Thorsten Loch: Die Macht der Fragen

Hier eine alltägliche Konversation, welche sich allerorten in den Fußgängerzonen beobachten lässt: „Hallo, wie geht es dir?“ Und der Gegenüber antwortet mit einem „Joa, hab Rücken.“ Soweit so gut. Es hat sich eingebürgert, auf das zuvor beschriebene Szenario recht kurz und knapp zu antworten. Natürlich kommt es auf den Kontext an, denn nicht jeder möchte im beiläufigen Small Talk alle Details der letzten Vorsorgeuntersuchung oder jeden einzelnen Entwicklungsschritt des Sprösslings mitgeteilt bekommen. Aber wir alle kennen den Unterschied zwischen einer Frage, die mit einem ehrlichen Interesse gestellt ist, und einer Frage, die „man eben so stellt“. Die Art und Weise der Kommunikation ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und findet sich selbstredend im Sport wieder. Doch warum wird im Verhältnis weniger tiefgründig gefragt? Ist jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt? Oder haben wir möglicherweise verlernt, Fragen zu stellen? Fragen stellen ist eben nicht gleich Fragen stellen. Das sollte jeder schon einmal bemerkt haben, der mit Menschen zusammenarbeitet. Ich bin der festen Überzeugung, dass zielgerichtete Fragen stellen zu können, genauso zu den Schlüsselkompetenzen eines Trainers oder einer Sportpsychologin gehören, wie Trainingsplanung und Techniken zur Selbstgesprächsregulation. 

Zum Thema: Die Kunst, gekonnte Fragen zu stellen

Wie wir wissen, kann Kommunikation Fluch und Segen sein. Aber sie ist wichtig für uns, denn letztendlich möchten wir als Trainer oder auch Pädagoge unser Gegenüber bei ihrer Entwicklung unterstützen und Rahmenbedingungen schaffen, damit die Potentialentfaltung unter spezifischen Bedingungen möglich wird. Schaut man sich die Ausbildungsinhalte in den Trainerlizenzen an, gewinnt jener Bereich immer mehr an Bedeutung, jedoch noch nicht in dem Maße, wie es nötig wäre. Doch sind es letztendlich Fragen, die uns in der Kommunikation mit anderen Menschen näher zusammenbringen. Aber: Richtiges Fragen will gelernt sein. Schon auf den großen deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe soll folgende Ausführung zurückgehen: 

„Wenn du eine weise Antwort verlangst, musst du vernünftig fragen.“

Johann Wolfgang von Goethe

Nur wenn sie die richtigen Fragen stellen, erfahren sie das, was sie von ihren Mitmenschen hören wollen. Dabei gilt: Klare Frage, klare Antwort. Und um diese Antworten zu erreichen, gibt es eine Menge Fragetechniken. Von großer Bedeutung ist, dass sich eine solche Kommunikation nicht in Richtung eines Verkaufsgesprächs entwickelt, welches häufig als unangenehm empfunden wird. Aus diesem Grund würde ich ihnen im Folgenden gerne einen kleinen Ausblick auf die Möglichkeiten geben, die uns systemische Fragestellungen geben. 

Systemische Theorie, Systemisches Weltbild – ein Überblick

Aber vorab: Damit es möglich wird, was systemische Fragetechniken bedeuten, sollte es im ersten Schritt darum gehen, die systemische Theorie und das systemische Weltbild zu verstehen. In den folgenden Ausführungen wird ein kurzer Abriss in die Systemische Theorie gegeben, um im Anschluss die Möglichkeiten von systemischen Fragetechniken zu erkennen. Abschließend wird exemplarisch eine systemische Fragetechnik vorgestellt und erläutert. 

Systemische Theorie

Die allgemeine Systemtheorie wurde von dem Biologen Ludwig von Bertalanff begründet. Dabei ist anzumerken, dass diese Theorie in ihrem Ursprung wenig mit dem heutigen Verständnis zu tun hat. Sie fand sich nicht in den Disziplinen Psychologie oder Soziologie wieder, sondern eher in den Feldern Naturwissenschaften und der Kybernetik. Denn der Grundsatz der Systemtheorie beruht auf Regel- und Steuerungsmechanismen. Und als Systeme können ganz verschiedene Zustände bezeichnet werden: Unser Sonnensystem, der menschliche Körper oder eine Gruppe von Menschen. Es dauerte nicht lange und die Systemtheorie fand ebenfalls in der Soziologie großen Anklang. Soziologen wie Parson oder Luhmann entwickelten die Theorie immer weiter und ergänzten sie (vgl. Friedl, 2022).

