„Was für eine geile Truppe!“, „Was für eine geile Truppe!“, „Was für eine geile Truppe!“ Bereits meine ersten Berührungspunkte im Sommer 2022 mit der neu zusammengestellten U16 des Halleschen FC ließen mich eine große Begeisterung empfinden sowie eine enorme Vorfreude auf die Saison 2022/2023 entwickeln. Ich war früh Feuer und Flamme und spürte: In dieser Mannschaft steckt eine Menge Leidenschaft, eine enorme Wissbegierde und eine hohe Bereitschaft, sich auf Neues wie z.B. die Sportpsychologie einzulassen. Ich nahm auch wahr, dass in dieser Truppe ein besonders stark ausgeprägtes Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe und zugleich einer klaren pädagogischen Führung herrschte. Diese Saison, die sich nun Ende Juni dem Ende zuneigt, war für mich als verantwortlicher Sportpsychologe für den Nachwuchs des Halleschen FC meine fünfte. Dementsprechend habe ich schon mit einer Vielzahl an Teams zusammenarbeiten dürfen. Und in dieser U16, die ich eng begleiten durfte, fühlte ich mich so wertgeschätzt und eingebunden wie niemals in einer anderen Mannschaft zuvor. Dieser Artikel hat zum Ziel, die Unverzichtbarkeit der Sportpsychologie im Nachwuchsleistungsfußball aufzuzeigen und die enorme Bandbreite sportpsychologischer Wirkungsmöglichkeiten anhand meines Wirkens in dieser Saison in der U16 zu verdeutlichen. Hierfür möchte ich meine eigenen Meinungen und Ansichten bewusst um die Perspektiven des Cheftrainers und der Spieler ergänzen.
Zum Thema: Zur Bedeutung der Sportpsychologie im Nachwuchsleistungsfußball
In den vergangenen Jahren wurde mir immer bewusster, welchen Mehrwert mein Fachbereich dem Fußball bieten kann. Und wie wichtig es dafür ist, auf Verantwortliche und insbesondere Trainer zu stoßen, die ebenfalls von diesem überzeugt sind oder sich überzeugen lassen. Vor allem dann, wenn diese infolgedessen den Wunsch einer Zusammenarbeit deutlich zum Ausdruck bringen und selbst eigene Vorstellungen entwickeln, wie diese gemeinsam gestaltet werden kann, erhöht sich die Chance auf ein erfolgreiches Wirken als Sportpsychologe. Schwierig wird es hingegen, wenn die Zusammenarbeit gegen den Willen des Trainers durch den Verein angeordnet wird.
Auch bedingt durch meine langjährige Zusammenarbeit mit dem Cheftrainer der U16, Yannick Burmeister, nahm ich bereits zu Beginn der Saison ein maximales Interesse des Trainerteams daran wahr, mich so intensiv wie möglich einzubeziehen, mir möglichst viel Gestaltungsspielraum zu schenken und mich und meine Fähigkeiten möglichst frei und so oft wie möglich zur Entfaltung kommen zu lassen. Ich kann mir kein Verhältnis, das von größerem Respekt, Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist, als jenes zu diesem Trainerteam ausmalen. Ihre Haltung zur Sportpsychologie ist modern: Längst haben sie die Notwendigkeit eines systematischen Einbeziehens des Sportpsychologen in die alltägliche Trainingsarbeit erkannt, statt diesem das Etikett des Feuerwehrmanns, den man nur dann ruft, wenn es fünf vor zwölf ist, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, zu verleihen. Sie verstehen die tägliche Arbeit an sozialen und mentalen Kompetenzen als unverzichtbaren Ausbildungsbaustein und wollen mit mir zusammenarbeiten, wenn es nicht läuft, aber genauso dann, wenn das Team gerade überperformt.
Genau wie andere Wissenschaften, z.B. die Trainingswissenschaft, trägt die Sportpsychologie entscheidend zur Optimierung der Leistung bei, die sich aus unzähligen Faktoren zusammensetzt. Zudem hilft sie dabei, die Persönlichkeit des Menschen weiterzuentwickeln und unterstützt alle Beteiligten dabei, die individuelle psychische Gesundheit zu erhalten, die wiederum erst die Grundlage zur Leistungserbringung darstellt. Zudem müssen sich Trainer wohl eingestehen, dass sie zwar in jedem Bereich über Wissen verfügen, aber nicht in jedem Bereich die absoluten Experten sind – aufgrund der Komplexität der Trainerrolle auch gar nicht sein können. Und deshalb benötigen sie Fachleute, die sie dann mitnehmen, führen und sich gleichzeitig entfalten lassen müssen, so auch den Sportpsychologen, der idealerweise ein verschwiegener Geheimnisbewahrer, Vermittler und Unterstützer ist.
