Wie überlastete Sportler Warnsignale erkennen lernen

Kürzlich erhielten wir als Netzwerk die Anfrage eines Redakteurs des Schweizer Mediums 20 Minuten: Es ging um die Debatte, ob es in der Fussballwelt für die Top-Spieler zu viele Spiele gebe. Schließlich sei sogar von einem Streik die Rede. Vor diesem Hintergrund wollte er die psychischen Aspekte von so viel Belastung für die Kicker beleuchten. Da sich daraufhin im Netzwerk eine interessante Diskussion ergeben hat, haben wir eine Frage abgeleitet, die Klaus, Janosch und Arthur im Folgenden beantworten: 

Woran merken Top-Spieler eine zu hohe mentale Belastung und wie kann dagegen interveniert werden?

Klaus-Dieter Lübke Naberhaus, Die Sportpsychologen

Antwort von: Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil

Dieses Phänomen finden wir nicht nur im Fußball, auch im Handball und im Eishockey werden diese Diskussionen geführt. Zudem dürfen wir, insbesondere im Handball als auch im Fußball, nicht vergessen, dass die athletischen Anforderungen durch z.B. Regel- und Taktikänderungen durchweg größer geworden sind. Durch die Zunahme der Schnelligkeit innerhalb des Spiels steigen die Anforderungen an Aufmerksamkeits-, Verarbeitungs- und Entscheidungsprozesse. Allein dadurch ergibt sich eine höhere Gesamtbelastung auch der mentalen Prozesse neben der mit der Quantität einhergehenden Reduktion der Regenerationszeiten. Zudem stehen aufgrund der Wettkampfdichte und der dadurch notwendigen Belastungssteuerung immer weniger vorbereitenden Trainingseinheiten auf dem Programm. Und wenn wir ganzheitlich denken, ist dies immer eine Belastung des Gesamtsystems Mensch, die auch im Gesamtsystem seine Auswirkungen hat. Hier können wir zum besseren Verständnis die “psychischen Aspekte” isoliert betrachten, es ist jedoch immer die Belastung des gesamten Menschen, die sich dann an verschiedenen Punkten zeigen kann. 

  • Der erste Punkt sind Verletzungen, die vermehrt auftreten oder längerfristig langsamer ausheilen.
  • Ein weiterer Punkt ist der Leistungsabfall bis hin zu temporären oder auch langfristigen Erschöpfungszuständen, sogar sogenannte Fatigue Syndrome treten auf. Dies ist auch oftmals verbunden mit vorangehenden Infektionskrankheiten, also einer insgesamt geschwächten Immunabwehr.

Vorstufen zu diesem Punkt sind Aufmerksamkeitsstörungen, Gereitzheiten, Wesensänderungen, depressive Verstimmungen. Es können sich depressive Episoden entwickeln, auch Angststörungen sind nicht selten und auch Traumata, ob sie aus Verletzungen oder psychischen Verletzungen wie Mobbing, Diskriminierungen und anderen Formen von psychischer Gewalt resultieren, können in Traumafolgestörungen enden.

Ein früher Marker für all diese Belastungen sind Schlafstörungen, Freudlosigkeit am Training und Spiel sowie zunehmend auch in den Mannschaftssportarten Essstörungen.

Ganz grundsätzlich gilt: Leistungssport ist keine gesundheitsfördernde Bewegungstätigkeit, sondern hochgradig belastend für das Gesamtsystem Mensch. Deshalb gilt es für alle Beteiligten, alles zu tun, um die Menschen gut auf diese Belastung vorzubereiten, also präventiv zu arbeiten.

Hierzu gehört eine gute Vorbereitung durch das Training, und hier meine ich alle Formen, athletisches, technisches, taktisches und mentales Training, wobei im Letzteren erhebliches Potential zur Steigerung liegt. Sportpsychologische Begleitung und mentales Training sind noch bei weitem keine Selbstverständlichkeit. 

Weiterhin ist eine intelligente Belastungssteuerung und ein ausgeklügeltes Regenerationsmanagement wichtig und notwendig, in dem alle betroffenen Professionen vom Trainer über den Mannschaftsarzt, den Physiotherapeuten und den Sportpsychologen bis hin zur sportlichen Leitung mit eingebunden sein müssen. Weiterhin gehören Verletzungen auskuriert, hierzu gehört immer auch die schwerer sichtbare “psychische Verletzung”, die eine größere körperliche Verletzung immer begleitet. Zum Return to Competition Test sollte immer auch der Sportpsychologe hinzugezogen werden. Vielleicht braucht es auch hier ein standardisiertes Testverfahren, um eine gewisse Selbstverständlichkeit zu erreichen.  

Janosch Daul, Die Sportpsychologen
Janosch Daul, Die Sportpsychologen

Antwort von: Janosch Daul (zum Profil)

Nach Koch und Kühn (2000) lassen sich Symptome einer psychischen Überlastung auf einer psychischen sowie physischen Ebene wahrnehmen. Typische psychische Anzeichen sind z.B. Reizbarkeit, innere Unruhe, Nervosität, Schlafstörungen, ein zunehmendes Gefühl der Überforderung, Unzufriedenheit, das Gefühl, sich für die Durchführung von Tätigkeiten regelrecht aufraffen zu müssen, eine zunehmende Sehnsucht danach, auszuspannen und viel zu schlafen, Vergesslichkeit, Konzentrationsmängel und eine zunehmende Fehlerhäufigkeit. Auf einer physischen Ebene können Verdauungs- und Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Herzklopfen, Herzstiche, ein Engegefühl in der Brust, eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit und Verspannungen ernstzunehmende Warnzeichen darstellen. 

