Misserfolg ist bitter. Je bedeutender der Wettkampf für einen Sportler ist, desto dramatischer ist die Reaktion auf den Misserfolg. Dabei misst sich die subjektive Bedeutung eines Wettkampfes nicht zwangsläufig an objektiven Kriterien. Am Anfang der sportlichen Karriere sind kleinere Wettkämpfe weltbedeutend, am Ende einer Karriere hingegen können auch Großereignisse gelassen, zum Beispiel als Abschiedsvorstellung, recht locker genommen werden – aber auch umgekehrt. Manche Athleten fokussieren sich auf Meisterschaften, wiederum anderen ist ihre Performance in den Weltcups wichtiger. Und die Olympischen Spiele, für einige ist “dabei sein alles”, wiederum andere gehen hin, um zu gewinnen – um nur einige wenige individuelle Kriterien zu nennen. So oder so, Wettkämpfe werden hochgradig subjektiv eingeschätzt, somit individuell vorbereitet, bestritten und nachbereitet. Die Individualität in der Vorbereitung ist eigentlich unumstritten. Die Nachbereitung hingegen wird bisweilen gern schematisiert: Man tröstet, relativiert, analysiert eventuell und setzt auf Zeit. Ein Fehler?
Zum Thema: Umgang mit Niederlagen und Rückschlägen im Sport
Unabhängig davon, ob Sportler mit einer klaren Zielstellung oder einer Erwartung an Wettkämpfe herangehen, wie in einem früheren Beitrag (siehe Links unter dem Text) thematisiert, das Verfehlen von subjektiv wichtigen Zielen und somit ein Misserfolg löst unmittelbar eine intensive emotionale Reaktion aus. Die instinktive Antwort darauf ist, zunächst zu trösten und dann zu relativieren. Das macht das Umfeld umgehend und irgendwann auch der betroffene Sportler selbst. Denn negative Gefühle zu händeln, ist schwierig und irgendwann schaltet das Gehirn auf Erklären, um diese Gefühle verarbeiten zu können.
Beim Verarbeiten bedienen wir uns unter anderem des Relativierens: in Beziehung setzen, eventuell uminterpretieren, die Wichtigkeit reduzieren, die Einmaligkeit schmälern usw. Das alles sind Gedankenprozesse die darauf ausgerichtet sind, sich besser fühlen zu können. Ist irgendwann das emotionale Gleichgewicht wiederhergestellt, sollte eine rationale mehrperspektivische Analyse erfolgen. Sollte, denn zuweilen erfolgt sie noch immer viel zu selten. Auch wenn die Gefühle längst verarbeitet sind, möchte man sich erfahrungsgemäß nicht noch einmal in die Situation versetzen und darüber nachdenken, was schiefgelaufen ist. Auch das Umfeld möchte das nicht, war es doch schwierig genug, in der akuten Situation zu handeln, ist man heilfroh, dass es nun vorbei ist.
Ist keine Analyse besser als eine kritische?
Analysen bleiben auch aus, weil sie eine kritische Betrachtung, letztlich eine bewertende Abwägung erfordern. Bewertungen können positiv aber auch negativ ausfallen und das gilt für den Sportler genauso, wie für alle anderen Beteiligten. Ist man doch heilfroh, sich nicht mehr mies zu fühlen, wird man sich vor der Gefahr hüten, sich erneut durch Kritik oder Selbstkritik erneut mies zu fühlen. Und so vergehen manchmal Monate, Jahre aber auch ganze Sportlerkarrieren.
Um diesen Teufelskreis zu unterbrechen, hat sich die Idee etabliert, sich auf Misserfolge vorzubereiten. Fraglich, denn wir möchten, dass Sportler selbstbewusst und zuversichtlich den Herausforderungen begegnen. Wenn sie hingegen die Option Scheitern im Kopf haben, haben sie neutral betrachtet bestenfalls zwei Möglichkeiten und werden die Erfahrung machen, sich nicht auf die bessere zu konzentrieren. Denn die bessere – das Gewinnen – ist kein Problem, sie bedarf also keiner gedanklichen Vorbeschäftigung. Verlieren ist hingegen sehr wohl ein Problem, was den Kopf dazu veranlasst, darüber ausgiebig zu lamentieren. Es ist aber nicht optimal, in der Vorbereitung durch negative Gedanken abgelenkt zu sein. Wir sind zweitens bestrebt, vor Wettkämpfen die Anspannung zu reduzieren. Wir möchten nicht, dass Sportler Versagensangst generieren, denn Angst erhöht die Anspannung und mindert unter Herausforderung die Handlungssicherheit. Und drittens, Gefühle zeichnen sich kaum dadurch aus, dass man sich auf sie vorbereiten kann. Wir können uns tausendmal darauf vorbereiten, dass etwas weh tun wird, sich mies anfühlt, dass wir traurig sein werden, wenn es dann passiert, tut es trotzdem weh, fühlt sich trotzdem mies an und traurig ist man auch. Letztlich hat man sich in der Vorbereitungszeit das eigene Leben schwer gemacht. Egal wie intensiv, gedanklich oder emotional Misserfolg vorbereitet wird, ehrgeizige Sportler reagieren auf Misserfolg immer negativ, weil sie eben ehrgeizig sind.
Vergoldetes Scheitern
Was aber ehrgeizige Sportler tun können, ist ihr Scheitern vergolden. Sie können die erfolgten Fehler – statt verstecken – analysieren und hervorheben. Sie können diese als lehrreich und damit wertvoll akzentuieren und daraus für die Zukunft lernen. Sie und ihre Trainer können diese in konkrete Optimierungspunkte umwandeln und sogar in den Trainingsplan integrieren. Menschen können generell, durch eine gelebte Fehlerkultur, Unvollkommenheit und Fehler nicht nur besser annehmen, sondern auch wertschätzen lernen. Damit entsteht auch eine ganz andere Wahrnehmung von Misserfolg. Folglich wird man gegenüber zukünftigen Misserfolgen auch wesentlich gelassener: Denn das Scheitern wird entdramatisiert indem man aus verfehlten Zielen lernt und dadurch Selbstwert von Leistung trennt. Oder anders formuliert: Selbstwert durch stetiges Lernen aufwertet.
Misserfolge hinterlassen in der Tat tiefe Spuren: Das Selbstbewusstsein ist dahin, der Selbstwert ist reduziert, Zuversicht weicht Unsicherheit – warum aber passiv auf Zeit setzen und darauf hoffen, dass man den Misserfolg irgendwann vergisst? Sportler können diese Spuren aktiv auffüllen, indem sie aus Misserfolg Erfahrungswissen machen – sie können das Scheitern quasi – aber auch buchstäblich – vergolden, wenn man die Analogie zu Kintsugi bemüht. Die schöne Kunst, zerbrochenes Porzellan zusammenzukleben und die Risse zu vergolden. Was dabei entsteht ist ein einzigartiges Stück, das einmal zerbrochen, repariert und vergoldet daran erinnert, dass ein Fehler es nicht zerstörte, sondern wertvoller machte.
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