Nathalie Klingebiel: Mentalität statt Minuten

In meiner Arbeit als Sportpsychologin an einem Nachwuchsleistungszentrum habe ich häufig mit einem Thema zu tun, dass scheinbar ein nicht verschwinden wollender Nebel über Mannschaften, Spielern und Trainern wabert: Spielzeit.

Zum Thema: Warum wahre Leader nicht nur auf dem Platz glänzen

Auch wenn das übergeordnete Motto an NLZs eigentlich „Entwicklung vor Leistung“ lautet, ist in den Köpfen der Spieler doch immer noch verankert, dass sie sich als Fußballer hauptsächlich darüber definieren, ob sie in der Startelf stehen und wie viele Einsatzminuten sie bekommen. Dass jemand, der zwar 90 Minuten durch spielt, dafür aber vielleicht an diesem Tag besonders schwach, nicht zwangsläufig besser ist als jemand, der „nur“ für 20 Minuten eingewechselt wird, dafür aber on point abliefert, ist für viele (noch) nicht die Perspektive der Wahl. Kein Wunder – wird im modernen Fußball doch alles an Zahlen, Werten und Stats gemessen.

Das Problem daran? Es ergibt sich eine Schwarz-Weiß-Sichtweise, die in den meisten Fällen eine Negativspirale mit sich zieht. Glaubenssätze wie „Ich bin nur gut, wenn ich von Beginn an und über 90 Minuten spiele“ oder „Ich muss eine schlechte Leistung gebracht haben, wenn der Trainer mich auf die Bank setzt“ führen dann zu mangelndem Selbstvertrauen, einem Gefühl von erhöhtem Leistungsdruck sowie geringerer Motivation bis hin zum kompletten Verlust der Freude am Fußball. 

„Leadership von der Bank“

An dieser Stelle kommt die Sportpsychologie wieder ins Spiel. Gemeinsam mit den Mannschaften im Rahmen eines Workshops oder mit einzelnen Spielern, die mit ihren Anliegen zu mir ins Coaching kommen, erarbeite ich dann das Thema „Leadership von der Bank“. Dabei wird anhand verschiedener Reflexionsfragen geschaut, was Leadership im Allgemeinen für die Spieler bedeutet und wie sie diese Faktoren und Eigenschaften, nicht nur auf dem Platz, sondern auch von der Bank aus umsetzen können. Sie können sich beispielsweise fragen, wie sie ihr Team konkret unterstützen, auch wenn sie nicht spielen. 

Wichtig ist es zudem, ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, dass man immer dieselbe Motivation und das gleiche positive Mindset an den Tag legen sollte, so als würde man jedes Spiel in der Startelf stehen. Das sind häufig unterschätzte Qualitäten, die Trainern aber durchaus auffallen und auf die sie Wert legen, was nicht zuletzt auch ihre Entscheidung beeinflussen kann, auf wen sie im nächsten Spiel setzen. Manchmal ist es auch ein strategischer Plan des Trainers, bestimmte Spieler vorerst auf der Bank zu lassen, da ihre Spielweise oder Position nicht zur Taktik des Gegners passt. Auch hier zeigt sich wieder: Leader und somit ein wichtiger Teil der Mannschaft zu sein, heißt nicht gleich Spielzeit. 

Unterschiedsspieler statt Ersatzspieler

Nicht zuletzt werden Bankspieler häufig als Joker eingesetzt, die erst im späten Spielverlauf und somit innerhalb kürzester Zeit das Spiel noch drehen oder entscheiden (können). Prominentestes Beispiel: Mario Götze, dessen Name seit dem WM-Finale gegen Argentinien wohl jedem ein Begriff sein sollte, als er Deutschland in der 113. Minute zum WM-Sieg geschossen hat.

Ein wichtiges Learning, was ich meinen Spielern in diesem Kontext mit auf den Weg gebe, ist folgendes: Spieler von der Bank sind keine Ersatzspieler, sondern Unterschiedsspieler.

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