Im Grundsatz geht das systemische Weltbild davon aus, dass eine Gruppe von Menschen ein komplexes System bilden. Die Komplexität entsteht durch die vielen Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten in diesem System. So kann es passieren, dass eine kleine Aktion in einem Teil des Systems große Auswirkungen in einem ganz anderen Teil des Systems verursacht. Das liegt daran, dass alles miteinander verbunden ist und sich gegenseitige Wechselwirkungen bedingen.

Ursache-Wirkungs-Prinzip

Das Knifflige an der Sache ist allerdings, dass das Ursache-Wirkungs-Prinzip in komplexen Systemen oft nicht mehr klar zu durchschauen ist. Und da sich Systeme zudem ständig im Wandel befinden, kann die Vielzahl der Interaktionen in die Höhe schnellen und sogar so ansteigen, dass es den „Topf überlaufen lässt“. Um diesem Verständnis Rechnung zu tragen, können Systeme drei verschiedene Systemzustände zugeordnet werden. Sie können stabil, labil oder metastasierend sein (vgl. Ziegler, 2023). 

An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass ein System nie ein für sich abgeschottetes System ist. Natürlich kann man eine Mannschaft als System sehen. Doch die Teilnehmer (z.B. Spieler der Mannschaft) dieses Systems sind in ständigen Wechselwirkungen mit anderen Akteuren ausgesetzt. Die Mannschaft agiert mit Trainer, Vorstand, Fans, Medienvertreter usw.. Und jeder Spieler einer Mannschaft für sich ist im Privatleben Teil von vielen anderen Systemen. Systeme lassen sich durch Interventionen beeinflussen. Dabei ist zu beachten, dass Interventionen in einem System immer mit einem Restrisiko verbunden sind, da es schwer vorherzusehen ist, wie ein bestimmtes System reagieren wird. Zu diesen Interventionen zählen auch die systemischen Fragen. Denn diese Fragen können Veränderungen nach sich ziehen, und nicht jede Person kommt gut mit Veränderungen zurecht. Manche ziehen sich zurück, wieder andere reagieren aggressiv oder versuchen die Veränderung verdeckt zu boykottieren. 

Das systemische Weltbild 

Wie zuvor bereits erläutert, geht man in der systemischen Arbeit davon aus, dass alle Individuen innerhalb von Systemen agieren (vgl. Ziegler, 2023). Die grundsätzliche Haltung ist nicht, dass Probleme entstehen, weil die Individuen Defizite haben. Vielmehr wird die Überzeugung vertreten, dass es durch die ständigen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten in einem System immer wieder zu Problemen und Ungleichgewichten kommt. Hieraus leitet sich ab, dass es in der systemischen Beratung nicht darum geht, Probleme von außen zu lösen, sondern welche innerhalb des Systems. Der „Berater“ ist vielmehr als ein Impulsgeber für das System zu verstehen. Aus diesem Grund sieht sich der jeweilige „Berater“ als Impulsgeber für das System. Diese Impulse können dabei helfen, dass das System bzw. dessen Akteure in Bewegung kommen und sich anschließend wieder ein Gleichgewicht im System einstellt. Die Akteure sind Experten in eigener Sache. Es geht nicht darum, von außen zu belehren, sondern nur einzelne Impulse zu geben, um zur Lösung einer Sache zu kommen. Dabei kann eine einzelne systemische Frage bereits ausreichen, um eine Situation wieder ins Lot zu bringen oder zu einer konstruktiven Lösung zu kommen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den Unterschied zwischen systematischen und nicht-systematischen Fragen zu kennen. Das Ziel hinter einer systemischen Frage ist nicht, einfach eine Antwort zu bekommen, wie es bei einer banalen Alltagsfrage das Ziel ist. Vielmehr geht es darum, zum Nachdenken anzuregen, das Gegenüber zu einem Perspektivwechsel zu motivieren oder eine eingefahrene Denkweise des Gesprächspartners zu verändern (vgl. Friedl, 2022). Dabei soll der Gegenüber – je nach Situation – aus der Reserve „gelockt“ werden und andererseits auch eine eigene Lösung für ein Problem finden. Damit dies gelingen kann, muss das systemische Fragen geübt und trainiert werden. 

Die verschiedenen systemische Fragetypen

In der systemischen Theorie ist ein bunter Strauß an Fragen bekannt. Dabei dienen die Fragen unterschiedlichen Zwecken und Zielen. Trainer können Fragen nutzen, um Emotionen des Gegenübers anzuregen oder um der Sportlerin wieder zu helfen, zurück in die Selbstwirksamkeit zu kommen. In einem anderen Fall können gezielte Fragen, einem Gespräch eine neue Richtung geben und einen Ausweg aufzeigen, an den der Betroffene vorher selbst gar nicht gedacht hat. Mit systemischen Fragen können sie die wahre Ursache hinter einem vordergründigen Problem erkennen und mehr über die wahren Beweggründe, das Denken, die Motive und auch die Gefühle von ihrem Gegenüber erkunden – und das gilt für den beruflichen wie den privaten Kontext. 

