Kyle Varley und Iwo Walter: Metakognitionen – oder wie du deinen Autopiloten bremst

Metakognition ist im Leistungssport eine entscheidende Fähigkeit. Sie ermöglicht es Athlet:innen, mentale Prozesse zu reflektieren, bewusst zu steuern und so die Grundlage für Höchstleistungen zu schaffen (Flavell, 1979). Gerade in einem Umfeld, das von Druck, hohen Erwartungen und ständiger Leistungsüberprüfung geprägt ist, kann die gezielte Nutzung metakognitiver Strategien über Erfolg und Misserfolg entscheiden (Martinent & Ferrand, 2015).

Zum Thema: Metakognition – das Denken über das Denken

Viele Athlet:innen kennen den sogenannten „Autopiloten-Modus“ – einen Zustand, in dem Handlungen automatisiert und scheinbar mühelos ablaufen. Dieser Zustand basiert auf jahrelangem Training und der Verankerung von Bewegungsabläufen im prozeduralen Gedächtnis (Schmidt & Lee, 2019). Häufig wird auch vom sogenannten «Flow-Zustand» gesprochen (Csikszentmihalyi, 1990). Die Turnerin Simone Biles nutzt Routinen, die sie so häufig trainiert hat, dass sie unter hohem Druck „im Autopiloten“ funktionieren (Foster et al., 2019).

Dieser Zustand kann insbesondere in Routine-Situationen von großem Nutzen sein, da er es ermöglicht, mentale Ressourcen für andere Aufgaben freizuhalten (Kahneman, 2011). Doch die Automatisierung hat auch Schattenseiten: Ein dauerhaftes Leben im Autopiloten birgt die Gefahr, wichtige physische und psychische Warnsignale wie Überlastung, mentale Erschöpfung oder stagnierende Leistung zu übersehen (Foster et al., 2019). Es erfordert sportpsychologische Interventionen, um die Balance zwischen automatisiertem Handeln und bewusster Steuerung zu fördern. 

Iwo Walter ist Co-Autor des Beitrags

Metakognitive Kontrolle: Der Schlüssel zu mehr Bewusstsein

Bewusstsein bedeutet in diesem Kontext, die eigenen Emotionen, Gedanken und Verhaltensweisen wahrzunehmen und zu reflektieren, ohne automatisch auf sie zu reagieren (Gardner & Moore, 2007). Athlet:innen, die metakognitive Fähigkeiten trainieren, lernen sich bewusst aus dem Autopiloten zu lösen, um ihre mentalen Prozesse aktiv zu steuern.

Diese Fähigkeit hilft, destruktive Denkmuster wie negative Selbstgespräche zu erkennen (Beck, 1976). Der Marathonläufer Eliud Kipchoge berichtete regelmäßig, wie er negative Selbstgespräche während eines Rennens stoppt und durch positive Affirmationen ersetzt (Hutchinson, 2019). Dies zeigt, dass durch die bewusste Kontrolle der Gedanken die mentale Energie für etwas Positives benutzt werden kann und so die Leistungsfähigkeit gesteigert wird.

Praktische Ansätze in der Sportpsychologie

Die Sportpsychologie bietet eine Vielzahl von Interventionen, die auf die Förderung von Metakognition und Bewusstsein abzielen. Einige der effektivsten Ansätze sind:

  1. Achtsamkeitstraining
    Achtsamkeitsübungen helfen Athlet:innen, im Moment zu sein und emotionale Reaktionen besser zu regulieren. Dadurch wird die Fähigkeit verbessert, auch unter Druck bewusste Entscheidungen zu treffen (Gardner & Moore, 2007). Tennis-Profi Novak Djokovic betont regelmäßig die Bedeutung von Meditation und Atemübungen für seine mentale Stärke (Djokovic, 2013). Ebenso entwickelten die Golden State Warriors unter Coach Steve Kerr ein Achtsamkeitskonzept, das geführte Meditationen und Atemübungen umfasst (Sevinc et al., 2021).
  1. Tagebuch bzw. Protokollieren und Selbstreflektion
    Das regelmäßige Protokollieren von persönlichen Gedanken und Gefühlen hilft, wiederkehrende Muster zu erkennen und gezielte Strategien zu entwickeln (Pennebaker, 1997). Serena Williams dokumentierte ihre Gefühlslage vor großen Tennis-Matches, um mentale Hindernisse zu reflektieren und Lösungen zu finden (Williams, 2020).
  1. Visualisierungen
    Visualisierungstechniken erlauben es Athlet:innen, mögliche Herausforderungen mental durchzuspielen und sich auf bestimmte Situationen vorzubereiten (Morris et al., 2005). Michael Phelps visualisierte beispielsweise, wie er mit einer undichten Schwimmbrille umgehen könnte. Dies half ihm bei den Olympischen Spielen 2008, wo er mehrere Rekorde aufstellte und acht Goldmedaillen gewann – eine Leistung, die bis heute einmalig ist (Coyle, 2009).

