Die Sportpsychologie erfreut sich zunehmend an Beliebtheit. Im Profi- wie im Leistungs- und auch im Freizeitsport. Die Hemmschwelle, zum Beispiel zu uns (siehe Übersicht) Kontakt aufzunehmen, sinkt zunehmend. Aber es halten sich auch diverse Mythen zur Sportpsychologie.
Eine hat kürzlich Alexander Zverev zum Besten gegeben. Von der FAZ wurde er in Bezug auf seine Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer zitiert, dass diese “mehr Probleme machen, als es wirklich gibt.” Wie lässt sich mit dem Mythos aufräumen?

Antwort von: Prof. Dr. Oliver Oliver Stoll (zum Profil)
Ja, dieses Statement überrascht mich tatsächlich nicht unbedingt, denn wir Menschen, die in der Sportpsychologie arbeiten, haben zwar kein Qualitätssicherungsproblem mehr. Denn es gibt mittlerweile gute akademische sowie auch praxisorientierte Aus- und Fortbildungen im Bereich der praktischen und Angewandten Sportpsychologie – hier gebührt insbesondere der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie in Deutschland, unserem Berufsverband großen Dank. Aber tatsächlich finden sich da draußen jede Menge “schwarze Schafe”, die sich zwar gut verkaufen können, aber eben nicht die Qualität haben. Möglicherweise ist Herr Zverev genau auf so jemanden “reingefallen” – Was braucht es also nach wie vor: Wissenstransfer, Transparenz, Vernetzung!

Antwort von: Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil)
Eine gängige selbstbestätigende Äußerung, um auch in seinem Weltbild und Selbstkonzept zu bleiben, ist die Externalisierung von Problemen. Natürlich kommen in der Arbeit mit sich selbst, und das ist auch die Arbeit mit einem Sportpsychologen, Themen auf, die ich sonst nicht hätte. Dies dann auf den Psychologen zu übertragen, diese Art von Mechanismus hat schon Freud gut beschrieben.
Wir können, wie Oli schon sagte, nur spekulieren, welche Erfahrung Alexander Zverev bisher gemacht hat. Doch eines ist neben aller Seriosität und Wissenschaftlichkeit entscheidend. Die Grundlage jedes erfolgreichen Arbeiten ist das, was wir als Rapport, therapeutische Allianz nennen, oder auch umgangssprachlich ganz einfach, die Chemie zwischen Beiden muss stimmen. Vielleicht liegt auch hier ein Faktor in der bisherigen Erfahrung von Alexander Zverev.
Zudem könnte für diese Aussage auch seine Erziehung eine Rolle spielen, mit der Entstehung von Glaubenssätzen wie z.B. “ein richtiger Mann schafft alles alleine” oder “Sportpsychologen sind etwas für Menschen, die psychische Probleme haben!”
Letztendlich bleibt dies jedoch Spekulation.

Antwort von: Norbert Lewinski (zum Profil)
Die Aussage von Alexander Zverev spiegelt ein weit verbreitetes Missverständnis über die Sportpsychologie wider, das tief verwurzelt ist und eine bewusste, tiefgehende Aufklärungsarbeit erfordert. Es reicht nicht aus, nur Mythen zu entlarven – vielmehr muss die Sportpsychologie organisch in die frühesten Entwicklungsphasen von Sportlerinnen und Sportlern integriert werden. Ein langfristiges Ziel sollte sein, eine natürliche Vertrautheit mit psychologischen Prozessen zu schaffen, sodass sie als essenzieller Bestandteil der sportlichen Ausbildung wahrgenommen werden. Dazu gehört auch die solide und differenzierte Ausbildung von Sportpsychologen selbst. Es ist entscheidend, dass sie nicht nur Techniken zur Leistungssteigerung vermitteln, sondern auch tiefere psychodynamische Zusammenhänge erkennen und bearbeiten können. Denn solche Aussagen wie die von Zverev sagen nicht nur etwas über die Sportpsychologie aus, sondern auch über die Persönlichkeitsstruktur desjenigen, der sie trifft. Aus einer psychodynamischen Perspektive kann eine solche Haltung auf Abwehrmechanismen hindeuten – möglicherweise eine Projektion oder eine unbewusste Angst vor der Konfrontation mit innerpsychischen Prozessen.
Daher gilt es, nicht nur auf solche Mythen zu reagieren, sondern den gesamten Diskurs über Sportpsychologie nachhaltig zu verändern: durch frühzeitige Sensibilisierung, durch Entdämonisierung psychologischer Arbeit im Sport und durch eine fundierte, reflektierte Ausbildung der Fachkräfte.

Antwort von: Danijela Bradfisch (zum Profil)
Es ist verständlich, dass Aussagen wie die von Alexander Zverev oft geteilt werden und leider auch immer noch die Diskussionen über die Rolle von Mentaltrainern/ Sportpsychologen negativ befeuern… auch, weil es leider aus meiner Sicht immer noch kein QS-Management hierfür gibt. Mentaltraining kann aber für viele Athleten (unabhängig des Niveaus), eine wertvolle Unterstützung sein, um mit Druck, Stress und den psychologischen Herausforderungen des Wettkampfs umzugehen. Um mit dem Mythos aufzuräumen, dass Mentaltraining mehr Probleme schafft, als es löst, könnte man folgende Punkte anführen:
1. Individuelle Erfahrungen: Jeder Athlet hat unterschiedliche Bedürfnisse und Erfahrungen. Während es für Zverev vielleicht nicht die gewünschte Wirkung hatte, berichten viele andere Sportler von positiven Effekten durch Mentaltraining.
2. Wissenschaftliche Grundlagen: Es gibt zahlreiche Studien, die die Vorteile von mentalem Training belegen, wie z.B. die Verbesserung der Konzentration, der Stressbewältigung und der emotionalen Stabilität, unabhängig der Sportart.
3. Offene Kommunikation: Es ist wichtig, dass Athleten offen über ihre Erfahrungen sprechen, was leider immer noch zu wenig passiert. Wenn Mentaltraining nicht funktioniert, sollte das nicht als allgemeingültige Aussage über dessen Wirksamkeit interpretiert werden.
4. Integration in die Trainingsroutine: Mentaltraining sollte als Teil eines ganzheitlichen Ansatzes betrachtet werden, der auch physische und technische Aspekte des Trainings umfasst.
Letztlich ist es wichtig, die Vielfalt der Ansätze im Sport zu akzeptieren und zu erkennen, dass nicht jeder Weg für jeden Athleten funktioniert. Der Dialog über solche Themen kann helfen, Missverständnisse auszuräumen und die Bedeutung der mentalen Stärke im Sport zu fördern.
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