mit der Schwimm-Club-Badekappe eine bessere Technik hat. 😉

Visualisierung

«Arme strecken, nein beugen, ganz durchdrücken, Beinschlag beachten, nicht Fahrradfahren, Kopf nicht heben, Atmen nicht vergessen, schön im Rhythmus…», klang es vom Beckenrand. Meine Gedanken kurz beschrieben: «}¿✓>☠<÷💣;¬§☺>☹<]🗴[¶¦»

Was ich definitiv nicht mehr hinbekomme, sind alle Informationen zu verarbeiten. Mein Kopf will alles verstehen. Manchmal wäre einfach Machen erstrebenswerter, aber nun ja. So bin ich halt gestrickt. Erste Massnahme ist also, meinen Kopf gegen zu viele Einflüsse abzuschotten. Vor jedem Kurstag habe ich eine technische Komponente definiert, welcher ich meine Aufmerksamkeit schenkte. Die Tipps der Schwimmlehrerin habe ich dazu aufgenommen, mir vorgestellt, wenn möglich die Bewegung im trockenen zwei-drei Mal durchgeführt und dann im Wasser umgesetzt. Vor allem der Abgleich von Vorgestelltem und Ausgeführtem half mir, Anpassungen an der Bewegung vorzunehmen.

Meine Erkenntnisse:

  • Qualität vor Quantität. Mir hat es sehr geholfen, mich auf nur eine Sache zu konzentrieren. Vor dem Schwimmkurs habe ich die spezifische Technik visualisiert, dann die Bewegung geübt und immer zwischendurch reflektiert, sowie am Folgetag nochmals visualisiert.
  • Zwischendurch anhalten und nochmals erleben, wie es sich angefühlt hat, hat mir sehr geholfen.

FazitDas Spassbarometer zeigt nach wie vor eine Acht von Zehn an. Also gute Voraussetzung, um weiterzumachen. Subjektiv sind die Fortschritte immens. Die Delfine müssen sich bald warm anziehen. Objektiv betrachtet bin ich nicht der geborene Schwimmer und werde auch kein Aquaman mehr werden. Um es etwas greifbarer zu machen: 1,5 km Durchschwimmen geht mittlerweile ohne Probleme.

Jedes Jahr ein neues Ziel! Ideen gibt es bereits. Vielleicht wird es ein Triathlon? 😊
Ich bleibe also am Ball, oder besser gesagt im Wasser.

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Philippe Müller
Philippe Müllerhttp://www.die-sportpsychologen.de/philippe-mueller/

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