Prof. Dr. René Paasch und Thorsten Loch: Versagen unter Druck – Das schaffe ich mit links!

Dieser eine Moment, der über menschliches Versagen unter Leistungsdruck häufig stattfindet. In diesem Augenblick steht die Welt für den Leistenden still. Es sind solche Gegebenheiten, die den Sportfans ewig in Erinnerung bleiben. Erinnern wir uns an das Penaltyschiessen zwischen England und Deutschland im Halbfinale der Europameisterschaft 1996, als Gareth Southgate seinen entscheidenden Versuch gegen unseren damaligen Torhüter Andreas Köpke nicht nutzen konnte. Oder Tennisspieler*innen, Golfer*innen aller Altersklassen, die den entscheidenden Ball ins Aus schlagen. Sie alle haben etwas gemeinsam! Sie können in einer entscheidenden Situation ihre Leistungsfähigkeit nicht abrufen. Wir nehmen diesen Ball auf und zeigen anhand einer aktuellen Studie der TUM aus den Jahr 2021, wie Sie Ihr Versagen und Druck mit einem einfachen Hilfsmittel beeinflussen können. 

Zum Thema: Abliefern, „wenn es darauf ankommt“  

Seit vielen Jahren analysiert die Arbeitsgruppe Sportpsychologie von Prof. Dr. Jürgen Beckmann das Phänomen „Versagen unter Druck“. Bei der Untersuchung verschiedener Sportarten konnte die Forschergruppe feststellen, dass bei Rechtshändern das dynamische Drücken eines Balls mit der linken Hand als besonders wirkungsvoll angesehen werden kann (Baumann et al., 2005). Eine Möglichkeit zur Reduzierung der internalen Aufmerksamkeit liegt somit in einer gezielten Veränderung der Hemisphären-Dominanz. Die Ausführung von automatischen Verhaltensroutinen wird jedoch von der rechten Hirnhälfte gesteuert (Kuhl, 2001). Von daher erscheint die aufmerksame Kontrolle und die damit verbundene übermäßige Aktivierung der linken Hemisphäre für die Ausführung der geübten Bewegungen ungünstig zu sein. 

Zunächst einmal sollten wir uns die Faktoren ansehen, welche das „Versagen unter Druck“ begünstigen können (Dohmen, 2008): 

  • Die Wettbewerbsintensität
  • Die Bedeutung des Resultats für die Protagonisten und relevante Stakeholder
  • Die Erwartungshaltungen
  • Die Anwesenheit von anderen Personen

Technikgedanken im Fokus

In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass ein(e) SportlerIn in Drucksituationen besonders motiviert ist. Man möchte alles unbedingt richtig machen und ruft daher Technikgedanken ab, welche man zuvor regelmäßig im Training gelernt und trainiert hat (Beilock & Carr, 2001). Je mehr ein Techniktraining also mit sprachlichen Technikelementen arbeitet, umso anfälliger sollte der Sportler für Technikgedanken in der Wettkampfsituation werden (Elbe & Beckmann, 2008). Ein Versagen wird nun dadurch erklärt, dass die Konzentration auf die Abfolgen einzelner Bewegungselemente den Fluss der Gesamtbewegung stört. Konzentriert sich der Athlet dementsprechend auf die für zentral gehaltenen Bewegungskomponenten, auch Knotenpunkte nach Eberspächer (2007) genannt, kommt es an den Übergängen zwischen den Punkten zu einem Verlust des Bewegungsflusses (Ehrenspiel, 2001). Die Bewegung wird sprichwörtlich „zerdacht“. Des Weiteren können Personen durch negative Gedanken, Ihre Automatismen und Intuitionen unterdrücken. Die Folge ist dann eine verminderte Leistungsfähigkeit (Harb-Wu & Krumer, 2019). 

Soweit so gut. Aber tauchen wir an dieser Stelle tiefer ein: Für das zuvor genannte Muster der Leistungsbeeinträchtigung sollten Personen mit einer Disposition zur Lageorientierung besonders anfällig sein. Charakteristischerweise können lageorientiere Personen in Drucksituationen nicht einfach die viele Male geübte Bewegung ausführen. Sie beginnen, wie zuvor beschrieben, über alles nachzudenken, was mit einer korrekten Bewegungsausführung zu tun hat (Elbe & Beckmann, 2008). Oder sie beginnen, darüber zu grübeln, welche blamable Konsequenz ihr „Versagen“ nach sich ziehen könnte. Doch kommen wir nun zu einer interessanten Untersuchung aus dem Tennis, die in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sein kann. 

Faustballen mit und ohne Ball 

Im Rahmen einer interessanten Studie der TUM wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe praktizierte direkt vor dem Aufschlag den dynamischen Handgriff zehn bis 15 Sekunden lang mit der linken Hand mit dem Tennisball, während die zweite Gruppe den Schlägergriff mit der rechten Hand über zehn bis 15 Sekunden aktiv drückte. Anschließend führten beide Gruppen jeweils acht Aufschläge mit einem vorgegebenen Ziel in einer ersten Runde ohne Druck durch, danach folgten weitere acht Aufschläge unter Druck. In der Gruppe, die mit der linken Hand einen Ball gedrückt hatte, blieb dabei die Genauigkeit der gültigen Aufschläge stabil, während sich bei der anderen Gruppe unter Druck der Abstand der gültigen Aufschläge vom Ziel vergrößerte, was auf einen Leistungsabfall hindeutet (Beckmann et al.,2021). 

Die grundlegende Annahme der Forscher ist, dass die rechte Gehirnhälfte eine ganzheitliche Ausführung einer hochautomatisierten Bewegung begünstigt, während die linke Gehirnhälfte durch sprachliche Repräsentation eher zu einer Zerlegung der Bewegungsausführung führt. Dies beeinträchtigt den Bewegungsfluss und führt zu größerer Ungenauigkeit. Somit sollte durch das Drücken der linken Hand bei Rechtshändern eine stärkere Aktivierung der rechten Gehirnhälfte erreicht werden. Weitere EEG-Untersuchungen der Arbeitsgruppe konnten zeigen, dass durch das linkshändige dynamische Handdrücken eher ein Entspannungseffekt eintritt. Das heißt, dass das Gehirn in den Alpha-Rhythmus übergeht und sich somit eine gewisse Entspannung einstellen kann. Die EEG-Befunde legen nahe, dass nicht die Aktivierung der rechten Gehirnhälfte erhöht wird, sondern die ängstlichen Repräsentationen in der linken Gehirnhälfte gehemmt werden, so dass eine automatisierte Bewegung wieder flüssig realisiert werden kann. Dieser psychologische Effekt funktioniert übrigens auch ohne Ball in der Hand. Viel Spaß bei der Ausführung und Sie schaffen es ganz sicher mit links! 

Fazit

Wenn wir verstehen, weshalb wir in Drucksituationen versagen, können wir entsprechend darauf reagieren. Die Technik der Handkontraktion bietet somit eine einfache und schnelle Interventionsmöglichkeit, die besonders für ängstliche Athleten hilfreich werden kann. Sportpsychologen*innen können dank evidenzbasierten Studien und praktischen Erfahrungen Hilfe zur Selbsthilfe bieten, die das „Versagen unter Druck“ reduzieren können.

Die beiden Experten:

Mehr zum Thema:

Unser Online-Coaching, u.a. mit Prof. Dr. René Paasch und Thorsten Loch:

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de