Dr. Hanspeter Gubelmann: Typisch Ashleigh Barty

Ashleigh Barty ist ein Phänomen. Als komplette Tennisspielerin entzückte sie die Massen. Ihre Art, die Karriere per sofort und auf dem sportlichen Höhepunkt zu beenden, erstaunt ebenso: selbstbestimmt, kompromisslos und mutig! Barty gelingt in jungen Jahren das, was viele gealterte Stars jenseits der 35 Jahren oft nur mit grösster Mühe schaffen – einen lustvollen Start im Übergang in eine nachsportliche Karriere.

Zum Thema: Karriereübergänge 

Auf dem sportlichen Höhepunkt, als unangefochtene Nummer 1 der Weltrangliste und während der längsten Siegesserie ihrer Karriere, hat die australische Tennisspielerin Ashleigh Barty ihren Rücktritt vom Spitzensport vollzogen. Wie kompromisslos sie ihren Weg geht, lässt sich allein an der Tatsache festmachen, dass ihr Name in der am kommenden Montag erscheinenden WTA-Rangliste nicht mehr auftauchen wird. Aus ihren Stellungnahmen zu ihrem mutigen Schritt, wird vor allem eines klar: Die junge Frau hat Lust, einen neuen, andersartigen und für sie spannenden Lebensabschnitt zu beginnen!

Das Lehrbuch sagt: Barty macht alles richtig!

In meiner ETH-Vorlesung „Sportpsychologie“ ist das Thema „Wenn der letzte Applaus verhallt ist – gelingender Übertritt in eine nachsportliche Karriere“ immer wieder Gegenstand spannender Diskussionen. Die Lehrmeinung dazu scheint einfach und plausibel: Die Transition – also der Übergang in die nachsportliche Karriere – gelingt dann besser, wenn folgende Aspekte positiv bewertet sind: 

– selbstbestimmter Zeitpunkt des Rücktritts, vorzugsweise mit sportlichem Erfolgserlebnis (z.B. Medaillengewinn an Olympischen Spielen); 

– körperlich und mental gesund; 

– Zufriedenheit hinsichtlich des sportlichen Karriereverlaufs;

– unterstützendes soziales Netzwerk, welches den Rücktritt trägt;

– finanzielle Absicherung über das Karriereende hinaus;

– frühzeitige Auseinandersetzung mit dem „Leben nach dem Spitzensport“

Nehmen wir diese Aspekte als Richtschnur, wird sofort klar: Barty nutzt ihre optimalen Ressourcen und Bedingungen, um den – für genau sie – passenden Moment zum Aufhören zu finden.

Emotionales Erleben und soziales Umfeld sind matchentscheidend

Sehr intensiv mit dem Karriereende und der Frage „was kommt danach?“ befasst sich der ehemalige Weltklasse Skispringer und heutige Sportwissenschaftler Andreas Küttel. In seiner 2017 erschienen Dissertation legt er ein differenziertes Ordnungsmodell im Kontext des Karriereübergangs vor. Darin beschreibt er eine Vielzahl von Ressourcen und Hindernisse, die letztlich über einen gelingenden Übergang entscheiden. Die wichtigsten Befunde hier: Der Übergang braucht Zeit, das emotionale Erleben ist meist die entscheidende Einflussgrösse (positiv wie negativ) und der Übergang ist durch ein bestimmtes sozio-kulturelles Umfeld beeinflusst.

Aber zurück zur australischen Tennisspielerin: Barty bezeichnet sich selbst als Familienmensch und scheint die Nestwärme ihrer Umgebung zu brauchen. Die Einsamkeit auf der Profi-Tour mit dem ewigen Herumreisen schien ihr schon früh Mühe zu bereiten. Bereits mit 17 Jahren brauchte sie eine erste Auszeit, um als „normaler“ Teenager ein „normales Leben“ führen zu dürfen. Sie hatte offensichtlich gelernt, ihrer Seele Zeit zu geben, wann diese sie wirklich brauchte. Damit dürfte sie jene Herausforderung positiv meistern, mit der sich viele andere äusserst schwer tun, nämlich den „Post-Karriere-Blues“ zu überwinden.

For the love of the game!

Ich bin dann mal weg! So dürfte es die junge Spitzensportlerin wohl im Moment erleben. Aus ihren Aussagen in den sozialen Medien schwingt diese ungeheure Leichtigkeit im Umgang mit diesem Entscheid mit. Sie hat offensichtlich einen Plan, der ihr gefällt. Sie kann sich eine Karriere als Tennistrainerin vorstellen und besitzt mit all ihren sportlichen Talenten (Golf und Cricket!) darüber hinaus weitere Spielwiesen, auf denen sie sich gegebenenfalls verwirklichen kann. Ihre grosse Liebe zum Tennis lässt ihr sogar die Tür offen, eines Tages auf die Tour zurückzukehren – ob als Spielerin oder Trainerin!

Fazit

Ein Rücktritt vom Spitzensport und der Übergang in eine nachsportliche Karriere bedeuten immer einen markanten Einschnitt im Leben eines Spitzensportlers. Viele empfinden den Schritt ins «bürgerliche Leben» als sozialen Abstieg. Theorie und Praxis der Angewandten Sportpsychologie zeigen, dass die Art des Rücktritts entscheidend dafür ist, wie dieser Lebensabschnitt bewältigt wird. Ashleigh Barty lebt vor – selbstvertrauend und in mit grosser Zuversicht – worauf wir Sportpsycholog*innen in der Betreuung von Spitzensportler*innen immer wieder Wert legen. 

Offensichtlich macht die junge Tennisspielerin alles richtig – oder eben: Game, Set and Match – auch ohne Tennis!

Mehr zum Thema:

Quellen

Küttel, A. (2017). A cross-cultural comparison of the transition out of elite sport: An investigation across the Swiss, Danish, and Polish elite sports contexts. PhD Thesis. Odense, Faculty of Health Sciences. University of Southern Denmark.

Kuettel, A., Christensen, M.K., Zysko, J. &  Hansen, J. (2020) A cross-cultural comparison of dual career environments for elite athletes in Switzerland, Denmark, and Poland, International Journal of Sport and Exercise Psychology, 18:4, 454-471, DOI: 10.1080/1612197X.2018.1553889

FAZ vom 24.3.2022: https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/ashleigh-barty-spricht-ueber-zukunft-nach-tennis-ruecktritt-17905262.html

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Dr. Hanspeter Gubelmann
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