Die Olympischen Spiele in Paris sind für die allermeisten Sportler nicht irgendwelche Wettkämpfe. Sie sind ein sogenannter Peak, der vier Jahre vorbereitet wird. Genau an diesem einen Tag, in diesem entscheidenden Wettkampf geht es darum, die bestmögliche Leistung genau zum richtigen Zeitpunkt abzurufen. Das ist jedem bewusst, dem Athleten, dem Trainer und dem Staff. In der unmittelbaren Vorbereitung geht es nicht mehr um Entwicklung oder großartige Umstellung. Es geht darum, alles auf diesen einen Moment zu konzentrieren. Da haben Erwartungen keinen Platz. Für Erwartungen tut man nichts. Mit Erwartungen sitzt man da und wartet, dass etwas erwartungsgemäß erfolgt. Das wäre die denkbar schlechteste Art der Vorbereitung, aber auch eine komplett unpassende Herangehensweise an ein Großereignis wie die Olympischen Spiele. Dennoch stolpern wir dieser Tage immer wieder über den Begriff Erwartungen. Warum fällt also dieses Wort im Vorfeld so oft: Was sind Deine Erwartungen? Mit welchen Erwartungen gehst Du hin?
Zum Thema: Zielsetzung im Sport
Möglicherweise aus zwei Gründen: Man will niemanden zusätzlich unter Druck setzen und zweitens, den möglichen Misserfolg schmälern. Beides nett gemeint, irgendwie aber auch komisch, denn: Ein Athlet braucht ein genaues Ziel, um darauf hinarbeiten zu können und das sind keine Erwartungen, sondern eindeutige, sehr konkrete Ziele. Man kann natürlich vorsichtig sein, diese klein reden, sie gar nicht aussprechen. Doch was ändert das? Diese Ziele sind seit vier Jahren im Kopf. Dieses Ziel treibt Athleten jahrelang an, für dieses Ziel entbehren und schwitzen sie: Kurzum, erfolgreiche Athleten blenden ihr Ziel, kurz vor dem Ziel mit absoluter Sicherheit nicht aus. Und das ist gut so.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Nimmt Euch vor, aus dem Haus und danach rechts zu gehen (Zielstellung), und versucht dann, aber kurzerhand links zu gehen. Das wird nicht ohne weiteres möglich sein: Soll ich mich jetzt nach rechts oder links drehen, warum nochmal nach rechts? Ein Moment des Nachdenkens: Ihr nehmt Euch zwangsläufig einen Moment, um kurz innezuhalten und die aufkommende Unsicherheit zu klären. Im Leistungssport gibt es diesen Moment nicht. Deshalb nutzt man die, sagen wir mal natürlichen Vorteile einer Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf eine wichtige Aufgabe, auf ein wichtiges Ziel. Eigentlich die Ausrichtung des gesamten biopsychischen Systems Mensch – um just in time wach, fokussiert, leistungsbereit und vollständig aktiviert eine wichtige Aufgabe zu erledigen.
Aufgabe ohne Ziel?
Eine Aufgabe ist allerdings nur mit einer Zielstellung eine. Ich tue etwas ohne Ziel, also egal was dabei rauskommt – ohne Sinn und ohne Grund – gibt es nämlich nicht. Auch der kurze Richtungswechsel im obigen Beispiel löst automatisch eine Ziel- oder Sinnsuche aus, nämlich die Fragen: Wohin noch einmal und warum? Das heißt, ohne Zielstellung keine zielgerichtete Handlung, allerdings mit Zielstellung, Druck das Ziel zu erreichen. Ein zwangsläufiges Zusammenspiel, aber das Tagesgeschäft jedes Athleten im Hochleistungsbereich.
Andererseits redet man lieber von Erwartungen als von Zielen, um den möglichen Misserfolg zu schmälern. Denn: “Erwartungen nicht erfüllen”, klingt doch etwas undramatischer als „Ziele verfehlen“. Die Botschaft, die ein wenig mitschwingt: Misserfolg ist kein Drama. Und das stimmt. Warum aber, dann vorher darüber nachdenken oder überhaupt daran denken? Wenn Misserfolg kein Drama ist, muss man sich damit im Vorfeld nicht beschäftigen, keine Strategien und Gedankengänge zurechtlegen, um im Falle eines Misserfolges vorbereitet zu sein. Misserfolg ist nicht Plan B, Misserfolg ist überhaupt gar kein Plan. Misserfolg und die Gedanken daran, kann man also getrost verschieben. Es langt sich damit zu beschäftigen, sobald es dazu kommt – wenn es überhaupt dazu kommt.
Fazit
Das heißt, wir erwarten nichts, weder eine Leistung, noch einen Misserfolg – wir gehen zu den Spielen nicht mit Erwartungen, sondern mit einer Zielstellung.
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