Ein mir bekannter Trainer hat vor kurzem sehr treffend formuliert: „Erlebnis statt Ergebnis!“. Eine wunderbare Aussage, wie ich finde. Aber finden wir diese Haltung in der gelebten Praxis wirklich wieder? Kürzlich war ich mit meinem Jüngsten auf einem Turnier (U7-Spielfest), welches vordergründig den Spaß an der Bewegung vermitteln sollte. Versteh mich nicht falsch! Die Kinder hatten ungemein Spaß, im Gegensatz zu den „stolzen“ Eltern. So wurde von einigen Müttern und Vätern der zuvor angekündigte Besuch einer Fastfood-Kette für den Fall einer Finalniederlage in Frage gestellt. Muss ich noch mehr dazu sagen?
Zum Thema: Ist Darth Vader ein guter Lehrmeister?
Es steht außer Frage, dass unser Gehirn dazu im Stande ist, Außergewöhnliches zu leisten. Wusstest du auch, dass es sich am besten in einer sozialen Gemeinschaft lernen lässt? Der Schutz der Gruppe ist nicht nur in der freien Wildbahn überlebenswichtig, sondern auch von zentraler Bedeutung für den zivilisierten Menschen. Beinahe unser gesamtes Können beruht auf den Anregungen von Artgenossen. Nur wenn andere ihr Wissen mit einem teilen, können wir dazu lernen. Die Fähigkeit, mit anderen in Beziehung treten zu können, ist somit folglich die Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. Und weil das Lernen überlebenswichtig ist, kommen Kinder mit einer schier unersättlichen Neugier und Offenheit auf die Welt. Kinder sind auf der Suche nach Vorbildern, die sich ihrer annehmen und ihnen zeigen, wie man sich in dieser Welt zurechtfindet. Wird jedoch das kindliche Urvertrauen nach stabiler emotionaler Bindung enttäuscht, wird jener Austausch gestört mit entsprechenden Folgen.
Alsbald ein Kind unterbewusst spürt, dass es nicht wirklich gemocht oder nicht ernst genommen wird, zerbricht in ihm das angeborene Urvertrauen gegenüber seinen Mitmenschen. Die Folge hiervon ist, dass das kindliche Gehirn in einen Stresszustand verfällt und damit zunehmend die Fähigkeit verliert, komplexe Verschaltungen zwischen Nervenzellen herzustellen. Sprich neue Lernerfahrungen können nicht richtig verankert werden.
Zwischenfazit: Positive und vertrauensvolle Beziehungen sind Grundvoraussetzung für die Entwicklung der menschlichen Lernfähigkeit
Die menschliche Lernfähigkeit
Doch finden wir in unserer leistungsorientierten Gesellschaft solche Idealbedingungen leider eher selten vor. Allen Lebewesen ist gemein, dass sie sich ständig an die wechselnden Umweltbedingungen anpassen können. Lange vertrauten wir auf die Annahme, dass die Lernfähigkeit ein menschliches Alleinstellungsmerkmal sei. Dem ist jedoch nicht so. Einzig und allein ist der Mensch dazu in der Lage, sich die Lernfähigkeit von anderen für seine eigenen Zwecke nutzbar zu machen.
Aber wie sieht unser Lernverhalten aus, wie viel haben wir in der jüngeren Vergangenheit in der Praxis verändert? Noch bevor Pawlow und sein Hund den Nachweis erbrachten, dass man jedes Lebewesen mit Aussicht auf Belohnung auf ein bestimmtes Verhalten konditionieren kann, richteten Menschen Tiere ab und dressierten sie. In diesem Zusammenhang spielte aber nicht nur das Leckerli eine wichtige Rolle, sondern eben auch die Peitsche. Denn auch die Angst vor Bestrafung kann eine mächtige Triebfeder sein.
