Dr. Hanspeter Gubelmann: Unter dem Druck der KI müssen wir unsere eigenen Werkzeuge weiterentwickeln

Kürzlich war ich zu den 100-Jahr-Jubiläumsfestivitäten des Instituts für Angewandte Psychologie (IAP) in Zürich eingeladen. Getreu dem Motto „Psychologie hilft.“ erhielten die rund 1’000 Besucher:innen (!) vielfältige Einblicke in aktuelle und zukünftige Entwicklungen in angewandten Praxisfeldern der Psychologie. Mein Fazit für die Arbeitswelt Sportpsychologie 4.0 lautet: Künstliche Intelligenz (KI) wird kommen, doch die Selbstreflexion bleibt unser wichtigstes Tool! Weil wir in der Lage sind, unsere Prozesse, Methoden und Techniken zu verbessern. In welchen Themen meiner Arbeit mich die Selbstreflexion begleitet, versuche ich in diesem Blog an drei aktuellen Beispielen zu erläutern.

Zum Thema: Arbeitswelt Sportpsychologie 4.0 – Selbstreflexion hilft.

Psychologie hilft. Damit wir Sportpsycholog:innen in Zukunft noch besser helfen können und unsere Anwendungstools noch effizienter einzusetzen wissen, müssen wir uns unserer lernförderlichen Kompetenzen bewusst(er) sein. So habe ich Referent Urs Blum verstanden, der in seinem inspirierenden Referat  „Future Skills – die Superkraft für Menschen von morgen“ Erkenntnisse aus der IAP-Studienreihe „Der Mensch in der Arbeitswelt 4.0“ vorstellte. 

Seine Sichtweise kontrastiert mit Ansichten, die im Rahmen einer Podiumsdiskussion zu Auswirkungen von KI auf uns Menschen an der gleichen IAP-Veranstaltung geäussert wurden. KI – Freund oder Feind? – auch in der Sportpsychologie? Oder anders gefragt: Wird uns KI in der Beratung konkurrenzieren?

ChatGPT kennt unsere Zukunft!

Ich habe ChatGPT zu unserer Zukunft befragt, genauer zu einer unserer Kernkompetenzen, nämlich der Selbstreflexion. 

Wie wichtig ist Selbstreflexion im Beratungsprozess?

Antwort ChatGPT (3.5): Selbstreflexion ist ein wichtiger Bestandteil des Beratungsprozesses, da sie es dem Berater ermöglicht, seine eigenen Vorurteile, Annahmen und Erfahrungen zu erkennen und zu überprüfen. Durch die Selbstreflexion kann der Berater auch seine eigenen Stärken und Schwächen erkennen und gezielt an ihnen arbeiten, um eine bessere Beratungsleistung zu erbringen. Darüber hinaus kann die Selbstreflexion dazu beitragen, eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater und Klient aufzubauen, da der Berater authentisch und transparent sein kann.

Wird KI die Selbstreflexion im Beratungsprozess ablösen?

Antwort ChatGPT (3.5): Obwohl KI-Technologien in der Beratungsbranche immer häufiger eingesetzt werden, ist es unwahrscheinlich, dass sie die Selbstreflexion im Beratungsprozess vollständig ersetzen werden. Selbstreflexion erfordert ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz und menschlicher Empathie, die derzeit nicht von KI-Systemen erreicht werden können. KI-Systeme können jedoch als unterstützende Werkzeuge eingesetzt werden, um den Berater bei der Analyse von Daten und der Identifizierung von Mustern zu unterstützen, die bei der Selbstreflexion helfen können. Letztendlich wird die menschliche Komponente im Beratungsprozess jedoch weiterhin von entscheidender Bedeutung sein.

Die menschliche Komponente in der Beratung

Die Antworten klingen gleichermassen intelligent wie nachvollziehbar. Wo ich die menschliche Komponente im Beratungsprozess gegenüber der Expertise von KI auch weiterhin höher gewichte, möchte ich anhand von drei Beispielen erläutern, welche ich kürzlich in meinem Arbeitsumfeld erleben durfte. Die besondere „Stärke“ dieser Erfahrungen leite ich aus dem selbstreflexiven Prozess ab, der immer mit Lernen und Entwicklung zu tun hat – für mich elementarer Bestandteil der Arbeitswelt 4.0 der Sportpsychologie!

Catia Gubelmann, Leistungssportlerin (Quelle:privat)

1) asp-Tagung 2023 – Workshops

Als Vater einer ambitionierten Tochter besuchte ich den Workshop „Elterncoaching“ von Valeria Eckardt. Einmal mehr wurde ich mir bewusst, dass wir Sporteltern mit drei elementaren Funktionen ausgestattet sind: wir unterstützen, wir wirken als Vorbild und wir bewerten. Was aber bedeutet es, wenn der Vater zudem noch Sportpsychologe ist? Meine Tochter Catia antwortete im Rahmen unseres asp-Workshops „Wettkampfvorbereitung –Countdown“ folgendermassen: 

„Ich finde es toll, dass mein Vater Sportpsychologe ist. Aus meiner Sicht hat er sich ideal verhalten. Genau das richtige Mass „an Vater“, der mir Sicherheit gibt und als Psychologe, der seriös und kompetent ist. Früher hat sich mein Vater sehr im Hintergrund gehalten. Wenn ich ihn heute mit einer Frage angehe, weiss ich, dass ich jederzeit eine sehr gute Antwort bekomme.“

Ich bezweifle, dass KI in der Lage wäre, mir eine Rückmeldung in dieser unmittelbar fassbaren, menschlichen Qualität geben zu können.