Zusammenfassend möchte ich kurz und knapp aufzeigen, warum die Sportpsychologie im Nachwuchsleistungsfußball schlichtweg alternativlos ist: Gerade in jungen Jahren sollte die Weiterentwicklung des Spielers und des Menschen dahinter im Vordergrund stehen. Dafür benötigt es eine Ganzheitlichkeit, sprich ein gezieltes Entwickeln technischer, taktischer, vor allem aber auch sozialer und mentaler Kompetenzen. Zudem braucht es eine systemische Herangehensweise, die auch z.B. eine proaktive Elternarbeit vorsieht. Diese lässt sich, ebenso wie die gerade angesprochene Ganzheitlichkeit, nur durch das Zusammenspiel von Fußballtraining und Sportpsychologie erzielen. Denn Trainer allein können der Summe der zu vollziehenden Handlungsschritte, die es für eine solche ganzheitliche Ausbildung braucht, gar nicht gerecht werden. Es braucht in einem Funktionsteam also zusätzlich zu Experten für das Physische auch Experten für das Psychische. Zudem ist der Trainer aufgrund seiner Rolle als Entscheider oftmals dazu gezwungen, zuerst den Spieler und erst dann den Menschen zu betrachten, denn er stellt primär nach sportlicher Leistung auf. Der Sportpsychologe dagegen fokussiert sich vielmehr auf den Menschen hinter dem Spieler, unterstützt den Trainer dabei, die zwischenmenschlichen Beziehungen zu den Spielern im Auge zu behalten und zu fördern und kann dadurch positiven Einfluss auf ihre Leistungsfähigkeit und ihr Wohlbefinden nehmen. Des Weiteren geht es im Nachwuchsleistungsfußball um das Erbringen von sportlicher Leistung. Dies führt zu hohen Anforderungen und Erwartungshaltungen, was wiederum die Entstehung von übermäßigem Leistungsdruck begünstigen kann. Der Sportpsychologe kann die Systembeteiligten wie Spieler und Trainer dabei unterstützen, einen stimmigen Umgang mit diesem Druck zu erlernen und einen positiven intrinsischen Leistungswillen zu fördern. Außerdem: Der Körper führt die Handlung aus, aber der Kopf steuert diesen, entscheidet über die Einsatzbereitschaft und Motivation, die Herangehensweise, Widerstände zu überwinden, den Umgang mit Misserfolgen und auch – auf das Team bezogen – die Art der Zusammenarbeit sowie die Entstehung und Weiterentwicklung einer Gemeinschaft. Umso wichtiger erscheint es vor diesem Hintergrund, den Kopf gezielt zu trainieren, oder?
Die fünf großen Wirkbereiche der Sportpsychologie im Jugendleistungsfußball
Im Folgenden möchte ich konkret darstellen, wie ich mit tatkräftiger Unterstützung der Trainer den Kopf der Spieler trainiert habe, wie wir Fußballtraining und Sportpsychologie miteinander verbunden haben und wie ich – immer unter Berücksichtigung einer ganzheitlichen Ausbildungsphilosophie und systemischen Herangehensweise – versucht habe, die Trainer in ihrer Funktion zu unterstützen. Dies möchte ich anhand der fünf großen Wirkbereiche coach-the-team, coach-the-player, coach-the-coach, Trainings- und Spielbeobachtung sowie coach-the-parents tun. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es zu Saisonbeginn einer detaillierten Auftragsklärung mit den Trainern und Spielern bedurfte, um aus einer Unterstützerrolle wirkungsvoll Akzente in der alltäglichen Arbeit setzen zu können.
