Prof. Dr. Oliver Stoll: Schnellintervention, Kurzzeittherapie, Krisenintervention im Sport? 

Das Thema sportpsychologische „Schnellinterventionen“ hat für unser Feld eine gewisse Brisanz, denn neben den vielen anderen wichtigen Interventionen im Leistungssport (so z.B. physisches Training und Trainingsplanung sowie Bewegungslernen und -stabilisierung) haben Athletinnen und Athleten im Wettkampf-Vorbereitungsprozess nur wenig Zeit. Aber auch im unmittelbaren Wettkampfgeschehen könnten Schnellinterventionen ggf. durchaus positive Effekte zeigen. Erste Gedanken dazu für das Gebiet der Sportpsychologie findet man zusammenfassend im Lehrbuch Sportpsychologie von Stoll, Pfeffer & Alfermann (2010). Um so interessanter ist der Fakt, dass es hierzu offensichtlich keine Wirksamkeitsstudien zu dieser sportpsychologischen Maßnahme vorliegen.       

Zum Thema: Schnellinterventionen – Was ist das oder was kann es sein? 

In der Psychotherapie spricht man bei Kurzeittherapien von Interventionen mit bis maximal 24 Sitzungen. Dies wäre mit Einschränkungen bei weitem nicht das, was ich als Sportpsychologe unter einer Schnellintervention verstehen würde. Im Großen und Ganzen habe ich selten Interventionen, die über 24 Einzelsitzungen gehen. Hier hilft uns wahrscheinlich eher ein Blick in die Notfallversorgung oder -seelsorge weiter. Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) ist ein System psychosozialer Maßnahmen der kurz-, mittel- und langfristigen Unterstützung, Beratung und Therapie im Zusammenhang mit Notfallereignissen (z. B. Naturkatastrophen, Unfällen, Terrorakten, häuslichem Todesfall, plötzlichem Kindstod) und belastenden Einsatzsituationen (z.B. Einsätze mit vielen Toten und Verletzten, mit Kindern, bei eigener Lebensgefahr). Hier kommen geschulte Personen zum Einsatz um akute psychische Belastungen und Bedrohungen abzuwenden. Hier sehen die Einsatzkräfte die Klient*inne in der Regel nur maximal einmal, nämlich im Akutfall.  Diese Versorgung ist dann allerdings auch in einer längerfristiges Therapiekonzept eingebunden (Beerlage, 2021).    

Die lösungsorientierte Kurztherapie, auch lösungsfokussierte Kurzzeittherapie, ist eine spezielle Art der Gesprächstherapie, die von den Psychotherapeuten Steve de Shazer und Insoo Kim Berg 1982 erstmals vorgestellt wurde. Sie geht von dem Standpunkt aus, dass es hilfreicher ist, sich auf Wünsche, Ziele, Ressourcen, Ausnahmen vom Problem zu konzentrieren anstatt auf Probleme und deren Entstehung. Wie also unschwer zu erkennen ist, kommt dieser Ansatz aus der Psychotherapie. Es gibt auch noch andere sogenannte Schnellinterventionen, die wir vor allen Dingen aus den Bereichen der Krisen- und Notfallinterventionen kennen. Eine besondere Form der sogenannten Schnellinterventionen ist mit Einschränkungen die lösungsorientierte Kurzzeitherapie.  

Was ist die lösungsorientierte Kurzzeitherapie?    

Die lösungsorientierte Kurztherapie (und das ist die Form, die ich am leichtesten in den Sportbereich überführen könnte) verbreitet sich in den letzten Jahren auch in anderen Bereichen wie allgemein dem persönlichen Coaching, der Pädagogik, dem Management sowie der Seelsorge. Insbesondere verbreitet er sich in der Schweiz und in Teilen Deutschlands auch in der Sozialen Arbeit und in der Sozialpädagogik, sowie sogar auch in der Psychiatrie. Über die Wirksamkeit des lösungsfokussierten Kurzzeitkonzepts liegen mittlerweile mehrere Meta-Studien vor. Nach Kim (2008) sowie Wallace et al. (2013) konnte diese Form der Intervention bislang nur für internalisierende Störungen bestätigt werden, wobei es sich allerdings um kleine Effekte handle (die nahezu dem Effekt des Zufalls entsprechen).  

