Janosch Daul: Puzzle-Teil Saisonvorbereitung

Ich, Janosch Daul, bin als sportpsychologischer Coach beim Halleschen FC tätig. In der laufenden Saison arbeitete ich besonders eng mit der U16 zusammen, also mit dem Trainerstab und den Spielern. Von dieser Zusammenarbeit berichte ich in dieser Artikelserie, die viele Puzzle-Teile unserer Arbeit aufgreift. Es beginnt mit den Vorbereitungswochen, später lege ich den Fokus auf die Teamentwicklung sowie auf meine Coaching-Schwerpunkte Trainer, Team und Eltern. Ich will aufzeigen, welche Rolle die Sportpsychologie im Arbeitsumfeld Nachwuchsleistungsfußball einnehmen kann.

Ich starte aber mit einer konkreten Erinnerung. Mitten in der Saison. Auswärtsspiel in Sandersdorf. 1. November 2024. 17:45 Uhr. Unsere U16-Spieler betreten nach der üblichen Platzbesichtigung die Kabine. In den Augen der Jungs ist ein Impuls von Überraschung wahrnehmbar. Denn neben dem wie immer fein auf einem Bügel aufgehängten Trikot findet jeder Spieler eine individuelle Stärkenkarte vor, auf der die persönlichen „Zauberwaffen“ hervorblitzen. Ein verschmitztes Lächeln hier, ein Grinsen dort. Eine zielgerichtete Maßnahme unseres Chefcoaches Marwin Wolf, um unsere Jungs vor der Anforderungssituation Spiel kognitiv wie emotional stimmig mit ihren Stärken in Kontakt treten zu lassen. Eine Maßnahme, die sinnbildlich für unsere Arbeitsphilosophie als U16-Trainerteam des Halleschen FC steht. Aber nun zurück, zum Anfang unserer Arbeit, Saisonvorbereitung 2024/2025…

Puzzle-Teil Saisonvorbereitung

Vor dem Beginn einer Zusammenarbeit stellen sich zunächst die Ausgangsfragen: Was sind unsere Aufgaben als Trainerteam? Warum sind wir angestellt? Die beiden übergeordneten Zielstellungen, die mit unserem Wirken verbunden sind, sind die folgenden:

  • individuell maximale fußballerische Weiterentwicklung und
  • individuell maximale soziale Weiterentwicklung unserer Spieler ermöglichen, um „Profis fürs Leben“ auszubilden

Unsere Aufgabe besteht also darin, alle Prozesse, Handlungen und Maßnahmen so zu steuern, also Rahmenbedingungen so zu setzen, dass sie der Erreichung dieser Zielstellungen dienen. „Wir“, das sind Marwin Wolf, Andreas Eichfeld (Co-Trainer) und meine Person. Zu dritt fungieren wir als Trainerteam – zusammen mit einem Athletik- und einem Torwarttrainer sowie einem Physiotherapeuten und einem Mannschaftsleiter bilden wir schließlich das Funktionsteam, das in dieser Kombination erstmals zusammenarbeitet.

Gemeinsam arbeiten wir konsequent und leidenschaftlich daran, dass unsere Spieler permanent am Puzzeln sind, um ihr persönliches Puzzle Leistungsfaktor um Leistungsfaktor zu komplettieren. Die Grundlage für unsere Arbeit mit den Jungs basiert auf unserer Arbeitsphilosophie, deren Kern sich aus folgenden vier Stützpfeilern ergibt:

  1. Unsere Grundhaltungen

Unsere Spieler sind zuallererst Menschen – wie jeder Mensch reich gesegnet an wundervollen Fähigkeiten, auszuschöpfenden Wachstumspotenzialen und spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen, geprägt durch individuelle Umwelten, Sozialisation und herausfordernde Lebenserfahrungen, ausgestattet mit zu befriedigenden Bedürfnissen und wahrzunehmenden Motiven, individuellen Verhaltensmustern und Umfeldern sowie persönlichen Herausforderungen in ihrer gegenwärtigen Lebenswelt. Vor diesem Hintergrund muss jeder Spieler höchst individuell auf sich zugeschnitten wahrgenommen und geführt werden. Dabei gilt es, individuell anregend zu wirken, individuell zu kommunizieren, individuell zu motivieren – mit entsprechender Vorbildwirkung als Grundprämisse.

Kurzum: Es braucht eine individuelle maßgeschneiderte Zuwendung. Wir sehen uns dabei nicht ausschließlich in der Rolle der Leistungsoptimierer, sondern in der Rolle von Förderern, die dem Menschen zugewandt sind und die den Spieler als autonomen Entscheider über seine Lebensgestaltung dabei unterstützen, einen für sich stimmigen Weg auf und außerhalb des Feldes zu gehen. Wir betrachten – und behandeln – unsere Spieler also als Subjekte und nicht als die Erfüllungsgehilfen eigener Vorgaben. In unserem Führungsverhalten werden unsere Grundhaltungen spürbar.

