Thorsten Loch: Schulbank und Sportpsychologie? Mehr Gemeinsamkeiten als der erste Blick verraten lässt

Wenn es nach unseren Kindern geht, könnte man sagen, dass die Schule wohl oder übel zum Leben dazugehört. Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Unsere „Großen“ gehen gerne zur Schule, nur sind die Pausen weitaus reizvoller als so mancher Unterricht. Aber warum ist das so bzw. muss das sein? Zu allem Überfluss flatterten vor ein paar Wochen auch noch die Halbjahreszeugnisse mit den Empfehlungen (für die Viertklässler) für die weiterführenden Schulen ins Haus. Und ohne über irgendwelche hellseherische Kräfte zu verfügen, bin ich mir sicher, dass die Gefühlspalette in den Familien von großer Enttäuschung bis zu wahnsinniger Freude und Stolz reichten. Doch was sagen Noten eigentlich über unsere Kleinen aus? Wie lernen unsere Kinder heutzutage und was haben Lehrer und Trainer in diesem Zusammenhang gemeinsam bzw. vor welchen Herausforderungen stehen beide? Im ersten Teil möchte ich zu Beginn das Licht auf Lernen im Grundsatz werfen und nehme hier gerne den Ball bzw. die Ansicht von Gerald Hüther auf. Im Anschluss soll ein kleiner Ausblick folgen, wie Bezugspersonen Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Lernen schaffen können. 

Zum Thema: Darf Lernen und sich „erproben“ überhaupt Spaß machen?

Beginnen von vorn. Was verstehen wir unter lernen? Durchforstet man das world wide web, so finden sich vielerlei verschiedener Definitionen. Hüther (2016) versteht unter Lernen eine innere Anpassungsleistung an veränderte äußere Umstände. Alles Leben strebe demnach einen Zustand harmonischer Ausgeglichenheit an. Die Wissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von Kohärenz. Was bedeutet das im Detail? Die inneren Vorgänge eines kohärent organisierten Wesens stehen in optimalem Einklang mit den Vorgängen der Außenwelt. Ein kohärenter Organismus verbraucht nur ein Minimum an Energie, weil alle Bestandteile des Organismus perfekt zusammenarbeiten. Wird dieses Gleichgewicht nun durch äußere Faktoren gestört, erhöht sich der Energieverbrauch der Zellen. Meistens wird dann im Gehirn nach einem bereits gespeicherten Reaktionsmuster gesucht. Ein neuer Lernprozess wird dann in Gang gesetzt, wenn kein bekanntes Muster dazu passt. Ziel ist es, die innere Ordnung wiederherzustellen und das entstandene Energiedefizit wieder auszugleichen. Wie anstrengend das ist, weiß jeder, der schon mal etwas völlig Neues lernen musste. Erinnern wir uns nur einmal an unsere ersten Fahrstunden oder beginnen Sie doch, noch heute zu jonglieren. Dennoch lohnt sich der ganze Aufwand, denn dadurch wird es uns möglich, Gefahren zu trotzen und dann wertvolle Energie zu sparen.

Lernen mit allen Sinnen

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere: Wer mag schon gerne Veränderungen? In einem Lernprozess, also Energieverbrauch mit Anstrengung, begeben wir uns nur, wenn uns etwas wirklich wichtig ist. Und was bedeutet wichtig in diesem Zusammenhang? Es muss relevant für unseren Alltag sein. Außerdem gilt: Lerninhalte müssen auch körperlich erfahren werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir den Beginn unseres Lebens im Mutterleib verbracht haben. Abgeschirmt von der Außenwelt, kamen die ersten Impulse, die unsere Nervenzellen erreichten, direkt aus dem eigenen Körper (Hüther, 2016). Deshalb sind wir auch später nur zu wahrer Veränderung in der Lage, wenn uns eine Erfahrung im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht.

