Angst ist ein Thema, über das im Sport nur unfreiwillig oder gern oberflächlich und meist mit viel Abstand zu unserer eigenen Situation gesprochen wird. Dabei begleiten jeden Sportler und jede Sportlerin Ängste. Mal viele kleine, mal riesengroße Ängste. Und manchmal stehen sie uns brutal im Weg. So wie einem jungen Leistungsfußballer, der anonym zu uns Kontakt aufgenommen hat. Ihn plagt nach entsprechender Leidenszeit die Angst vor einer neuerlichen Verletzung. Wir versuchen, Abhilfe zu schaffen.
Zum Thema: Umgang mit Verletzungen
Die konkrete Anfrage lautet: Ich habe mir vor vier Monaten einen Muskelbündelriss im Hamstring zugezogen. Dann habe ich zu früh (nach vier Wochen) wieder angefangen und die Verletzung ist erneut aufgekommen. Dann habe ich zehn Wochen lang pausiert und war bei der Physio. Bei meinem ersten Sprintversuch hat es wieder gezogen. Ich bin verzweifelt und habe nun panische Angst, wieder voll zu sprinten, da ich befürchte, dass wieder etwas reißt.
Die Frage: Wie werde ich die Angst los, so dass ich mich wieder traue, zu rennen und Fußball zu spielen?
Antwort von Maria Senz (zum Profil):
Lieber Sportler,
Fußball ist ein so impulsiver, schneller Draußen-Sport, umgeben von einer unglaublichen Stadionkulisse – Gänsehaut, Freudentaumel, Jubel, Feuerwerk. Aktuell scheint diese sportliche Leidenschaft von einer (wiederholten) Verletzung für dich ausgebremst zu sein. Dein Geist reagiert mit panischer Angst, was sich auf deinen Körper überträgt. Die Folge: vermutlich gehst du in unbewusste Schonhaltungen, was dazu führen kann, dass deine gewohnte und benötigte Erwärmung sowie Technik unvollständig ausgeführt wird und mit Zerrungen enden.
Um deine Angst Stückchen für Stückchen im Kopf zu lösen, so dass auch dein Körper wieder in seine ursprüngliche Bereitschaft zurückkehren kann, ist ein erster Schritt, deine Angst zu verstehen und zu akzeptieren. Denn erst, wenn wir Dinge akzeptieren, sind wir in der Lage, diese auch loszulassen. Angst kann ein wichtiger Begleiter sein, der uns schützen möchte – Schützen vor Gefahren.
Für eine bessere Nachvollziehbarkeit möchte ich dir eine mögliche Auswirkungskette aufzeigen, die durch Angst ausgelöst werden kann: aus der Angst heraus kann sich Unsicherheit nähren. Unsicherheit, die vermutlich in deine Sprinttechnik einwirkt und dich anders Sprinten lässt als dein gewöhnliches, dir bekanntes Sprinten. Das wiederum löst Frust bei dir aus, da deine gewohnte und verlässliche Technik ausbleibt. Du setzt dich unter Druck. Diese Art Druck ist ein hinderlicher Begleiter, der vermutlich deine Anspannung hervorruft. Diese Anspannung lähmt zusätzlich deine körperliche Bewegung, so dass deine Technik weiter in Mitleidenschaft gezogen wird. In Summe ein Chaos, was neuerliche Verletzungen vorprogrammiert.
Wie also nun aus diesem Dilemma entfliehen, um entspannt den Sport auszuführen?
(1) Deine Angst hast du bereits erkannt. Nun fang an, mit ihr zu kooperieren und sie für dich zu nutzen, indem du mit ihr ins Gespräch gehst (=Akzeptanz): “Hallo Angst, schön, dass du da bist und auf mich aufpassen möchtest. Gleichzeitig möchte ich dich heute bitten, dass ich die Führung übernehme und du als stille Beobachterin von der Tribüne aus zu gucken darfst.” Symbolisch/gedanklich platzierst du sie auf der Tribüne. – Effekt: Du übernimmst und delegierst die Angst (vorher war es vielleicht umgekehrt).
