Keine Frage, wahre Führungsspieler sind im Fußball heiß begehrt – und rar gesät. Spieler, die auf dem Feld in besonderen Drucksituationen Verantwortung übernehmen, die emotionalisieren und motivieren, aber auch durch eine zielführende Kommunikation auf einer taktischen Ebene Mitspielern den Weg weisen. Spieler, die insbesondere auch außerhalb des Feldes die Werte des Teams verkörpern und regelmäßig mit den Trainern die Kommunikation zur Optimierung von Teamprozessen suchen. Als Sportpsychologischer Coach des Halleschen FC habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den jungen Nachwuchsspielern Hilfestellungen in der Weiterentwicklung ihrer Führungskompetenzen zu geben. Dafür habe ich das „Leadershipcoaching” ins Leben gerufen, innerhalb dessen ich mit den Führungsspielern regelmäßig an ihrer Leader-Performance arbeite. In diesem Artikel möchte ich konkrete Einblicke in meine sportpsychologische Arbeit mit Noah Riedel, Phil Riesner, Charles Kropp, Jamie Adam und Benicio Roschig, den Führungsspielern der U16, geben und dabei den Mehrwert dieses Formats verdeutlichen, indem ich die Leader auch selbst zu Wort kommen lasse.
Zum Thema: Leadershipcoaching und warum nicht zuletzt Trainer davon profitieren
Zu Beginn einer Zusammenarbeit im System NLZ steht eine saubere Auftragsklärung mit den Trainern der einzelnen Teams im Vordergrund. Dabei geht es darum, möglichst konkret auszuloten, wie die Sportpsychologie im Sinne der Trainer stimmig in den Trainingsalltag des jeweiligen Teams integriert wird. In diesem Zusammenhang habe ich den U16-Coaches, für die ich die Rolle eines Dienstleisters einnehme, einige sportpsychologische Angebote vorgestellt, die darauf abzielen, ihnen und ihrem U16-System ein Unterstützer zu sein. Die Trainer entschieden sich daraufhin u.a. für das Angebot des Leadershipcoachings sowie den „Führungszirkel“, bei dem es für mich in moderierender Funktion darum geht, die Führungsspieler und Trainer bezüglich aktuell relevanter Themen in einen lösungsorientierten Austausch zu bringen. Die Coaches nannten mir die Namen ihrer sechs Führungsspieler, woraufhin ich diesen mein Angebot vorstellte. Fünf von ihnen entschieden sich für die Zusammenarbeit.
Torwart Jamie berichtet über seine Gründe für das Annehmen des Angebots: „Einerseits sehe ich das Zusammenkommen als individuelle Möglichkeit, um mich persönlich und mental weiterzuentwickeln, andererseits auch als Chance, dem Team zu helfen, indem ich versuche, die Anliegen meiner Mitspieler in Zusammenarbeit mit den Trainern zu erfüllen und somit das Bestmögliche für mein Team herauszuholen. Das Team ist wie eine zweite Familie für mich, in der man Probleme zumindest für einen kurzen Zeitraum vergisst und Spaß hat! Daher bin ich bereit, aufopferungsvoll für sie, aber auch für mich stets das Beste herauszuholen.“
Zweikampfmonster Phil dagegen verspricht sich durch die Coachings in Bezug auf seine persönliche Weiterentwicklung folgendes: „Durch die Coachings wollte ich u.a. mehr Selbstbewusstsein bekommen. Selbstbewusstsein ist in der heutigen Zeit viel wert.“
Zielstellungen und Inhalte des Leadershipcoachings
Ca. alle vier Wochen arbeiten wir in diesem Format zusammen. Dabei verfolgen wir folgende übergeordnete Zielstellungen und füllen die Coachings mit folgenden Inhalten:
- Weiterentwicklung von Führungskompetenzen
Zunächst beschäftigten wir uns damit, welche Kompetenzen ein Führungsspieler, der ganzheitlich führen möchte, überhaupt benötigt. Wir erarbeiteten und dabei die vier Dimensionen motivierendes (1) und aufgabenorientiertes Leadership (2), primär auf dem Feld bedeutsam, soziales (3) und extern orientiertes Leadership (4), besonders außerhalb des Feldes von hoher Wichtigkeit, und besprachen, welche konkreten Aufgaben mit den einzelnen Dimensionen einhergehen. Mithilfe eines „Leaderchecks“ konnten die Führungsspieler zudem selbst einschätzen, wie es um ihre aktuellen Führungsqualitäten bestellt ist und konkrete nächste Schritte zur Weiterentwicklung ihrer Leaderkompetenzen definieren. In den darauffolgenden Coachings fokussierten wir uns auf die Arbeit an den Führungskompetenzen „Umgang mit herausfordernden Mitspielern“, „Feedback geben“ und „die Stimmung im Trainingsprozess gezielt beeinflussen.“
- Persönlichkeitsentwicklung
Pervin (2000) definiert Persönlichkeit als „jene Merkmale einer Person, die konsistente Verhaltensmuster erklären.“ Dabei entwickelt sich die Persönlichkeit im Laufe des Lebens weiter. Im Sportkontext gibt es sowohl Persönlichkeitseigenschaften, die für die Erbringung sportlicher Leistungen förderlich sind als auch solche, die hinderlich sind (Beckmann & Elbe, 2008). Gerade vor dem Hintergrund meiner Anstellung im Nachwuchsbereich ist neben der mentalen Leistungsentwicklung und der psychischen Gesunderhaltung insbesondere die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der noch sehr jungen Spieler eine Hauptaufgabe der sportpsychologischen Betreuung im NLZ.