Im nächsten Abschnitt würde ich ihnen gerne einen Fragetypus näher vorstellen, nämlich die sogenannte Wunderfrage nach de Shazer (vgl. 2022). 

Die Wunderfrage – Was wäre, wenn heute Nacht ein Wunder geschieht?

Eine besondere Unterart der hypothetischen Frage ist die sogenannte Wunderfrage. Sie geht auf den amerikanischen Psychotherapeuten Steve de Shazer und Kollegin Insoo Kim Berg zurück. Der Ursprung liegt bereits in den 1980er Jahren und kommt aus dem Bereich der Lösungsorientierten Kurzzeittherapie. Sie wird zu den ressourcenorientierten Fragen gezählt, da sie, wie es vermuten lässt, dabei hilft, Ressourcen zu aktivieren. Der Befragte lernt mit dieser Frage nicht mehr im Bereich des Problems zu denken, sondern fokussiert sich auf eine Lösung – auch wenn sie noch so abwegig sein mag. Als Trainer können sie die Wunderfrage folgendermaßen stellen:

„Angenommen du gehst nun schlafen, und während du schläfst, geschieht ein Wunder, dass genau das Problem löst.

  • Wenn du aufwachst, woran merkst du, dass das Wunder geschehen ist?
  • Was wird anders sein?
  • Und woran würde auch dein Umfeld merken, dass sich das Problem gelöst hat?“

Bedenken sie: Die Wunderfrage setzt ein gutes Vertrauensverhältnis voraus. Man sollte sich im Klaren sein, dass das Thema „Wunder“ kein alltägliches ist. Sie ist sicherlich auch keine Frage, die für jede Konstellation geeignet ist. Jedoch kann sich in bestimmten Situationen mehr als hilfreich erweisen. Zum Beispiel dann:

  • Wenn Unklarheiten über ein Ziel herrscht —> Klarheit schaffen
  • Wenn sich ein Gefühl der Ausweglosigkeit bereit gemacht hat —> Selbstwirksamkeit wieder aktivieren
  • Wenn sich jemand handlungsunfähig fühlt —> Handlungsfähigkeit wieder herstellen

Fazit

Kommunikation ist essenziell für uns Menschen als bio-psycho-soziale Wesen. Das diese jedoch einem nicht immer leicht von der Hand geht, wird jedem bereits mehrfach im Alltag bewusst geworden sein. Beobachtet man die derzeitige Entwicklung in der Gesellschaft, so wird einem die Bedeutung/Wichtigkeit „Fragen stellen zu können“ deutlich. Dies schließt selbstredend den sportlichen Kontext mit ein. Überall, wo wir es mit Menschen zu tun haben, sollten wir dazu in der Lage sein, Fragen stellen zu können. Wie wir gesehen haben, bedeutet Fragen stellen nicht gleich Fragen stellen. Mit dem Verständnis aus dem systemischen Coaching bzw. der damit verbundenen Grundhaltung, dass jedes Individuum die Lösung bereits in sich trägt, und der Einsatz von systemischen Fragestellungen, öffnen sich dem Fragenden und dem Zuhörenden ganz neue Horizonte. 

Wenn wir sie hiermit getroffen haben und mehr darüber wissen möchten, dann zögern sie nicht, uns zu kontaktieren. Meine Kollegen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Thorsten Loch) bieten hierzu Schulungen und Workshops an, in denen sie eine detaillierten Einblick in die Anwendung bekommen. 

Hinweis: Systemisches Coaching und systemische Therapie

Zum Abschluss möchte ich kurz auf die Abgrenzung von systemischem Coaching und systemischer Therapie eingehen. Es ist von enormer Wichtigkeit diese beiden Begriffe „Systemsiches Coaching“ und „Systemische Therapie“ klar voneinander zu trennen. Die Systemische Therapie ist ein psychotherapeutisches Verfahren zur Behandlung psychischer Krankheiten und Störungen. Solche Therapien sollten ausschließlich von ausgebildeten Psychotherapeuten angewandt werden. Ein Coach erfüllt für seinen Klienten eine ganz andere Rolle als ein Therapeut. Zudem sollte es jedem, der als Coach arbeitet, klar sein, wann ein Klient eine ernsthafte psychologische Störung hat und daher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollte. 

Mehr zum Thema:

Literatur:

De Shazer, S./Dolan, Y. (2023): Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Carl-Auer Verlag.

Friedl, M.A. (2022): Systemisches Coaching. Systemische Theorieentwicklung im Überblick, Charakteristika des systemischen Coachings. Junfermann Verlag. 

Ziegler, O. (2023): Die Macht der systemischen Fragetechniken. DeS Verlag.

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