(2) Mach die Unsicherheit zur Sicherheit: was gibt dir Sicherheit in deinem Sport/was davon hast du selber in der Hand? Zum Beispiel deine Schuhe, deine Kleidung, dein Ziel, der Untergrund, das Stadion, die Abläufe beim Sprint, die Technik in ihren einzelnen Mini-Schritten, Armband/Kette/Talisman mit denen du zum Beispiel Sicherheit und Stärke verbindest.
(3) Mach aus dem Frust Verständnis. Verständnis für deine Situation, dass deine Verletzung noch etwas Zeit braucht und du ggf. ein paar Trainingsschritte zurück gehst. Erinnere dich an einen Trainingsstandpunkt, wo deine Messlatte niedriger lag. Steige genau dort ins Training ein, so dass Trainingserfolge für dich realistisch werden. Geduld lässt Freude und Zuversicht möglich werden.
(4) Druck erzeugt meist Gegendruck, allein schon aus der Physik heraus. Der Druck kommt daher, dass deine eigentliche Leistung aktuell verborgen scheint, mit deinem Wissen, dass diese Leistung möglich ist. Du möchtest also unbedingt diese Leistung abrufen. Das alles passiert auf der geistigen Ebene. Dein Körper allerdings ist noch auf einem anderen Level. Versuche also deine Gedanken zu steuern, so dass aus dem Druck ein Sog wird. Vielleicht in etwa so: “Ich weiß, dass ich es kann und die Leistung möglich ist. Ich weiß, wo ich wieder hin möchte und was ich erreichen kann. Das motiviert mich, in kleinen Schritten in diese Richtung hinzuarbeiten.
Und wenn du anfängst, die Schritte eins bis vier mit dem Glauben daran auszuprobieren und erste Fortschritte spürbar werden, dann kommt deine gewünschte Leistung wie von selbst zurück. Bedenke: es ist ein Prozess. Dabei lieber von 0 auf 10 und wieder zurück, anstelle von 0 auf 100 und wieder kaputt.
Das ist eine mögliche Vorgehensweise für dich. Probier es aus, sei geduldig mit dir, erlaube dir Übung, Wiederholung, Anpassung und vor allem Freude beim Training.
Antwort von Anke Precht (zum Profil):
Was du gerade durchmachst, haben schon viele Sportler erlebt – besonders nach einer wiederholten Verletzung. Verletzungen können auch psychisch verletzen, und wie Maria Senz schon ausgeführt hat, entsteht dann Angst, um den Körper vor einer erneuten Verletzung zu “schützen”. Als würde sich das Gehirn sagen: “Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Wer nicht rennt, dem passiert auch nichts.”
Natürlich wird dabei vergessen, dass die sportliche Performance für einen Sportler wichtig ist, und wenn die medizinische Abteilung das Go gegeben hat, ist Training besser als Schonung, auch bis in den maximalen Bereich.
Aus Sicht des physischen Trainings kann hilfreich sein, immer wieder anzusprinten, und zwar so viel, dass es sich stabil anfühlt. Dann minimal erhöhen. Die Zahl der Wiederholungen “ohne” Probleme sind entscheidend dafür, dass Körper und Psyche wieder Vertrauen in die Stabilität der Muskulatur gewinnen – auch wenn es sich parallel dazu noch komisch anfühlt.
Zur gleichen Zeit sollte dann die psychologische Verarbeitung stattfinden. Die von Maria Senz beschriebene “Do-it-yourself”-Strategie kann gut ergänzt werden durch Verfahren, die sich in der Traumatherapie bewährt haben und dazu führen, dass die Verletzung im Gehirn vollständig verarbeitet wird. Dass sie also aus der Wiedervorlage, wo die Erinnerung als “Aufpasser” Angst produziert, um zu “schützen”, ins Archiv kommt und dort die passenden Etiketten bekommt, die zur gegenwärtigen Realität passen. Also: Es ist überstanden, der Doc hat das Ok gegeben, ich habe aus meinem Übereifer gelernt, dieses Mal bin ich es langsamer angegangen und bin in Sicherheit.
