Frage und Antwort: Angst an den Geräten im Kunstturnen

Uns erreichen in der Rubrik “Frage und Antwort” auffällig viele Fragen aus dem Kunstturnen. Erst kürzlich meldete sich eine junge Sportlerin, die immer wieder Bewegungsausführungen abbricht, die sie eigentlich beherrscht. “Irgendwann hat es einfach angefangen, dass ich mich nicht mehr über den Sprungtisch getraut habe und immer davor die Ausführung abbreche. Genau dasselbe Spiel ist es beim Rad am Balken. Es ist so weit gekommen, dass ich mich nicht mehr traue, es zu machen.” 

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Im Netzwerk Die Sportpsychologen haben wir zahlreiche Experten und Expertinnen, die einiges an Erfahrungen im Umgang mit vergleichbaren Themen haben. Thorsten Loch (zum Profil), Anke Precht (zum Profil) und Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil) haben sich der konkreten Frage angenommen: Wie kann ich es hinkriegen, ohne Angst neue Dinge auszuprobieren und alte Bewegungen wieder ohne Zweifel umzusetzen?

Thorsten Loch

Antwort von: Thorsten Loch (zum Profil)

Hallo Lisa (Name von der Redaktion geändert),

vielen lieben Dank für deine Anfrage. Aus der Ferne ist es natürlich schwer, eine für dich perfekte Antwort zu finden. Jedoch würde ich dir gern ein paar Dinge mit auf den Weg geben wollen, um mit deiner Situation besser umgehen zu können. 

Zuerst möchte ich dich ein wenig beruhigen, denn solche “Blockaden” kommen immer wieder vor. Sicherlich kennst du auch jemanden aus deinem Bekanntenkreis, bei dem plötzlich eine Blockade aufgetreten ist und das zuvor sichere Element klappt nicht mehr bzw. es wird immer wieder abgebrochen. Wichtig ist jedoch herauszufinden, weshalb dieses Phänomen bei dir aufgetreten ist? Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten, aber ein “typische” Ursache für deinen Altersbereich hat etwas mit der Pubertät zu tun. In dieser Altersspanne findet eine körperliche Veränderung statt. Während Mädchen und Jungen sich vor der Pubertät körperlich etwa gleich entwickeln, ändert dies sich in jener Phase gravierend. Hier ist vor allem ein deutlicher Wachstumsschub zu beobachten. Das Wachstum der einzelnen Körperteile verläuft dabei asynchron. Das bedeutet, dass viele Jugendliche, insbesondere Jungen, oft einen unproportionalen, schlaksigen Eindruck machen, da zuerst die Gliedmaßen, Hände, Füße und anschließend Arme, Beine und zuletzt der Rumpf wachsen. Das hat zur Folge, dass der Jugendliche in räumlicher und zeitlicher Hinsicht seine Bewegungen neu anpassen muss. Durch die neuen Hebelarme (u.a.) passen die gewohnten Abläufe nicht mehr zu deinen Elementen und klappen somit nicht mehr. Hierdurch ergibt sich möglicherweise eine Verhaltensunsicherheit, denn du konntest es ja sonst… 

Jedoch ist diese Unsicherheit auf die motorischen Ungeschicklichkeiten zurückzuführen. Hier kann dir das sogenannte mentale Training helfen. Dadurch wird es dir möglich, dein bisheriges Bewegungsmuster neu zu lernen bzw. zu adaptieren. Hier kann dir auch dein Trainer/deine Trainerin helfen, indem sie technische Tipps geben. Auf unserer Seite findest du noch weitere Artikel, die sich im Detail mit dem mentalen Techniktraining beschäftigen. Ich hoffe ich konnte dir ein wenig weiterhelfen, andernfalls melde dich gerne bei meinen Kollegen oder direkt bei mir. 

Anke Precht

Antwort von: Anke Precht (zum Profil)

Liebe Lisa (Name von der Redaktion geändert), Thorsten hat schon darauf hingewiesen, dass mentales Training helfen kann. Dafür stellst du dir die Bewegungsabläufe so vor, wie sie optimal laufen sollen. Das tust in leichter Entspannung, zum Beispiel abends direkt vor dem Einschlafen, wenn du eh schon ein bisschen müde bist. Aber: Tu es, als wärst du eine Zuschauerin, die Lisa dabei beobachtet, wie sie die Elemente perfekt turnt. 