Die Symptomatik einer psychischen Überlastung sind also breit gefächert, höchst individuell und unterschiedlich stark in der jeweiligen Ausprägung. Umso wichtiger ist es daher, sich permanent mit sich selbst auseinanderzusetzen, ein gutes Körpergefühl zu besitzen und immer wieder in sich hineinzuhorchen: “Wie geht es mir eigentlich gerade – körperlich wie mental?” Insbesondere bei wahrgenommenen Veränderungen des individuellen “Ist-Zustand” sollte der Sportler intervenieren.

Hilfreich zur Vermeidung von gravierenden psychischen Überlastungssymptomen ist ein regelmäßiges Monitoring des eigenen Beanspruchungs- und Erholungszustands, wodurch sehr frühzeitig interveniert werden kann. Hierfür stehen geeignete Messinstrumente zur Verfügung. Präventiv gilt es zudem, sich immer wieder bewusst in regenerationsförderliche “Gegenwelten” fernab des Sports zu begeben, die den Sportler mental wie körperlich regenerieren lassen. Nur wer proaktiv immer wieder in die Erholung kommt, wird langfristig mit hohen Beanspruchungswerten, die der Spitzensport nunmal verursacht, umgehen können und letztlich mental gesund bleiben – die Basis zur Leistungserbringung. 

Zudem ist der Aufbau eines und die Unterstützung durch ein sportbezogenes wie privates Unterstützungssystem von enormer Bedeutung. 

Arthur Wachter, Die Sportpsychologen
Arthur Wachter, Die Sportpsychologen

Antwort von: Arthur Wachter (zum Profil)

Die aktuelle Diskussion über die Spielbelastung im Fußball hat eine wichtige psychologische Dimension, insbesondere hinsichtlich der mentalen und sozialen Belastungen, denen Top-Spieler ausgesetzt sind. Im Gegensatz zu anderen Sportarten wie Eishockey, das in einem kürzeren Saisonzeitraum gespielt wird, stehen Fußballspieler durch das zunehmende Wachstum internationaler Turniere, Ligen und Freundschaftsspiele ganzjährig unter Druck. Hier sind einige psychologische Aspekte und Warnsignale, die auf eine Überlastung hinweisen:

1. Psychische Ermüdung und Burnout

Fußballspieler, die unter zu viel mentaler Belastung leiden, berichten häufig über Anzeichen von psychischer Erschöpfung. Dies kann sich äußern in: 

– Konzentrationsschwierigkeiten: Spieler haben Schwierigkeiten, fokussiert zu bleiben, was zu mehr Fehlern auf dem Platz führt. 

– Mangelnde Motivation: Das tägliche Training und die ständigen Wettkämpfe können dazu führen, dass Spieler die Leidenschaft für das Spiel verlieren. 

– Emotionale Erschöpfung: Spieler fühlen sich ausgebrannt, oft verbunden mit Gefühlen von Hilflosigkeit und Frustration.

– Schlafstörungen: Die ständige Anspannung und das hohe Adrenalin-Niveau können zu Schlafproblemen führen, was die Erholung behindert.

Ein Vergleich zum Eishockey: Eishockeyspieler haben zwar auch ein intensives Spielprogramm, jedoch ist deren Saison kürzer und konzentrierter. Im Fußball wird die Sommerpause durch Turniere und Freundschaftsspiele zunehmend verkürzt, was die Möglichkeit für die involvierten Spieler zur Erholung minimiert.

2. Sozialer Druck und Erwartungen

Der ständige öffentliche Druck, insbesondere auf Top-Spieler, verschärft die mentale Belastung. Dieser Druck kann in vielerlei Formen auftreten:

– Öffentliche Kritik: Fehlende Leistungen werden oft von Fans und Medien kommentiert, was zu Angst vor Misserfolgen und Perfektionismus führen kann.

– Hohe Erwartungen: Viele Fußballspieler haben das Gefühl, dass sie konstant Höchstleistungen erbringen müssen, was zusätzlichen Stress verursacht.

Im Vergleich zum Eishockey und anderen Sportarten: Während auch in Sportarten wie Eishockey oder Basketball eine hohe öffentliche Erwartungshaltung herrscht, haben diese Sportarten in der Regel weniger globale Medienpräsenz und weniger “Mega-Events” wie die Fußball-WM oder UEFA Champions League, die auf konstantem Niveau den Druck erhöhen.

Wie lässt sich aber mit der Situation besser umgehen? Um der Überlastung entgegenzuwirken, sind einige psychologische und organisatorische Maßnahmen sinnvoll:

– Mentales Training: Techniken wie Visualisierung, Achtsamkeit und Atemübungen können helfen, Stress zu reduzieren und die mentale Belastung besser zu bewältigen.

– Psychologische Betreuung: Regelmäßige Gespräche mit Sportpsychologen können helfen, Stressfaktoren frühzeitig zu erkennen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

– Soziale Unterstützung: Ein starkes Netzwerk aus Familie, Freunden und Kollegen kann helfen, den sozialen Druck zu mildern.

Im Vergleich zu anderen Sportarten: In der NBA oder der NHL wird viel Wert auf psychologische Betreuung gelegt. Im deutschsprachigen Raum besteht demgegenüber noch einiger Nachholbedarf.

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de