Janosch Daul: Puzzle-Teil Teamentwicklung

Im ersten Teil meiner Artikelserie habe ich beschrieben, wie sich die Saisonvorbereitung in der U16-Mannschaft des Halleschen FC gestaltet hat. Als sportpsychologischer Coach bin ich Teil des Trainerstabs und berichte hier von meiner Arbeit. Wer also den ersten Teil verpasst hat, dem empfehle ich nachzulesen, wie wir im Sommer Tag für Tag daran gearbeitet haben, aus einer Gruppe ein Team zu formen. Erst auf der Ebene der Trainer und dann auf der von Mannschaft und Betreuerstab. Aber das war nur die Basis…

Artikelserie Puzzle-Teil Sportpsychologie

Janosch Daul (zur Profilseite)

In dieser Artikelserie möchte ich dir, lieber Leser, Einblicke in unsere Philosophie geben und den Übertrag in die Alltagspraxis darstellen. Alles aus meiner Perspektive, der eines sportpsychologischen Coaches. Dabei möchte ich, durch das Aufzeigen meiner Wirkungsbereiche und die Verknüpfung dieser mit unserer Trainingspraxis, die systematische Integration der Sportpsychologie als unverzichtbaren Ausbildungsbestandteil und Leistungsressource hervorheben. Meine eigene Perspektive ergänze ich durch die Ansichten unserer Spieler und die der beiden Trainer. Und wenn du fleißig weiterliest, erfährst du auch, wie das Ganze mit „TEAM 2028“ und „puzzeln“ zusammenhängt. Puzzleteil für Puzzleteil.

Puzzle-Teil Saisonvorbereitung erscheint am: Do., 9. Januar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Teamentwicklung erscheint am: Do., 23. Januar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Spielercoaching erscheint am: Do., 6. Februar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Trainercoaching erscheint am: Do., 20. Februar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Teamcoaching erscheint am: Do., 6. März 2025 (Link)
Puzzle-Teil Elterncoaching erscheint am: Do., 20. März 2025 (Link)

Puzzle-Teil Teamentwicklung

Teamentwicklung erfolgt permanent und ist ein nie abgeschlossener Prozess, der immer wieder angeschoben werden muss. Ein einmaliger gemeinsamer Kinobesuch oder das einmalige Identifizieren von Teamwerten wird niemals ausreichen, um auf der Teamebene einen wahren Unterschied zu erzielen. Deshalb etablierten wir Teamrituale, die wir wöchentlich durchführen und uns als Mannschaft dabei unterstützen, unsere Entwicklung in eine stimmige Richtung zu lenken. Zum einen stimmen wir am Wochenanfang über unser „Motto der Woche“ ab. Gemeinsam mit den Jungs entwickeln und visualisieren wir ein Motto, das unserer Woche einen emotionalen Anstrich verleihen und einen Rahmen geben, die Teammitglieder motivieren und uns ein Stück weit durch die Woche tragen soll. 

Zugleich kann es wunderbar in die Spieltagsansprache oder in die Emotionalisierung integriert werden und somit auch dem Spieltag einen gewissen thematischen Rahmen verleihen. Jeder Spieler kann Vorschläge für das Motto einbringen und anschließend wird abgestimmt. Der Spieler wiederum, dessen Motto am Saisonende am öftesten priorisiert wird, bekommt einen kleinen Preis. Durch unser Motto lernen unsere Spieler, sich mit unserer Situation als Team zu beschäftigen, Verantwortung zu übernehmen, vor dem gesamten Team in Kommunikation zu treten und eigene Meinungen zu begründen. Wichtige lebensrelevante Kompetenzen werden geschult. Ein besonderes Puzzleteil. 

Wochenkapitäne

Zugleich werden pro Woche stets vier „Wochenkapitäne“ festgelegt, mit folgenden Aufgabenstellungen:

  • „Die Wächter der Teamkultur“ (zwei Spieler): Diese sind zuständig für das Einhalten und Kontrollieren unserer erarbeiteten Teamwerte über die Woche hinweg durch ein klares Ansprechen und Einfordern dieser sowie das Bestärken positiver Verhaltensweisen. Außerdem geben uns die beiden Wächter täglich ein Feedback hinsichtlich des Lebens der Werte und der erlebten Teamkultur. Am Ende der Woche ziehen sie vor dem gesamten Team ein Fazit.
  • „Der Spiegel“: Dieser reflektiert – auf Grundlage achtsamen Beobachtens innerhalb der Woche – nach Beendigung des letzten Wochen-Trainingstages vor dem Team, was in der Trainingswoche aus seiner Sicht gut und was weniger gut lief. 
  • „Der Coach“: Dieser liefert nach Beendigung des letzten Wochen-Trainingstages vor dem Team einen Ausblick in Richtung Spiel: „Worauf sollten wir achten? Was ist mir fürs Spiel wichtig?“

Auch diese Aufgaben zielen in hohem Maße auf Prozesse der Selbstreflexion, auf die Auseinandersetzung mit dem eigenen Team, auf die Weiterentwicklung unserer Teamkultur und das Leben unserer identifizierten Werte ab. 