  1. Eine stimmige Wertevermittlung

Durch das Identifizieren und permanente Vorleben und Einfordern von zentralen Werten im zwischenmenschlichen Miteinander wollen wir zielgerichtet Kultur in unserem Team prägen und unsere Spieler dabei unterstützen, einen eigenen, für sich stimmigen Wertekanon schrittweise zu entwickeln. Sie lernen, ihr eigenes Verhalten konstruktiv-kritisch zu reflektieren – auch vor dem Hintergrund der identifizierten Werte. Wir als Trainerteam stehen dabei in der Verpflichtung, diese in größtmöglicher Konsequenz vorzuleben.

  1. Pädagogische Konsequenz

In unserem Handeln und Auftreten verhalten wir uns den Jungs gegenüber konsequent. Aufgabenstellungen sind konsequent und zuverlässig zu erledigen. Fehlverhaltensweisen, die gegen den Wertekanon unseres Teams verstoßen, werden wahrgenommen, vor dem Team zum Thema gemacht und aufgearbeitet – durch Reflexion und Tat. Lernprozesse werden ausgelöst.

  1. Das Zusammenspiel von Kopf und Fuß

Um Rahmenbedingungen so zu setzen, dass sich unsere Spieler als Fußballer bestmöglich weiterentwickeln und Profis fürs Leben werden können, braucht es die permanente Auseinandersetzung mit mentalen und sozialen Aspekten des Fußballsports und des Lebens. Dafür müssen auf individueller und kollektiver Ebene zielgerichtet Prozesse angestoßen und Ressourcen ausgeschöpft werden – durch ein kooperatives Zusammenspiel von Fußballtrainer und sportpsychologischem Coach. Dabei müssen proaktiv Zeitfenster im Trainingsalltag geschaffen werden, die das Umsetzen entsprechender Prozesse ermöglichen. Eine zielgerichtete, proaktive Integration der Sportpsychologie ermöglicht die Ausschöpfung individueller und kollektiver Ressourcen in hohem Maße – aber auch nur dann. Was würde passieren, wenn unsere Spieler keine Möglichkeit hätten, sportpsychologisch konsequent betreut zu werden? Innenverteidiger und Vize-Kapitän Diego Perl sowie Außenverteidiger und Führungsspieler Anthony Schneider haben dazu eine klare Meinung:

Aus den übergeordneten Zielstellungen und unserer Arbeitsphilosophie ergeben sich für mich als sportpsychologischen Coach entsprechende Aufgabenbereiche, innerhalb derer ich wirksam werden kann. Die vier Grundpfeiler finden dabei ihre Berücksichtigung. Ich blicke, mit Unterstützung unserer Spieler und Trainer, auf das bislang Erarbeitete und begründe unsere Maßnahmen – anhand meiner fünf zentralen Aufgabenbereiche.

Teamentwicklung im Trainerstab

Bevor wir unsere Spieler dabei unterstützen konnten, zu einem Team zu werden, mussten wir zunächst dafür sorgen, ein wahres TrainerTEAM zu werden. Wir klärten u.a. Rollen und Aufgabenbereiche, gaben unseren Wochen eine Struktur, besprachen die inhaltliche Einbindung der Teildisziplin Sportpsychologie in den Trainingsalltag und entwickelten einen „Erfolgskodex“, der festlegt, wie wir täglich miteinander umgehen und wofür wir stehen wollen – die Grundlagen für eine stimmige Zusammenarbeit mussten dabei vor dem Erstkontakt mit dem Team gelegt werden. Denn wir als Führungskräfte müssen individuell und als Trio funktionieren, um unsere Spieler und das daraus zu entwickelnde Team, beginnend mit dem ersten Tag der Zusammenarbeit, schrittweise ins Funktionieren bringen zu können.

Dabei ist Marwin Wolf als Cheftrainer unser Oberhaupt, unser Kapitän, der das Boot steuert, aber auch seine Co-Kapitäne im Sinne des großen Ganzen auf die Kommandobrücke lässt, in den Lead schickt, wenn er die Überzeugung vertritt, dass dies dem großen Ganzen dient. Nicht zuletzt die Art und Weise, wie er uns mit in die Verantwortung nimmt und das Team mit-führen lässt, schafft einen Raum, innerhalb dessen jedes Trainerteammitglied seine Kompetenzen im Sinne der Weiterentwicklung unserer Spieler gewinnbringend einsetzen kann. Unserem Kapitän gelingt es dabei gekonnt, persönliche Bedürfnisse in den Hintergrund treten zu lassen und alle Maßnahmen darauf abzielen zu lassen, dem Spieler zu dienen. Im Erstkontakt mit unseren Spielern konfrontierten wir diese mit der von Marwin Wolf entwickelten Vision „TEAM 2028“. Er selbst sagt dazu folgendes:

