Norbert Elgert vom FC Schalke 04 gilt seit Jahren als einer der angesehensten Nachwuchstrainer Deutschlands. Er sagt immer wieder, wie ich finde, sehr kluge Dinge. So schreibt er z.B. in seinem Buch Gib alles nur nie auf. Die Erfolgsstrategien vom Trainer der Weltstars: „Ich muss nicht nur Fußballer weiterbringen, sondern auch den Menschen dahinter. Wir Jugendtrainer bilden nicht nur Profis für den Fußball aus, sondern auch Profis fürs Leben. Mein Anspruch ist es, den Kopf meiner Jungs mindestens genauso intensiv zu trainieren wie ihre Füße.“ (S. 280). Es sind Aussagen wie diese, die mich immer wieder auch meine Arbeit als Sportpsychologischer Coach reflektieren lassen und mich überlegen lassen, wie ich in meiner Funktion im Zusammenspiel mit den Trainern den Kopf der Jungs des Halleschen FC bestmöglich trainieren kann? In diesem Artikel zeige ich auf, welche sportpsychologischen Akzente ich in der U17 des Halleschen FC im engen Zusammenspiel mit den Trainern Tobias Donath und Marwin Wolf setze.
Zum Thema: Sportpsychologische Arbeit mit einem Nachwuchsteam
Als Sportpsychologischer Coach, der sich in dieser Funktion für den gesamten Nachwuchsbereich verantwortlich zeichnet, gilt es, vor Saisonbeginn immer wieder neu zu überlegen, wie Prioritäten gesetzt werden können. Dabei geht es auch darum, sich immer wieder selbst ein Stück weit neu zu erfinden. Eine Grundvoraussetzung für eine inhaltlich hochwertige Zusammenarbeit mit den Teams besteht in einer Offenheit und einem Interesse der Trainer an der Sportpsychologie. So stellte ich vor Saisonbeginn den Trainern der U17, mit denen ich beim HFC schon seit vielen Jahren in engem und wertschätzendem Kontakt stehe, einige Ideen vor, wie ich glaubte, sie und das Team in dieser Saison unterstützen zu können – aus der Rolle als „interner“ Sportpsychologischer Coach heraus, der sehr nah am Team dran ist. Zu Dritt entschieden wir uns dann für eine enge Zusammenarbeit und stellten diese unter das Motto „Voneinander lernen“.
Durch einen engen Austausch wollen wir uns permanent reflektieren, auch konträre Ansichten offen äußern und letztlich besser werden. Wir definierten zudem meine Rollen und Aufgabenbereiche sowie handlungsleitende Werte für unsere Zusammenarbeit und strukturierten diese in inhaltlicher sowie organisatorischer und zeitlicher Hinsicht. Die Weichen für eine unter dem Titel ganzheitliche Ausbildung stehende gemeinsame Reise, auf die wir unsere Spieler mitnahmen, waren gestellt.
Das sportpsychologische Wirken als Bestandteil einer ganzheitlichen Ausbildung
Unter dem Begriff ganzheitliche Ausbildung wird vermutlich jeder etwas anderes verstehen. Ich persönlich verstehe darunter, den jungen Fußballspieler nicht nur auf einer athletischen, technischen und taktischen Ebene täglich weiterzuentwickeln, sondern gezielt durch konkrete Interventionen auch auf einer mentalen und sozialen Ebene, die unbedingt bedient werden muss, wenn es darum geht, Profis fürs Leben auszubilden. Gerade vor dem Hintergrund, dass nur ein Bruchteil der Nachwuchsspieler eines Tages den Schritt zum Profispieler schafft, halte ich es für unabdingbar, den Spielern auch im Setting Vereinssport das für ihr Leben relevante Handwerkszeug mitzugeben. Die Jungs verbringen derart viel Lebenszeit im Fußballkontext, dass Vereine aus meiner Sicht in der dringenden Verantwortung stehen, diesen pädagogischen Auftrag anzunehmen, anstatt ihn gekonnt an die Instanzen Schule und Eltern weiterzureichen. Konkret versuchen wir in der U17 Fertigkeiten, die es auch für das Leben außerhalb des Fußballs braucht, durch verschiedenste Maßnahmen zu schulen. Beispielsweise die Fertigkeiten,
- Konflikte aufzulösen,
- gewaltfrei zu kommunizieren,
- konstruktives Feedback zu geben,
- Durchhaltevermögen und Widerstandsfähigkeit an den Tag zu legen,
- mit Rückschlägen umzugehen,
- auch mit unangenehmen Emotionen umgehen zu können,
- mit sich selbst, seinen Mitmenschen und Materialien achtsam umzugehen,
- sich selbst annehmen und wertschätzen zu können,
- Teamfähigkeit und Demut an den Tag zu legen,
- ein persönliches Wertefundament zu entwickeln,
- Vertrauen zu entwickeln.