Fazit: Die Balance zwischen dem «Autopiloten» und Bewusstsein

Die Balance zwischen dem Autopiloten und unserem Bewusstsein ist die Fähigkeit, die Mitte zwischen automatisierten Prozessen und bewussten Entscheidungen zu finden und für sich nutzen zu können (Csikszentmihalyi, 1990; Evans, 2008). Der Autopilot bietet Effizienz und Verlässlichkeit, während Metakognition und aktives Bewusstsein Anpassungsfähigkeit und Flexibilität ermöglichen (Flavell, 1979; Schmidt & Lee, 2019). Das gezielte Training dieser mentalen Fähigkeiten, führt nicht nur zu verbesserten sportlichen Leistungen, sondern stärkt auch langfristig und nachhaltig die mentale Gesundheit sowie Resilienz (Gardner & Moore, 2007; Pennebaker, 1997).

Die Methoden der Sportpsychologie bieten Möglichkeiten, «den Autopiloten» bewusst zu steuern – und das Beste aus beiden Welten zu vereinen (Fitts & Posner, 1967).

Praxis-Tipp für den Sportler-Alltag: 

Nimm dir nach jedem Training oder Wettkampf ein paar Minuten Zeit, um deine mentalen Prozesse zu reflektieren. Was lief automatisiert ab, und wann war bewusste Steuerung nötig? Halte diese Beobachtungen fest, um gezielt daran arbeiten zu können.

Mehr zum Thema:

Literaturverzeichnis

  • Beck, A. T. (1976). Cognitive therapy and the emotional disorders. International Universities Press.
  • Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The psychology of optimal experience. Harper & Row.
  • Coyle, D. (2009). The talent code: Greatness isn’t born. It’s grown. Bantam Books.
  • Djokovic, N. (2013). Serve to win: The 14-day gluten-free plan for physical and mental excellence. Zinc Ink.
  • Evans, J. S. B. T. (2008). Dual-processing accounts of reasoning, judgment, and social cognition. Annual Review of Psychology, 59, 255–278.
  • Fitts, P. M., & Posner, M. I. (1967). Human performance. Brooks/Cole.
  • Flavell, J. H. (1979). Metacognition and cognitive monitoring: A new area of cognitive-developmental inquiry. American Psychologist, 34(10), 906–911.
  • Foster, R. J., Weigand, D. A., & Baines, D. (2019). Flow and performance in sports: The role of automation. Journal of Sport Behavior, 42(1), 38–54.
  • Gardner, F., & Moore, Z. (2007). The psychology of enhancing human performance: The mindful athlete. Springer Publishing.
  • Hutchinson, A. (2019). Endure: Mind, body, and the curiously elastic limits of human performance. HarperCollins.
  • Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. Farrar, Straus and Giroux.
  • Martinent, G., & Ferrand, C. (2015). A comprehensive metacognitive approach in sport: Its impact on performance. International Journal of Sport Psychology, 46(2), 123–142.
  • Morris, T., Spittle, M., & Watt, A. P. (2005). Imagery in sport. Human Kinetics.
  • Pennebaker, J. W. (1997). Writing about emotional experiences as a therapeutic process. Psychological Science, 8(3), 162–166.
  • Schmidt, R. A., & Lee, T. D. (2019). Motor learning and performance: From principles to application (6th ed.). Human Kinetics.
  • Sevinc, G., Gurung, J., & Sahin, N. H. (2021). Mindfulness in sports: A systematic review. Mindfulness, 12(1), 1–20.
  • Williams, S. (2020). Serena Williams: My life in tennis. Penguin Random House.

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