Diese Verfahren wie EMDR, EMI, Klopfakupressur oder auch Somatic Experiencing bieten einige Sportpsychologen an, und auch psychologische Traumatherapeuten. Es lohnt sich, ein paar Termine zu buchen, um den Kopf dann wieder frei zu haben, mit einer gesunden Vorsicht – aber ohne Angst.
Antwort von Jan van der Koelen (zum Profil):
Toll, dass du deine Frage stellst, damit hast du schon Schritte gemacht, um für dich eine Lösung zu finden, damit du wieder mit Freude und Leichtigkeit auf dem Platz stehen kannst.
Die Angst ist ein natürliches Gefühl und sie erzeugt auch eine Achtsamkeit im Umgang mit deinem Körper. Aber manchmal kann die Angst auch überwältigend sein und uns davon abhalten, die Dinge zu tun, die wir wirklich tun möchten. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, mit Angst umzugehen. Jeder Mensch ist anders und deshalb gibt es keine „richtige” Methode, mit der Angst umzugehen. Die wichtigste Sache ist herauszufinden, was für dich am besten funktioniert.
Wenn aus medizinischer Sicht wieder alles verheilt ist und du Angst vor dem Sprinten oder Fußballspielen hast, gibt es einige Dinge, die du tun kannst, um damit einen nützlichen Umgang zu finden:
1. Identifiziere und akzeptiere deine Angst: Zunächst einmal solltest du versuchen, deine Ängste zu verstehen und zu akzeptieren. Was ganz genau macht dir Angst? Wenn du weißt, was genau dich ängstigt, kannst du diesem Gefühl besser entgegentreten. Stelle dir Fragen wie: Ist es die Angst vor dem Schmerz, der erneuten Verletzung, dem Nicht-spielen-können, den Erwartungen oder etwas anderes?
2. Atme tief durch und führe positive Selbstgespräche: Atmen hilft uns, unseren Körper zu entspannen und unser Denken zu beruhigen. Beim Ein- und Ausatmen kannst du dir vorstellen, wie deine Angst sich z.B. mit deinem Glauben an dich selbst auswechselt. Übe dich gerne auch in regelmäßigen positiven Selbstgesprächen und glaube an dich. Beispielsweise: „Ich bin fit. Ich kann sprinten, Ich schaffe das.” – Überprüfe, ob deine Angst sich dadurch regulieren lässt.
3. Visualisiere den Erfolg und den Heilungsprozess: Stelle dir vor, wie es sich anfühlt, wenn du deine Ziele im Sprinten und im Fußball erreicht hast. Vielleicht siehst du dich selbst nach dem Laufen glücklich und zufrieden. Diese positive Visualisierung hilft dir dabei, deine Ängste zu bewältigen und dich auf den Erfolg zu konzentrieren. Du kannst auch deinen Heilungsprozess visualisieren, indem du vor deinem inneren Auge die Rückseite des Oberschenkels mit den zuständigen drei Muskeln aufkommen lässt.
4. Setze realistische Ziele: Überlege dir genau, was du nach zehn Wochen Pause erreichen möchtest und stelle sicher, dass diese Ziele realistisch sind. Fang langsam an und arbeite dich Schritt für Schritt beim Sprinten vor. Prüfe auch, ob allein joggen oder im Freien Fußball spielen, ohne Erwartungsdruck von Innen und Außen, einen Unterschied im Angsterleben auslöst.
Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, mit Angst umzugehen oder geschweige denn sie loszuwerden – jeder kann hierbei seinen eigenen Weg finden. Aber sobald du lernst, damit umzugehen, wirst du sehen, dass sie nicht mehr so mächtig ist und du dich wieder freier fühlst! Manchmal hilft es auch, mit jemandem darüber zu sprechen, damit du deine Gedanken sortieren kannst. Ich wünsche dir viel Erfolg!
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