Das Trainingslager

Zugleich kommunizierte er neben Trainingsrichtlinien unverhandelbare Grundsätze, die unseren unumstößlichen U16-Rahmen bilden. Einen Rahmen, der in einem Trainingslager, das uns bereits eine Woche nach dem Erstkontakt mit unseren Spielern nach Ganderkesee nahe Bremen führte, durch unsere dort identifizierten Teamwerte vervollständigt wurde. Wir entschieden uns bewusst für eine höchst einfache Unterkunft. Ein Ferienhaus mitten im Wald, mit kleinen Zimmern, über fünf Kilometer entfernt vom nächsten Supermarkt und mit schlechtem Mobilfunkempfang.

Durch diese Entscheidung und durch das vor Ort durchgeführte Programm wollten wir Kompetenzen wie Verantwortungsübernahme, Fleiß, Demut, Teamfähigkeit und Widerstandsfähigkeit schulen – back to the roots. Maßnahmen wie das Planen von Mahlzeiten, das anschließende Zubereiten und Abspülen, ein Fotoshooting, eine Team-Diskussion, wie wir mit unserem Handykonsum in diesen Tagen verfahren wollten, eine „Nationalitäten-Runde“, in der jeder Spieler einen persönlich ausgewählten, das eigene Heimatland repräsentierenden Gegenstand vorstellte, einen in Kleingruppen zu bewältigenden Hindernisparcours, für den wir unsere Spieler nachts um zwei Uhr aus dem Bett klingelten, eine Gesangsrunde oder das Schreiben eines Trainingslager-Tagebuchs schufen neben „klassischen“ Trainingseinheiten und Testspielen sowie Zeit zur Eigengestaltung einen Raum, um sich besser kennenzulernen, bewusst miteinander in Kontakt zu treten, sich mit sich selbst und dem Mitspieler auseinanderzusetzen und entsprechende Kompetenzen zu fördern. Kompetenzen, die es für das persönliche Puzzle braucht.

Passend zu manchen dieser Teamprozesse mussten unsere Spieler im Nachgang bestimmte Aufgaben mit dem Ziel einer Ergebnissicherung erfüllen. Als diese nicht rechtzeitig erledigt wurden, wurde auch schonmal das gekochte Essen kalt, ehe unsere Spieler ihre Aufgabe zufriedenstellend erledigt hatten. Ein Beispiel für die von Marwin Wolf vorgelebte pädagogische Konsequenz. Vor dem Hintergrund, dass wir acht Neuzugänge zu integrieren hatten und unser Kader über Spieler aus den verschiedensten Nationalitäten verfügt, war es umso wichtiger, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen, die darauf einzahlten, zu einem wahren Team zu werden.

Abwehrkante Erik Wiedensee sagt zum Trainingslager:

Artikelserie Puzzle-Teil Sportpsychologie

Janosch Daul (zur Profilseite)

In dieser Artikelserie möchte ich dir, lieber Leser, Einblicke in unsere Philosophie geben und den Übertrag in die Alltagspraxis darstellen. Alles aus meiner Perspektive, der eines sportpsychologischen Coaches. Dabei möchte ich, durch das Aufzeigen meiner Wirkungsbereiche und die Verknüpfung dieser mit unserer Trainingspraxis, die systematische Integration der Sportpsychologie als unverzichtbaren Ausbildungsbestandteil und Leistungsressource hervorheben. Meine eigene Perspektive ergänze ich durch die Ansichten unserer Spieler und die der beiden Trainer. Und wenn du fleißig weiterliest, erfährst du auch, wie das Ganze mit „TEAM 2028“ und „puzzeln“ zusammenhängt. Puzzleteil für Puzzleteil.

Puzzle-Teil Saisonvorbereitung erscheint am: Do., 9. Januar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Teamentwicklung erscheint am: Do., 23. Januar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Spielercoaching erscheint am: Do., 6. Februar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Trainercoaching erscheint am: Do., 20. Februar 2025 (Link)
Puzzle-Teil Teamcoaching erscheint am: Do., 6. März 2025 (Link)
Puzzle-Teil Elterncoaching erscheint am: Do., 20. März 2025 (Link)

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Janosch Daul
Janosch Daul

Sportarten: Fußball, Handball, Basketball, Volleyball, Leichtathletik, Schwimmen, Tennis, Tischtennis, Badminton

Halle/Saale, Deutschland

+49 (0)176 45619041

E-Mail-Anfrage an j.daul@die-sportpsychologen.de