Coach-the-team
Dieser Bereich lässt sich unterteilen in die Durchführung von Workshops zur Förderung der mentalen Stärke, Durchführung von Workshops auf Trainerauftrag sowie die Umsetzung von Life Kinetik-Einheiten. Zu dieser Saison habe ich ein Workshop-Konzept entwickelt, das vorsieht, systematisch und zielgerichtet die mentale Stärke der Spieler zu entwickeln. So werden ab der U14 aufwärts in jeder Altersstufe jeweils vier bzw. zwei (U19) Workshops zu in mentaler Hinsicht bedeutenden Themen durchgeführt, sodass sich ein HFC-Spieler, der idealerweise alle Jahrgänge bis zur U19 durchläuft, Input zu insgesamt zwanzig Themen erhält. So gelingt es, die Kinder bzw. Jugendlichen frühzeitig für die Sportpsychologie zu sensibilisieren, sie noch proaktiver mit mentalem Handwerkszeug „auszustatten“, um Situationen auf und neben dem Feld gewachsen zu sein sowie die Sportpsychologie (schrittweise) als normalen Ausbildungsbestandteil in die alltägliche Trainingsarbeit zu integrieren. Zur Erhöhung der Nachhaltigkeit erhalten alle Spieler, so auch die der U16, zu Saisonbeginn ein Workbook, das als Arbeitsgrundlage dient, als Nachschlagewerk fungiert und weitere Impulse wie z.B. Übungen zur tiefergehenden Beschäftigung mit dem Thema über den Workshop hinaus beinhaltet. Des Weiteren führe ich mit jedem Trainerteam vor der Durchführung des Workshops ein kurzes Gespräch durch, um Wege aufzuzeigen, wie das jeweilige Thema durch den Einfluss der Trainer auch über den Workshop hinaus möglichst nachhaltig mit Leben gefüllt werden kann. Mit der U16 haben wir uns mit folgenden Themen auseinandergesetzt (Workshops zur Förderung der mentalen Stärke):
- Der Nicht-Starter: ein wichtiges Puzzleteil für den Erfolg
- Trainieren? Ich mach´s bewusst!
- Mein Wettkampfcocktail
- Dein innerer Geschichtenerzähler – mach ihn zu deinem Freund!
Darüber hinaus habe ich auf Auftrag der Trainer zu einem aus ihrer Sicht stimmigen Zeitpunkt weitere Workshops zu folgenden Themen mit dem Team durchgeführt:
- Mit unterstützend-emotionalem Coaching zum Erfolg
- Planung, Zeitmanagement und Zuverlässigkeit – die Entwicklung von Selbstmanagement-Kompetenzen
Sowie drei Reflexionsworkshops:
- Reflexion der Umsetzung des erarbeiteten Wertekanons
- Reflexion der bisherigen Zusammenarbeit im Team
- Fremdfeedback durch Mitspieler und Trainer im Duo-Format
Als ausgebildeter Life Kinetik-Trainer führte ich zudem ab und zu entsprechende Einheiten auf dem Feld mit den Jungs durch, um in erster Linie einen alternativen Trainingsreiz zu setzen. Life Kinetik ist ein Bewegungsprogramm, das motorische Aufgaben mit kognitiven Herausforderungen und Wahrnehmungsaufgaben kombiniert, um z.B. die Koordination sowie die kognitiven Fähigkeiten zu schulen.
Feedback Valentin Liebegott zu den Life Kinetik-Einheiten:
Coach-the-player
Dieser Bereich bezieht sich auf Coaching- und Beratungsprozesse von Spielern auf der Individual- und Kleingruppenebene. In den ersten sechs Wochen der Zusammenarbeit führte ich zunächst Kennenlerngespräche mit den Spielern in Form eines freiwilligen Angebots meinerseits durch. Mit dem Ziel, sich gegenseitig kennenzulernen, eine Beziehung aufzubauen und inhaltliche Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit in dieser Saison zu definieren. Auf dieser Grundlage kamen im Saisonverlauf immer wieder Spieler mit Themen proaktiv auf mich zu. Beispielhaft seien folgende genannt:
- Umgang mit Druck
- Umgang mit Emotionen
- Verbesserung der verbalen und nonverbalen Kommunikation auf dem Feld
- mentale Unterstützung in der Rehabilitation
- Umgang mit Zwangspausen
- Entwicklung von Führungskompetenzen
- Auflösung von Konflikten innerhalb des Teams
- Videobasierte Reflexion einer Trainingseinheit unter mentalen Gesichtspunkten
Zudem war es den Trainern wichtig, mich in die Aufarbeitung von Fehlverhaltensweisen mancher Spieler einzubeziehen. Im Rahmen einer Sitzung stellte ich den Trainern des HFC ein Konzept vor, das einen pädagogisch wertvollen Umgang mit einer Fehlverhaltensweise vorsieht. Einen Umgang, der vorsieht, den Spieler sein Verhalten reflektieren zu lassen, um Lernprozesse auszulösen, das eigene Verhalten auf Stimmigkeit zu überprüfen, die Folgen seines Verhaltens im Hinblick auf Trainer und Team reflektieren zu lassen sowie eine aktive Wiedergutmachungsleistung und eine transparente Kommunikation dem Team und Trainern gegenüber vorzubereiten. Angelehnt an dieses Konzept führte ich mit Spielern bei aufgetretenen Fehlverhaltensweisen wie z.B. im Falle wiederholter mangelnder Zuverlässigkeit entsprechende Gespräche. Das Trainerteam und meine Person setzten sich zudem gezielt mit verletzten Spielern auseinander, um über eine bestmögliche Unterstützung und Betreuung des Spielers in der Rehabilitationsphase zu diskutieren – in Form von gemeinsamen Gesprächen mit dem Spieler.