Fehlender Spaß, aber nicht nur
Die Kehrseite dieses Prinzips von Belohnung und Bestrafung ist aber, dass es nur durch Unterwerfung funktioniert. Unglücklicherweise übertrug man diese Logik im Laufe der Geschichte auch auf die klassischen Bildungseinrichtungen: Die ersten allgemeinbildenden Volksschulen gingen nämlich aus Kadettenschulen hervor. Diese hatten das Ziel, aus den Schülern gefügige Untertanen zu machen. Nur so konnte man in einer hierarchischen Gesellschaft gehorsame Soldaten rekrutieren. Nur weil die Prügelstrafe heutzutage in den meisten Ländern abgeschafft wurde, bedeutet dies im Umkehrschluss nicht automatisch, dass die „Tradition“ Unterwerfung verschwunden ist. In vielen Klassenzimmern und auf Sportplätzen herrscht immer noch ein steiles Autoritätsgefälle, innerhalb der Lehrer oder Trainer die Rolle des herrschenden Subjektes einnimmt und die Schüler bzw. Sportler zum Objekt degradiert werden. Folglich steht nicht Lernfreude in der ersten Reihe, sondern der Selbstschutz. Das Gehirn ist so sehr damit beschäftigt, Bestrafung zu vermeiden und Belohnung zu ergattern, dass die kognitive Verarbeitung des Unterrichtsstoffes bestenfalls ein Nebenprodukt ist. Jene Vorgehensweise hat mit eigenständigem und nachhaltigem Lernen überhaupt nichts mehr zu tun. Die meisten Schüler regieren auf die systematische Objektivierung ihrer Persönlichkeit entweder mit feindseligem Trotz oder mit quälenden Selbstzweifeln. In beiden Causae geht die Lernfreude verloren. Die Freude am spielerischen Entdecken der Welt geht verloren und die Kinder und Jugendlichen trauen sich nicht mehr, ihre Gedanken laut auszusprechen. Im Alltag dreht sich die Welt nur noch um Bewertung und Benotung bzw. um Gewinner und Verlierer.
Und genau aus diesem Grund ist es so unabdingbar wichtig, dass wir gute Lernbedingungen schaffen. Wenn wir die natürliche Lernfreude von Kindern erhalten, wird es möglich, sie auch von den Lerninhalten zu überzeugen, die ihnen bisher noch fremd waren. Der Funke der Begeisterung und die Lust auf Entdeckung wird nur dann bei den Schützlingen entfacht, wenn sie von einem Vorbild (Lehrer/Trainer) eingeladen werden, der das, was er vermittelt, aufrichtig liebt. Ein Trainer, der eine inspirierende Atmosphäre schafft, ermutigt seine Sportler/Schüler dazu, über die eigenen Grenzen hinauszugehen.
Fazit
Wollen wir andere zum Lernen inspirieren, müssen wir sie mit unserer Begeisterung anstecken. Und weil wir am besten im Team lernen, sollten wir unsere Beziehungen pflegen und ein vertrauensvolles und kooperatives Umfeld schaffen. Wir brauchen eine Kultur der Offenheit und Augenhöhe, der Rücksichtnahme sowie des Respekts. Wenn wir uns gegenseitig beschützen und ermutigen, können wir jeden Tag gemeinsam lernen und zusammenwachsen. Gelingt uns das, bleibt unsere Freude am Lernen ungetrübt und wird zum Ausdruck purer Lebensfreude.
Hinweis: Schön, dass du bis zum Ende gelesen hast. Entsprechend kann ich doch noch auf den ersten Text dieser kleinen Serie hinweisen, in dem sich alles um das Thema Lernen drehte. Wie geht dieser Prozess vonstatten und welche idealen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit wir optimal Lernen können? Es konnte aufgezeigt werden, dass Lernen durchaus Spaß machen kann bzw. sollte. Schau einfach noch einmal rein, wenn ich dich bis hierhin mitreißen konnte:
Literatur:
Hüther, G. (2016): Mit Freude lernen – ein Leben lang: Weshalb wir ein neues Verständnis vom Lernen brauchen. Sieben Thesen zu einem erweiterten Lernbegriff und eine Auswahl von Beträgen zur Untermauerung. Vandenhoeck&Ruprecht Verlag.
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