Mentale Gesunderhaltung und Persönlichkeitsentwicklung
Als Sportpsychologischer Coach ist es mir wichtig, die Trainer dabei zu unterstützen, diesem pädagogischen Auftrag nachzukommen – indem ich aus meiner Rolle heraus versuche, die Jungs nicht nur mental besser zu machen, sondern mich vor allem auch auf ihre mentale Gesunderhaltung und Persönlichkeitsentwicklung fokussiere. In diesem Zusammenhang spielt für unsere U17 das Thema Werte eine große Rolle. Zu Dritt haben wir einen für das Team verbindlich geltenden und Halt gebenden Rahmen entwickelt, bestehend aus Grundwerten, die unser gemeinsames Miteinander prägen sollen. Diese Werte gilt es insbesondere für uns Verantwortliche in höchstem Maße vorzuleben, einzufordern, das Leben dieser zu kontrollieren – und im Falle von Verstößen gegen unseren Rahmen respektive Fehlverhaltensweisen diese pädagogisch sauber aufzuarbeiten. Wie genau mein Wirken in der U17 aussieht, zeige ich im Folgenden auf.
Meetings mit den Trainern als Grundlage
Ein Großteil meiner inhaltlichen Arbeit ergibt sich aus den zweimal wöchentlich stattfindenden Meetings mit den Trainern, in denen es darum geht,
- die jeweilige Woche vorzubereiten,
- die vergangenen Spiele und Einheiten (auch aus einer psychologischen Perspektive) auszuwerten,
- lösungsorientiert über Spieler, auftretende Situationen und Teamprozesse im Austausch zu sein,
- Organisatorisches zu besprechen,
- anfallende Aufgaben zu verteilen,
- das anstehende Spiel vorzubereiten.
Aus den Rollen des „Sekretärs“ und des „Impulsgebers“ heraus bringe ich in diesen Meetings Anregungen und Ideen rund um das System U17 ein, über deren mögliche Umsetzung wir dann als Team zu Dritt diskutieren.
Fünf Spielfelder
Konkret bewege ich mich auf den Spielfeldern coach-the-coach, Begleitung im Alltag, coach-the- player, coach-the-team und coach-the-parents.
1. Coach-the-coach
Im Rahmen der Rollen- und Aufgabenklärung haben mir die Trainer das Mandat gegeben, sie ehrlich reflektieren zu dürfen. Teils im persönlichen Gespräch, teils per Whatsapp spiegele ich ihnen z.B. ihr Kommunikationsverhalten im Spiel, Training und in Ansprachen, ihr Auftreten und ihre Körpersprache. Zugleich folge ich ihrem Wunsch, meine Meinung zu dem Beobachteten auszusprechen und – falls möglich – alternative Lösungsoptionen aufzuzeigen. So ist es ihnen möglich, Verhalten aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, Schlüsse für die Zukunft zu ziehen und sich letztlich als Trainer weiterzuentwickeln. Die Profiteure der dann noch besseren Trainer sind die Spieler.