Auf Auftrag der Trainer entwickelte ich ein Konzept zur Individualförderung der Toptalente des Teams und unterstützte Trainer und Spieler bei der entsprechenden Umsetzung. Im Wesentlichen bestand das Konzept aus den folgenden Schritten:
- Vorstellung des Angebots gegenüber den als Toptalenten identifizierten Spielern gemeinsam mit den Trainern
- Durchführung einer beobachtungsbasierten Diagnostik durch die Trainer (u.a. Bereiche Technik & Taktik) bzw. mich (Bereich Psyche)
- Diagnostikgespräche mit den Spielern & Ableitung von Maßnahmen gemeinsam mit den Trainern
- gemeinsame Erstellung individueller, auf die Bedürfnisse und Lebenswelt der Spieler angepasster Entwicklungspläne
- Durchführung
Für die Umsetzung spezieller, von uns aufgrund fehlender Expertise nicht abzudeckender Wünsche, wie z.B. der Entwicklung spezieller Kraftfähigkeiten, holten wir uns für die Diagnostik und Erstellung entsprechender Krafttrainingspläne in Person des Athletiktrainers unserer Profis, Ken Kaiser, zusätzliche Expertise mit ins Boot. Zudem bekam jedes der Toptalente einen Mentor in Form von meiner Person bzw. der des Cheftrainers an die Seite gestellt, um über den gesamten Prozess hinweg den Spieler eng zu begleiten und zielgerichtet mit ihm im Gespräch zu sein.
Im Kleingruppenformat führte ich nach Absprache mit dem Trainerteam regelmäßig Leadershipcoachings mit von den Coaches als Leader identifizierten Spielern durch, im Sinne der Entwicklung mentaler Fertigkeiten und Führungskompetenzen.
Coach-the-coach
Ganz besonders wichtig ist eine saubere Auftragsklärung mit Trainern zu Beginn einer Zusammenarbeit. Wie soll diese gestaltet werden? Wie soll Kommunikation aussehen? In welche Rollen soll der Sportpsychologe schlüpfen, um von Trainerseite als Unterstützer wahrgenommen zu werden? Es bedarf einer detaillierten Auseinandersetzung mit Fragen wie diesen, um bestmöglich zusammenarbeiten zu können – und nicht etwa aneinander vorbei. So war es den Trainern wichtig, dass ich situationsgerecht folgende Rollen einnehme:
- ein Spiegel, der sie in ihrem gesamten für mich wahrnehmbaren Verhalten permanent reflektiert
- ein Impulsgeber, der proaktiv Ideen und Anregungen rund um die Themen Teamentwicklung, Mannschaftsführung und Workshops einbringt
- ein Berater, der auf Fragen hin beratend zur Seite steht
- ein Meinungsäußerer, der auch immer wieder eine kritische Gegenperspektive einnimmt und Wachstumspotenziale in Sachen Trainerverhalten offenlegt
- ein Erinnerungsanker, der fast schon penetrant nervig immer wieder zur Umsetzung von in gemeinsamen Meetings besprochenen Handlungsschritten anregt
In der Regel führte ich alle zwei Wochen mit Yannick zu einer festen Zeit Trainermeetings durch, um z.B.
