Prof. Dr. Oliver Stoll: Der Ausraster beim Hockeyspiel – ist das gute Führung?

Es war einer der Aufreger der Olympischen Spiele in Paris. Der Ausraster von Hockey Bundestrainer Valentin Altenburg im Vorrundenspiel gegen Frankreich. Wenn wir uns, mit dem Wissen über gute und funktionale Führung, das Video im Nachgang so anschauen, können wir nur zu diesem einen Schluss kommen: Im Prinzip widerspricht dieses Verhalten all dem, was wir über gute Führung wissen. 

Zum Thema: Führungsstile im Leistungssport

Die Sportpsychologie orientiert sich heutzutage mehr am Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie. Historisch betrachtet unterscheidet die Sozialpsychologie Führungsstile häufig nach zwei Forschern: dem Sozialpsychologen Kurt Lewin und dem Soziologen Max Weber. Kurt Lewin entwickelte durch seine Forschung drei sogenannte klassische Führungsstile: Den autoritären Führungsstil, den kooperativen Führungsstil und den Laissez-faire-Führungsstil. Dieses Konzept hat sich schnell auch in der Pädagogik und auch in der Sportpsychologie etabliert und wurde lange so umgesetzt. 

Was ich in dem Video gesehen habe, und was auch meine Erfahrung mit Trainerinnen und Trainern ist: im Leistungssport ist die „transaktionale Führung“ weiterhin fest verankert. Das beinhaltet Leistung und Gegenleistung und bedeutet,  dass die Führungsperson gute Leistungen belohnt und anerkennt, bestraft allerdings auch unerwünschtes Verhalten und achtet darauf, dass Normen und Disziplinen eingehalten werden (ganz ähnlich wie in der autoritären Führung).

Alternative Führungsstile

Ein alternativer Führungsstil, der mittlerweile gesamtgesellschaftlich weit verbreitet ist, nennt sich „transformationale Führung“. Transformationale Führung ist ein Ansatz, bei dem Führungskräfte als inspirierende Vorbilder agieren, Vertrauen aufbauen und Respekt und Wertschätzung ernten. Diese Art der Führung hat eine starke Ähnlichkeit mit der agilen Führung und kann das Verhalten von Mitarbeitern wirksam verändern, also “transformieren”. Transformationale Führung, die ihre Wurzeln in den Arbeiten von James MacGregor Burns und Bernard M. Bass hat, steht oft im Vergleich mit anderen Modellen, insbesondere der transaktionalen und agilen Führung. Burns führte seine Studien in den 1970er Jahren durch und veröffentlichte seine Erkenntnisse in seinem Buch “Leadership” von 1978. Somit ist dieses Modell auch schon länger bekannt. Im Zentrum steht der Gedanke,  dass die Führungsperson Vorbild ist und dadurch Vertrauen aufbaut, Herausforderungen und Sinn vermittelt, Kreativität und Teamgeist fördert. Das ist es, was heutzutage auch im Businessbereich Führungskräften vermittelt wird.

Nun geht es im Businessbereich häufig ähnlich wie in einem sportlichen Wettkampf. Aber z.B. bei Auszeiten transformational zu führen (und die gibt es im Businessbereich eher nicht), ist schwierig. Die meisten Trainer machen dann lieber „Ansagen“ – was auch nicht immer schlecht ist. Vor allen Dingen dann, wenn die Athletinnen und Athleten am Limit unterwegs sind. Dann erwarten die Athletinnen und Athleten, dass der Trainer ihnen sagt, was sie tun sollen – also kurz gesagt „Autorität“. Insofern ist ein solches Führungsverhalten nicht grundsätzlich abzulehnen. Es kommt eben darauf an, wie sich die aktuelle Situation darstellt und wie hoch die Fähigkeiten und Kompetenzen des Teams sind, dieser Herausforderung standzuhalten.

Spezielle Kommunikation im Sport   

Aber zurück zu unserem Beispiel von Hockey-Bundestrainer Valentin Altenburg. Schaut und hört man noch einmal konkret in die Kommunikation zwischen Trainer und Athletin hinein, dann ist das m.E. allerdings schon grenzwertig. Man kann die Aussage: „Halt jetzt mal die Fresse, Anne“ durchaus als Beleidigung oder als übergriffig bewerten. Aus einer Beobachterperspektive ist aber wenigstens ein Aspekt stimmig: Das, was er verbal sagt, und das, was er in der Körpersprache zeigt, passt zusammen. Schlimmer wäre es, wenn er verbal etwas sagen würde, was seine Körpersprache nicht zeigt. Das bringt Athletinnen und Athleten eher durcheinander. Wenn man in das Gesicht der Spielerin schaut, sieht man einen kleinen Schmollmund. Aber es ist nicht so, dass sie komplett in sich zusammenbricht. Man muss nicht gut finden, was er da gemacht hat – aber es war zumindest authentisch und das, was verbal und nonverbal kommuniziert wird, passt zueinander. 

Im Interview nach dem (im übrigen gewonnenen Spiel) geben sich die beiden ja auch sehr versöhnlich und verwundert über die Kritik seitens der Medien. Wie das wiederum einzuordnen ist, darüber lässt sich bestenfalls spekulieren. So oder so – diese Szene hat die Leistungssportwelt aufgerüttelt und zum Nachdenken über „gute Führung“ aufgefordert. Hier gibt es sicherlich noch weiteren Aufklärung- und auch Forschungsbedarf.

Zeitungsinterview mit Oliver Stoll

https://www.rnd.de/panorama/ausraster-von-olympia-hockeytrainer-altenburg-sieht-so-gute-fuehrung-aus-FW32366EHNAOBMFTOWNSYYMFI4.html

Mehr zum Thema:

Literatur:

Finckler, P. (2017).  Transformationale Führung. Wegweiser für nachhaltigen Führungs- und Unternehmenserfolg. Springer: Berlin

Schulz-Hardt, S., Brodbeck, F.C. (2014). Gruppenleistung und Führung. In: Jonas, K., Stroebe, W., Hewstone, M. (eds) Sozialpsychologie. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-41091-8_13

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