Nach inzwischen über sechs Jahren Erfahrung in der Zusammenarbeit mit jugendlichen Leistungssportlern kann ich sagen, dass für mich insbesondere die Selbstreflexionsfähigkeit eine Kompetenz darstellt, die unbedingt noch zielgerichteter gefördert werden muss. Denn durch die bewusste Auseinandersetzung mit sich selbst entsteht bewusstes Handeln, das positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung und Leistungsentfaltung einzahlt. Um diese Selbstreflexionsfähigkeit zu fördern, arbeite ich in meinen Coachings primär mit Fragen, welche die Jungs ins bewusste Nachdenken bringen und selbstständig Lösungen entwickeln lassen. So auch in den Führungsspielercoachings, in denen ein zentraler inhaltlicher Bestandteil darin besteht, Themen zu definieren, über welche die Leader, zumeist im Rahmen des Führungszirkels, in eine bewusste Kommunikation mit ihren Trainern treten wollen und vor allem die Art und Weise des Kommunizierens gemeinsam vorzubereiten. Mit ihren Coaches in Kommunikation zu treten, um Wünsche zu adressieren und Verbesserungsvorschläge einzubringen, stellt für viele Spieler eine Herausforderung dar, für die es Mut braucht und die eigene Komfortzone verlassen werden muss. Doch genau das ist es, was die Jungs wiederum auch als eine Persönlichkeit wachsen lässt, die Verantwortung übernimmt.
Angreifer Charles nimmt bei sich folgende Entwicklungen wahr: „Ich kann jetzt entspannter an manche Sachen rangehen und mache mir die Situation nicht mehr schlimmer als sie eigentlich ist. Ich habe offenere Gedanken bekommen und sehe vieles jetzt aus einer anderen und besseren Sicht. Und ich weiß auch besser als zuvor, wie man ein besserer Leader wird.“
- Fördern von Teamprozessen
In den Leadershipcoachings setzen sich die fünf Jungs mit teamrelevanten Themen auseinander und mit der Frage, wie sie in ihrer Rolle als Führungsspieler Teamprozesse gezielt beeinflussen können. Folgende Fragen haben wir dabei beispielsweise gemeinsam lösungsorientiert bearbeitet:
- Wie kann ich gezielt mit kritikresistenten Spielern ins Gespräch kommen?
- Was kann ich konkret tun, um die Stimmung im Training positiv zu beeinflussen?
In Bezug auf die letzte Frage hat Abwehrass Noah für sich folgende Ansätze mitgenommen: „Ich kann die Stimmung als Leader positiv beeinflussen, indem ich erstmal selbst als gutes Beispiel vorangehe. Das heißt, dass ich selbst diese positive Stimmung lebe, indem ich lautstark dabei bin und alles gebe. Wenn Spieler gerade nicht so gut dabei sind, dann kann ich ihnen positiv zusprechen und es erstmal mit Lob anstatt mit Kritik versuchen.“
Mit den gesammelte Lösungsimpulsen können sich die Spieler anschließend in der Fußballpraxis ausprobieren, um auf der Teamebene einen Unterschied zu machen. In den Führungszirkeln, welche die Spieler gemeinsam mit den Trainern und mir durchführen, werden viele Themen dann „rund gemacht“, indem sich den Spielern durch die zusätzlichen Perspektiven der Coaches neue Ansätze für ihr eigenes Handeln eröffnen. Auch die Trainer selbst bekommen in dem Zirkel Raum, um z.B. den Leadern ein Feedback bezüglich ihres Führungsverhaltens zu geben und Anliegen an diese zu adressieren, wodurch die Führungsspieler wiederum in die Verantwortung genommen werden, weitere Teamprozesse gezielt anzustoßen.