2) Anfrage Sporthochschule Köln

Kürzlich erhielt ich folgende Anfrage von einem Studenten der SpoHo Köln: „(…): Es geht darum, dass wir einen Workshop zum Thema “Practice what you preach” unter sportpsychologischen Experten/sportpsychologisch Auszubildenden planen und durchführen. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns ein kurzes Statement aufzeichnen und zuschicken. Und zwar geht es um die Frage: 

“Finden die an die Student*innen vermittelten theoretischen Benefits aus Psychology und Sportscience auch in Ihrem eigenen Alltag Anwendung? Und warum?“

Selbstverständlich könnte KI auch dazu eine Antwort geben. Nur eben – diese wäre künstlich und nicht individuell-authentisch!

3) Besuch DAS Sportpsychologie Studierenden

Vergangene Woche besuchten mich zwei Studierende des DAS Sportpsychologie, welches an der Uni Bern angeboten wird. Diese 3-jährige, berufsbegleitende postgraduale Weiterbildung führt in der Schweiz zur Erlangung des Fachtitels „Sportpsycholog:in FSP“. Damit ich mich inhaltlich etwas vorbereiten konnte, bat ich um eine thematische Eingrenzung anhand einiger Hauptfragestellungen. Dazu erhielt ich folgende Rückmeldung:

„Vielen Dank für deine Bereitschaft mit uns das Interview zu führen. Wir werden dabei Fragen stellen, welche sich um dein Verhalten als Fachperson z. B. …

o … gegenüber Medienschaffenden drehen?

o … um Vertrauen zum Kunden aufzubauen?

o … bei Konflikten oder ethischen Dilemmata?

o … um wirtschaftlich überleben zu können?

o … um die eigene Qualität zu sichern?

Wir freuen uns auf den Austausch mit dir.“

Der Austausch dauerte rund 90 Minuten. Die besprochenen Inhalte sollen in einem Bericht zusammengefasst werden. Natürlich hätte auch KI Antworten auf die oben gestellten Fragen geben können, nur hätten diese kaum 30 Jahre individuell gelebte Praxis in der Sportpsychologie wiedergeben können. Zudem verwies ich im Gespräch immer wieder auf Texte, die ich in den vergangenen 7 Jahren auf die-sportpsychologen.de publiziert habe. 

Und wie trainiere ich Selbstreflexion?

Die oben beschriebenen Situationen zeigen beispielhaft, wie selbstreflexives Lernen im eigenen beruflichen Alltag stattfindet. Aus Sicht der Qualitätssicherung unserer Dienstleistung im Feld der Angewandten Sportpsychologie erachte ich es als selbstverständliche Notwendigkeit, die eigene Tätigkeit selbstreflexiv zu betrachten. KI kann viel und wird in Zukunft noch mehr können – eine Überprüfung und allenfalls Verbesserung der Prozessqualität unserer Interventionen bleibt dem Mensch vorbehalten. Davon bin ich überzeugt.

Selbst für die Entwicklung der Selbstreflexion braucht es keine KI. Ich lehne mich hier gerne an den eingangs erwähnten Referenten Urs Blum an, der mit einem einfach gehaltenen Tool das Publikum zu aktivem Training einlud. Hier seine Anleitung in Kurzform: 

1.) Blockiere in deiner Agenda in den nächsten drei Tagen einen Timeslot von 30’; 

2.) Beantworte folgende zwei Fragen: a) Was ist mir gelungen? b) Was habe ich nicht herausgefunden? Halte deine Gedanken fest.

3.) Plane und blockiere in zwei Wochen einen neuen Termin.

Mein Fazit

KI wird in Zukunft unseren beruflichen Alltag beeinflussen – so oder so! Die Selbstreflexion müssen wir weiterhin als wichtiges Tool weiterentwickeln – so einfach, selbstverständlich und regelmässig wie möglich!

Mehr zum Thema:

Quellen und Literatur

Majkovic, A.-L., Gundrum E., Kornfeind, J., Müller, A. & Wirth, R. (2022). IAP Studie 2022:
Der Mensch in der Arbeitswelt 4.0. Lernen in der Arbeitswelt 4.0. Zürich: IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. 

Online verfügbar: 

https://www.zhaw.ch/storage/psychologie/upload/iap/studie/6._IAP_Studie_-_Lernen_in_der_Arbeitswelt_4.0.pdf


Tag der Psychologie 2023, IAP: https://www.zhaw.ch/storage/psychologie/upload/ueber-uns/100-Jahre-Programm.pdf

Blum, U. (2023). Future Skills – die Superkraft für Menschen von morgen. https://www.zhaw.ch/de/psychologie/ueber-uns/100-jahre-angewandte-psychologie-zuerich/tag-der-psychologie/tag-der-psychologie-themeninputs-kongresshaus-zuerich/#c210992

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Dr. Hanspeter Gubelmann
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