Versetzen wir uns nochmal zurück in unser kindliches Ich. Als Kleinkind lernten wir viele Dinge mit einer spielerischen Leichtigkeit und atemberaubender Geschwindigkeit. Warum ist das Jahrzehnte später eher weniger der Fall? Uns fehlt Freude als emotionaler Anker für den Lernprozess. Bei dem Kind löst jede neue Entdeckung einen Sturm der Begeisterung aus. Ist ihnen der erste eigenständige Schritt gelungen, haben sie endlich nach unzähligen Versuchen ihre Schuhe selbst zugebunden oder zum ersten Mal ein gedrucktes Wort entziffert, sind sie erfüllt von tiefen Glücksgefühlen. Dies ist wichtig, denn diese Gefühle aktivieren wiederum das emotionale Zentrum im Gehirn. Dort setzen dessen Nervenzellen große Mengen sogenannter neuroplastischer Botenstoffe frei. Diese sind das wichtigste Baumaterial für die Bildung neuer synaptischer Verbindungen. Ohne diesen emotionalen Dünger haben Lerninhalte kaum eine Chance, langfristig im Kopf gespeichert zu werden. Oder erinnern sie sich noch an alle Prüfungsinhalte in ihrer Ausbildung/Studium (Stichwort Bulimie-Lernen)? 

Lernen ist auch Erfahrungssache

Wie ein Lernprozess genau abläuft, hängt auch davon ab, was für Erfahrungen wir gesammelt und welche Problemlösungsstrategien wir bereits erprobt haben. Jedes Lebewesen geht mit Veränderungen auf seine eigene Weise um. Auch bei uns Menschen ist das Spektrum an möglichen Reaktionen individuell verschieden: Bei jeder neuen Herausforderung scannt unser Nervensystem erst mal alle schon gespeicherten Reaktionsmuster. Findet es unter ihnen keine passgenaue Lösung, werden alte Gewohnheiten angepasst oder weiterentwickelt. Streng genommen bedeutet dies, dass selbst das hochentwickelte menschliche Gehirn nur Dinge lernen kann, die vorher bereits in Ansätzen vorhanden waren und an vorangegangene Erfahrungen anknüpfen (lebenslanges Lernen). Bei einer Wahrnehmung, die zu keiner der bisher gespeicherten Reaktionsmustern passt, versteht unser Gehirn sprichwörtlich nur Bahnhof. 

Das bedeutet für die Praxis, dass man beispielsweise vor einer spezifischen Passübung mit verschiedenen Variablen wie Gegendruck oder Ähnlichem, die Fertigkeit „den Ball zu passen“ bereits erlernt sein muss. Das erklärt, warum es so wichtig ist, in jedem Lernprozess den richtigen Grad zwischen Über- und Unterforderung zu finden: Ist eine Aufgabenstellung zu schwer, hat das Gehirn nichts, worauf es aufbauen kann. Ist sie zu einfach, fehlt ihm der Anreiz, sich weiterzuentwickeln. Je mehr Erfahrungen allerdings von unseren Synapsen verwertet wurden, desto vielfältiger sind die Möglichkeiten, daran anzuknüpfen und desto schneller und leichter lernen wir dazu.

Fazit

Lernen ist ein hochkomplexer Prozess, der einiges von dem Lernenden und dem Lehrenden abverlangt. Schauen wir uns die gängigen Methoden/Umsetzung in den verschiedenen Systemen (z.B. Schule, Verein, usw.) heutzutage an, so fällt das Resultat eher nüchtern aus. Das System gibt dem Lehrenden verschiedene Ansätze, jedoch die Möglichkeit diese auch in die Tat umzusetzen, eher weniger. Und hier beißt sich die Katz sprichwörtlich in den eigenen Schwanz. Auch so eine Lehre.

Literatur:

Hüther, G. (2016): Mit Freude lernen – ein Leben lang: Weshalb wir ein neues Verständnis vom Lernen brauchen. Sieben Thesen zu einem erweiterten Lernbegriff und eine Auswahl von Beiträgen zur Untermauerung. Vandenhoeck&Ruprecht Verlag.

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Thorsten Loch
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