2. Begleitung im Alltag
Als Bestandteil des Teams versuche ich, an so vielen Teamprozessen wie möglich teilzuhaben, sprich: bei Einheiten, Spielen, Analysen, Besprechungen und Teambuildingprozessen. Durch diese Nähe entsteht Sympathie, Vertrauen und Offenheit – oder genauer formuliert: Beziehung, die es für eine zielführende Zusammenarbeit unbedingt braucht. Im Rahmen von Trainingseinheiten und Spielen nehme ich während des laufenden Geschehens primär die Rolle des Beobachters ein, der sich insbesondere auf ablaufende Teamprozesse, Kommunikation sowie auf individuelle und kollektive Verhaltensweise aus psychologischer Perspektive fokussiert. Mit den beiden Trainern sowie mit allen Spielern ist individuell abgesprochen, wie mit meinen Beobachtungen umgegangen wird. Die meisten Spieler beispielsweise wünschen sich im Anschluss an jede Einheit und jedes Spiel ein individuelles Feedback, das sie per Whatsapp-Sprachnachricht erhalten. Dieses Feedback beinhaltet Wahrnehmungen auf der Beobachtungsebene sowie – je nach Bedürfnis des einzelnen Spielers – Ratschläge und/oder Reflexionsfragen. Dieses Vorgehen bringt meiner Meinung nach einige Vorteile mit sich: Die Trainer und Spieler können sich zu einem für sie passenden Zeitpunkt mit dem Feedback auseinandersetzen, es findet eine niederschwellige Auseinandersetzung mit sportpsychologischen Themen statt und für mich ergibt sich daraus die Möglichkeit, viele Teammitglieder auf einmal bedienen zu können. Rein zeitlich gesehen ist es schließlich unmöglich, mit jedem Spieler individuell über das Spiel im Gespräch zu sein. Zudem gilt es, sich an die herausfordernden Lebenswelten der Spieler anzupassen, die oftmals direkt aus der Schule ins Training hetzen und anschießend noch ihre Schulaufgaben zu bewältigen haben – viel Raum für direkte Coachingprozesse ist da kaum gegeben.
An Spieltagen unterstütze ich die Spieler – falls erwünscht – in mentaler Hinsicht. So habe ich mit den Spielern zu Saisonbeginn individuelle Gespräche geführt, in denen sie konkrete Wünsche äußern konnten, welche Form der Unterstützung sie sich von mir in welchem Moment wünschen. Dies entspricht meiner systemischen Grundhaltung, dass jeder Mensch selbst am besten weiß, was er wann wie braucht – er ist der Experte für sich selbst. Typische Aufgaben im Laufe des Spieltags sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die folgenden:
- Austausch über die eigenen Zielstellungen und Erwartungshaltungen des Spielers vor dem Spiel
- Kommunikation über Alltagsthemen
- Motivationsspritzen
- Gemeinsames Begutachten der Platz- und Umgebungsbedingungen
- Erinnerung an umzusetzende Aspekte im mentalen Bereich
- Feedback im Hinblick auf Mentales (Halbzeitpause)
- Gemeinsame Spielauswertung unter mentalen Gesichtspunkten
Aus diesen Reflexionsprozessen ergeben sich oftmals weiterführende Gespräche oder Coachings über bzw. zu bestimmten Themen.
3. Coach-the-player
Coachings mit beziehungsweise Beratungen von Spielern finden mal spontan, mal geplant, mal situativ, mal regelmäßig, mal per Whatsapp, mal im persönlichen Kontakt, mal im Büro, mal bei einem Spaziergang statt. Beispielhafte Themen, an denen ich in dieser Saison mit U17-Spielern gearbeitet habe, sind die folgenden:
- Mentale Vorbereitung auf Vorträge
- Mentale Vorbereitung auf Spiele
- Umgang mit Schicksalsschlägen
- Handlungsschnelligkeit
- Umgang mit Trennungen
- Körpersprache
- Umgang mit Emotionen
- Auflösung von Konfliktsituationen mit Mitspielern
- Mentale Strategien zur Fokussierung auf das Training nach langen Schultagen
- Kommunikation auf dem Feld
- Balance zwischen Entspannung und Aktivierung in Vorbereitung auf das Training
- Umgang mit ungeliebten Positionen
- Umgang mit der eigenen Rolle im Team
- Entwicklung von Führungskompetenzen
- Videobasierte Trainingstaganalyse
Nicht zuletzt spielen die Trainer mir im Hinblick auf viele mentale Themen regelmäßig den Ball zu: So fordern sie beispielsweise im laufenden Training eine zielführende Kommunikation ein, geben Lösungsoptionen vor, auf die ich wiederum in Einzelcoachings eingehen kann. Viele mentale Themen, an denen gearbeitet wird, beziehen sich auf Situationen außerhalb des Fußballs oder sind zumindest übertragbar auf das Leben. So gelingt es den Spielern, in ihrer Persönlichkeit zu wachsen und fürs wahre Leben dazuzulernen. Neben der Arbeit auf einer Individualebene macht bislang auch die Arbeit mit Kleingruppen in bestimmten Situationen Sinn, z.B.