Phil sieht folgende Sinnhaftigkeit in den Führungszirkeln: „Der Meinungsaustausch zwischen den Trainern und uns ist sehr wichtig, damit wir besser vorankommen und die Kommunikation zwischen uns besser wird.“
Von den zukünftigen Leadershipcoachings und Führungszirkeln verspricht sich Dauerläufer Benicio folgendes: „Ich erhoffe mir, dass ich mir neue Kompetenzen eines Leaders aneignen und auch an meinen Schwächen als Captain arbeiten kann. Außerdem hoffe ich, dass ich durch die Coachings meiner Mannschaft und mir selbst helfen kann.“
Vom Führungsspieler- zum Einzelcoaching
Über das Coaching im Kleingruppenformat hinausgehend bot ich den Leadern an, in einem Einzelcoachingsetting noch individueller an einzelnen Führungskompetenzen zu arbeiten. So entschied sich Noah beispielsweise dafür, an seinem Kommunikationsverhalten auf dem Feld zu arbeiten.
Er selbst meint dazu: „Ich habe mich dazu entschieden, ein Einzelcoaching zum Thema Kommunikation durchzuführen, weil ich mich selbst auf dem Spielfeld als zu leise empfunden habe und ich oft etwas im Spiel sage, was aber nur meine Nebenspieler betrifft. Kurz: Ich wollte lauter werden. Das Coaching habe ich als sehr hilfreich empfunden, da ich ehrlich sein konnte und Janosch ein sehr guter und geduldiger Zuhörer und Ratgeber war. Ich konnte verschiedene Techniken und Tricks mitnehmen, wie ich meine „Angst“ überwinden kann und mich somit trauen kann, lauter auf dem Feld zu sein.“
Benicio hingegen ging es darum, auf ihn zugeschnitten, konkrete Aufgaben für sich als Führungsspieler zu definieren: „Ich wollte mit Janosch zusammenarbeiten, da ich so gezielt auf die Eigenschaften eines Leaders eingehen konnte, die mich am meisten interessieren und ich mir so selbst noch viele Punkte erarbeiten konnte, die ein Leader vertreten sollte. Die Zusammenarbeit im Einzelcoaching hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich konnte sehr viel daraus lernen. Ich hab mich sehr wohl gefühlt, da ich offen mit Janosch reden konnte und er mir dabei geholfen hat, als Leader weiterzukommen. Aus dem Coaching konnte ich mir die Aufgaben eines Leaders mitnehmen, die ich jetzt auf Papier in meinem Zimmer hängen habe, das mich immer an meine Aufgaben erinnert.“
Jamie kommunizierte mir den Wunsch einer Trainingsbeobachtung unter mentalen Gesichtspunkten mit einem anschließenden Reflexionsgespräch: „In der heutigen Zeit ist die Selbstreflexion ein großer Bestandteil, auch im Fußball. Es ist wichtig, sich selbst einschätzen zu können und dabei ehrlich mit sich selbst zu sein. Doch wie sehen mich außenstehende Personen? Welchen Eindruck vermittle ich ihnen durch meine Körpersprache und durch das, was ich tue? Daher ist es für mich persönlich sehr wichtig, dass ich Feedback, konstruktiv und ehrlich, von Janosch erhalte, dahingehend, wie er mich auf dem Feld wahrnimmt. Nach der Trainingsbeobachtung haben wir die Einheit unter mentalen Gesichtspunkten ausgewertet und reflektiert, was schon gut lief, aber auch, was ich noch besser machen kann. Das Ziel besteht jetzt darin, das von uns Besprochene umzusetzen und möglichst eine noch bessere Persönlichkeit auf dem Feld zu werden. Mir ist es wichtig, mich ständig weiterzuentwickeln und aus Fehlern zu lernen. In Zusammenarbeit mit Janosch bin ich der Auffassung, dies zu erreichen und noch einen weiteren Schritt in Richtung meines großen Ziels machen zu können.“
Ein Plädoyer für die Sportpsychologie und die Leadershipcoachings
Charles hat in der Zusammenarbeit mit mir bislang u.a. freiwillige Inputs, Workshops zu mentalen Themen, Leadershipcoachings und die Führungszirkel erlebt. Er hält die Sportpsychologie für eine sinnvolle Sache: „Die Sportpsychologie kann einen nur weiterbringen – zum Beispiel in persönlichen Bereichen. Auch bei vorliegenden Problemen kann sie helfen.“
Aus meiner Sicht, der des Sportpsychologischen Coaches, ist das Leadershipcoaching ein zielführendes Format. Denn die Führungsspieler entwickeln in ihrem geschützten Rahmen ihre Leaderkompetenzen sowie ihre Persönlichkeit weiter, was nicht nur auf die eigene Weiterentwicklung als Fußballspieler, sondern auch auf die des Teams einzahlt. Und letztlich profitieren ganz besonders auch die Trainer – da ihre Führungsspieler neben dem Ausbau individueller Kompetenzen und Fähigkeiten gezielt Teamprozesse anstoßen, die wiederum der Weiterentwicklung des Teams als Ganzes dienlich sind.
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