Beobachte ihre Bewegungen, aber auch Kleinigkeiten wie ihren Gesichtsausdruck, wenn sie sich fokussiert oder sich über das super geturnte Element freut, wirklich jede klitzekleine Kleinigkeit. Tu das jeden Abend, so lange, bis der “Film” ganz einfach und selbstverständlich abläuft. Nun kommt die zweite Phase des mentalen Trainings: Du stellst dir vor, wie du selbst diese Elemente turnst, und zwar genauso, wie du es dir vorher als Beobachterin vorgestellt hast. Jetzt bist du die Turnerin, die das perfekt macht und der es gut gelingt. Du stellst dir vor, wie dein Gesicht aussieht, wenn du dich fokussierst. Du achtest auf alle Kleinigkeiten, die vorher schon Teil deines “Films” waren. Und auch das machst du jeden Tag, so lange, bis du es fühlen kannst, und vor allem: bis es sich gut und natürlich und selbstverständlich anfühlt. Das hilft dabei, die Bewegungsabläufe im Körper gut vorzubereiten und gibt dir ein neues Gefühl der Sicherheit.

Zweitens: Vermeide, solange das Problem noch nicht vollständig gelöst ist, mit vielen Leuten darüber zu reden. Denn das gibt ihm Raum und macht es wichtiger als es ist – nämlich eine Phase, die dir ermöglicht, mental stärker zu werden und auch schwierige Elemente gut zu turnen, selbst wenn die alte Unbefangenheit nicht mehr da ist. Das ist in Ordnung, und es ist jetzt wichtig, dass du dich auf die Lösung konzentrierst, anstatt dich mit dem Problem im Kreis zu drehen.

Drittens: Atemübungen, die das vegetative Nervensystem beruhigen, können vor der praktischen Durchführung helfen – denn in einem gelassenen entspannten Körper gibt es keine Angst. Das ist wirklich so: Schaffst du es, den Stress aus dem Körper zu holen, ist auch die Angst weg – automatisch! Versprochen! Wie du das machen kannst? Zum Beispiel:

  1. komplett ausatmen, bis die Lunge ganz leer ist. Atme durch den Mund aus und mach dabei ein Geräusch
  2. durch die Nase zügig einatmen
  3. 4 Sekunden lang die Luft anhalten

Diese Etappen wiederholst du drei Mal.

Klaus-Dieter Lübke Naberhaus

Antwort von: Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil)

Nachdem dir Thorsten und Anke schon viele Seiten deiner Herausforderung aufgezeigt haben und wie du damit umgehen kannst, möchte ich dich noch in einem weiteren Punkt begleiten. 

Du schreibst, dass es irgendwann einfach angefangen hat. Das passiert jedoch meist durch ein auslösendes Ereignis, dass oft auch gar nichts mit dem Sport zu tun haben muss und dir vielleicht auch gar nicht bewusst ist.

Wenn du dich zurück zum Anfang begibst, zum ersten Mal, als diese “Angst” auftrat, kann in diesem Zeitpunkt der Ansatz für eine Lösung liegen. Doch dabei ist es hilfreich Begleitung zu haben, die dich auf diese Reise zurück in die Vergangenheit führt.

Denn das Auftreten von Angst ist oftmals sinnvoll und hilfreich, sie will uns zeigen, dass da etwas Bedrohliches ist. Auf der anderen Seite beginnt sie in unserem Kopf, so dass wir manchmal Dinge, Situationen und Menschen mit Bedrohung verknüpfen, obwohl wir keinen Grund zur Furcht haben.

Wenn du das für dich herausgefunden hast, dann kann es sein, dass dieses Thema schon erledigt ist. Ansonsten sind die Hinweise von Anke und Thorsten sehr hilfreich. Vor allem die Aktivierung des Teiles des Nervensystems, das der Angst entgegenwirkt, ist dabei besonders effektiv. Dies kannst du durch die Atmung aktivieren, wie dir Anke gezeigt hat, oder durch eine Phantasiereise zu einem ruhigen, sicheren Ort, an dem du dich wohl fühlst. Dabei schließt du die Augen und reist auf deine ganz eigene Art und Weise dorthin.

Stellst dir vor, wie es dort aussieht, vielleicht ein Platz in der Natur, eine Insel oder auch ein ganz anderer Phantasieort. Du hörst, was es dort zu hören gibt, das Rauschen von Wasser, das Summen von Insekten oder etwas ganz anderes und fühlst vielleicht den Wind, die Sonne auf der Haut oder andere Einwirkungen. Und immer, wenn deine Gedanken woanders hinwollen, kannst du deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem richten und zum sicheren Ort zurückkehren.

Gerne helfen meine Kollegen und ich dir, wenn du Begleitung auf diesem Weg benötigst.

Ich wünsche dir ein gutes Gelingen und viel Spaß in der Bewegung.

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    Mathias Liebing
    Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
    Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de