– um Konflikte zwischen Mitspielern aufzulösen und
– um mit den Führungsspielern lösungsorientiert über teamrelevante Themen im Austausch zu sein.
4. Coach-the-team
Auch auf diesem Terrain spielen die Trainer regelmäßig Doppelpass mit mir. Zu dritt überlegen wir genau, wann wir welches psychologische Thema wie platzieren, um die Jungs mental weiterzuentwickeln. Im Rahmen des Teamentwicklungsprozesses haben wir bislang Workshops zu den Themen Zielsetzung, Werte, Handlungsmaßnahmen sowie Rolle der Nicht-Starter sowie Teambuildingevents wie z.B. einen Run-and-Bike-Halbmarathon durchgeführt, um gemeinsam als Team Widerstände zu überwinden und uns in unserer Kooperationsfähigkeit zu üben. Künftig werde ich in Abstimmung mit den Trainern auf freiwilliger Basis für besondere interessierte Spieler interaktive Kurzinputs mit einer Dauer von 20 – 30 Minuten zu Themen wie Schlaf oder Umgang mit Stress anbieten. Darüber hinaus darf ich mich punktuell auch mit Life Kinetik-Impulsen ins Mannschaftstraining einbringen – ein innovatives Bewegungsprogramm zur Förderung der Handlungsschnelligkeit, Wahrnehmung und kognitiven Fähigkeiten der Spieler.
5. Coach-the-parents
Für eine ganzheitliche Leistungsentwicklung braucht ein Spieler funktionierende Unterstützungssysteme, in denen die Eltern eine Schlüsselrolle spielen. Denn sie sind es, zu denen die Spieler oftmals die größte emotionale Bindung besitzen und einen enormen Einfluss ausüben. Als wichtigster „Kooperationspartner“ der Trainer im Hinblick auf Entwicklung der Spieler ist es wichtig, sie von der eigenen Arbeit zu überzeugen, sie auf den gemeinsamen Weg mitzunehmen, aber auch stimmige Grenzen zu setzen und gemeinsam in Austausch darüber zu treten, welches Elternverhalten für die Entwicklung des jeweiligen Spielers funktional ist. Trainer sollten darauf hinarbeiten, dass sich die Eltern eingebunden und wertgeschätzt fühlen. Auf dieser Grundlage gelingt es vielen Eltern dann deutlich besser, sich funktional zu verhalten – was eine enorme Leistungsreserve darstellt. Daher versuchen die Trainer und ich, die Eltern seit Saisonbeginn ganz bewusst auf unserer gemeinsamen Reise mitzunehmen. Gelingen soll dies durch eine frühzeitig stattfindende Elternversammlung, durch regelmäßige Updatemails oder auch durch ein gemeinsames Oktoberfestevent mit Spielern und Eltern. Zudem habe ich angeboten, ihnen bei auftretenden Fragen rund um den Bereich Psyche für Coachings und Beratungen zur Verfügung zu stehen.
Die kleinen Momente sind die größten
Doch bei allen Gedanken rund um das Thema Weiterentwicklung – meist sind die vermeintlich kleinen Momente, die ein Team erlebt, diejenigen, an die sich viele noch lange erinnern werden, sei es das gemeinsame Pizzaessen, der Stadionbesuch oder Momente, in denen sich Spieler als Mr. Bean versuchen – unbezahlbare Erinnerungen.
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