Olympische Spiele 2024. Bogenschießen, Mixed-Wettbewerb. Die ARD-Kommentatorin Sabrina Bramowski spricht vor dem Wettkampf davon, dass sie Mentaltrainer kennt, die mit ihren Athleten daran arbeiten, sich die goldene Olympia-Medaille vorzustellen. Klingt spannend, oder ist das schon des Guten zu viel? Beziehungsweise ein bisschen zu einfach gedacht? Befassen wir uns also mit dem Thema Visualisierungen.
Arthur Wachter (zur Profilseite)
Die Kommentatorin Sabrina Bramowski spielt mit ihrer Aussage auf ein richtig spannendes Thema an: Visualisierung im Sport!
Visualisierung ist ein mächtiges Werkzeug im mentalen Training. Diese Technik, die in der Sportpsychologie und im Mentaltraining weit verbreitet ist, kann Athleten helfen, ihre Leistung zu optimieren und ihre Ziele zu erreichen.
Was ist Visualisierung?
Visualisierung, auch bekannt als mentales Training – beinhaltet das Erschaffen von mentalen Bildern von Bewegungen, Situationen oder Zielen. Athleten stellen sich vor, wie sie erfolgreich agieren, sei es bei einem Wettkampf, Training oder in anderen sportlichen Situationen. Diese mentalen Bilder können so real und detailliert sein, dass sie fast wie eine tatsächliche Erfahrung Wirkung hinterlassen.
Vorteile der Visualisierung:
1. Verbesserte Konzentration und Fokus
2. Erhöhtes Selbstvertrauen
3. Technikverfeinerung
4. Stressbewältigung
Visualisierung kann in verschiedenen Formen praktiziert werden
- Vor dem Wettkampf: Athleten können sich den bevorstehenden Wettkampf in allen Details vorstellen
- Im Training: Während des Trainings können Athleten Visualisierung einsetzen, um sich auf spezifische Techniken oder Herausforderungen zu konzentrieren.
- In der Erholungsphase/in der Verletzungsphase: In Phasen der Erholung oder Rehabilitation kann Visualisierung helfen, das Training mental fortzusetzen und den Heilungsprozess zu unterstützen.
Christian Bader (zur Profilseite)
Visualisierung ist eng verknüpft mit Mentaltraining. Ziel dabei ist, die mentale Stärke und die Leistung zu verbessern. Mein Kollege Arthur Wachter umschreibt die Visualisierung bereits wunderbar. Gerade in einer sehr technisch anspruchsvollen Sportart wie Bogenschiessen ist das Mentale von besonderer Bedeutung. Gerade im Wettkampf sind Bedrohungen und Belohnungen wichtig. Beispielsweise kann die Beobachtung der Konkurrenten, die die ersten Pfeile souverän im 10er-Ring platzieren, oder das Gefühl der eigenen Kraftlosigkeit („heute wiegt der Recurve-Bogen schwerer als üblich“) als Bedrohung wahrgenommen werden. Durch gezielte Visualisierung und Mentaltraining können Athleten lernen, diese Bedrohungen zu bewältigen und ihre Leistung zu optimieren.
Aus einer systemischen Perspektive glaube ich aber, verschenken wir enorm viel Potential, wenn Wahrnehmung, Erleben, Affekte, Verstehen, Wille, Handeln und Umwelt unberücksichtigt bleiben. Daher bin ich davon überzeugt, dass wir auch über die sportpsychologische Beratung als alternative Methode sprechen müssen. Visualisierung hat den Zweck, etwas zu verändern, nutzt dazu jedoch vermeintlich Klarheit und Eindeutigkeit als Ausgangspunkt. Im Sinne von Pipi Langstrumpf «ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt’ greifen solche Interventionen meiner Ansicht nach viel zu kurz, weil sie Komplexität häufig (nicht immer) reduziert. Denn, wer sich selbst wenig wahrnimmt, kann sich nicht wirklich kennen und übersieht Wichtiges im Aussen (Klaus Eidenschink).
Es ist zentral zu erkennen, dass Menschen und ihr Verhalten von Kontext und Umwelt abhängig sind. Es ist daher spannend, Paradoxien oder Vieldeutigkeit (statt Eindeutigkeit und Klarheit) als Ausgangspunkt zu nutzen in einer Beratung und diese gemeinsam mit Athleten zu verstehen. Nehmen wir den Bogenschiesswettbewerb als Beispiel. Ein Widerspruch (Paradoxie) ist die individuelle Leistung und Teamgeist im Mixed-Wettkampf-Team. Auf der einen Seite wird eine herausragende individuelle Leistung erwartet, gleichzeitig wird Teamgeist und Zusammenarbeit gefordert. Konzentrieren sich Athleten zu stark auf die individuelle Leistung, kann dies den Teamgeist beeinträchtigen. Umgekehrt führt der Fokus auf Teamgeist dazu, dass individuelle Fähigkeiten nicht vollends ausgeschöpft werden.
Wie gehen Athletinnen und Athleten mit solchen Spannungsfeldern um, wenn sie sich zwischen diesen beiden gegensätzlichen Polen bewegen und die gewünschte Eindeutigkeit nicht mehr gegeben ist? Und wie verhält es sich, wenn es um einen Olympia Wettkampf geht, auf welchen sich Athleten mehrere Jahre vorbereiten? Wertvolle Erkenntnisse als Athlet erhält man, wenn der Blick mit einer beratenden Fachperson auf die eigenen inneren Prozesse gerichtet wird und damit Muster und deren Funktion zu identifizieren versucht.
Zum Beispiel: Wenn von der Aussenwelt beängstigende oder einschränkende Botschaften (wie „Sei anders als du bist“ oder „Nur Gold zählt“) vermittelt werden, versuchen die Athleten dies oft durch zusätzliche Anstrengungen wettzumachen, möglicherweise zu Lasten des Teamgeistes. Wenn nun subjektiv nicht derselbe Effort beim Mixed-Partner wahrgenommen wird, was passiert dann? Geht es um die Wahrnehmung, dann ist es spannend zu verstehen, wie eine Athletin Erlebtes begrüsst oder ablehnt. Wenn beispielsweise das Scheitern konsequent als unangenehm abgelehnt wird, dann hat dies Einfluss auf die inneren Prozesse, wie zum Beispiel die Selbstwahrnehmung oder der Umgang mit eigenen Bedürfnissen und führt zu einem Mangel an Reflexion. Gerade in einem Teamwettbewerb scheint es mir sinnvoll, diese Muster aufzudecken und hinsichtlich ihrer Funktion (funktional, dysfunktional) zu prüfen. Sportpsychologische Beratung kann dabei unterstützend hinzugezogen werden. Am besten mit ausreichend Vorlauf.
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