- lösungsorientiert über Themen rund um das Team, einzelne Spieler und Elternteile ins Gespräch zu kommen,
- anstehende Maßnahmen, wie z.B. Teambuildingevents, zu planen und Handlungsschritte, z.B. ein anstehendes Trainer-Spieler-Gespräch, exakt vorzubereiten und
- durchgeführte Maßnahmen konstruktiv-kritisch zu reflektieren
Wiederkehrende Themen in unseren Meetings waren die folgenden:
- pädagogisch wertvoller Umgang mit Spielern im Falle von Verfehlungen
- Entwicklung von Leitfäden für die Durchführung von Gesprächen mit Eltern und Spielern
- Vorbereitung von Spieltagsbesprechungen
- Planung von Maßnahmen und Übungsformen zur Verbesserung des emotional-unterstützenden und taktischen Coachings
- Planung der Saison- und Rückrundenvorbereitung unter mentalen Gesichtspunkten
- Planung von Teambuildingevents
- Entwicklung von Möglichkeiten, verletzte Spieler einzubeziehen
- Entwicklung stimmiger Herangehensweisen an Spiele als haushoher Favorit
- Entwicklung einer Führungsspielerstruktur
- Vorbereitung von Feedbackgesprächen mit Spielern
- Planung und Durchführung einer systematischen Kommunikation mit Eltern via Mail
- Kabinengestaltung & Kabinenordnung
Trainings- und Spielbeobachtung
Meiner Erfahrung nach ist die Herangehensweise, in seinem Büro zu sitzen und zu warten, bis Spieler oder Trainer mit einem Anliegen auf dich als Sportpsychologen zukommen, wenig zielführend. Viele Leistungsressourcen, die ein Sportpsychologe ausschöpfen könnte, gehen flöten. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Als Sportpsychologe ist es unabdingbar, Präsenz zu zeigen, und zwar unmittelbar in der Lebenswelt der Spieler und Trainer. Und diese liegt primär auf dem grünen Rasen. Die Anwesenheit auf dem Feld hilft dabei, Beziehungen zu den Spielern und Trainern aufzubauen, Anteilnahme, Wertschätzung und Interesse für das, was auf dem Feld von diesen geleistet wird, auszudrücken bzw. durch das Geben gezielter Rückmeldungen und Hilfestellungen im Anschluss an das Training oder Spiel Reflexionsprozesse anzustoßen und Anknüpfungspunkte für eine potenzielle Zusammenarbeit zu liefern. Das Mandat, entsprechend Rückmeldungen im Hinblick auf beobachtbares Verhalten unter mentalen Gesichtspunkten geben zu dürfen, holte ich mir von den Trainern und Spielern zu Saisonbeginn im Rahmen der Auftragsklärung ab. Beim Geben entsprechender Rückmeldungen nahm ich die Rollen des Spiegels, Impulsgebers, Meinungsäußerers und Beraters ein. In Abhängigkeit von Person und Situation galt es, die jeweils passende Rolle(n) zu bedienen.
Was waren beispielhaft typische Aspekte, den ich den Trainern spiegelte?
- Gestaltung der Ansprache vorm Spiel im Hinblick auf z.B. Rhetorik
- Funktionalität der Spieltagsabläufe
- Körpersprache
- Feedbackverhalten
- Aufmerksamkeitsgenerierung im Rahmen von Ansprachen etc.
- gewählte Mittel der Beziehungsgestaltung zu Spielern
- Kommunikation untereinander
- Einbezug der Spieler
- Umgang mit Konflikten
Was waren beispielhaft typische Aspekte, die ich den Spielern rückmeldete?
- Einsatzbereitschaft
- Körpersprache
- Emotional-unterstützendes Coaching
- Team- und Sozialverhalten
- Aufmerksamkeitslenkung bei Ansprachen, Feedbacks, Übungserklärungen
- Aufmerksamkeitslenkung im laufenden Training bzw. Spiel
- Umgang mit negativen Emotionen
- sonstige prägnante Beobachtungen
Die Rückmeldungen gab ich sowohl Spielern als auch Trainern gegenüber primär per Whatsapp-Sprachnachricht, da dies mit den Vorteilen einhergeht, dass ich meine Notizen zunächst strukturieren und auswerten kann, dass die Sprachnachricht vom Empfänger zu einem für ihn stimmigen Zeitpunkt abgehört werden kann und dass ich insbesondere eine Vielzahl an Spielern bedienen kann, denn: In zeitlicher und organisatorischer Hinsicht ist es unmöglich, mit z.B. zehn Spielern face-to-face ein Gespräch über die gerade erfolgte Einheit zu führen.
