Heute ist der Tag, an dem er zeigen muss, was er gelernt und trainiert hat. Wir fahren zu den Sachsenmeisterschaften im Mittelstrecken- und Hindernislauf. Der Läufer, mit dem ich nun seit vier Wochen arbeite, hat ein festes Ziel. Er möchte nach einem schlechten Jahr voller Erkrankungen und Verletzungen wieder zurück an die nationale Spitze, vielleicht sogar auch schon wieder ein Stück näher an die internationale Spitze in der U21-Altersklasse heranrücken. Er kennt das Gefühl, denn er war schon bei einer Junioren EM dabei und konnte mit einer 6:06 Minuten eine sehr passable Leistung in seinem 2000-Meter-Hindernislauf zeigen.
Zum Thema: Fokussierung der Aufmerksamkeit
In letzter Zeit hatte er stark mit Grübelei und – damit verbunden – eben auch mit Zweifeln an seiner Leistungsfähigkeit zu kämpfen. Neben dem Training, das er zusammen mit seiner Trainingsgruppe durchgezogen hat, arbeiten wir daran, ihm zu helfen, „ins Hier und Jetzt“ zu kommen. Es geht darum, seine Gedanken an die anstehende Aufgabe zu binden und nicht so sehr an mögliche Ergebnisse oder an ein mögliches Scheitern zu denken. Hierzu haben wir ein „Renn-Drehbuch“ entwickelt, welches seine handlungsleitenden Gedanken mit den dazugehörigen „inneren Bildern“ koppelt. Konkret waren dies rundenbezogene Gedanken und Bilder, denn es wird darum gehen, 70er bis 72er Runden zu laufen, damit die Quali-Zeit erreicht werden kann. Am Start – tief atmen, in der ersten Runde „nicht zu schnell“, in der zweiten Runde „Fokus auf Technik, die 3. Runde „Draufbleiben“, in der 4. Runde „Weiter drauf bleiben und beißen“ und in der letzten Runde „Alles rein – bald vorbei“.
Dieses Rennen ist er mental mittlerweile schon zig Mal mental gelaufen, zunächst in einer tiefenentspannten Atmosphäre, dann im wettkampfnahen Training. Und heute wird es dann ernst. Die Anreise verlief gut und er macht einen sehr gelassenen Eindruck auf mich. Ich lasse ihn und seinen Trainer allein und beobachte derzeit, die anderen Rennen. Kurz vor seinem Rennen kommt er noch mal kurz vorbei und holt sich ein optimistisches Lächeln von mir ab. Ich werde den Lauf per Video aufzeichnen und ihn nach dem Rennen damit „konfrontieren“. Dabei geht es uns darum, zu überprüfen, ob es ihm gelungen ist, seine Gedanken auf die Aufgabe zu fokussieren und andere störende Gedanken auszublenden.
Ende der Grübelei
Das Rennen beginnt und er läuft die ersten beiden Runden wie abgesprochen in jeweils 72 Sekunden. In der dritten Runde lässt er drei Sekunden liegen, die letzten beiden Runden läuft er wieder 72er Runden. Es hat also die geforderte Zeit knapp nicht erreicht. In der Videoanalyse seiner Gedanken und Gefühle während des Rennens wird jedoch schnell klar, dass es daran nicht gelegen hat. Er hat zugerufene Zeiten in der 3. Runde nicht verarbeiten können, was jedoch wichtig gewesen wäre, weil er ohne Uhr läuft. Auch wenn er die Quali knapp nicht geschafft hat, ist er jedoch glücklich, dass das Rennen für seinen Wiedereinstieg doch ganz gut gelaufen ist und vor allen Dingen, dass er nicht mehr „grübelt”. Und das ist dann auch etwas, was mich als sein Sportpsychologe sehr zufrieden macht.
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