Geburtstagskinder

Das jeweilige Geburtstagskind wird bei uns stets auf besondere Weise geehrt: Es trällert – gemeinsam mit dem Team – ein Geburtstagslied seiner Wahl, erhält von den übrigen Teammitgliedern den im Fußball so beliebten „Nackenklatscher“ und bringt etwas für diese mit. Zudem bezieht das Geburtstagskind Stellung, warum es sich ausgerechnet für diesen Song und dieses Mitbringsel entschieden hat. Auf diesem Weg stärken wir den sozialen Zusammenhalt der Gruppe, lernen uns von anderen, noch unbekannten Seiten kennen, haben als Teamgemeinschaft Spaß und laden das Geburtstagskind herzlich dazu ein, seine Komfortzone zu verlassen. 

Doch selbst bei allen – stimmigen – Teamentwicklungsprozessen sind auch wir als U16 nicht vor Fehlverhaltensweisen gefeit, die wir gezielt als Wachstums- und Lernchance interpretieren. Hierfür haben wir ein „Rad“ entwickelt, an dem der „Übeltäter“, egal ob Spieler oder Mitglied des Trainerteams, anlassbezogen drehen darf. Dieses sieht die verschiedensten Wiedergutmachungsleistungen vor, die der Gruppengemeinschaft dienen. Die Spannung in der Kabine vor dem Drehen des Rades ist jedes Mal aufs Neue greifbar. Die Wiedergutmachungsleistung ist innerhalb von sieben Tagen zu erbringen und zusätzlich ist – vor dem Team- zu folgenden Fragen Stellung zu beziehen: 

  • Was ist vorgefallen? (Situationsbeschreibung)
  • Was waren Gründe für mein Verhalten?
  • Wie habe ich mein Verhalten aufgearbeitet?
  • Wie hat sich mein Verhalten auf die Mitspieler, das Team und das Trainerteam ausgewirkt?
  • Was habe ich daraus gelernt?
  • Welche Botschaft möchte ich dem Team abschließend mit auf den Weg geben?

Hierdurch wollen wir eine bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten ermöglichen, eine Transparenz dem Team gegenüber sicherstellen und dabei unterstützen, durch einen Perspektivwechsel die Empathiefähigkeit weiterzuentwickeln. 

Teamevents

Auch klassische Teamevents nehmen in unserem Ausbildungskonzept einen hohen Stellenwert ein. Durch das regelmäßige Besuchen von Spielen unserer ersten Mannschaft stellen wir immer wieder einen fühlbaren Kontakt zu unserer Vision „Team 2028“ her und lernen gleichzeitig von Vorbildern, die den Weg bereits erfolgreich bestritten haben. 

Das Entwicklungsthema „sportartgerechte Ernährung“ haben wir in ein Teamevent verpackt, indem wir gemeinsam frühstückten, dabei Möglichkeiten einer gesunden Ernährung vorstellten und die Jungs zugleich sich selbst ausprobieren ließen, indem sie selbst Shakes zubereiteten und Quark-Müsli-Varianten genossen. Nach einem Spiel fand dieses Teamevent seine Fortsetzung, indem uns ein Ernährungswissenschaftler Grundlagenwissen vermittelte und wir anschließend gemeinsam – gesund – kochten und aßen. 

Die Rolle der Kabine 

Wenn es um das Thema Teamentwicklung geht, spielt auch unsere Kabine eine ganz besondere Rolle. Nüchtern betrachtet ist diese ja nur ein Raum, einige Quadratmeter groß, mit vielleicht einem Tisch, einigen Sitzbänken, Kleiderhaken sowie einer Taktiktafel darin. Doch unsere Kabine ist deutlich mehr als einfach nur ein Raum, nämlich der wichtigste Aufenthaltsort für die Spieler im Trainingsalltag, wenn sie nicht gerade auf dem Platz stehen. Ein Ort, an dem bedeutende Teamprozesse wie z.B. die oben beschriebenen Teamrituale ablaufen, ein Ort, der die Gemeinschaft und das Erlebnis fördert, der zugleich für eine gewisse Wohlfühlatmosphäre sorgen sowie die Beziehungen wachsen lassen soll. 

Umso wichtiger ist ein achtsamer Umgang mit der Kabine: Wie wird mit ihr und den sich darin befindlichen Materialien umgegangen? Wie sauber wird sie gehalten? Wie wird sie gestaltet? Bei uns hat jedes Teammitglied seinen persönlichen Platz, welcher mit dem laminierten Lieblingsfoto ausgestaltet und dem jeweiligen Spitznamen versehen ist. Die Sitzreihenfolge haben wir auf Grundlage klarer Kriterien bewusst festgelegt. Einige Plakate, die uns an erarbeitete Themen und unsere Teamwerte erinnern, säumen die Wände ebenso wie Kabinenfotos von erfolgreichen Spielen. Laminierte Folien stehen auf dem Tisch und zeigen unsere aktuellen Abschnittsziele und unser aktuelles mentales Fokusthema auf. Auf einem kleinen Tisch steht ein Mixer, mit dem sich die Jungs Shakes nach dem Training und Spiel zubereiten können, um Regenerationsprozesse zu beschleunigen. Zudem achten wir penetrant auf ein hohes Maß an Sauberkeit und Ordnung. Durch eine solche Gestaltung in Kombination mit einem werteorientierten Umgang miteinander wird eine Kabine zu einem lebendigen Wohlfühlort von hohem Wiedererkennungswert, findet auch Torjäger Miran Alali:

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Janosch Daul
Janosch Daul

Sportarten: Fußball, Handball, Basketball, Volleyball, Leichtathletik, Schwimmen, Tennis, Tischtennis, Badminton

Halle/Saale, Deutschland

+49 (0)176 45619041

E-Mail-Anfrage an j.daul@die-sportpsychologen.de