Coach-the-parents
Für denjenigen Trainer, der modern und systemisch stimmig führen möchte, gilt es, ein möglichst funktionierendes Unterstützungssystem für jeden einzelnen Spieler mitzuentwickeln bzw. zumindest positiv zu beeinflussen. Das System besteht aus dem Spieler selbst, der im Mittelpunkt steht, seinen Trainern, seiner Familie, seinem Freundeskreis und weiteren für ihn systemrelevanten Personen. Doch es braucht Arbeit, damit es sich wirklich zu einem Unterstützungssystem entwickelt. Dies ist dann der Fall, wenn alle Systembeteiligten in einem Boot sitzen, in eine Richtung rudern und der Spieler dabei maßgeblich Selbstverantwortung für seine Weiterentwicklung übernimmt. Besonders wichtige Helfer für die Spieler sind zweifelsfrei die Eltern, denn sie sind es, zu denen die Spieler oftmals die größte emotionale Bindung besitzen und einen enormen Einfluss ausüben. Zugleich sind sie für ein Funktionsteam der wichtigste Partner für die ganzheitliche Entwicklung der Spieler. Es ist von zentraler Bedeutung, sie von der eigenen Arbeit zu überzeugen, sie auf dem gemeinsamen Weg mitzunehmen und mit einzubinden, aber auch stimmige Grenzen zu setzen, gemeinsam in Austausch darüber zu treten, welches Elternverhalten für die Entwicklung des jeweiligen Spielers funktional ist und wie die Kooperation zwischen Trainern und Eltern aussehen sollte, um dem Spieler zu dienen. Trainer sollten darauf hinarbeiten, dass sich die Eltern ihrer Spieler gebraucht und gewertschätzt sowie als Teil des Ganzen fühlen. Gelingt es einem Trainer, diese Aspekte umzusetzen, so stellt – dann in hohem Maße funktionales – Elternverhalten eine enorme (und noch vielerorts enorm unterschätzte und stiefmütterlich behandelte) Leistungsressource dar.
Wie versuchte ich nun in meiner Funktion, die Eltern der Spieler – in enger Abstimmung mit den Trainern – zu unterstützen und darauf einzuwirken, dass sich funktionale Unterstützungssysteme für die Spieler entwickeln?
- Planung und Durchführung der Elternversammlung zu Saisonbeginn gemeinsam mit den Trainern
- Planung und Durchführung eines Elternabends gemeinsam mit den Trainern, inkl. der Möglichkeit für die Eltern, dem Funktionsteam gezielt Feedback zu geben
- Mitgestaltung von Elternmails zur Aufrechterhaltung einer systematischen Kommunikation
- Mitgestaltung eines Come Together, einem gemeinsamen Saisonabschluss von Spielern, Eltern und Trainern
- Gespräche mit Trainern, Eltern und dem jeweiligen Spieler zu anfallenden Themen
- Einzelberatungen von Eltern auf Anfrage zu Themen wie:
- Umgang mit Anfragen anderer Vereine
- Umgang mit pubertierenden Verhaltensweisen des Sohnes
Fazit
Wahrscheinlich hat diese atemberaubende Vielfalt an Möglichkeiten, mich einbringen zu dürfen, in Kombination mit den Menschen, die dies erst ermöglicht haben, dazu geführt, dass diese Saison die bislang schönste meines Lebens war. Ich möchte mich daher herzlich bei den Trainern Yannick Burmeister und Jonathan Ranft bedanken, die mir ein maximales Vertrauen entgegengebracht haben und auf dem besten Weg sind, bald in der ersten Bundesliga zu coachen. Bedanken möchte ich mich zudem bei unseren wissbegierigen, leidenschaftlichen und charakterlich einwandfreien Spielern und auch bei den Eltern dieser jungen Fußballer. Ich bin extrem dankbar für diese Saison und wünsche mir, vergleichbare Erfahrungen in Zukunft noch einmal machen zu dürfen.
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