Vize-Weltmeistercoach Harold Kreis: Sportpsychologen eröffnen Trainern zusätzliche Perspektiven

Nach 70 Jahren hat die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft wieder eine Medaille gewonnen. Bei der WM 2023 in Finnland und Lettland ist das deutsche Team sensationell ins Finale vorgestoßen. Das Team lieferte eine mitreißende Turnierleistung, die nur wenige Experten vorab erwartet hatten. Wir haben Bundestrainer Harold Kreis, der erst im Frühjahr den Job übernommen hat, zu den Hintergründen des großen Erfolges mit Blick auf die Sportpsychologie befragt.

Harold Kreis, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu diesem riesigen Erfolg! Was war deiner Meinung nach der entscheidende Faktor dafür, dass die Jungs so mit und füreinander gekämpft haben?

In Zusammenarbeit mit dem Coaching Staff, Alex Sulzer und Pekka Kangasalusta haben wir eine Mannschaft aufgestellt, die sehr gut Ihre Rollen aufgenommen und ausgeführt haben. Die Spieler haben viel miteinander gesprochen, sie haben ihre Freizeit miteinander verbracht und hatten Spaß am Eishockey. Sie hatten Vertrauen ineinander und in das Spielsystem, sie glaubten an sich und dass sie etwas Großartiges erreichen können. Es hat sich ein sehr ausgeprägtes „Wir“-Gefühl im Laufe der Vorbereitung und des Turniers entwickelt. Das Team war der Star-Player.

Hat euer Sportpsychologe Dr. Tom Kossak in Bezug auf den Teamzusammenhalt etwas spezielles mit den Jungs gemacht?

Sein Einfluss ist sehr vielseitig. Ich gebe mal einige Beispiele. So beginnt die Steuerung des Teamzusammenhalts ja schon weit vor dem Turnier. Wir überlegen gemeinsam, wie wir Räume und Aktionen schaffen, in denen sich die Spieler abseits des Eises begegnen können. Es ist uns wichtig, eine Mischung aus Fokus im Team und Lockerheit und Individualität aufzubauen.

In den Gruppensessions mit Tom sprechen die Spieler dann meist über die Themen Fokus und Handeln unter Druck. Dabei ist die Teamresilienz für uns ein besonders wichtiger Faktor. Es geht darum, dass es die Mannschaft in Drucksituationen oder bei Rückschlägen schafft, weiter fokussiert zu spielen. Das geht schon bei der Zielsetzung los. Natürlich wird Zielsetzung oftmals mit Motivation in Verbindung gebracht. Sie kann den Fokus aber auch zu sehr aufs Ergebnis lenken. Deswegen ist die Diskussion über eine motivierende Zielsetzung sehr wichtig, bei der es die Spieler schaffen, fokussiert ihr Spiel zu spielen, ohne zu sehr im Ergebnis zu sein, sondern im Moment.

Die Mannschaft entwickelt in den Gesprächen mit Tom Ideen, was dafür notwendig ist, um im Moment zu spielen. Eine besondere Herausforderung in diesem Jahr waren die ersten drei Spiele in der Gruppenphase. Wir wussten, dass es schwer wird, wollten uns davon aber nicht beeindrucken lassen und unser Spiel spielen. Dies ist dem Team auch sehr gut gelungen, obwohl die Spiele knapp verloren wurden. Aus diesen Spielen zog die Mannschaft trotzdem viel Stärke. Wichtig war dann, mit Selbstvertrauen in die weiteren Spiele zu gehen und sich von dem schweren Start nicht beeindrucken zu lassen. Auf diese Situation hat Tom das Team vorbereitet. Der Glaube an die Stärke des Teams und das Vertrauen ins Spielsystem, in dem jeder seine Stärke einbringen darf, war dafür besonders wichtig.

Inwiefern konnte Tom dir bei deinem Job als Bundestrainer helfen?

Da die Arbeit mit Tom sehr früh begonnen hat, konnten wir einige Sachen rechtzeitig besprechen und Tom hatte genügend Zeit, seine Gespräche mit der Mannschaft vorzubereiten. Tom war auch bei allen Team-Meetings dabei und konnte mich entweder schon im Vorfeld auf bestimmte Themen, die die Mannschaftsmitglieder beschäftigen, sensibilisieren oder mir Feedback über meine Ansprache geben. Ich finde es enorm wichtig und sehr hilfreich, wenn der Sportpsychologe, in diesem Fall Tom, mir eine andere Perspektive eröffnet. „Coach the coach“ in real time finde ich sehr hilfreich in Bezug auf meine eigene Entwicklung im Umgang mit den Sportlern.

Warum rätst du jedem Eishockeytrainer, auf die Erfahrung aus der Sportpsychologie zu setzen? 

Aus eigener Erfahrung habe ich festgestellt, dass ich häufig ein Muster im Umgang mit einem bestimmten Spielertyp anwende. Wenn ich ihn nach mehreren Versuchen nicht erreiche, bin ich der Meinung, dass es am Spieler liegt und nicht an mir. Ein Sportpsychologe kann einem Coach dies erklären, dir eine neue Perspektive und Zugang zum Spieler eröffnen und somit bleibt ein konstruktiver Austausch mit dem Spieler aufrecht erhalten.

Der Sportpsychologe kann dem Trainer auch Feedback bezüglich der „Temperatur“ der Mannschaft geben und aufzeigen, welche Themen gerade sehr wichtig oder bedrohlich sind. Somit kann der Trainer rechtzeitig und gezielt bestimmte Themen ansprechen und handeln.

Im Eishockey, nicht nur in den unteren Ligen, ist viel Wildwuchs dabei. Seien wir ehrlich: Es tummeln sich einige windige und schlecht ausgebildete Möchtegern-Experten im Umfeld der Vereine. Du setzt auf seriöse Sportpsychologie. Hast du Tipps für Manager, Trainer und Spieler, wie sie seriöse von unseriösen Angeboten unterscheiden können?

Es ist wichtig zu sehen, was für eine Ausbildung und welche Erfahrungen schon gemacht worden sind. Wie bei der Auswahl eines Spielers holen wir uns Informationen aus Referenzen, die uns von Spielern mitgeteilt worden sind, oder wir stellen eigene Recherchen an.

Darüber hinaus ist mindestens ein persönliches Gespräch, face to face, unabdingbar. Da die Arbeit mit dem Sportpsychologen so intim und intensiv ist, muss auch hier Vertrauen und Sympathie vorhanden sein.

Bild: DEB

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de