Florian Deibl ist ein sehr ambitionierter Ironman Altersgruppenathlet aus Bayern. 2019 nahm er an der IRONMAN 70.3 WM in Nizza teil. Seither lag sein Fokus auf der Ironman WM auf Hawaii. Sein sportlicher Lebenstraum erfüllte sich im Herbst 2024. Weder Kosten noch Mühen hat er gescheut, um gemeinsam mit seiner Familie zwei Wochen vor dem Wettkampf, in absoluter Höchstform, die lange Reise nach Hawaii anzutreten. Doch dann kam alles anders: Eine Woche vor dem Rennen landete Florian Deibl mit tiefen Abschürfungen, Prellungen und Hämatomen im Krankenhaus.
Zum Thema: Umgang mit Krisen
Der Traum eines jeden Triathleten ist es, beim legendärsten Ironman Rennen der Welt, in Kona auf Hawaii, starten zu dürfen. Um dort dabei sein zu können, müssen strenge Qualifikationskriterien erfüllt werden. Schon die Teilnahme ist eine enorme Hürde. In Florians Altersgruppe M35 gibt es nur rund dreihundert Startplätze. Qualifizieren möchten sich hingegen jedes Jahr abertausende Athleten aus aller Welt.
Sein letztes Rennen vor Hawaii absolvierte Florian Deibl beim Ironman 70.3 Zell am See, wo er seine Form bestätigte und auf dem Podest landete. Folgerichtig hoch war seine persönliche Zielsetzung für Hawaii. Ich darf Florian als Mentalcoach seit 2020 in regelmäßigen Coaching-Einheiten begleiten. Gemeinsam erlebten wir schon viele Rennen, mit Hochs und auch Tiefs, wie in jeder Sportlerkarriere üblich. Aber: Aus den vergangenen Jahren konnte er enorm viele Erfahrungen mitnehmen und war für die WM auf Hawaii sowohl körperlich als auch mental gewappnet.
Wenn es einem eine Woche vor dem Wettkampf die Haut vom Körper reißt
Eine Woche vor seinem Rennen bekam ich, wie auch die Tage davor, von ihm eine WhatsApp-Nachricht. Ich freute mich schon wieder auf die wunderschönen Bilder von der Insel. Diesmal aber traute ich meinen Augen nicht. Ich entdeckte Fotos von blutenden und offenen Wunden und von der Notaufnahme im Krankenhaus. Er hatte im Training einen Radsturz erlitten. Die ganze Wucht fing er mit seinem Körper ab. Folgenschwer für ihn, während an seinem Rad kaum Schaden entstand. Am Ende seiner ersten Nachricht schrieb er noch „starten kann und werde ich natürlich dennoch“.
Aus eigener Erfahrung wusste ich, wie schmerzhaft und störend solche Wunden sind, vor allem wenn er in knapp einer Woche eines der härtesten Ironman Rennen der Welt bestreiten wollte. Aber ich war mir sicher: Wenn einer das schaffen kann, dann er. Er hat sich mittlerweile so ein starkes Mindset antrainiert, dass er trotz dieser Umstände in der Lage war, das Rennen zu finishen. In den Folgetagen tauschten wir uns täglich aus und machten zwei Tage vor dem Rennen noch eine Coaching-Session.
Krisenbewältigung
Ein unvorhersehbares Ereignis, wie Florians Sturz, kann einen Sportler aus der Bahn werfen. Psychologisch gesehen setzen uns derartige Krisen akut unter Stress, da wir das Gefühl haben, die Kontrolle über die innere oder äußere Situation verloren zu haben. An Florians Beispiel kann ich diesen Verlauf skizzieren. Dafür nutze ich ein Vier-Phasen-Modell, welches der Psychiater Johan Cullberg und Verena Kast, Professorin für Psychologie, entwickelt haben.
Phase 1: Schock
Am Anfang macht sich inneres Chaos breit, einige Menschen fühlen sich nun wie gelähmt, verleugnen sogar die Realität – und somit auch den Zustand. Florian berichtete, dass er nach dem Sturz das alles nicht wahrhaben wollte und am liebsten die Zeit zurückgedreht hätte.