Dabei wird davon ausgegangen, dass Klienten die „Experten“ sind, weil sie, wenn sie mit einem Problem in die Beratung kommen, immer auch schon eine Idee von ihrer Lösung mitbringen. Die individuellen Ideen sollen respektiert und mit den Klienten kooperativ weiterverfolgt werden, um ihnen die Nutzung ihrer Lösungsideen zu erleichtern und zu ermöglichen. Was also behauptet eine Lösungsfokussierung: 1.) positive Veränderungen von komplexen Situationen geschehen in kleinen Schritten, 2.) wenig Information genügt für die Wahl der nächsten Schritte; 3.) “Was macht jetzt schon den Unterschied zwischen besser/schlechter aus?” entscheidet und nicht “wie ist es – wie kam es dazu?”; 4.) das konkrete Handeln in kleinen Schritten verdrängt das “theoretisch umfassend Verstehen wollen”; und hinzu kommt eine Unterstellung: „Alle Beteiligten sind interessiert an positiven Veränderungen“. Dabei verfolgt die Lösungsorientierung drei Grundprinzipien: Nämlich: “Repariere nicht, was nicht kaputt ist!” sowie „”Finde heraus, was gut funktioniert und passt – und tu mehr davon!” und „”Wenn etwas trotz vieler Anstrengungen nicht gut genug funktioniert und passt – dann höre damit auf und versuche etwas anderes!” 

Gelingt uns hier der Transfer in den Sportbereich? 

Jetzt möchte ich eine sportpsychologische Schnellintervention nicht gleich mit einer „Notfallversorgung“ in einen direkten Zusammenhang bringen. Das sind schlichtweg zu verschiedene Settings, auch wenn die subjektive Wichtigkeit des Moments, in der ein Klient gereade steckt (z.B. ein Olympisches Finale) vielleicht im Ansatz vergleichbar ist. Aber schauen wir uns doch mal die oben genannten Überlegungen genauer an: Kleine Schritte, wenig Informationen, der Verzicht auf Bewertung einer Situation, konkretes Handeln sowie die Unterstellung: „alle sind an positiven Veränderungen interessiert“. Das erinnert mich doch sehr an das, was ich von den sogenannten „Halbzeitansprachen“, eventuell kurzen Gesprächen in der “Mixed Zone“ oder in einer kurzen Vorbereitung auf den nächsten Wettkampftag erwarten würde (und was ich auch so praktiziere, wenn ich mit Athlet*innen unterwegs bin).

Genau das ist es auch, was wir Mitte Mai 2024 zum Floorball Deutschland Final4 mit insgesamt 15 unserer Teilnehmer*innen des ersten asp-Nachwuchstagung (Praxis) umsetzen wollten, was uns allerdings auch nur zum Teil gelungen ist. Konkret fand am Wochenende eine Kurzzeitintervention statt. Zuvor, also in den Wochen vor dem Event, hatten einige Teams bereits Fragen zur Sportpsychologie eingereicht, die unsere Teilnehmenden beantwortet haben. Und während der Veranstaltung war von vielen Leuten in der Floorballszene das Interesse groß. Möglicherweise wird es eine Wiederholung des Formats geben – ob mit Kurzzeitinterventionen oder ohne. Dieser spezielle Bedarf entsteht eben aus der Situation. Ob nun am Frühstückstisch nach einer schlechten Nacht vor dem Wettkampf, zwischen zwei Wettkämpfen oder direkt nach dem Saisonhöhepunkt.

Mehr zum Thema:      

Literatur: 

Beerlage, I. (2021). Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden. https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i140-1.0

Kim, J.S. (2008). Examining the Effectiveness of Solution-Focused Brief Therapy: A Meta-Analysis. Research on Social Work Practice, 18, 107-116 

Wallace J. Gingerich, Lance T. Peterson (2013). Effectiveness of Solution-Focused Brief Therapy. A Systematic Qualitative Review of Controlled Outcome Studies. Research on Social Work Practice, 23, 266-283. 

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Prof. Dr. Oliver Stoll
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