Robin Conen: Die Gefahr der Post-Olympia-Depression

Die deutsche Judoka Anna-Maria Wagner hat es bereits 2021 erlebt: Nach den Olympischen Spielen von Tokio fiel sie in ein tiefes Loch, war antriebslos, schlief schlecht und spürte eine länger anhaltende tiefe Traurigkeit. Post Olympic Depression lautet der internationale Name des Phänomens, welches immer wieder Athleten und Athletinnen schwer macht, nach einem sportlichen Top-Ereignis den Weg zurück in den Alltag zu finden. Auf welche Symptome sollten SportlerInnen achten und ab wann sich Hilfe suchen? Gibt es Wege, präventiv etwas gegen eine Post-Olympia-Depression zu tun?

Robin Conen, Die Sportpsychologen
Robin Conen, Die Sportpsychologen

Antwort von Robin Conen (zur Profilseite)

Der Begriff „Post Olympic Depression“ wird auch als “Entspannungsdepression” bezeichnet und beschreibt das Auftreten depressiver Symptome nach einer Phase hoher Belastung und Anspannung, sobald diese nachlässt. Aber warum ist das so?

Forschungsergebnisse suggerieren, dass Hochspannungsphasen Vorläufer von Depressionen sein können. Unterschwellige Depressionssymptome, emotionale Instabilität, geringere Zufriedenheit und mangelnde soziale Unterstützung (z.B. durch Trainer, Teamkollegen oder Familie) können Depressionen vorhersagen. Aus gesundheitspsychologischer Sicht kann Stress, einschließlich emotionaler Belastung, zu Depressionen und anderen Gesundheitsproblemen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes führen und somit eine Leistungssportkarriere gefährden. Interventionen der Sportpsychologie und Psychotherapie deuten jedoch darauf hin, dass psychologische Flexibilität, also die Fähigkeit einer Person, Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen bewusst an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, als Schutzfaktor gegen emotionale Belastung und Depression dient.

Dies deutet darauf hin, dass nicht alle Personen unter hoher Anspannung zwangsläufig Depressionen entwickeln, da individuelle psychologische Merkmale die Ergebnisse beeinflussen können. Zusammenfassend zeigt sich ein klarer Zusammenhang zwischen Phasen hoher Anspannung und der Entwicklung einer Depression, was durch die prädiktive Rolle von Stress und emotionaler Instabilität belegt wird. Psychologische Flexibilität kann jedoch die Auswirkungen von Stress auf Depressionen mindern, was nahelegt, dass Interventionen zur Stärkung der psychologischen Widerstandsfähigkeit vorteilhaft sein könnten.

Zurück in den Alltag

Durch (sport-)psychologische Interventionen unterstützen Sportpsychologen Athleten aktiv im Umgang mit Rückschlägen oder der Rückkehr zu einem „Alltagsniveau“, beispielsweise nach den Olympischen Spielen. Sie fördern dabei insbesondere die psychologische Flexibilität, die die Auswirkungen von Stress auf Depressionen mindern kann, was den Nutzen von (sport-)psychologischen Interventionen zur Stärkung der psychologischen Widerstandsfähigkeit verdeutlicht. Diese Erkenntnisse betonen die Wichtigkeit einer frühzeitigen Identifizierung und Intervention bei Sportlern mit hohem Stress und Depressionsrisiko – doch wann wird eine „depressive Phase“ tatsächlich krankhaft?

Typische Depressionssymptome umfassen gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsmangel oder erhöhte Ermüdbarkeit, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, geringes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Wertlosigkeit, negative Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken oder -handlungen, Schlafstörungen, verminderten Appetit und sozialen Rückzug. Das gleichzeitige Auftreten mehrerer dieser Symptome deutet auf ein Syndrom hin, das die Grundlage für eine Depressionsdiagnose bildet und psychotherapeutisch behandelt werden sollte. Daraufhin wird dann vom Facharzt für Psychotherapie bzw. vom Psychologischen Psychotherapeuten aus dem Kapitel  „Affektive Störung (F30-F39)“ des International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD), z.B. F32.1 – Diagnose Mittelgradige depressive Episode oder F33.2 – Diagnose: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, diagnostiziert.

In Deutschland sollten Betroffene zunächst den Hausarzt oder einen Psychologischen Psychotherapeuten konsultieren, woraufhin je nach Schweregrad eine stationäre oder ambulante Therapie eingeleitet wird, gegebenenfalls mit medikamentöser Behandlung (z.B. Antidepressivum). Die Patienten können die ambulante Therapie als Kassenleistung in den Richtlinienverfahren der Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie oder Systemischen Psychotherapie durchführen.

Systemischer Ansatz

Die Systemische Psychotherapie, mein Fachgebiet, ist besonders für Leistungssportler geeignet, da sie neben individuellen Anliegen auch soziale Beziehungen berücksichtigt, wie Eltern, Partner, Trainer und Teamkollegen sowie im Ergebnis die psychologische Flexibilität und Resilenz wieder aufgebaut werden.

Ein systemischer sportpsychologischer Begleitansatz ermöglicht auch präventive Maßnahmen bei der Betreuung von Sportlern, wie Entspannungstechniken und Routinebildungen.

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Quellenhinweise

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