Phase 2: Reaktion
Die Realität sickert langsam in das Bewusstsein. Es folgen meist Emotionen und Gefühle von Angst und Hilflosigkeit. Florian hat in dieser Phase mit seinem Physio in Deutschland die Situation abgeklärt, ob ein Start möglich war. Durch das OK von den Ärzten und vom Physio, in Kombination mit unserer Coaching-Session, konnten wir sein Vertrauen und seine Zuversicht stärken.
Phase 3: Bearbeitung
Hier beginnt der Ausweg aus der Krise. Dazu gehört zum Beispiel, den Zustand zu akzeptieren. Gleichzeitig beginnt die Suche nach Lösungen, mit denen man die Situation bewältigen kann. Bestenfalls gelingt es, das Vergangene hinter sich zu lassen und sich von negativen Gedanken zu trennen.
Florian musste in kürzester Zeit die neue Situation annehmen und den Zustand akzeptieren. Üblicherweise kommen hier immer wieder Gedanken, verbunden mit Fragen wie WARUM, WIESO, etc. Dies konnten wir aber gut abfangen: Denn durch die langjährige mentale Arbeit hat Florian gelernt, wie er negative Gedanken bewusst erkennt und diese durch bestärkende Selbstgespräche verändert.
Phase 4: Neuorientierung
In der letzten Phase der Krisenbewältigung richtet man sich neu aus. Florian musste sich von seinem ursprünglichen Ziel, eine Top-Platzierung zu schaffen, abwenden und sich bewusst machen, dass ein Finish bei diesem Rennen wie ein Sieg für ihn ist. Hier besprachen wir auch verschiedene Strategien im Rennen, um schlussendlich zu finishen.
Das Rennen
Florian nutzte die verbleibenden Tage bis zum Rennen, um seinem Körper die notwendige Ruhe zu gewähren, um die Wunden so gut wie möglich zu heilen. Statt die letzten scharfen Trainingseinheiten zu absolvieren, stand bei ihm spazieren gehen auf dem Programm. Schwimmen konnte er bis zum Start gar nicht mehr. Daher waren die 3,8km im Meer auch die größte Unsicherheit, wie sich das Salzwasser mit seinen vielen Wunden verträgt.
Trotz aller Unsicherheiten stand Florian bei der Ironman WM auf Hawaii an der Startlinie. Aber unter für ihn neuen Voraussetzungen. Beim Schwimmen platzierte er sich diesmal, nicht wie gewohnt in der ersten Reihe, sondern ganz hinten. Die vielen Pflaster auf den Wunden hielten und er stieg nach 3,8km mit einer super Zeit von 1:05:34 aus dem Wasser. Die Vorgabe auf den 180 Radkilometer war, den Fokus bei sich zu behalten und sich nicht von den niedrigeren Wattwerten beirren zu lassen. Er fuhr sein Tempo, blieb immer positiv und kam nach 5:07:21 in die zweite Wechselzone, was eine fantastische Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 36 km/h bedeutete.
Mentale Stärke
Florian berichtete im Nachgang davon, wie sehr der Körper ihn drosselte und wie er das gesamte Rennen im „Überlebensmodus“ unterwegs war. Den abschließenden Marathon, unter der brütenden Hitze, lief er trotz seiner Verletzungen in 3h52min.
Florian hat sich die begehrte Finisher-Medaille mehr als verdient. Er konnte beweisen, dass scheinbar Unmögliches möglich zu machen war. Er hat Lösungen gesucht, anstatt sich zu bedauern. Er schaffte es positiv zu bleiben, obwohl sein großes Ziel einer Top Platzierung nicht mehr erreichbar war. Meine Hochachtung vor seiner Einstellung und seiner bemerkenswerten Leistung. Das ist für mich wahre mentale Stärke.
Zur Person
Florian Deibl: 39 Jahre – verheiratet und ein Sohn – wohnt in Obertaufkirchen/Bayern – Geschäftsführer von Kokua Alltags- und Seniorenhilfe Isental – seit 2016 begeisterter Triathlet
https://www.florian-deibl.de/
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