Manche Sportler*innen berichten, dass sie sich beim Wettkampf wie in einem Tunnel fühlen und wenig bis gar nichts von der Umgebung mitbekommen. Sie sind ganz im Hier und Jetzt, haben ihre Konzentration nur auf das Wesentliche gerichtet und können ihre Gedanken und Gefühle sowie ihre körperliche Anspannung gut regulieren. Diese mentale Einstimmung auf den Wettkampf trägt viel dazu bei, dass die Sportler*innen ihre Leistung in vollem Umfang beim Wettkampf abrufen können. Die Fähigkeit, solch einen Wettkampfmodus zu erreichen, ist aber nicht angeboren. Gute Vorbereitung und strukturiertes mentales Training sind notwendig, um sich perfekt einzustellen. Gerade in den Bereichen Organisation, Visualisierung und Selbstgesprächsregulation liegt viel Potential.
Zum Thema: Organisation, Visualisierungen und Selbstgespräche
Ein Faktor, der eine Rolle spielt, ist die Organisation vor und während des Wettbewerbs. Bereits das rechtzeitige und strukturierte Packen des benötigten Equipments am Abend vor dem Wettkampf kann viel Ruhe erzeugen. Zugleich verhindert es, dass mich diesbezügliche Gedanken am Wettkampftag ablenken. Auch wenn bei jüngeren Athlet*innen das Packen noch nicht ganz selbständig durchgeführt wird und die Eltern unterstützen, sollte das Kind sich auch selbst vergewissern, dass alles Wichtige eingepackt ist, um ein sicheres Gefühl zu bekommen. Auch die zeitliche Organisation spielt eine Rolle. Stress durch knappes oder gar verspätetes Ankommen beim Wettkampf kann vermieden werden, indem man rechtzeitig losfährt und auch Zeit für Staus einplant etc. Allerdings unterscheiden sich Sportler*innen darin, wie zeitig sie am Wettkampfort ankommen möchten. Einige benötigen eine sehr rechtzeitige Ankunft mit ganz viel Ruhe und dem „Erschnuppern“ der Wettkampfluft, um ihre volle Motivation zu entfalten. Für andere wiederum steigert eine lange Vorlaufphase die Nervosität und bringt sie über den perfekten Vorstartzustand hinaus.
Sich selbst zu beobachten und für sich herauszufinden, welcher Typ man ist, ist hier das A und O. Gerade bei größeren Events sind aber längere Vorlaufphasen und längere Pausenzeiten unvermeidbar, so dass die Sportler*innen ab einem bestimmten Leistungslevel grundsätzlich in der Lage sein sollten, sich selbst körperlich und mental so zu regulieren, dass sie zum definierten Zeitpunkt ihren perfekten Vorstartzustand erreichen. Das erfordert viel Übung in den Bereichen Spannungsregulation, Emotionsregulation sowie Gedankenregulation. Für ein möglichst schnelles und verlässliches Erreichen des perfekten Vorstartzustandes ist auch eine Start-Routine sowie eine Pausen-Routine hilfreich. Körper und Geist lernen bei der Einhaltung eines immer gleichen Ablaufs vor dem Start bzw. nach einer Pause, sich schnell zu regulieren und zu fokussieren.
Visualisierung nutzen
Der Zusammenhang von sportlicher Leistungssteigerung und qualitativ gutem und strukturiertem Training ist jedem Sportler und jeder Sportlerin intuitiv klar. Manches, das uns hilft, unsere Leistung verlässlich im Wettkampf abrufen zu können, ist aber nicht in der Realität trainierbar. Für diese Bereiche können wir unsere Vorstellungskraft nutzen, um bestmöglich auf den Wettkampf vorbereitet zu sein. Sich vor einem wichtigen Event regelmäßig mit allen Sinnen ganz lebendig vorzustellen, wie wir locker und voller Zuversicht die Halle betreten, wie wir uns ruhig und konzentriert vorbereiten, uns aufwärmen und schließlich fokussiert und dynamisch starten, nimmt das Turniererlebnis vorweg und stellt uns auf den Tag X ein. Hilfreich ist es, wenn ich die Wettkampfstätte bereits kenne, in der ich mich in der Vorstellung bewege. Dann kann ich mir viele Details und die Stimmung in der Halle vergegenwärtigen. Aber auch bei unbekannten Örtlichkeiten ist es möglich. Hier können häufig Fotos der entsprechenden Wettkampfstätte aus dem Internet helfen. Besonders wirkungsvoll ist solch eine Vorstellung, wenn ich sie mit einem positiven Gefühl aus erlebten guten Wettkämpfen oder Trainings verknüpfen kann.
Da bei Wettkämpfen nicht immer alles glatt läuft – sei es, was die Organisation des Events angeht oder sei es, dass mir mein Outfit oder mein Material Probleme bereitet – ist es zudem sinnvoll, Abweichungen von der Routine im Vorhinein mental durchzugehen und nach Lösungen zu suchen. Die Sportler*innen sollten dabei ganz konkrete Handlungspläne erstellen, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen. So sind sie besser auf Unwägbarkeiten vorbereitet und werden durch sie nicht so schnell aus der Bahn geworfen.
Sich durch positive Selbstgespräche unterstützen
Die unterstützende Wirkung positiver Selbstgespräche ist im Sport inzwischen gut bekannt. Ich kann sie mir auch bei der Wettkampfvorbereitung zunutze machen, indem ich im Vorhinein trainiere, meine Gedanken so zu regulieren, dass sie mich stärken. Gedanken wie „Was ist, wenn ich beim Wettkampf meine Leistung nicht zeigen kann? Was denken dann die anderen?“ sind verständlich und schleichen sich sehr leicht in unser Denken ein. Gleichzeitig ziehen sie mich runter und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ich nicht meine volle Leistung abrufen kann. Es ist hilfreich sich zu überlegen, welche realistischen Gedanken mir stattdessen helfen würden, meine Sicherheit, meine Konzentration, meinen Kampfgeist etc. zu stärken und diese in mein Training einzubauen, so dass sie zur Routine werden können. Es bietet sich auch an, für verschiedene Phasen des Trainings bzw. des Wettkampfes spezifische Gedanken vorzusehen, die in der Situation besonders wichtig sind. Bspw. brauche ich am Anfang eines Langstreckenlaufs eine andere mentale Unterstützung durch Selbstgespräche als gegen Ende.
Generell kann ich die förderlichen Gedanken auch in meine Visualisierung des anstehenden Wettkampfs (siehe oben) einbauen und mich dadurch optimal vorbereiten.
Tipps und Tricks
Die verschiedenen Bereiche einer optimalen Vorbereitung lassen sich miteinander kombinieren und andere mentale Techniken, wie beispielsweise die tiefe Bauchatmung, Emotionsregulation oder eine Konzentrations-Routine, lassen sich in die Bereiche integrieren. So kann die Wettkampfvorbereitung immer umfassender werden und die Selbstregulation immer perfekter gelingen.
Wie bei allen mentalen Techniken ist auch hier strukturiertes und regelmäßiges Training wichtig, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Meine Kollegen von Die Sportpsychologen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. Julia Boie) sind gerne für Sie da, falls Sie Beratung wünschen.
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