Wolfgang Seidl: Durch eine effektive Pausengestaltung ins Tennis-Match zurückfinden

Wenn ich junge Tennisspieler während der Match-Pausen beobachte, dann versuchen sie oft die Rituale ihrer Vorbilder, wie sie zum Beispiel Rafael Nadal praktizierte, nachzuahmen. Besser wäre es, wenn sie sich individuelle Routinen erarbeiten, um fokussiert und lösungsorientiert ins nächste Game zu starten.   

Zum Thema: Routinen beim Seitenwechsel 

Die meiste Zeit, die ein Tennisspieler am Platz verbringt, besteht aus Pausen. Aus mentaler Sicht sollten diese Unterbrechungen so gut wie möglich genutzt werden. Im Tennis gibt es unterschiedliche Pausen. In meinem Beitrag möchte ich speziell auf den 90 Sekunden Zeitraum beim Seitenwechsel eingehen, wo die Spieler auf ihren Bänken Platz nehmen können, um sich für das nächste Game zu erholen. 

Junge und unerfahrene Spieler unterscheiden sich in ihrer Pausengestaltung wesentlich von den erfolgreichen Athleten. Die wenigsten nutzen die vollen neunzig Sekunden, um sich körperlich und mental zu erholen. Sie stehen oft nach der Hälfte der Zeit wieder auf, um ihr Spiel fortzusetzen. Sie sind oft zu emotional, verschwenden ihre Energie mit negativen Selbstgesprächen und gehen ohne konkrete Lösungen ins nächste Game.  Bei jungen Spielern beobachte ich gelegentlich, dass sie sich zum Beispiel das „Flaschenritual“ von Nadal angeeignet haben, jedoch sonst keine hilfreichen Routinen beherrschen. 

90 Sekunden Pausen-Routine

James Loehr, ein Pionier der mentalen Arbeit im Tennis, unterteilt die Pause in vier Phasen. Diese Routinen können sowohl in der Pause zwischen zwei gespielten Punkten, bei einem Seitenwechsel oder nach jedem Satz angewandt werden. Dementsprechend ist die jeweilige Routine an die vorgegebenen Zeiten anzupassen. Nachfolgend möchte ich auf den Ablauf bei einem Seitenwechsel eingehen, bei dem der Athlet 90 Sekunden Zeit hat: 

Phase 1: Reaktion

Der Spieler muss in der Lage sein, das vorherige Game so schnell wie möglich abzuschließen. Aus mentaler Sicht gibt es unterschiedliche Strategien. Eine Möglichkeit zum Beispiel ist der Einsatz von bewusst geführten Selbstgesprächen. Die Strategien sind wie in allen Phasen sehr individuell. Hier sollten Tools, die die Athleten schon bisher erfolgreich eingesetzt haben, genutzt werden. Eine Athletin von mir klopft sich zum Beispiel in dieser Phase bewusst auf ihre Oberschenkel, um das vergangene schnell abzuschließen. 

Phase 2: Erholung

Durch erlernte Entspannungstechniken, wie durch eine tiefe Bauchatmung, kann der Erregungsgrad verringert werden. Die bewusste Atmung kann schon auf dem Weg vom Platz zur Bank angewandt werden, um den Ablauf so effektiv wie möglich zu gestalten. Der Puls wird heruntergefahren, die Muskulatur entspannt sich und der Kopf wird frei. In dieser Phase verpflegt sich der Athlet auch mit einem Drink und kann einen kleinen Snack oder ein Stück Banane aufnehmen. 

Phase 3: Vorbereitung

Mit einem klaren Kopf kann der Spieler nun das zurückliegende Game kurz reflektieren und hilfreiche Lösungen für das kommende Spiel formulieren. Eine abschließende kurze Visualisierung kann hier unterstützend wirken. Auch bei einem erfolgreichen letzten Game sollte sich der Athlet innerlich bestärken, wie z.B. „Vertraue weiter auf dein Spiel, bleib so aktiv wie im letzten Game, gute Beinarbeit, weiter so!“ 

Phase 4: Aktivierung

Auf dem Weg von der Bank zum Platz sollte sich der Spieler sowohl physisch als auch psychisch aktivieren. Kurze Sprünge, bestärkende und motivierende Worte und eine aufrechte Körperhaltung helfen, um wieder mit vollen Akkus auf den Aufschlag oder Return vorbereitet zu sein. 

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Ein Negativbeispiel liefert der frühere Tennis-Profi Thomas Haas bei den Australien Open 2007.

Pausen zur Lösungssuche

Eine individuell angepasste Pausenroutine zu erarbeiten, braucht Zeit und regelmäßigen Austausch mit den Athleten. Wir besprechen in den einzelnen Sitzungen immer wieder die Abläufe der Routine und wie sie in den einzelnen Matchsituationen umgesetzt werden können. Wenn notwendig, passen wir die Routine an. Dazu eine kurze Geschichte: Ein von mir betreuter Spieler bestritt erstmals ein Turnier auf einer Tropeninsel mit hoher Luftfeuchtigkeit. Nach dem ersten Match berichtete er, dass er seine Pausenroutine nicht wie geplant umsetzen konnte, weil er so intensiv schwitzte und regelmäßig seine Shirts wechselte. In solchen Situationen ist es dennoch wichtig, dass der Athlet ruhig bleibt und seine Routine dementsprechend, nach den äußeren Bedingungen, anpasst. 

Meine Athleten berichten immer wieder davon, dass sie nach einem schlechten Game, durch diese Routine, viel schneller wieder ins Spiel zurückfinden. Davor haderten sie oft mit ihrem Spiel und waren damit beschäftigt, über das nachzudenken, was nicht funktioniert. Durch diese Routine haben sie nun die Möglichkeit, erste Anpassungen schon viel früher umzusetzen, Lösungen zu suchen und positiv und energiegeladen auf den Platz zurückzukehren. 

Literatur:

Nina Nittinger (2023). Psychologisch orientiertes Tennistraining

Mehr zum Thema:

Views: 50